Erfinden im Handwerk Hackathon: Mit System vom Geistesblitz zum nächsten großen Ding

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Wenn es darum geht, neue Produkte zu entwickeln, ist Michael von Stosch ein gefragter Fachmann aus dem Handwerk. Auf dem ­Hackathon in Benediktbeuern soll der Inhaber von DingDsein ­daran mitwirken, die Reinigungsarbeit im Hotel zu automatisieren.

Michael von Stosch, Metallbauer, Handwerksdesigner und Inhaber von DingDsein in München, schmiedet aus Ideen neue Produkte.
Michael von Stosch, Metallbauer, Handwerksdesigner und Inhaber von DingDsein in München, schmiedet aus Ideen neue Produkte. - © Tanja Kernweiss

Michael von Stosch tüftelt gerne. Vom Kleiderbügel bis hin zum Messer, das der Passagier trotz strikter Kontrollen an Bord mitnehmen darf. Für seine Erfindungslust hat der gelernte Metallbauer und Handwerksdesigner schon einige Preise gewonnen, wie den Bayerischen Staatspreis 2018 für besondere gestalterische und technische Leistungen im Handwerk. „Seit meiner Kindheit fasziniert mich, wie unendlich viel sich mit Händen erschaffen lässt“, sagt der Macher aus München. Seine neueste Herausforderung: ein Hotelzimmer über dezente maschinelle Konstruktionen so zu automatisieren, dass kein Personal mehr für die tägliche Zimmerreinigung benötigt wird. Da ist viel handwerklicher Pioniergeist gefragt.

Für ein erstes Brainstorming ist Stosch im vergangenen Mai aus München in die 50 Kilometer entfernte Gemeinde Benediktbeuern gereist. Das Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk (MDZ) hat zum Hackathon ins Fraunhofer-Zentrum für energetische Altbausanierung und Denkmalpflege geladen. In der malerischen Umgebung des benachbarten Klosters treffen Handwerksprofis auf Hacker – so werden IT-Entwickler genannt, die an neuen Systemen basteln. Indem sie Geschäftsmodelle entwickeln, ausprobieren, verwerfen, anders auf­setzen und verbessern lassen sie die Welt von morgen entstehen. Christoph Krause, Leiter beim MDZ in Koblenz, will den Experimentiergeist ins Handwerk bringen. Dafür tourt der Digitalisierungs­berater mit den Hackathons durch Deutschland und leitet das Handwerk an, Chancen auszuloten und in unbekanntes Terrain vorzustoßen.

Hackathons im Handwerk: in 24 Stunden zum ersten Prototyp

Der Zeitrahmen ist eng gesteckt: In 24 Stunden sollen Teilnehmer der Hackathons aus ihren Ideen einen ersten Prototyp erschaffen. „Keiner geht mit leeren Händen nach Hause“, verspricht Krause den 55 Teilnehmern in Benediktbeuern. Schnell haben sich neun Projektgruppen zusammengetan, um für Pro­bleme von Unternehmern eine Lösung zu erarbeiten. Da ist der Chef einer Baufirma, der für seine Baustelle einen schnell ausfahrbaren Regenschutz braucht. Ein Installateur, der sich für die Elektrifizierung von Heizungen ein stabiles Wlan wünscht und dafür schon den ersten Prototypen mitgebracht hat. Und da ist Michael von Stosch, Handwerker und Hacker in Personalunion: Auf dem Hackathon in der oberbayerischen Gemeinde arbeitet er an der Vision von Andreas Munkert, Geschäftsführer der Reha-Klinik Frisia Munkert in Bad Tölz, ein Hotel ohne Reinigungspersonal zu betreiben. „Handgriffe wie Spiegel putzen oder Bettwäsche wechseln, die normalerweise von Menschen ausgeführt werden, erledigen dann Maschinen“, erklärt Stosch. Das Projektteam hat sich den Namen „No human“ gegeben.

Gemeinsam an solchen Geistesblitzen zu arbeiten macht Spaß. Zuweilen bringt es auch Geld: „Bei den Hackathons haben sich schon einige Firmengründer gefunden“, freut sich Krause. Mit dem Blick über den Tellerrand eröffnen sich den Handwerksbetrieben viele interessante Perspektiven. Für Krause zählt dazu auch der sogenannte Technologie-Transfer. „Vorhandene Technologien aus anderen Branchen ins Handwerk zu übertragen spart oftmals viel Zeit, da man das Rad nicht völlig neu erfinden muss“, weist er die Teilnehmer an. Um zu prüfen, ob eine Idee das Zeug zum „nächsten großen Ding“ hat, wie Tekkies es nennen, müssen aber auch die Marktchancen ausgelotet werden.

4 Tipps: Erfinden mit System

Dass die große Idee im Traum erscheint oder beim Duschen, kommt vor – ist aber selten. Besser ist es, dem Geistesblitz auf die Sprünge zu helfen.

  1. Im Co-Working-Space einmieten: Wer als Handwerker einen Arbeitsplatz mit Mietern aus unterschiedlichen Branchen teilt, erweitert seinen Horizont. Die eigene Sichtweise mit derjenigen anderer zu teilen und zu diskutieren kann zu gemeinsamen Ideen und Projekten führen.
  2. Verschiedene Fertigkeiten erlernen: Fortbildungen zu machen oder gar zwei Berufe in unterschiedlichen Bereichen zu erlernen, ermöglicht eine breitere Herangehensweise an Herausforderungen.
  3. Hackathons zum schnellen Brainstorming nutzen: Um in kurzer Zeit aus einer Idee ein Produkt zu entwickeln, haben sich Hackathons etabliert. Diese bietet das Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk nun auch für Handwerksbetriebe und IT-Experten an.
  4. Von Netzwerken und Events inspirieren lassen: Viele wertvolle Informationen lassen sich bei Veranstaltungen sammeln. Der Austausch mit Innovatoren und Unternehmern bringt viele neue Impulse.

Reinigungskosten in Hotels liegen bei einer Milliarde Euro.

Für ein selbstreinigendes Hotel gibt es einen Markt. „No human“-Projektleiter Munkert legt die Zahlen auf den Tisch: „Die gut 48.000 Beherbergungsbetriebe in Deutschland erwirtschaften im Schnitt 33 Milliarden Euro Umsatz im Jahr“, rechnet er vor. In den Hotels gebe es rund 190 Millionen An- und Abreisen pro Jahr, darüber häuften sich Reinigungskosten von circa einer Milliarde Euro an. Eine Automatisierung könnte sich also durchaus lohnen. Doch treibt das Projektteam zunächst eine andere Frage um: Wie viel nicht-menschliche Präsenz verträgt der Gast? Will er überhaupt von Robotern und Systemen umsorgt werden?

Stosch diskutiert ausführlich im Team darüber. Die Antwort lautet: ja. „Die Reinigungskräfte sind ja nicht in erster Linie dazu da, den Gast zu unterhalten. Das vorhandene Personal, das am Empfang oder im Restaurantbereich eingesetzt wird, kann den menschlichen Kontakt dafür umso intensiver herstellen.“ Die Idee rührt schließlich nicht von der puren Lust am Automatisieren her, stellt Stosch als Sprecher des Projekts klar: „Mit den intelligenten Reinigungstools wollen wir eine Lösung für den Fachkräftemangel im Dienstleistungssektor entwickeln.“

Übergreifender Ideenaustausch im Co-Working-Space

Tradition und Moderne verbinden – das ist auch das Anliegen, das den Handwerker aus München antreibt. In seinem Alltag zieht er gerne noch mehr Verknüpfungen heran. „Mit meiner Arbeit will ich die Grenzen zwischen den Gewerken aufweichen und über traditionelle Materialien hinausdenken“, beschreibt der Soloselbständige seine Mission. Als Arbeitsort hat er sich mit seiner Ein-Mann-Firma DingDsein einen Co-Working-Space im Münchner Viertel Neuhausen gewählt, in dem Mieter aus verschiedenen Branchen arbeiten. Manchmal erhält Stosch von seinen Bürokollegen einen Auftrag, manchmal von Unternehmen oder Privathaushalten, denen er weiterempfohlen wird. „Ich entwickle erste Ideen und Konzepte, baue Prototypen, die ich dann zum fertigen Produkt ausbaue“, beschreibt er. Derzeit arbeitet er an einem Auftrag, einen Eingangsbereich für ein Gebäude zu entwerfen, samt Zaun, Briefkasten, Paketbox und Haustür. Um sein Netzwerk zu erweitern, ist er auf LinkedIn aktiv. Über das Business-Portal erhält er frische Impulse und Kontakte. Freies Arbeiten und freies Denken gehören für den Produktentwickler aus dem Handwerk zusammen.

Das Projekt „No human“ ist für Stosch eine „spannende Herausforderung“, wie er sagt. Gemeinsam mit dem Team hat er einige Lösungsvorschläge parat: Ein Saug- und Wischroboter reinigt die Böden und Möbel im Gästezimmer. Im Bad frischt ein automatisierter Hochdruckreiniger Dusche, WC und Wasch­becken auf. „Am besten mit heißem Wasserdampf, damit alles steril gesäubert wird und schnell trocknet“, beschreibt er. Die Lichtleiste oberhalb des Wasch­beckens ist beweglich und dient gleichzeitig als selbsttätiger Wischer für den Spiegel, um ihn nach der Dampfreinigung streifenfrei zu putzen. „Alle paar Wochen sollte dann aber eine gründliche Reinigung durch menschliches Personal erfolgen.“ Damit sich das Bett alleine richtet, hat das Team ein Rollensystem skizziert, welches das Bettlaken austauscht. Die Hausverwaltung setzt diesen Prozess digital in Gang. Die benutzte Bettdecke samt den Kissen werden vom Kunden in einen Schlitz geworfen. „Dieser Schritt könnte mit dem Check-out-Prozess verbunden sein“, überlegt Stosch. Wer seine Decke einwirft, meldet automatisch seine Abreise an. Der Handwerksdesigner ist sicher, dass das Konzept für eine bestimmte Klientel auf Anklang stößt.

Automatisiertes Hotelzimmer steht bald zum testen bereit

Die MDZ-Jury hat das Projekt „No human“ bereits überzeugt: Unter den neun Projekten ist das Team unter den drei Gewinnern. „Besonders unsere Problem­beschreibung und Ideensammlung kam gut an“, freut sich Stosch. Es war das erste Mal, dass er an einem Hackathon teilgenommen hat. „Sich innerhalb von 24 Stunden nonstop mit einem Thema zu beschäftigen ist sinnvoller, als neben der alltäglichen Arbeit daran zu tüfteln“, findet er. Zusammen mit dem Projektteam will er weiter am automatisierten Hotelzimmer arbeiten. Der erste Entwurf in 3-D liegt bereits vor. Bald soll der erste Prototyp fertig sein und in einem Container zum Testen bereitstehen, stellt Stosch in Aussicht. „Dann werden wir sehen, inwieweit wir tatsächlich die Hotelbranche revolutionieren können.“

Hackathon im Handwerk

Für eine Problemstellung innerhalb 24 Stunden die passende Lösung finden – das ist der Anspruch des Hackathon des Mittelstand-Digital Zentrums Handwerk (MDZ). Geschlafen wird – wenn überhaupt – normalerweise nur kurz: Die Teilnehmer werden gebeten, sich Isomatten für ein Power-nap mitzubringen. In erster Linie richtet sich der Hackathon an alle Handwerker, die Spaß an der Digitalisierung und Technologien haben oder in das Thema reinschnuppern wollen.

Aber auch alle Bastler und Hacker, die ihre Skills einsetzen wollen, um das Handwerk digital zu unterstützen, sind willkommen. Der Hackathon in Benediktbeuern wurde in Kooperation mit der Handwerkskammer für München und Oberbayern, der Regionalentwicklung Oberland, dem Wirtschaftsforum Oberland, dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP und dem TIZIO Transfer- und Innovationszentrum im Oberland der Hochschule München veranstaltet. Weitere Informationen zu den bundesweiten Hackathons gibt es unter: handwerkdigital.de/Veranstaltungen