Interview zur Zukunftssicherung Lena Lührmann über Innovationsarbeit: "Auch mal Nein zum Alltagsgeschäft sagen"

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Entscheidungsfindung, Geschäftsideen, Mitarbeitermotivation und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Lena Lührmann ist als Problemlöserin im Mittelstand unterwegs. Die Strategieberaterin und Expertin für Innovation verrät im Gespräch, wie auch kleine Handwerksbetriebe ihre Zukunft sichern sollten und welche Kraft eigene Innovationsteams entfachen können.

Lena Lührmann, Strategieberaterin und Expertin für Innovation.
Lena Lührmann, Strategieberaterin und Expertin für Innovation, liebt Ideen von unten. - © Gerald Lampe
handwerk magazin: Frau Lührmann, in diesen Krisenzeiten müssen sich unsere Leserinnen und Leser ständig neue Strategien überlegen. Sei es in puncto Fachkräfte, Energie oder Materialbeschaffung. Viele dürfte es jetzt freuen, dass Sie dem Bauchgefühl so einen großen Stellenwert bei Innovationen einräumen. Woran machen Sie das fest?

Lührmann: Ich verwende hier gerne ein Beispiel aus der Praxis. Ein Handwerker steht vor einem offenen Schaltkasten oder einem Werkstück und soll eine von ihm nicht geplante Arbeit fertigstellen. Er guckt sich die Aufgabenstellung an und sein Bauch sagt: Das geht so nicht! Im ersten Moment weiß er noch nicht genau, was hier nicht passt, aber im zweiten Gedankenschritt erkennt er das Problem. Der nächste Mikroschritt ist dann: Kann ich das passend machen – und wenn ja, wie? Oder ihm wird schnell klar: Nein, das wird nichts. Und genau dieses Bauchgefühl kann man sich in Bezug auf Innova­tionen selber antrainieren und so auf Lösungen kommen. Ohne die Hilfe von außen. Denn im Handwerkeralltag passt immer irgendetwas nicht – diese Fähigkeit muss man also nur übertragen und für ­Innovationsarbeit wiederverwenden.

Innovationen angehen – wie schalte ich am besten Kopf und Bauch zusammen?

Was Handwerker hier am dringendsten brauchen, ist Zeit – und die haben sie ­oftmals nicht. Ich werde da jetzt ganz deutlich: Wer sich keine Zeit für dieses Bauchgefühl nimmt, wird das nicht hinbekommen. Das macht man nicht mal auf dem Weg zum nächsten Aufmaß. Man muss sich hinsetzen, das Smartphone in die Ecke legen und darüber nachdenken und reflektieren, was da gerade passiert. Was Innovationen und Zukunftssicherung angeht, erlebe ich im Handwerk ­leider immer wieder die Vogel-Strauß-Taktik, also Kopf in den Sand stecken – denn die Auftragsbücher sind ja voll.

Sollte man sich für die angesprochene Zukunftssicherung Zeiten im Kalender blocken?

Ja, das sollte man – und diesen Kalendereintrag gnadenlos verteidigen. Denn auch für kleine Handwerksbetriebe ergibt es Sinn, sich einerseits Zeiten für Innova­tionsarbeit im Kalender freizuhalten, aber andererseits spontan auch Zeit einzuräumen, wenn etwas unerwartet aufploppt. Oftmals entwickelt gerade das Akute eine Kraft zur Veränderung. Und am Ende braucht man für das Umsetzen von notwendigen Veränderungen ja auch wieder Zeit. Mit regelmäßigen Blockern im Kalender werden aus Floskeln wie „hätte-sollte-könnte-müsste“ handfeste und fertig umgesetzte Maßnahmen.

Bevor wir tiefer einsteigen: Wie beschreiben Sie den Begriff Innovation in einem Satz?

Viele betrachten Innovation als Raketenwissenschaft. Doch für mich ist Innovation Zukunftssicherung! Wenn ich alles tue, damit meine unternehmerische Zukunft sicher ist, brauche ich am Ende keine Innovationen mehr. Wenn ich zukunfts­sicher bin, habe ich alles, was ich brauche. Also, Innovationen und Zukunftssicherung sind nicht so schwer, wie immer alle glauben. Ich möchte das entmystifizieren.

Das heißt, Ideen und Innovationen müssen nicht teuer sein. Kann ich auch ein eigenes Innovationsteam im Handwerksbetrieb bauen?

Genau das ist meine gelebte Praxis. Meine Auffassung ist: Die besten Ideen kommen von denjenigen, die sich die Hände schmutzig machen! Sie sind nahe dran an der Materie und können deshalb gute Impulse für Zukunftssicherung und Innovationen geben. Oftmals fehlt ihnen nur die richtige Rhetorik, um eine tolle Chance oder eine Zukunftsgefahr zu beschreiben. Für mich ist es immer zielführend, wenn Unternehmen ihre Zukunftssicherung mit den eigenen Mitarbeitenden machen. Das ist der beste und einfachste Weg.

Welche Vorarbeiten muss ich als Chefin oder Chef für ein eigenes Innovations­team leisten?

Ich bin jetzt wieder bei dem unangenehmen Thema Zeit. Es ist eine Entscheidung, jeden Auftrag anzunehmen und umzusetzen. Oder ob ich einmal im Monat einen halben Tag mit meiner Mannschaft bei Bratwurst und Bier zusammensitze und wir reden über die Zukunft und darüber, was wir alles anpacken wollen. Erstens: Es geht nicht ohne Zeit – diesen Zahn muss ich allen ziehen! Zukunfts­sicherung ist also genauso wichtig wie die Mitarbeiterführung. Und zweitens plädiere ich für Einfachsprache – damit alle mitreden können, egal, welche Schulbildung oder Deutschkenntnisse sie mitbringen. Das Sprechen über Innovationen muss einfach sein. Man glaubt nicht, welche Wirkung das entfachen kann. Drittens ist das Rumspinnen mit Ideen ex­trem wichtig, das entfacht die berühmte „Out of the Box“-Denke.

Kommen wir noch mal zurück auf die Einfachsprache …

Es ist wirklich irre, welche Themen wir aus Unternehmen ausgegraben haben – nur weil wir allen zuhören. Eine Mitarbeiterin hat mich beispielsweise auf Leerlaufzeiten an einer Maschine aufmerksam gemacht. Am Ende wurde ein Abfallprodukt in ein verkaufbares Produkt übersetzt und der Grundstein für die Internationalisierung des Unternehmens gelegt.

Dafür braucht es auch eine spezielle Atmosphäre, oder?

Die Mitarbeitenden müssen sich natürlich trauen können, zu sagen, dass sie eine Idee haben. Auch eine gesunde Fehlerkultur ist dabei ganz wichtig. Übrigens kann man eine Fehlerkultur gut aufbauen, wenn die Führungskraft oder der Chef stets aufrichtig zuhören. Wenn also jemand mit einer Idee kommt, sollte der Chef sagen: „Wie meinst Du das genau? Erkläre mir mal, was wir davon hätten?“ Oder: „Das klingt ja spannend!“ Dieses Ermutigen und Ernstnehmen ist ganz wichtig. Das ent­wickelt sich natürlich nicht von heute auf morgen, da muss man als Chef dranbleiben. Hat man aber einmal gelernt, dass die guten Ideen von unten kommen, hat man für Ideen von unten einen ganz anderen Respekt. Gut zu wissen ist übrigens auch, welche Talente die Mitarbeitenden abseits des Berufes haben. Also die Frage: „Was kannst Du sonst noch so?“

Chefin oder Chef müssen also künftig mehr Ermöglicher als Entscheider sein.

Vielleicht kann man es ihnen ein bisschen leichter machen: Die Chefs müssen heute nicht mehr alle Veränderungen und Transformationen alleine entscheiden, umsetzen und tragen. Man darf ruhig seine Leute einbinden und auch mal sagen: „Ich weiß auch nicht, wie wir die Zukunftssicherung angehen, aber vielleicht kommen wir zusammen auf eine Idee.“

Noch einmal auf den Punkt gebracht: Warum sind gerade jetzt Innovationen im Handwerk so wichtig?

Die Zukunft interessiert es überhaupt nicht, ob Sie, ich, wir gerade Zeit haben, uns hinzusetzen und daran zu arbeiten, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Sie steht einfach vor unserer Tür – und dann müssen wir die Zukunft nehmen, die andere geformt haben. Wichtig: Man muss auch mal Nein zum Alltagsgeschäft sagen und aktiv die Zukunft gestalten. Die Rechnung geht auf.

Zur Person

© Gerald Lampe

Lena Lührmann, Jahrgang 1981, sieht sich als Problemlöserin. Mit ihrem unkonventionellen Ansatz möchte die Innovationsexpertin Poten­ziale im Mittelstand heben und neue Möglichkeiten aufzeigen.

„Ich war immer eine Umsetzerin, eine Macherin“, bringt Lührmann ihre Qualitäten im Gespräch auf den Punkt. Als Tochter eines Soloselbstständigen habe sie früh gelernt, mit- und vorauszudenken. Anpacken sei das Lebensmotto damals gewesen.

Heute hält Lührmann unter anderem Keynotes, verfasst Konzepte und Strategien, bildet und leitet unternehmenseigene Innovationsteams, transformiert Geschäftsmodelle oder begleitet Künstliche-Intelligenz-Projekte.