Fahrbericht Mercedes-Benz eSprinter: Die saubere, sichere und sanfte Art der elektrischen Fortbewegung

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Außen alles wie immer, unter dem Blech alles neu: Jetzt hat der Mercedes-Benz eSprinter das Zeug zum Star im Fuhrpark – wie die erste Runde mit dem Stromer zeigt.

Außen alles wie gewohnt, doch unter dem Blech eine E-Volution.
Außen alles wie gewohnt, doch unter dem Blech eine E-Volution. - © Mercedes Benz

Ein Druck auf den Startknopf, die blauen Nadeln der Instrumente schnellen kurz bis zum Anschlag. Klassische Armaturen verzichten auf ­digitale Spielereien, kein Manko, im Gegenteil. Die Speichen des Pkw-Lenkrads sind gut gefüllt mit mehr als einem ­Dutzend Tasten, das will gelernt sein. Funktioniert aber besser als beim bisherigen Bedien-Wirrwarr. Den schlanken D-N-R-Lenkstockhebel in Position gerückt, der Transporter ist bereit zum Ablegen.

Als Sprinter im Wortsinn entpuppt er sich dabei nicht – zwar nimmt er im agilsten Fahrprogramm „Comfort“ dynamisch Fahrt auf, aber überlegt, nicht mit überschäumendem Temperament. Das betrifft beide Motorvarianten mit 100 kW/136 PS und 150 kW/204 PS. Die stärkere Ausführung ist ein Fall für hohe Lasten, schwere Strecken, Anhängerbetrieb. Ansonsten genügt die Basismotorisierung vollauf, das Drehmoment von 400 Nm ist ohnehin identisch. Hier ist ein Kastenwagen als 3,5-Tonner unterwegs, den können Betriebe stets gut gebrauchen. Jetzt gibt es ihn – ­endlich – in mehreren Längen, dazu Fahr­gestelle für Kipper, Koffer, was auch immer gewünscht wird.

E-Evolution: Grosse Sprünge

Der rasante Fortschritt mit neuen und verbesserten Elektro-Transportern erinnert an die legendäre Bundesliga-Schlusskonferenz im Radio. Tor in Wolfsburg (Sitz Entwicklung VW Nutzfahrzeuge), Tor in München (Iveco Deutschland) Tor in Köln (Ford, Renault Deutschland), Tor in Frankfurt (bald bei Kia und gleich nebenan bei den vier Stellantis-Marken). Und nun: Tor in Stuttgart. Was den Profis des VfB nach jahrelanger Flaute in der Saison 2023/2024 häufig gelungen ist, das klappt nun ebenfalls bei Mercedes-Benz Vans.

Dass der große E-Transporter mit Stern leise fährt, ist keine Überraschung. Eher die gepflegte Art und Weise der Fortbewegung im Vergleich zu Wettbewerbern. Mit einem Batteriepaket unter dem Boden und einer gewichtigen Ballastkiste obendrauf wiegt er sich flauschig in den Federn. Das zurückhaltende Temperament verleitet nicht zur Raserei. Die starre Hinterachse, veredelt als De-Dion-Ausführung mitsamt GfK-Federn, hält den Transporter sicher in der Spur. Der Fahrersitz hüllt den Wagenlenker fast samtig in Wohlbefinden. Klimaanlage und ­Wärmepumpe sowie heizbares Lenkrad (Extra) und temperierter Sitz sparen teils Strom, vermitteln Behaglichkeit. Und ­alles zusammen ergibt dieses typische Mercedes-Gefühl, sich auf einer Insel im Verkehr zu bewegen.

MBUX: moderne Bedienung

Unter den zahlreichen Rekupera­tions­stufen findet jeder die passende Variante. Einschließlich „D-Auto“, dann wirken Radar, Kamerasystem und Navi abgestimmt auf die Verzögerung ein. Das funktioniert prima, kann höchstens bei zusätzlichem Einsatz der Fußbremse auf den letzten Metern zu einem minimalen Ruckeln führen. Neu für den eSprinter ist MBUX. Mit etwas überfrachteter, aber glasklarer Navi-Darstellung und einer Sprach­bedienung, die ihresgleichen sucht. „Hey Mercedes, erzähl einen Witz.“ Verblüffende Antwort: „Entschuldigung, aber deutsche Ingenieure sind nicht für ihren Humor bekannt.“

Serienmäßig ist für den 3,5-Tonner bei 90 Sachen Schluss. Alternativ begrenzt Mercedes-Benz den eSprinter auf Tempo 80, 100 oder praxisgerechte 120 km/h. Im Stau sind dann wieder alle gleich. Auf der Nachbarspur steht ein Tankwagen mit dem Spruch „Alles Super“. Den eSprinter interessiert’s nicht. Er lädt serienmäßig mit 11 kW an der Wallbox und eher zaghaften 50 kW an der Schnellladesäule. Optional sind’s 115 kW, auch nicht wirklich sprintrig.

Anders das Rudel Assistenten an Bord, die Burschen arbeiten wie im richtigen Leben mal übereifrig, mal eher träge. Der aktive Spurassistent lässt den Test­wagen während der Testrunde zwar nicht nach rechts ins Gebüsch, aber durchaus über die gut erkennbare Mittellinie abdriften. Der Notbremsassistent warnt mehrfach unnötig vor einem schlanken Motorrad voraus, hält es mitsamt dem drahtigen Fahrer für einen Fußgänger. Generell geht dem Testwagen-Fahrer der vielfache Warnton im Calypso-Sound einer Steelband mitunter auf den Wecker, vor allem durch wiederholte Mahnungen bei der geringsten Geschwindigkeitsüberschreitung.

Preis: Kühle Rechnerei

Ein Pfandhaus am Wegesrand lenkt die Gedanken auf die Kosten. Der kleinste und einfachste eSprinter Kastenwagen ist laut Konfigurator nun für netto 39.993 Euro im Angebot, das ist ein Wort. Mit 100 kW/136 PS Motorleistung, 56-kWh-Batterie, einer Normreichweite von 224 Kilometern und einer knappen Tonne Nutzlast in Serienausstattung. Die nächstgrößere Batterie mit 81 kWh kostet gut 8.000 Euro Aufpreis und knapp 200 Kilo Nutzlast. Der Schritt zur stärkeren Maschine bedeutet einen Tausender zusätzlich. Wer die dickste Batterie von 113 kWh ordert, muss aus Gewichts­gründen zum 4,25-Tonner greifen und aus Platzgründen zum Sprinter lang hoch. Macht dann 62.388 Euro. Das will gut überlegt sein, auch angesichts von der zwangsläufigen Kombination mit Tempobegrenzung und Fahrtenschreiber.

Am Ende der Fahrt hat der Mercedes-Benz eSprinter im gemischten Einsatz mit Stadt und Stau, mit Überland- und Autobahnverkehr bei besten Witterungsbedingungen 28 kWh verbraucht, das entspricht der Normangabe. Tor in Stuttgart? Aber klar, und was für eines.