Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Die Digitalisierung wird von schlechter Infrastruktur gebremst – und schießt doch oft über das Ziel hinaus!

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Digitalisierung, Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann und Smartphone

Zu Beginn eines Jahres werden gern fleißig Vorsätze geschmiedet, besser wäre jedoch das neue Jahr zu nutzen, um alten Ballast abzuwerfen. Idealerweise beginnt man damit in diesem Jahr mit den digitalen Möglichkeiten des eigenen Smartphones, rät Kolumnistin Ruth Baumann, Präsidentin der Unternehmerfrauen im Handwerk (ufh) Baden-Württemberg. Gleichzeitig befasst sie sich in dieser Folge von „Neues von der Werkbank“ intensiv mit der Frage, ob die Digitalisierung eher Fluch oder doch viel mehr Segen für unseren Alltag bedeutet.

Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg
Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. - © privat

Lassen Sie mich gleich zu Beginn dieser heutigen Folge etwas festhalten: Nein, ich kannte die Dinosaurier nicht persönlich und nein, ich bin auch keine Ewiggestrige. Im Laufe meines bisherigen Lebens habe ich allerdings gelernt, dass es keinen Fortschritt darstellt, wenn man blindlings vermeintlichen Trends hinterherrennt, deren Sinnhaftigkeit sich nicht vollkommen erschließt. Sie halten diesen Gedanken für abstrakt? Dann würde ich Sie gern bitten einmal an die Anfänge der Textverarbeitung zu denken. Monatlich, ja nahezu wöchentlich kamen damals neue Versionen, unzählige Schriftarten und Möglichkeiten der Textgestaltung auf den Markt. Haben Sie diese in vollem Umfang genutzt oder waren es am Ende doch nur die eine Schriftart und die eine Formatierung, die bei der täglichen Geschäftskorrespondenz tatsächlich zum Einsatz kamen?

Vom Fehlen einer verlässlichen digitalen Infrastruktur

Die Bandbreite an Möglichkeiten sollte auch immer mit einem effektiven Nutzen verbunden sein. Gleiches gilt in meinen Augen auch für die Digitalisierung. Hinter diesem Begriff versteckt sich alles und zugleich auch nichts. Kommissionen, Experten und Laien diskutieren fleißig, was alles sein könnte, sein wird und und und…doch eine verlässliche Infrastruktur fehlt nach wie vor! Es ist mehr als müßig über optimierte Mobilität, selbstfahrende Autos und die Transformation der Wirtschaft zu schwadronieren, wenn man tagtäglich vor Funklöchern kapituliert. Schlanke, digitale Verwaltungsstrukturen liegen noch immer in weiter Ferne, wenn man trotz digitaler Meldungen weiterhin dem Systembruch „Schriftform mit Original-Unterschrift“ huldigt ( BG-Bescheinigung, Schwerbehindertenabgabe usw.). Da das Neue noch nicht einwandfrei funktioniert, bedarf es weiterhin des Alten. Auf diese Weise wird jedoch keinerlei Effizienz erzeugt, sondern jedem nur eine Doppelbelastung zugemutet. Und das gehört nun mal zur Wahrheit dazu!

Smartphone mit Eigenleben?

Das Smartphone mutiert nahezu zu einer eigenständigen Persönlichkeit. Einkauf, Zahlungsverkehr, Impfausweis, Zugangsberechtigung, Führerschein, Krankenakte, Korrespondenz und vieles mehr befindet sich heutzutage auf unserem kleinen technischen Begleiter. Und für (fast) alles gibt es mittlerweile eine App! Manche davon funktionieren, manche wiederum reduzieren nur unnötig den Speicherplatz. Andere Apps fristen ihr Dasein auf unserem Smartphone auch, um derweil Dinge zu tun, die wir besser nicht wissen wollen oder sollen.

Fluch und Segen der Digitalisierung

Nutzen Sie den Jahresbeginn doch für eine Bestandsaufnahme, um so Ihren individuellen Digitalisierungsgrad herauszufinden: Was ist Nutzen, was ist Fluch? Wollen Sie mit Nachrichten überflutet werden, die Sie dann schlussendlich doch ungelesen wieder löschen? Oder wollen Sie Ihrem Anbieter das Leben erleichtern, indem Sie zu seinem (unbezahlten) Mitarbeiter werden? Vom selbst gescannten Einkauf bis zum problem- und kontaktlosen Bezahlen der Waren beim Verlassen des Supermarkts ist es nur noch ein kurzer Weg – bis Sie dann eines Tages auch selbst die Wurst hinter der Theke aufschneiden. Lukrative Angebote sollen den Weg hierfür ebnen.

Ihre Krankenkasse überschwemmt Sie mit Informationen, die Sie womöglich gar nicht interessieren. Bei konkreten Anliegen hingegen fehlt ein Gesprächspartner mit offenem Ohr und Sachverstand. Bankgeschäfte scheinen künftig, mit geringem Einsatz Ihrerseits, anonym und schnell, mit oder ohne Ihr Zutun, erledigt werden zu können. Beständigkeit, Loyalität und Empathie verschwinden im digitalen Netz. In wirtschaftlich guten Zeiten sicherlich eine Option, in schwierigeren jedoch eine fatale Entscheidung.

Nutzen richtig abwägen, Lebenszeit richtig nutzen

Bevor Sie das hohe Lied der Digitalisierung beim Nutzen von E-Commerce mitsingen, sollten Sie bei Ihrem nächsten Einkauf eventuell auch mögliche Dissonanzen reflektieren. Beratung, Versteppung der Städte, Ausbildungs- und Arbeitsplätze, Paketfluten als neue (und teure) Zeichen unreflektierten Konsums sowie falscher Freizeitbeschäftigung. Auch in Zukunft werden viele handwerkliche Leistungen vor Ort erbracht werden müssen, die Prozessoptimierung hingegen wird immer digitaler werden. Was ich allerdings nicht brauche, werde ich auch nicht mehr länger mit mir als Ballast herumtragen. Denn meine Lebenszeit ist mir zu kostbar, um sie in einer telefonischen Warteschleife bei oft fehlender Kompetenz des Gesprächspartners zu opfern. Wenn ich als Kunde störe oder nicht wertgeschätzt werde, dann war ich eben Kunde!

Klar(er) kommunizieren

Digitalisierung muss funktionieren und einen nutzbaren Mehrwert haben, damit ich mich am Ende nicht benutzt fühle. Geht diese Gleichung nicht ganz auf, nehme ich mir nicht mehr länger die Zeit, sie doch noch irgendwie zu erfüllen. Seit ich dies so deutlich kommuniziere, erhalte ich Antworten und habe auch wieder Zeit Zeit für andere Dinge!