Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Politikversagen! Deshalb sucht das Handwerk verstärkt den Weg in die Öffentlichkeit

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Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Während viele Interessenvertreter gerne den Weg in die Öffentlichkeit suchen, war das bisher beim Handwerk und seinen Betrieben weniger der Fall. Außerhalb einer Imagekampagne sowie Informationen zum betrieblichen Tagesgeschäft, hörte man bisher auffallend wenig. Doch das scheint sich gerade zu ändern, wie Ruth Baumann, Präsidentin der Unternehmerfrauen im Handwerk (ufh) Baden-Württemberg, in der neuen Folge von „Neues von der Werkbank“ einmal genauer erläutert.

Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg
Ruth Baumann Landesvorsitzende ufh Baden-Württemberg. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. - © privat

Das Handwerk, die Wirtschaftsmacht von nebenan, ist in vielen Branchen mit den aktuellen Entwicklungen alles andere als zufrieden. Galten seine Betriebe in den ersten Wellen der Pandemie noch als systemrelevant und erfuhren entsprechend viel Wertschätzung, ist nun in der Politik eine starke Erosion dieser Haltung spür- und auch greifbar. Die galoppierenden Steigerungen in der Energieversorgung soll der klein- und mittelständische Betrieb nun mit reinen Versprechungen meistern, während Großunternehmen die Segnungen einer Sektorenliste erfahren und in sogenannten KUEBLL-Listen (Klima-, Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien) Unterstützung erhalten. Was läuft da falsch?

Vom Überleben und Sterben der Betriebe

Zunächst einmal fehlt vielerorts die Erkenntnis, dass gerade energieintensive Branchen (z.B. Bäcker, Metzger usw.) Energielieferverträge für ein Jahr abgeschlossen haben. Die aktuell vorliegenden Angebote (teilweise gespickt mit der Aufforderung eine Ausfallbürgschaft abzuschließen sowie einer Laufzeit vom 01.01.-31.12.2023) weisen exorbitante Steigerungen auf. Bei diesen aktuellen Preissteigerungen in Bezug auf Strom und Nutzungsentgelte, fragt sich so mancher Unternehmer, ob sein Betrieb das überhaupt noch erwirtschaften kann. Denn ist ein Produkt zu teuer, wird die Nachfrage – verstärkt durch die spürbare Inflation im Geldbeutel des Kunden – sinken. Gut gemeinte Ratschläge wie weniger Waren anzubieten oder effizienter zu produzieren, sind Worthülsen. Selbst wenn der Ofen nur mit 50% Backwaren bestückt wird, bleiben dennoch Energiekosten für 100%, während zugleich der Umsatz zur Kostendeckung (bspw. Löhne, Miete etc.) zur Hälfte fehlt.

Erst abtauchen, dann aufsperren?

Auch die Wortakrobatik des Wirtschaftsministers, dann einfach mal Pause zu machen, verkennt nicht nur die aktuelle Lage, sondern beschämt das Rückgrat der Wirtschaft. Wie soll das konkret aussehen? Man ist nicht insolvent, soll warten bis wieder bessere wirtschaftliche Bedingungen kommen und dann greift wieder das Prinzip Angebot und Nachfrage? Wer zahlt in dieser „Pause“ die Löhne, die Mieten, die Lieferanten oder füllt die Statistiken aus (das ist sicherlich das größte Problem von allen)? Betriebe und Unternehmen, die in Sonntagsreden gelobt wurden und werden, sollen in Krisen mal kurz abtauchen und später, wenn man sie dann doch wieder braucht, dürfen sie wieder aufsperren. Von den gesellschaftlichen Auswirkungen mal ganz zu schweigen. Das ist nicht nur gelebte Ignoranz, sondern verstärkt zunehmend den Eindruck, dass der Mittelstand „angezählt“ wird.

Keine Insolvenz, sondern Resignation

Nicht alle wollen das mit sich und ihren Firmen machen lassen. Es gibt Brandbriefe, Kundgebungen, Gespräche, um „die da oben“ wachzurütteln. Ein bis dato nicht gekannter Tabubruch. Naive politische Entscheidungen bedrohen betriebliche Existenzen und nicht etwa unternehmerische Fehleinschätzungen. Glaubt man wirklich, dass angekündigte Darlehen (Umfang, Abwicklung und Auszahlungstermin bis dato noch nicht greifbar) dies abwenden können? Oder ist man noch mit der Auffassung unterwegs, dass die Mittelständler schon früher damit gedroht (oder auch kokettiert) haben, den Wirtschaftsstandort zu verlassen? Nimmt man die Appelle der ehemals „Systemrelevanten“ nicht für bare Münze? Bisher galten Familien- und Betriebsname als untrennbares „Doppel“, doch der Zahn der Zeit löst diese Ehe. In den sozialen Medien häufen sich Berichte über Unternehmen, die seit mehreren Generationen auf dem Markt sind und sich jetzt in die „Pause“ verabschieden. Und zwar für immer, ohne Rückkehr! Firmen, die nicht selten bereits zwei Weltkriege überlebt, der Pandemie mit Anpassungen und Innovationen getrotzt haben, schließen nun. Nein, sie sind nicht insolvent, sie resignieren. Was in Jahrhunderten erschaffen als auch weiterentwickelt wurde und Teil des Kulturguts Handwerk ist, schwindet allmählich.

Bloß nicht funktionierende Strukturen opfern

Die Entscheidungsträger wären gut beraten, die Sorgen und Nöte der Handwerker sowie Familienbetriebe ernst zu nehmen und Lösungen anzubieten. Für eine lange Suche nach dem Wie und Wann bleibt nur wenig Zeit. Es ist höchste Eisenbahn für ehrliche Analysen und verlässliche Zusagen. Sicher, nicht jeder Betrieb ist systemrelevant und manche (kommende) Insolvenz ist nicht nur politischen, sondern auch unternehmerischen (Fehl-)Entscheidungen geschuldet. Es wäre aber fatal, funktionierende Strukturen wie Familienbetriebe und Mittelstand zu opfern, während neue – auch Start-ups – nur begrenzt vorhanden sind.

Wenn Hoffnung allein nicht reicht

Seien Sie also alle froh, wenn sich nun nicht nur das Handwerk zu Wort meldet und die Öffentlichkeit sucht. Man will nicht aufgeben, sondern versucht noch zu retten, was gegebenenfalls noch zu retten ist und zwar den hiesigen Wirtschaftsstandort. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber: Irgendwann ist sie dennoch tot.

Über Autorin Ruth Baumann:

Bei Ruth Baumann war es ein zart gehauchtes "Ja", das sie in einen mittelständischen Straßenbaubetrieb und damit ins Handwerk brachte: Seit ihrer Hochzeit führt sie gemeinsam mit Ehemann Martin Baumann die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. Trotz ihres abgeschlossenen Hochschulstudiums entschied sie sich damals bewusst, in den Familienbetrieb einzusteigen und bekräftigte dies durch eine weitere Ausbildung zur Bürokauffrau. Zunächst im Ehrenamt bei den Unternehmerfrauen im Handwerk Freiburg, später als Präsidentin des Landesverbandes der Unternehmerfrauen im Handwerk Baden-Württemberg, war es ihr immer ein besonderes Anliegen, die Mitglieder mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Stolz auf das Handwerk auszustatten. Sie sieht die Unternehmerfrauen als Wirtschaftsverband und vertritt dies auch in der Öffentlichkeit.

Ihre betriebliche Erfahrung wurde in der Folgezeit auch verstärkt in der politischen Theorie nachgefragt und stieß – zu ihrer eigenen Überraschung – auf immer mehr Resonanz. Es folgten unterschiedliche Kommissionen und Funktionen in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die sie mittlerweile auch auf Bundesebene ausführt. In Interviews, Vorträgen und Podiumsdiskussionen rund um das Handwerk gibt sie parteiübergreifend Einblicke in die Sorgen und Nöte von Familienbetrieben. Jüngst wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt und ist dort als "Handwerk mit Mundwerk und akademischen Grad" Mittler zwischen unterschiedlichen Welten.