Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Der Grund für den Personalmangel? Es besteht gar kein Interesse mehr am Arbeiten!

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Fachkräftemangel, Mitarbeitermotivation und Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann

Überall fehlen Mitarbeiter. Es scheint, als ob die Pandemie den gesamten Arbeitsmarkt restlos leergefegt hätte. Handwerk, Dienstleistung, Verwaltung: Egal in welche Branche man schaut – Stellen bleiben unbesetzt und die Arbeit liegen. Kolumnistin Ruth Baumann, Präsidentin der Unternehmerfrauen im Handwerk (ufh) Baden-Württemberg, betrachtet die Entwicklungen des Arbeitsmarkts in der aktuellen Folge von "Neues von der Werkbank" mit Sorge.

Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg
Ruth Baumann Landesvorsitzende ufh Baden-Württemberg. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. - © privat

Wo sind all‘ die Macher und Anpacker, die es vor der Pandemie in Beschäftigungsverhältnissen gab? Überall hört man das Klagen über fehlende Mitarbeiter. Spezifische Anforderungen einzelner Branchen wie Feiertagsarbeit, Nachtschichten oder Ladenöffnungszeiten sind hierbei keine ausschlaggebenden Gründe und verschwinden in der Gesamtmasse aller offenen Stellen. Es können doch in den letzten beiden Jahren nicht alle in den wohl verdienten Ruhestand gegangen sein? Warum sind also so viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze ohne Nachfrage?

Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Arbeitswelt

Der Stellenwert von Arbeit bzw. eines Arbeitsplatzes befand sich in den letzten Jahren im Sinkflug. Das Streben nach einer Work-Life-Balance, mehr Freizeit und die Hoffnung auf bedingungsloses Grundeinkommen ohne Verlust des bisherigen Wohlstands zündeten die ein oder andere Nebelkerze. Die Entscheidung für mehr Minimalismus beim Arbeiten begrenzt gleichzeitig aber auch den Wunsch nach einem Maximum an Einnahmen. Das ist nicht jedem bewusst! Oft legt erst der eigene Rentenbescheid ein beredtes Zeugnis über die geleistete Lebensarbeitszeit ab, dann ist es aber eben zu spät. Die Alterseinkünfte des wohlhabenden Staates sind eng bemessen. Bezieht man dann noch die aktuellen Kostenexplosionen bei der Lebenshaltung mit ein, wird einem Angst und Bange.

Warum schwindet das Interesse am Arbeiten?

Was geht in den Köpfen der Leute vor, wenn sie nach einem Zeitraum in Teilzeit (Familienzeit oder Pflege von Angehörigen usw.) nicht wieder eine Vollzeitstelle aufnehmen? Es gibt diese in großer Auswahl und in allen Schattierungen. Denkt man, dass am Ende des Tages die Allgemeinheit alles auffangen wird? Vater Staat diskutiert zurzeit, wie „er“ dies regeln könnte. Gerade auch – und ich zitiere an dieser Stelle einen Politiker – wenn das Leben mit „Störfällen“, gemeint sind Scheidungen, aufwartet. Man kann niemanden in ein Arbeitsverhältnis zwingen, wenn er es nicht will, nur weil es die Staatskassen brauchen. Ich halte auch die Diskussion um die Änderung der Lohnsteuerklassen für ein perspektivloses Abarbeiten an der Oberfläche. Wo sind also die Ursachen, dass Menschen nicht (mehr) arbeiten wollen?

Jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten, aber eben solidarisch

Es scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass sich die Quelle der staatlichen Leistungen durch irgendetwas speisen muss. Krankenkasse, Bildung, Absicherung und Alterseinkünfte brauchen einen Zulauf, sonst versickern sie. Viele Unterstützungen werden dem Bürger als „Vorschuss“ gewährt: jede Ausbildung zum Beispiel ist auch Basis für das spätere Erwerbsleben, bei dem sich durch Steuereinnahmen die gesellschaftliche „Vorauskasse“ verzinst. Jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten, aber eben solidarisch. Das mag sich in den Ohren des einen oder anderen nun sehr streng anhören, aber auch das ist eine Lesart des Generationenvertrags. Die vom Steuerzahler finanzierten Plätze in den Universitäten sind nicht als „Parkplatz“ für politische Karrieren gedacht, sondern als Verpflichtung, sich später im gesellschaftlichen Miteinander einzubringen.

„Do ut des“ (lat. ich gebe, damit du gibst). Wer diesen Vertrag einseitig kündigt oder nicht erfüllt, lebt auf Kosten anderer. Für viele Bürger ist aktuell allerdings der Rubikon überschritten: Talkshows, in denen die Generation der Erben für das erhaltene Vermögen Mitleid und zugleich mit ihrer Art der Erkenntnis die Allgemeinheit umerziehen will. Für jemanden, der trotz Arbeit einen schmalen Geldbeutel hat, sind diese egozentrischen Nabelschauen eine Zumutung. Denken Sie doch bitte einmal an den Pflegebereich…

Was läuft schief?

Der Staat hat über Jahrzehnte hinweg die Rahmenbedingungen falsch gesetzt. Arbeit muss sich lohnen, mehr Netto vom Brutto waren zwar populäre Äußerungen, aber geändert hat sich beim Einkommen nichts, bei den Kosten aber schon. Damit einhergehend ist eine Erosion der Motivation überall spürbar. Dem Arbeitnehmer wird zu viel von seinem Einkommen weggesteuert. Er empfindet, dass Arbeit sich nicht lohnt. Weshalb sollte er denn mehr arbeiten, wenn ihm tagtäglich vor Augen geführt wird, dass es auch andere Möglichkeiten gibt? Es ist mentale Arbeitsverweigerung, wenn man mit seinem Tun anderes Nicht-Tun nicht mehr finanzieren will.

Die Erosion der Motivation

Bei den Betriebsinhabern sieht es ähnlich aus. Digitalisierung, Bürokratieabbau, das abgedroschene Loblied auf das Rückgrat der Wirtschaft, etc. Alles Versprechungen. Es treffen Leidenschaft, Verantwortungsbewusstsein und die Orientierung am Gemeinwohl auf die Umwidmung zum verlängerten und ausgelagerten Schreibtisch der Politik (Corona-Management, Abrechnung der Energiepauschale, rückwirkende Vertragsänderungen, Statistiken usw.). Das bremst die Motivation der Unternehmer. Nachfolger sind rar, die Exit-Strategie liegt in der Schublade, Betriebe werden geschlossen und Läden stehen leer. Es wird schwadroniert, während der Unternehmergeist erodiert. Das solidarische Füllhorn der Wohltaten versiegt, wenn die Quelle austrocknet. Der Erosion der Motivation muss endlich Rechnung getragen werden. Es ist an der Zeit, dass der Staat den Kurs korrigiert und den gesellschaftlichen Frieden im Gemeinwohl endlich sichert.

Über Autorin Ruth Baumann:

Bei Ruth Baumann war es ein zart gehauchtes "Ja", das sie in einen mittelständischen Straßenbaubetrieb und damit ins Handwerk brachte: Seit ihrer Hochzeit führt sie gemeinsam mit Ehemann Martin Baumann die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. Trotz ihres abgeschlossenen Hochschulstudiums entschied sie sich damals bewusst, in den Familienbetrieb einzusteigen und bekräftigte dies durch eine weitere Ausbildung zur Bürokauffrau. Zunächst im Ehrenamt bei den Unternehmerfrauen im Handwerk Freiburg, später als Präsidentin des Landesverbandes der Unternehmerfrauen im Handwerk Baden-Württemberg, war es ihr immer ein besonderes Anliegen, die Mitglieder mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Stolz auf das Handwerk auszustatten. Sie sieht die Unternehmerfrauen als Wirtschaftsverband und vertritt dies auch in der Öffentlichkeit.

Ihre betriebliche Erfahrung wurde in der Folgezeit auch verstärkt in der politischen Theorie nachgefragt und stieß – zu ihrer eigenen Überraschung – auf immer mehr Resonanz. Es folgten unterschiedliche Kommissionen und Funktionen in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die sie mittlerweile auch auf Bundesebene ausführt. In Interviews, Vorträgen und Podiumsdiskussionen rund um das Handwerk gibt sie parteiübergreifend Einblicke in die Sorgen und Nöte von Familienbetrieben. Jüngst wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt und ist dort als "Handwerk mit Mundwerk und akademischen Grad" Mittler zwischen unterschiedlichen Welten.