Neue Geschäftsmodelle Chris Eberl über Innovation im Handwerk: "Dem Zufall eine Chance geben"

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Neue Geschäftsmodelle auszuprobieren soll ein erster Linie Spaß machen, das findet Chris Eberl, der angehende Unternehmer bei der Gründung berät. Im Interview mit handwerk magazin erklärt er, wie auch etablierte Betriebe flexibel im Kopf und offen für Neues bleiben – um so auf neue Chancen schnell reagieren zu können.

Chris Eberl berät Unternehmer und Start-up-Gründer. - © Chris Eberl
Der Betrieb floriert, die Aufträge stapeln sich und die Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun: Warum lohnt es sich trotzdem, dass sich der Chef und sein Team mit Innovationen beschäftigt?

Chris Eberl: Innovation sind erfolgreich umgesetzten Ideen – und die sollten nicht nur aus einer kompletten Notlage heraus entstehen. Wer als Chef konsequent innovativ denkt, hält sich frisch und aktiv im Kopf, und hält sich damit flexibel und handlungsfähig. Treten dann bestimmte problematische Situationen ein wie der Ukraine-Krieg oder die Coronapandemie, kann er umso schneller Lösungen für sein Geschäft finden und umsetzen. Innovationsfähigkeit zieht außerdem gute Fachkräfte, jungen Nachwuchs und auch Nachfolger an: Wenn eine Firma schon jahrelang dasselbe macht, ohne sich zu verändern und ohne je bewiesen zu haben, dass sie aus Ideen Innovationen machen kann, wirkt sie für gut ausgebildete jüngere Arbeitskräfte unattraktiv. Innovationen dagegen bringen viel frischen Wind ins Team.

Wie kommt man auf solche Ideen, die sich zu handfesten Innovationen entwickeln lassen?

Innovation entsteht oft aus einem Zufallsmoment heraus. Um diesen Moment als Chance zu erkennen, benötigt man einen aufmerksamen und offenen Blick. Jeder kennt es von sich, bekannte Dinge ständig zu sehen, etwa das eigene Automodell, das überall zu fahren scheint. Mit dem Fokus auf Bekanntes entsteht eine selektive Wahrnehmung und wir übersehen die vielen anderen Dinge, die uns umgeben. Dafür sorgt das sogenannte retikuläre Aktivierungssystem, das für uns das Wichtige herausfiltert. Wir können unser Gehirn jedoch darauf trainieren, alle Wahrnehmungen ins Bewusstsein zu lassen. Dann weitet sich plötzlich die Welt um uns herum und wir sehen neue Chancen. Mit anderen Worten: Die Innovation kommt, wenn man sich auf sie einstellt – und dem Zufall eine Chance gibt.

Wie kann man diesem Zufallsmoment gezielt auf die Sprünge helfen?

Natürlich gibt es auch die strategisch taktische Herangehensweise, um die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit für Innovationen zu fördern. Dabei werden Methoden verwendet, um Ideen zu entwickeln, die zu Innovationen führen. Der Chef sollte seine Mitarbeiter motivieren, ihre eigenen Ideen einzubringen, die eine hohe Umsetzungswahrscheinlichkeit haben. Der beste Ansatz ist für mich, dass jeder Mitarbeiter seine besonderen Fähigkeiten berücksichtigt sowie auch die der Firma, und überlegt, wie sich das mit anderen Vorteilen kombinieren lässt. So beginnt man nicht auf der grünen Wiese – denn das läuft meistens nicht gut. Wer in Märkte gründet, die er nicht kennt, hat wenig Aussichten, aus einer Erfindung eine echte Innovation zu machen.

Wie lassen sich denn beispielsweise über moderne Technologien wie Augmented Reality (AR) das eigene Geschäft innovativ erweitern?

Wer bereits einen laufenden Betrieb hat, sollte – im Gegensatz zu einem Start-up – an seinem bestehenden Geschäftsmodell anknüpfen. Wer sich mit AR nicht selbst auskennt, sollte sich Leute an die Seite holen, die sich mit der Technologie auskennen und gerne damit beschäftigen. So lässt sich die eigene Kompetenz mit einer fremden vermengen.

Bitte Dein konkreter Tipp: In welche Richtung könnten Handwerkbetriebe denn heute denken, um sich weiterentwickeln?

Das Handwerk ist vielfältig, daher sind einzelne Lösungen letztlich abhängig von einem bestimmten Gewerk. Die Marktgegebenheiten sind für einen Friseur ganz anders als für einen Schreiner. Als allgemeines Kriterium ist es immer gut, wenn man die Realität aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Wer die Dinge nur vom stets gleichen Blickwinkel her sieht, der auch vom Mainstream verfolgt wird, kommt zu keinem neuen Ansatz. Neue Perspektiven lassen sich dagegen schaffen, indem man neue Leute ins Team holt, die sich mit neuen Dingen beschäftigen. Jüngere sind zum Beispiel mit digitalen Tools aufgewachsen und wenden sie daher automatisch an. Ein älterer Chef, der seine Firma jahrelang erfolgreich führt, wird sich demgegenüber eher weniger neue Kompetenzen aneignen, außer er brennt wirklich dafür. Zu viel ist allerdings gefährlich, denn wenn er ständig mit neuen Ideen ankommt, die nicht allee verfolgt werden können, riskiert, sein Geschäft zu destabilisieren und die Mitarbeiter zu zermürben. Innovation im Betrieb kann letztlich nur dann gelingen, wenn alle Mitarbeiter im Boot sind.

Wie geht das – vielleicht wollen manche Mitarbeiter gar keine Veränderung?

Um die Mitarbeiter von Anfang an mitzunehmen rate ich, sie einmal jährlich zum Brainstorming einzuladen. Am besten außerhalb der gewohnten vier Wände in eine Hütte auf einer Alm oder an einen Strand oder zu einem anderen inspirierenden Umfeld. Der Spaß, der dabei entsteht, erzeugt die nötige Energie für Ideen, die natürlich eine Realisierungsoption haben sollten. Wichtig ist es trotzdem, spielerisch vorzugehen: Die Ideen des Teams sollten kein Muss sein, sondern ein Kann. Darüber entstehen dann echte Chancen. Andernfalls werden sich die Mitarbeiter dagegen sträuben und die neuen Ansätze sogar blockieren.

Wie kann sich der Chef auf solche Meetings vorbereiten?

Der Chef sollte sich am besten selbst wieder zurück in die Start-up-Perspektive versetzen – genauso wie ein Erwachsener, der über sein eigenes Kind wieder lernt, wie junge Menschen an Dinge herangehen. Das gelingt, indem er einmal im Jahr eine Biographie eines zeitaktuellen Innovators liest, zum Beispiel von Elon Musk, und mindestens einmal im Jahr ein Seminar oder Event besucht, bei dem es um Innovation oder Gründung geht. Diese Haltung führt dazu, selbst besser zu werden und es sich besser gehen zu lassen.

Zur Person:

Chris Eberl ist Gründer der Beratung Kübernetik und hilft Unternehmern und Start-up-Gründern dabei, vernetzt denken zu lernen und darüber neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zuvor hat der studierte Elektro- und Informationstechniker sein eigenes Start-up kontextr, eine Software-as-a-Service-Lösung für Online-Publisher, 2021 an die Funke Mediengruppe verkauft.