Betriebsübergabe Nachfolge im Handwerk: So lernen Verantwortliche das Loslassen

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Unternehmerinnen und Unternehmer stecken oft ihr ganzes Herzblut und viel Arbeitszeit in ihren Betrieb. Das Lebenswerk abzugeben fällt vielen deshalb schwer. So haben es Dentallabor-Chefin Elvira Sinnott und Schreinermeister Franz Schroll geschafft.

Seniorchefin Elvira Sinnott und Nachfolger Axel Kahle
Seniorchefin Elvira Sinnott und Nachfolger Axel Kahle haben für ihr Dentallabor in Osnabrück gemeinsam eine Zukunftsstrategie entwickelt. - © Markus Hauschild

Elvira Sinnott hatte einen guten Plan: Im Jahr 2020 sollte ihr langjähriger Mitarbeiter Axel Kahle in die Geschäftsführung ihres Osnabrücker Dentallabors einsteigen. Anschließend wollte sie das Unternehmen für drei Jahre gemeinsam mit dem Zahntechnikermeister führen. Im Jahr 2023, so die Vision, würde sie Sinnott + Kahle, wie ihr Betrieb fortan heißen sollte, verlassen und ihrem Nachfolger die Leitung vollständig übergeben.

Als sie dieses Vorhaben zum ersten Mal ihren Mitarbeitern vorstellte, merkte sie, wie schwer ihr das Gehen dann doch fallen würde. Nachdem sie die Nachricht verkündet hatte, überhäuften ihre Angestellten den designierten neuen Chef mit Glückwünschen – während sie selbst in den Hintergrund rückte. „Das war schon ein ungewohntes Gefühl“, erinnert sie sich. Die heute 63-Jährige zog sich in ihr Büro zurück und telefonierte mit einem Freund. Erzählte ihm, wie schwer das Loslassen war, auch wenn sie von dem Schritt rational zutiefst überzeugt war.

Jeder Dritte kann kaum loslassen

So wie Elvira Sinnott geht es vielen Unternehmensinhabern. Rund 38 Prozent aller Seniorunternehmer haben Schwierigkeiten, emotional loszulassen. Das zeigt der DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge aus dem Jahr 2019. Verständlich: Sie haben meist jahrzehntelang viel Zeit und Energie in den Betrieb gesteckt und sollen ihn dann einem Nachfolger anvertrauen, der vielleicht einen ganz anderen Weg einschlägt. „Besonders bei längeren Übergabephasen fällt es vielen schwer, Verantwortung abzugeben“, sagt Chris­tine Moser-Feldhege. Die Gründerin von cmf Consulting in Höhr coacht und berät Führungskräfte und Mitarbeiter aus Laboren, Praxen und Dental-Unternehmen, darunter auch den Betrieb Sinnott + Kahle. Ihre Erfahrung zeigt: Bei einer erfolgreichen Übergabe kommt es darauf an, dass Chefs Vertrauen zu ihren Nachfolgern aufbauen. Dann schwindet auch die Angst vor dem Kontrollverlust.

„Ohne Vertrauen funktioniert gar nichts“, weiß Moser-Feldhege. „Wenn das fehlt, sind selbst die tollsten Verträge nur Lippenbekenntnisse.“ Im Fall von Elvira Sinnott und Axel Kahle war das kein Problem, auch weil die beiden so viel dafür getan haben, dass der Verantwortungstransfer möglichst reibungslos verläuft.

Einarbeitung des Nachfolgers: drei Jahre braucht es schon

Der 41-jährige Zahntechnikermeister hatte schon 13 Jahre im Betrieb gearbeitet, bevor er in die Geschäftsführung wechselte. Für die dreijährige Übergangsphase stieg er mit 50 Prozent in das Unternehmen ein – eine Seltenheit, wie Moser-Feldhege erklärt. „Normalerweise behält der Seniorgesellschafter immer eine Mehrheit der Anteile, um im Zweifel durchregieren zu können – auch weil man sich nach wie vor verantwortlich für den Betrieb fühlt.“ Dass Axel Kahle von Anfang an gleichberechtigt mitentscheiden durfte, sei wirklich „ein echter Vertrauensbeweis“, so die Expertin.

Ein Grund für die starke Bindung war auch, dass die Übergabe von langer Hand geplant war. Darauf hat Elvira Sinnott besonders Wert gelegt. Sie hat nämlich schon einmal erlebt, dass ein Wechsel viel Energie und Zeit kosten kann, als sie den Betrieb im Jahr 2013 nach dem Tod ihres Mannes übernahm. Die Unternehmerin überlegte sich also schon früh, wann der Ruhestand für sie infrage kommt und wen sie sich als Nachfolger vorstellen könnte. „Für mich war klar, dass ich an einen einzelnen Unternehmer und nicht an eine Gruppe verkaufen wollte“, sagt sie. „Ich bin ein Fan von inhabergeführten Unternehmen.“ Ihr Favorit: der langjährige Mitarbeiter Axel Kahle. Sie sprach ihn ergebnisoffen auf das Thema an. „Das war ein vorsichtiger Annäherungsprozess“, erzählt sie. Beide hätten das Interesse des anderen abgeklopft und anschließend überlegt, ob es passen könnte. Die Entscheidung hat sich als Glücksgriff entpuppt.

Suche nach einem Nachfolger: Nicht jeder will Chef sein

Denn längst nicht jeder Handwerker hat das Glück, einen langjährigen, vertrauensvollen Mitarbeiter für die Übernahme des eigenen Betriebs gewinnen zu können. „Jemand Geeignetes zu finden ist wohl die größte Herausforderung“, weiß Coachin Moser-Feldhege. „Und dann muss die Person die Verantwortung auch tragen wollen.“ Entscheiden bedeutet zwar Macht und Freiheit. Verantwortung zu tragen heißt aber auch, für Fehler einzustehen und Konsequenzen auszuhalten. Dafür ist nicht jeder gemacht. Moser-Feldhege rät deshalb, nicht allzu strenge Kriterien an die infrage kommenden Kandidaten anzulegen. Besitzt ein Angestellter zwar die fachliche Kompetenz, es fehlt ihm aber das nötige strategische Denken, kann er dieses später extern etwa über einen Unternehmensberater zukaufen. Oder der Senior holt einen Betriebswirt mit ins Boot und installiert für die Nachfolge eine Doppelspitze. „Da gibt es verschiedene Lösungsansätze“, weiß Moser-Feldhege.

Betriebsübergabe: Schritt für Schritt rantasten lassen

Zudem betont die Expertin: Unternehmertum kann man lernen. Zum Beispiel in einer Übergangsphase wie bei Sinnott + Kahle, in der Seniorchefin und Nachfolger das Unternehmen gemeinsam leiten. „Das ist wie ein Traineeship“, erklärt ­Moser-Feldhege. Der Senior kann sein Wissen weitergeben und sich dabei gleichzeitig vergewissern, dass sein Nachfolger den Betrieb schon nicht gegen die Wand fahren wird. Der Junior kann sich schrittweise einarbeiten.

Eine gute Zusammenarbeit ist hier enorm wichtig. Immerhin gehört die Einarbeitung des Nachfolgers in die neue Position zu den größten Herausforderungen im Übernahmeprozess. Das zeigt eine Umfrage des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn. Dort gaben rund 31 Prozent der Befragten aus dem Baugewerbe zu, dass ihnen die Einarbeitung zu schaffen gemacht hat.

Mit Traineeship kann es besser laufen – zumindest hat sich diese Strategie für das Dentallabor aus Osnabrück ausgezahlt: „Ich kann meinen Betrieb Ende des Jahres wirklich guten Gewissens abgeben“, sagt Elvira Sinnott. Dabei haben die beiden in ihrer Übergangsphase eine Menge gemeinsam durchgestanden: Kurz nach dem Einstieg von Nachfolger Kahle in die Chefetage brach die Coronapandemie aus. „Ich war direkt mit extremen Führungsaufgaben konfrontiert“, erzählt er. Zum Glück hatte Seniorchefin Sinnott schon Erfahrung mit Kurzarbeit und übernahm in diesem ersten Jahr noch das Ruder. Sie zeigte Kahle, wie solche Extremsituationen zu händeln sind. „Im Jahr 2021 hat sich das geändert und wir haben uns stärker aufgeteilt“, sagt sie. „Jetzt führt er fast alleine.“

Tipp: Geplante Auszeiten des Seniorchefs als Stresstest nutzen

Häufiger zieht sich die Seniorchefin nun mehrere Wochen raus, damit auch Kahle sich in der neuen Rolle wiederfinden kann. Damit sich das möglichst realistisch anfühlt, ist sie in der Zeit nur in echten Notfällen erreichbar und schaut nur sporadisch im Betrieb vorbei. Trotzdem liegt in dieser Zeit die volle Verantwortung für den Betrieb bei ihrem Nachfolger Kahle. Sinnotts Fazit zum alleinigen Chefsein auf Probe: „Das klappt hervorragend.“

Ein Grundstein für die gemeinsame Linie ist die Strategie des Duos. Noch vor Beginn der Übergangsphase haben die beiden mit Coachin Moser-Feldhege einen Plan festgelegt, beispielsweise, wie sich das Labor in den kommenden Jahren entwickeln oder wie die Übergabe ablaufen soll. „Sich auf Werte und eine Vision zu einigen ist ein gutes Mittel, um Vertrauen zu schaffen“, sagt Moser-Feldhege. „Dann geht auch das Abgeben leichter.“ Verstößt einer von beiden gegen die gemeinsame Linie, kann sich der andere auf das Schriftstück berufen. Im Bestfall ist das aber nicht nötig.

Auch bei Sinnott und Kahle hat es gelegentlich Uneinigkeit gegeben. In schwierigen Fällen habe es besonders geholfen, das Thema noch mal für sich zu reflektieren und anschließend mit jemand anderem durchzusprechen, bevor sie es mit ihrem Co-Chef ausdiskutierte. „Am Ende haben wir immer eine gemeinsame Lösung gefunden, egal wie schwierig die Entscheidung war“, betont sie. Schließlich sei es ja das Ziel, das Unternehmen gut zu führen – da sind sich natürlich beide einig. „Daran musste ich mich auch manchmal noch erinnern“, erzählt Sinnott.

Ihre Technik: Sich auf das konzentrieren, was sie hinzugewonnen hat. Es gibt einen Personalengpass in der Produktion? Kahle springt ein. Ein Kunde hat einen Sonderwunsch? Die Änderung läuft über seinen Tisch. „Irgendwann war es das Schönste, von Axel Kahle die Frage zu hören: Oder soll ich das machen?“, erzählt sie. Die Seniorchefin weiß jetzt: Ohne sie wird es im Betrieb trotzdem rund laufen, auch wenn ihr Nachfolger manche Sachen anders angeht. „Das ist ein unglaublich beruhigendes Gefühl.“

Wichtig: Mitarbeiter einbeziehen und Vertrauen aufbauen

Ein wesentlicher Faktor, der zu diesem guten Gefühl beiträgt, ist die Meinung der Mitarbeiter. Fühlen die sich wohl und stehen hinter der Entscheidung, geht das Abgeben viel leichter, argumentiert Coachin Moser-Feldhege. „Führungskräfte müssen dafür klar und transparent mit ihnen kommunizieren.“ Eine Übergangsphase ist auch hier optimal, um das Vertrauen der Angestellten zu gewinnen. Dabei sollten Senior-Junior-Gespanne darauf achten, dass ihre Aufgaben klar aufgeteilt sind, und das auch ihre Mitarbeiter wissen lassen. Sonst kann es passieren, dass die anfangen, den neuen und den alten Chef gegeneinander auszuspielen. „Das ist wie bei kleinen Kindern“, sagt Moser-Feldhege. „Die wissen auch immer, bei wem sie etwas besser durchsetzen können.“

Grundsätzlich sollten Seniorchef und Nachfolger untereinander stets offen und ehrlich sein. „Eine gute Kommunikation ist unfassbar wichtig“, sagt die Beraterin. Dieser Meinung ist auch Elvira Sinnott. Vergangenen Winter merkte sie, dass sie in einem Jahr doch noch nicht ganz gehen wollte. Sie offenbarte ihre Zweifel Co-Chef Kahle, der daraufhin zwei Optionen hatte: Auf die Erfüllung der Verträge zu pochen oder aber die Verträge anzupassen und Sinnott noch einen Anteil des Unternehmens zu lassen. Er entschied sich für letzteres und änderte die Abmachung so, dass ihr noch zehn Prozent der Unternehmensanteile für weitere drei Jahre gehören werden. „Das war emotional für mich“, sagt die Seniorchefin. „Ich bin ihm für dieses Entgegenkommen sehr dankbar.“

Nach der Übergabe: Seniorchefin als Coach

Die Vertragsänderung bedeutet aber nicht, dass sie in den kommenden drei Jahren noch mitentscheiden will. „Ich sehe mich eher als Sparringspartnerin, wenn Bedarf besteht.“ Einmal pro Monat können sich die beiden über den Betrieb austauschen, so zumindest der Plan. Wenn Kahle keinen Bedarf habe, wolle sie sich nicht aufdrängen. Genau der richtige Weg, findet Coachin Moser-Feldhege. Bei gelungenen Betriebsübergaben ist es häufig so, dass der scheidende Unternehmer noch eine Zeit lang in die Beraterrolle wechselt.

Damit sie trotz allem nicht der Versuchung erliegen, sich doch wieder einzumischen, sollten Unternehmer sich stattdessen eine neue Aufgabe suchen. „Was jahrelang Lebensinhalt war, ist plötzlich weg“, sagt Coachin Moser-Feldhege. Sie empfiehlt, wenn möglich, erst mal zu reisen und zur Ruhe zu kommen und dann einem Hobby oder einem Ehrenamt nachzugehen. Weiterer Vorteil: Wer länger verreist, kann nicht mal eben im Betrieb vorbeischauen.

Was ebenfalls hilft und viele Handwerker vielleicht überrascht: Es ist manchmal besser, wenn der Nachfolger nicht aus der eigenen Familie stammt. „Sonst kann es passieren, dass der Übergebende sich einmischt, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen läuft“, sagt Coachin Moser-Feldhege. Sie hat in einigen ihrer Coachings erlebt, dass eigentlich harmonische Familien durch die Betriebsübergabe in eine Krise geraten.

Nachfolge in der Familie: wenn die Töchter freiwillig einsteigen

Angst vor Streit hatte Familie Schroll nicht. „Ich habe zwar noch ein paar Jahre bis zur Rente und die Kinder nie dazu gedrängt, die Schreinerei zu übernehmen“, erklärt Franz Schroll. Gefreut hat er sich trotzdem, als sich erst seine Tochter Katja 2018 und 2021 Tochter Lena für den Einstieg im Familienbetrieb entschieden. Dass Familienübernahmen genauso glatt wie externe Übernahmen ablaufen können, hat auch Nadine Schlömer-Laufen beobachtet. „Nicht ohne Grund ist eine familieninterne Übergabe die am häufigsten präferierte Nachfolgelösung vieler Unternehmer“, betont die Expertin des Instituts für Mittelstandsforschung. „Denn letztlich kennen sie nicht nur ihre Kinder sehr gut, sondern sie haben vermutlich auch dasjenige Kind als Nach­folgenden ausgewählt, das den eigenen Idealen und Ansprüchen tatsächlich am nächsten kommt.“

Das scheint auch bei den Schrolls so zu sein. Vater und Töchter wirken wie eine Einheit und ein eingespieltes Team. „Wir sind sehr schnell als Führungsteam zusammengewachsen“, sagt Lena Schroll. Einen genauen Plan für die Verantwortungsübernahme hat die Familie vorab nicht ausgetüftelt, das Ziel war aber klar: Vater Franz soll wieder mehr Zeit in der Werkstatt der Schreinerei verbringen können und nicht im Büro festsitzen.

Delegieren und Loslassen? Mit klarer Aufgabenteilung klappt es

Mit diesem Ziel vor Augen war auch die Aufgabenteilung im Betrieb schnell geklärt. Katja hat mit ihrer kaufmännischen Ausbildung und Weiterbildung zur Betriebswirtin die Finanzen und Rechnungen des Betriebs übernommen. Schreinerin Lena ist mit ihrem Innenausbau-Studium für die Projektplanung und Teile des Verkaufs verantwortlich. Vater Franz ist Chef geblieben, kann sich nun aber mehr in der Werkstatt einbringen.

Die Aufteilung funktioniert super für die Familie. „Lena und ich haben unsere Ausbildungen nicht nach einem möglichen Einstieg in die Schreinerei ausgerichtet, auch wenn das so klingt“, betont Katja Schroll. „Aber es passt einfach super“, freut sich Vater Franz. „Und ich bin froh, dass die Finanzen nun wieder in Familienhand sind.“ Zuletzt hatte diese Aufgabe ein Mitarbeiter übernommen. Ihm die Verantwortung zu übergeben fiel dem Schreinermeister nicht schwer, da er sehr viel Vertrauen in seinen Angestellten hatte. Trotzdem fühlt es sich für ihn nun einfach besser an, dass Tochter Katja zuständig ist.

Vorteil für den Seniorchef: Endlich Schluss mit einsamen Entscheidungen

Das Phänomen kennt Nachfolge-Expertin Schlömer-Laufen: „Bei der familieninternen Nachfolge haben Alteigentümer in der Regel mehr Einflussmöglichkeiten auf den Nachfolgenden als im Falle einer externen Nachfolgelösung.“ Diese Kontrollmöglichkeit kann Sicherheit vermitteln. Seniorchefs müssen jedoch aufpassen, dass sie sich nicht zu sehr einmischen, denn das kann Misstrauen säen.

Die Schrolls haben hierfür eine Lösung gefunden: „Die großen Themen und Projekte besprechen wir immer zu dritt und versuchen Einstimmigkeit zu erzielen“, erklärt Lena Schroll. „Im Zweifel hat der Papa aber ein Veto.“ Von diesem musste Vater Franz bislang nie Gebrauch machen. Die meiste Zeit genießt es der Schreinermeister, mit seinen Töchtern alles zu besprechen und Verantwortung abzugeben: „Es ist eine große Erleichterung, dass ich nicht mehr alles allein schultern muss und bei den wichtigen Entscheidungen zwei weitere Meinungen hören kann.“ Dass Lena und Katja nun mitentscheiden, haben die Mitarbeiter schnell akzeptiert. Auch auf Kundenseite lief der Übergang nahezu ohne Hindernisse, nur ein paar Altkunden sind aus der Reihe getanzt: „Einige langjährige Großkunden betreue ich noch gemeinsam mit meinem Vater“, sagt Projektverantwortliche Lena. „Diese wollen den Seniorchef dabei haben. Das behindert unsere Arbeit aber nicht.“

Als starkes Familienteam die Krisen durchstehen

Den kompletten Einstiegsprozess der Schwestern hat die Familie ohne Unterstützung gemeistert. Berater holt sich das Schroll-Team eher für Prozessoptimierungen und Ähnliches ins Haus. Aus Sicht der Familie funktioniert die Verantwortungsübernahme der Schwestern sehr gut. Immerhin hat das Team nicht nur die Coronapandemie, sondern auch die Insolvenz eines Großkunden durchgestanden. Nun folgt mit dem Umzug des Betriebs das nächste Familien-Großprojekt. Aber auch diese Mammutaufgabe gehen die drei Schreinerei-Chefs als Einheit an.

Checkliste: So klappt es mit dem Loslassen

Wer Verantwortung abgeben möchte, muss anderen vertrauen. Das klappt nicht von jetzt auf gleich und unter Zeitdruck, sondern muss in Ruhe wachsen, damit sich Seniorchef und Übernehmer ohne Stress an ihre neue Rolle gewöhnen können. Die wichtigsten Schritte zum kontrollierten Loslassen zeigt die folgende Checkliste.

  • Rechtzeitig beginnen
    Eine gelungene Übergabe braucht viel Zeit. Setzen Sie sich also schon vier oder fünf Jahre vor dem geplanten Ruhestand mit dem Gedanken auseinander und prüfen Sie mögliche Nachfolger aus dem eigenen Unternehmen oder über externe Betriebsbörsen. Hierzu gibt es Angebote der Handwerkskammern, die Sie auch anonym nutzen können.
  • Kandidaten ansprechen
    Haben Sie einen Favoriten, sprechen Sie das Thema frühzeitig bei ihm oder ihr an. Ein Unternehmen zu kaufen braucht nicht nur Bedenkzeit, sondern auch finanzielle Mittel. Zusätzlich muss der Nachfolger sich klar darüber werden, ob er die Verantwortung und Aufgaben stemmen möchte.
  • Gemeinsam führen
    Nutzen Sie eine Übergangszeit, in der Sie gemeinsam mit Ihrem Nachfolger das Unternehmen leiten und voneinander lernen können. Besuchen Sie auch – wenn möglich – gemeinsam Fortbildungen und Messen.
  • Aufgabenteilung kommunizieren
    Teilen Sie den Mitarbeitern mit, wann Sie welche Aufgaben und Entscheidungen an den zukünftigen Chef abtreten, und halten Sie sich daran. Lassen Sie sich nicht gegeneinander ausspielen.
  • Strategieplan erstellen
    Wo soll das Unternehmen in fünf Jahren stehen? Was sind die größten Chancen und Gefahren? Eine gemeinsame und für alle verbindliche Linie baut Vertrauen auf und gibt den Kurs vor. Das entlastet Sie und Ihren Nachfolger und schafft auch Klarheit bei den Mitarbeitern.
  • Coaching nutzen
    Schalten Sie einen externen und vor allem neutralen Prozessbegleiter ein. Dieser sorgt dafür, dass die Übergabe stets im Vordergrund steht, und stellt sicher, dass diese gelingt. Viele Handwerkskammern bieten eine kostenlose Betriebsberatung für Übergaben an, auch freiberufliche Coaches und Unternehmensberater können den Prozess unterstützen.
  • Auszeiten einplanen
    Üben Sie Ihren Austritt in mehrwöchigen Phasen, in denen Ihr Nachfolger das Unternehmen alleine leitet. So lernen Sie loszulassen und Ihr Nachfolger kann im Alltag trainieren, die Entscheidungen allein zu treffen.
  • Geschäftspartner informieren
    Kommunizieren Sie die Übergabe bei Ihren Kunden und Lieferanten erst dann, wenn wirklich alles unter Dach und Fach ist. Ein Hin und Her der Verantwortlichkeiten sorgt sonst für Verunsicherung und Unmut.

Übergabe: Die Suche nach dem Nachfolger ist größte Hürde

Wie die Umfrage vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin zeigt, ist das Suchen und Finden eines geeigneten Nachfolgers für mehr als die Hälfte der Inhaber noch immer die größte Schwierigkeit bei der Betriebsübergabe.

geeigneten Nachfolger finden57 %
Ermittlung Unternehmenswert40 %
steuerliche Aspekte31 %
Durchsetzung Kaufpreiserwartung20 %
Personalübernahme17 %
geringe Rentabilität des Betriebes12 %
Ermittlung künftige Miete Betriebsgebäude11 %
baurechtliche und sonstige Auflagen9 %
Ermittlung Immobilienwert8 %
Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks „Betriebsnachfolge im Handwerk“, März 2021