Wiederaufbau eines Familienbetriebs Hochwasserkatastrophe 2021: Wie Fleischerfamilie Schmitz am Neustart arbeitet

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Im Sommer 2021 kam der Schock. Familie Schmitz musste ihre Fleischerei in Neuerburg in der Eifel für immer verlassen. Im Juli toste die Jahrhundertflut durch die Produktionsstätte, in der die Metzger sonst Braten portionieren und Würste füllen. Aufzugeben kam für die Handwerker aber nie infrage.

Landfleischerei Schmitz in Neuerburg
Haben wieder gut lachen: Sabine und Guido Schmitz mit ihren Töchtern Julia und Lena (oben rechts). Doch ihre Existenz lag nach der Katastrophe in Trümmern. - © Markus J. Feger

Es riecht noch nach Geräuchertem in der Landfleischerei Schmitz. Dabei stand hier vor etwas mehr als einem halben Jahr alles voller Wasser – genauer: voll mit einer schmierigen, von Bakterien und Heizöl verseuchten Brühe. Sie war unaufhaltsam hochgestiegen, zuerst aus dem kleinen Fluss namens Enz, dann auf den Marktplatz von Neuerburg, am Ende lief sie in die Produktionsräume des Familienbetriebes Schmitz. Es war ein Donnerstag, abends vorher waren die Schmitzens noch in die Produktion gefahren. „Wir haben alles, was normalerweise auf dem Boden steht, auf hohe Tische und Ab­lagen gestellt, falls wirklich Wasser in die Räume kommt“, erinnert sich Julia Schmitz, die Tochter.

Dass Regen angesagt war, wussten sie ja. „Aber dass es so schlimm wird – damit hätten wir niemals gerechnet“, sagt die 29-Jährige. Ihre Eltern haben die Fleischerei vor 20 Jahren vom Vorbesitzer übernommen. Jetzt ist von dieser Lebensleistung nur noch ein leerer, gelb gefliester Keller ohne Licht übrig geblieben. Der alte Putzplan hängt noch an der Tür und erinnert an bessere Zeiten, in denen die Familie Schmitz hier Räucherschinken, Würstchen und Salami hergestellt hat.

Ein Familienbetrieb wie aus dem Bilderbuch

Die Familie Schmitz, das sind die Mutter und Fleischereifachverkäuferin Sabine Schmitz, die das Unternehmen gemeinsam mit ihrem Mann und Metzgermeister Guido gegründet hat, außerdem Julia – selbst Metzgermeisterin – und ihre Schwester Lena Schmitz, 26 Jahre alt, eine gelernte Köchin. Auch die Großeltern arbeiten mit, genauso wie das Patenkind des Chefs und die Schwester der Chefin.

Ein Familienbetrieb wie aus dem Bilderbuch, der dazu noch perfekt in die ­Eifel-Idylle passt. Etwa 1.500 Menschen wohnen in Neuerburg, dessen Stadtbild kleine Häuschen und verwinkelte Gassen prägen. Das Highlight: die namensgebende Burg, gebaut im 12. Jahrhundert. Doch seit der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 ist hier alles anders. Ein Starkregen, wie es ihn in Deutschland jahrzehntelang nicht gegeben hatte, ließ Flüsse in Rheinland-Pfalz, wo Neuerburg liegt, in Nordrhein-Westfalen und in Bayern so hoch über die Ufer treten, dass sie mit ihrer Wucht ganze Häuser zerstörten und sogar Menschen in den Tod rissen.

Existenz liegt in Trümmern

In Neuerburg ist niemand gestorben. „Zum Glück“, sagt Mutter und Chefin Sabine Schmitz. „Wir wissen auch zu schätzen, dass privat bei uns alles trocken geblieben ist, dass wir eine funktionierende Heizung und ein warmes Bett hatten“, betont sie. Trotzdem: Als sie mit ihren beiden Töchtern am Morgen nach der Flut die Tür zur Fleischerei aufschloss, sah sie ihre Existenz in Trümmern liegen. „All das, was wir uns 20 Jahre lang aufgebaut haben – zerstört.“

Fleischwaren im Wert von etwa 70.000 Euro: ein Fall für den Müllcontainer. Ein Teil ging immerhin an die Löwen im Eifel-Zoo. Der neue Vakuumfüller und andere Geräte – teils gerade erst gekauft – im Wert von insgesamt mehr als 200.000 Euro waren ebenfalls hin. Tagelang schöpften Sabine Schmitz und ihre Töchter gemeinsam mit vielen freiwilligen Helfern das Wasser aus den Räumen, schleppten Matsch raus, schafften die zerstörten Maschinen weg. Vater Schmitz war in dieser Zeit im Krankenhaus in Trier. „War vielleicht auch besser so, dass er das nicht gesehen hat“, sagt die Mutter heute.

Elementarversicherung hilft – aber nicht zu 100 Prozent

Zum Glück war der Betrieb gut versichert. Für das Inventar hatte der Vater eine Elementarversicherung abgeschlossen. Doch bei einem Totalschaden fängt auch die nicht alle Kosten auf. Und: Der Familienbetrieb Schmitz wird in den Räumen nie wieder Wurst, Kotelett und Co. produzieren können. Das Risiko ist zu hoch: Denn Wände und Böden könnten Keime enthalten, immerhin hat das Wasser hier etwa anderthalb Meter hoch gestanden. Dass die Familie schon 14 Tage nach der Katastrophe den Betrieb wieder aufnehmen konnte, „das haben wir den beiden Mädels zu verdanken“, erzählt Sabine Schmitz und schaut ihre Töchter dankbar an. Tränen steigen ihr in die Augen. „Ach Mama“, sagt Lena und nimmt die Mutter in den Arm. Gemeinsam mit Schwester Julia hatte sie sich schon am nächsten Morgen hinters Telefon geklemmt und Facebook-Posts abgesetzt, in denen die beiden von der verzweifelten Lage berichteten und um Hilfe baten.

Gastwirt Herrig teilt seine Küche

Die Hilfe kam – und zwar in einem Maß, mit dem sie wohl nicht gerechnet hatten. Klar, da wären einmal die ganzen Freunde und Bekannten, die beim Aufräumen halfen, einige Metzgerkollegen aus dem Umfeld und die Anbieter für Metzgereibedarf, die den kleinen Familienbetrieb schnell mit neuen Gerätschaften ausstatteten. Aber da war eben auch Thomas Herrig, Gastwirt aus dem Nachbarort und der ehemalige Lehrherr von Lena Schmitz.

Etwa 30 Minuten dauert die Fahrt mit dem Metzgerei-Sprinter zum Gasthaus Herrig, es liegt in einem Bauerndorf namens Meckel, zwischen Trier und Bitburg. Dort steht der Chef schon am frühen Nachmittag in der Küche, um Carpaccio vom Eifel-Rind, Forelle aus dem Nachbarort und Eifeler Camembert für den Abend vorzubereiten. Metzgermeister Schmitz beschreibt Herrig als „Mann, der einfach macht – und lieber Fehler riskiert, als gar nichts zu tun“. Die Familie ist dem Koch unendlich dankbar. Denn Herrig teilt seine Küche seit der Flut mit der Familienmetzgerei: Am frühen Morgen wursten und hacken hier Julia und Guido Schmitz, spätnachmittags ist Schichtwechsel. Dann übernehmen Herrig und sein Team und beginnen für die Abendgäste zu kochen – alles streng voneinander getrennt, versteht sich. Stichwort: Hygienestandards.

Morgens Fleischerei, abends Restaurantküche

Wenn Thomas Herrig an die Tage im Juli denkt, in denen das Wasser die Süd­eifel heimgesucht hat, wird der sonst fast schon gespenstisch gut gelaunte Mann ernst. „Ich wusste ja direkt, dass es die Schmitzens schlimm getroffen haben muss“, erzählt er. „Als Lena dann angerufen hat, war klar, dass ich helfen will.“ Er lehnt sich an seine silberglänzende Küchenarmatur und grinst: „Dass die dann direkt hier einziehen, konnte ich ja nicht ahnen.“ In Herrigs hellen, sauberen Räumen kann auch die Familie Schmitz wieder lachen. Die Küche des Gasthauses Herrig ist zu ihrem Ort des Neustarts geworden. Neben den typischen Geräten einer Restaurantküche stehen hier seit der Flutkatastrophe auch ein großer Fleischwolf, ein Vakuumfüller für die Wurst­produktion und ein Cutter zum Zer­kleinern von Fleisch.

Kein Konkurrenzgedanke

Dabei könnte man Thomas Herrig und die Landfleischerei Schmitz eigentlich als Konkurrenten bezeichnen. Schließlich betreibt auch die Fleischerfamilie einen Cateringdienst. Aber: „Von Konkurrenz sprechen wir hier nicht, wenn überhaupt von Mitbewerbern“, sagt Herrig. „Wir arbeiten eigentlich sogar zusammen: Wenn der eine keine Kapazitäten mehr für eine Feier hat, empfiehlt er den anderen weiter – und umgekehrt“, erzählt Lena Schmitz, die von Herrig übrigens so gut zur Köchin ausgebildet wurde, dass sie es in die deutsche Köche-Nationalmannschaft als Teamkapitänin geschafft hat. Wie lange die Familie bleiben kann, ist noch unklar. „Eigentlich erlaubt das Veterinäramt sowas nur für sechs Monate in Ausnahmesituationen“, erklärt Lena Schmitz. „Aber wir glauben ja an das Gute – und hoffen, dass wir noch etwas länger bei Herrn Herrig bleiben dürfen.“

Herrig wäre einverstanden. „Ist ja auch schön, hier immer die Mädels zu treffen, und der Vater ist auch ganz okay“, witzelt er. Die zwei Kühlcontainer, in denen die Familie Schmitz ihr Fleisch zwischenlagert, stören ihn nicht. Vater Schmitz öffnet die Türen des kleineren Containers. Eine Katze, die im Garten he­rumläuft und sich angeschlichen hat, rennt fauchend weg – als wüsste sie, dass man die Geduld der Hygienekontrolleure bei diesem Arrangement auf gar keinen Fall überstrapazieren darf. Rote Kisten stapeln sich im Container – mit Würstchen, Steaks und Salamis, alles vakuumiert und fein säuberlich etikettiert. „Eigentlich hat dieser Standort auch Vorteile“, so Metzgermeister Schmitz. „Schließlich sind wir hier viel näher an unseren Filialen als damals in Neuerburg.“

Neustart planen

„Viel näher“, das bedeutet in der Südeifel: eine Fahrt von 30 statt wie vorher 45 Minuten. Guido Schmitz packt ein paar Fleischpakete ein, setzt sich in den Transporter und fährt los. Der Rest der Familie verabschiedet sich, es steht noch Büro­arbeit an. Montags ist seit dem Hochwasser Orga-Tag: Die beiden Filialen haben geschlossen, es muss telefoniert und geplant werden. Als Schmitz in Landscheid ankommt und den Laden aufgeschlossen hat, macht er erst mal verspätet Mittag. Es gibt Nudelsalat mit Mettwurst, er ist schon lange auf den Beinen und draußen dämmert es langsam. Normalerweise ist der Laden gut besucht, er liegt direkt neben dem örtlichen Netto-Markt, und das ist in einem Dorf in der Eifel fast schon ein Hotspot. Nur der schicke Fleischautomat, der vor der Tür steht, läuft noch nicht so richtig. „Da hatten wir in den letzten Monaten aber auch wirklich keinen Kopf für“, sagt Schmitz. Seine Frau, die Töchter und er mussten nämlich den Neustart planen.

Gleich hinter dem Laden liegt eine große, verwilderte Wiese, auf der eine alte Badewanne steht. Hier soll die neue Produktionsstätte der Landfleischerei Schmitz entstehen – und eine Show­küche „für die Mädels“. Vater Schmitz öffnet die Hintertür und zeigt auf den Stapel Kisten, die noch vom Flutschlamm verfärbt sind. Sie stammen aus den alten Räumen in Neuerburg. Dann stellt er sich in die Mitte der vom Nieselregen sattfeuchten, 3.000 Quadratmeter großen Wiese. Er schaut sich um und zeigt Richtung Wald, wo sich gerade ein Nebelschleier auf die Spitzen der Tannen legt. „Toller Ausblick, oder? Das war uns wichtig – in Neuerburg hatten wir keinen Blick nach ­draußen.“

Neue Produktionsstätte ist weit weg von Gewässern

In den neuen Räumen soll alles schön hell sein, die Familie Schmitz will nicht nur wursten, sondern mit Gästen gesellig kochen. Und noch eine Sache war wichtig, vor allem den Schwestern: Es ist kein Gewässer in der Nähe.