Ukraine-Krieg und Materialknappheit Interview zu Folgen des Ukraine-Konflikts: "Der Handlungsspielraum bei knappen Rohstoffen ist überschaubar"

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Baustoffe, Dieselfahrzeuge, EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) und Ukraine-Konflikt

Durch den Ukraine-Krieg hat sich angespannte Situation beim Rohstoffmangel noch einmal verschärft. Matthias Wächter, Hauptgeschäftsführer des Baugewerbe-Verbandes Niedersachsen, erklärt, was steigende Preise für Energie und Baumaterialien für die Branche bedeutet – und welche auch kurzfristig Lösungen umgesetzt werden können.

Matthias Wächter, Hauptgeschäftsführer des Baugewerbe-Verbandes Niedersachsen. - © Baugewerbe-Verband Niedersachsen

Die Lieferengpässe von Baustoffen nehmen durch den Ukraine-Krieg weiter zu. An welchen Materialien mangelt es in der Bauwirtschaft derzeit besonders?

Matthias Wächter: Betroffen sind aktuell am stärksten Bitumen für den Straßenbau und Stahl und Stahlerzeugnisse für den Hoch- und Ingenieurbau. Durch die Abhängigkeit der Raffinerien in Schwedt und Leuna von Lieferungen aus Russland droht ein Ausfall von bis zu einem Drittel der hiesigen Bitumenversorgung mit entsprechenden Auswirkungen auf den deutschen Straßenbau. Rund 30 Prozent des Baustahls kommen aus Russland, der Ukraine und Weißrussland. Dazu kommen 40 Prozent des Roheisens aus diesen Ländern, sowie weitere Rohstoffe, die für die Stahllegierung notwendig sind wie Nickel und Titan. Generell fehlen Lkw-Fahrer aus Polen und der Ukraine zum Transport von Baumaterialien.

Die Bundesregierung hat immerhin die Aufhebung der EEG-Umlage ab kommenden Juli beschlossen. Das sollte die Lage etwas abmildern.

Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn bis dahin könnten sich die Energiepreise weiterhin nach oben entwickeln. Ebenso beim Treibstoff: In der Branche rechnet man für den Literpreis von Diesel bereits mit drei Euro.

Was bedeuten die mangelnde Verfügbarkeit und ansteigende Preise bei Energie und Rohstoffpreise für aktuelle Bauvorhaben?

Die Preise für benötigte Materialien wie Bitumen und Stahl liegen derzeit über dem zwei- bis dreifachen als normalerweise üblich. Unsere Mitgliedsunternehmen erhalten aktuell nur noch wenige Angebote für Stahlmatten, Träger, Stabstahl und Bleche. Auch Rohre und Aluminiumprodukte sind betroffen. Produkte aus diesen Rohstoffen können derzeit häufig nur kurzfristig über die Tagesangebote der Händler geordert werden. Dadurch wird es für die Bauunternehmen zunehmend schwierig, verbindliche Angebote für Bauleistungen mit diesen Bauprodukten abzugeben, da die Preise unkalkulierbar steigen.

Gibt es alternative Bezugsquellen oder auch Rohstoffe?

Der Markt ist leergefegt, auch in anderen europäischen Ländern wie in Italien ist der Stahl Mangelware. In alternativen Rohstoffen sehen wir auch keine Möglichkeit, da solche neuen Baustoffe zunächst ein Prüfungsverfahren durchlaufen und genehmigt werden müssen – das dauert viel zu lange.

Was können Unternehmen in der Baubranche jetzt tun?

Weil die Zeit drängt, ist der Handlungsspielraum leider sehr überschaubar. Preisgleitklauseln in Verträgen sind schwierig umsetzbar, da die zugrunde gelegten Erzeugerpreise durch das Statistische Bundesamt nicht die um viel höheren Marktpreise abbilden. Natürlich können Unternehmen aber mit ihren Kunden die Situation besprechen und an deren Goodwill appellieren. Bei Neuverträgen könnten sie zudem vereinbaren, den Preis für ein Bauwerk erst kurz vor Baubeginn festzulegen – je nach Entwicklung der Materialpreise. Doch das kann natürlich nur auf freiwilliger Basis passieren und nur im privaten Sektor.

Was sind Ihre Empfehlungen bei öffentlichen Bauvorhaben?

Wir sind hierzu in Gesprächen mit der Politik und appellieren schon jetzt an die Bauherren auch in den Kommunen, mit den ausführenden Unternehmen zusammenzuarbeiten, um die Bautätigkeit zu sichern. Laufende Verträge sollten auch hier individuell angepasst werden. Ebenso müssen neue Bauverträge die extreme Unsicherheit bei den Baustoffpreisen unbürokratisch und kooperativ berücksichtigen.