Tandem-Übernahme Führungs-Doppel: Warum es Vorteile hat, die Nachfolge zu zweit anzutreten

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Nachfolge und New Work

Herausforderungen wie die aktuelle Energiekrise meistern, aber auch Erfolge feiern: Zu zweit ist das schöner – so berichten Tandem-Führungsduos, die gemeinsam die Nachfolge angetreten haben.

Heike Kryszat und Philipp Wulfers führen den Tischlereibetrieb Winter & Wulfers in Emsdetten zu zweit. Die beiden Firmennachfolger haben über eine Arbeitsvermittlungsplattform zusammengefunden.
Heike Kryszat und Philipp Wulfers führen den Tischlereibetrieb Winter & Wulfers in Emsdetten zu zweit. Die beiden Firmennachfolger haben über eine Arbeitsvermittlungsplattform zusammengefunden. - © Markus Hauschild

Eigentlich suchte Philipp Wulfers einen Job als Tischler im Raum Münster. Weil er bei seinem Stellengesuch über die zuständige Handwerkskammer auch das Feld „Spätere Übernahme oder Teilhaberschaft“ angekreuzt hat, fand er sich am Verhandlungstisch für die Nachfolge mit Lothar Winter wieder. Der Betriebs­inhaber von Holzwerkstatt Winter suchte schon einige Jahre nach einem Übernahme-­Kandidaten. Doch er erwartete Wulfers nicht alleine in seinem Büro im nordrhein-westfälischen Emsdetten: Heike Kryszat, die für ihre Innenarchitektur-Weiter­bildung ein Praktikum im Betrieb machte, war ebenfalls dabei. Schon einige Wochen vor dem Meeting hatte sie Wulfers über die Arbeitsvermittlung ausfindig gemacht – ganz anonym. Die beiden trafen sich und stellten schnell fest: Die Chemie stimmte. Beide beschlossen kurzerhand, die Nachfolge gemeinsam anzutreten.

Die neue Feedback-Kultur kommt bei den Mitarbeitern gut an

Wenn Wulfers die Geschichte erzählt, klingt es, als wäre Magie im Spiel gewesen. Da ist auf der einen Seite Wulfers selbst, der als frisch geprüfter Tischlermeister und Betriebswirt nach der Handwerksordnung (HwO) im Alter von 25 Jahren noch wenig Führungserfahrung mitbringt. Auf der anderen Seite ist da Heike Kryszat, die um 30 Jahre älter als ihr Kompagnon bereits viele Jahre als Geschäftsführerin tätig war – das allerdings in anderen Branchen.

Der unterschied­lichen Berufswege und verschiedenen Alter zum Trotz teilen beide die gleiche Auffassung von Arbeitskultur. Als sie den Betrieb im Frühjahr 2021 übernahmen, führten sie einen regelmäßigen Austausch bei einem monatlichen Frühstück ein. „Wir sprechen dort darüber, was gut läuft und was wir als langfristige Ziele für unseren Betrieb ­sehen“, sagt Wulfers.

Bei den drei Gesellen und vier Azubis kommt die neue Feedback-Kultur in familiärer Atmosphäre gut an. Als neunköpfiges Team ergeben sich viele verschiedene Blickwinkel, diskutiert wird offen. Die Entscheidungen fällen dann die beiden Nachfolger zusammen. „Problematiken wie Fehlbestellungen, Lieferschwierig­keiten und Umsatzschwankungen gemeinsam zu besprechen und zu lösen ist ein großer Vorteil“, findet Wulfers.

Als er dem Team zum ersten Mal als künftiger Chef vorgestellt wurde, das ist nun gut anderthalb Jahre her, war er erst 23. „Damals haben mich die Mitarbeiter erstaunt angesehen“, erinnert er sich. Doch nach kurzer Zeit schon arbeitete er mit seinem Team ganz vertraut und Seite an Seite, berichtet er: „Während ich gemeinsam mit unseren Mitarbeitern die technische Umsetzung der Projekte vo­rantreibe, kümmert sich Heike vor allem um die kaufmännischen Aspekte und die Kundenakquise.“

Seit der Übernahme vor gut anderthalb Jahren hat sich einiges getan: Das junge Tandem modernisierte das EDV-System, akquirierte neue Kundengruppen und erschloss mit dem Bereich „Ladenbau“ ein neues Geschäftsfeld: Für Cafés, Praxen und andere Einrichtungen sorgt die Tischlerei für nachhaltige Einrichtungen. Aus der Holzwerkstatt Winter wurde die Winter & Wulfers GmbH. „Bei der ­Firmierung war es uns wichtig, Lothar Winter als bekannten Inhaber im Namen fortzuführen und Philipp Wulfers als sehr jungen Tischlermeister gleich richtig zu etablieren“, erklärt Heike Kryszat. Bewusst verzichtete sie darauf, ihren eigenen Namen zu integrieren, da er weniger leicht auszusprechen und daher auch schlechter zu merken sei.

Eine Intiative für die Unternehmensnachfolge

Dass sich das Tandem auf Anhieb gefunden hat, geht auch auf einen anderen Glücksfall zurück. Schließlich war es noch nicht lange her, dass die Handwerks­kammer (HWK) Münster ihren Aufnahmebogen in die Arbeitsvermittlung um das Feld „Spätere Übernahme oder Teilhaberschaft“ erweitert hat. Wer es ankreuzt, landet auf der deutschlandweiten Unternehmensnachfolge-Plattform Nexxt-change, die sich an einen viel größeren Pool an Übergabe- und Übernahmewilligen richtet. Dass sich Heike Kryszat und Philipp Wulfers über diesen Weg getroffen haben, geht so gesehen auf die Kammer und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zurück.

Im Rahmen ihrer Initiative „Unternehmensnachfolge – aus der Praxis für die Praxis“ fördert das BMWK auch das Nachfolge-Projekt „Unternehmensnachfolge Schritt für Schritt“ der HWK Münster. „Das Ziel des Projekts ist es, die kammereigenen Vermittlungsdienste der Betriebsbörse mit der Fachvermittlung zu verzahnen und die Unternehmensnachfolge im Handwerk Schritt für Schritt zu gestalten“, erklärt Frank Kühn-Gerhard, der das Nachfolge-Projekt bei der HWK Münster leitet. Aus Erfahrung weiß er, dass es häufig am besten ist, die Nachfolgenden langsam an die Selbstständigkeit heranzuführen.

Für den Experten zählt dazu auch die Nachfolge zu zweit. Diese bisher noch selten genutzte Tandem-Strategie will er künftig gezielt fördern. Schließlich haben immer weniger Handwerksmeister Lust darauf, alleine die volle Verantwortung für einen Betrieb zu tragen. Während der Internationalen Handwerksmesse (IHM) im vergangenen Juli in München sprachen Wissenschaftler der fünf Institute des Deutschen Handwerksinstituts (DHI) ausführlich auf einer Tagung über die Problematik (siehe handwerk magazin 09/22). Als Argumente gegen eine Gründung oder Nachfolge führen Handwerker oft die hohe Arbeitslast an und die komplexe Verwaltungsarbeit. Geteilte Arbeit ist damit die sprichwörtliche halbe Arbeit. Positiv gesehen, kann sich das Duo auch zusammen über seine Erfolge freuen.

Weniger Nachfolge-Kandidaten als vakante Chefsessel

Bei der Nachfolge kommt hinzu: Es ist ein hochsensibles Thema. Für den neuen und alten Betriebsinhaber und für das Team muss es menschlich, aber auch unternehmenskulturell einfach passen. Das gelingt nicht jedes Mal so leicht wie bei Heike Kryszat und Philipp Wulfers und ihrem Team. Zudem gibt es derzeit weniger Übernahmewillige als offene Geschäftsführerposten: Allein von den fast 29.000 Mitgliedsbetrieben der Handwerks­kammer Münster stehen über 25 Prozent in den nächsten fünf bis zehn Jahren zur Übergabe an. Finden Inhaber keine geeigneten Kandidaten, müssen sie schließen. Diesen Ernstfall möchte Kühn-Gerhard verhindern. Einen wesentlichen Grund für gescheiterte Nachfolgeprozesse sieht er auch darin, dass viele Altinhaber die Suche nach ihrem Traumkandidaten zu spät angehen.

Im baden-württembergischen Baden-Baden zeigt der Betrieb Bauer Heizung-Sanitär-Klimatechnik beispielhaft, wie die Übergabe fließend ineinandergreifen kann. Gleich einem verzahnten System haben sich Stephan Bauer und Jürgen Keller mit Seniorchef Werner Bauer die Klinke in die Hand gegeben. Werner ­Bauer, der den 1964 gegründeten Betrieb lange Jahre mit seinem Bruder Walter Bauer führte, holte 2006 Jürgen Keller als technischen Geschäftsführer an Bord. 2010 kam sein Neffe Stephan als kaufmännischer Geschäftsführer dazu. Die Senior-Chefs verabschiedeten sich dann nacheinander in den Ruhestand – im ­ruhigen Bewusstsein, dass ihr Lebenswerk in guten Händen ist.

Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen

Während des komplexen Übergabeprozesses waren daher oft drei Chefs im Betrieb, ähnlich wie bei der Tischlerei Winter & Wulfers in Emsdetten, als Firmengründer Lothar Winter seine Nachfolger instruierte. Beim SHK-Betrieb in Baden-Baden holten die Geschäftsführer zusätzlich einen Experten für Veränderungsprozesse hinzu: Hermann-J. Kreitmeir aus Kirchdorf am Inn führte den Betrieb nicht nur durch die Nachfolge, sondern verhalf zu einer komplett neuen Struktur mit großen Veränderungen für den 40-köpfigen Betrieb. „Wir haben eine mittlere Führungsebene eingezogen, um die anwachsende Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen“, berichtet Keller. Zuvor wechselten Stephan Bauer und er sich meist ab, die eingehenden Telefonate der Kunden-Notruf-Hotline zu bedienen. „Den Notdienst nur zu zweit zu managen war sehr stressig“, erinnert sich Keller.

Auf den Rat von Berater Kreitmeir führten sie außerdem ein Controlling ein, das die Lohn- und Finanzbuchhaltung steuert. Besonders gelungen findet Stephan Bauer den neuen Umgang untereinander. Zusammen mit den Mitarbeitern haben sie dazu „Spielregeln“ definiert: von Fairness über sachliches Argumentieren bis hin zu Ehrlichkeit und Offenheit. Als Plakat hängen die Betriebswerte im Büro an der Wand. Jeder Mitarbeiter trägt sie in seiner Mappe.


Um den Mitarbeitern ihrerseits wertschätzend zu begegnen, bitten die Geschäftsführer zum täglichen Feierabend-Feedback-Gespräch. Die Angestellten berichten dann vom vergangenen Tag und über ihre Erfahrungen. Motivierend auswirken soll sich ebenfalls die leistungsorientierte Entlohnung, die in neu aufgesetzten Arbeitsverträgen festgehalten ist. Ganz im Sinne von New Work verdient danach derjenige mehr, der sich für die Firma einbringt und Verantwortung zeigt. Das steigende Mitarbeiter-Engagement wiederum macht sich dann zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt, wenn die beiden Geschäftsführer ihrerseits das Zepter übergeben wollen. Doch noch ist es lange nicht so weit: Der 53-jährige Jürgen Keller und der 42-jährige Stephan Bauer haben noch viel vor. Gemeinsam treiben sie die Expansion des Betriebs voran.

Materialengpässe und Preis­steigerungen gemeinsam meistern

Neben den Umstrukturierungen haben sie vor vier Jahren das Nachbargrundstück erworben und darüber ihre Lagerfläche und Büroräumlichkeiten erweitert sowie neue Parkmöglichkeiten geschaffen. „Wir haben heute in vielerlei Hinsicht die Nase vorn und so konnte uns auch die Coronapandemie nicht aus der Bahn werfen“, freut sich Stephan Bauer. Die Arbeit im Tandem erwies sich in dieser schwierigen Zeit als besonders gut, denn der Schrecken zu Anfang der Pandemie war groß: Aufgrund mehrerer Krankheitsfälle musste der Betrieb im Frühjahr 2020 für zwei Wochen komplett schließen. Bauer und Keller beschlossen damals gemeinsam, die Mitarbeiter in Einheiten zu trennen, sodass bei erneuten Krankheitsfällen nicht der gesamte Betrieb zum Erliegen gekommen wäre.

Zu weiteren Problemen führten im vergangenen Jahr beispielsweise die täglichen Grenzpassagen der französischen Mitarbeiter und abrupte Auftragsstopps bei großen öffentlichen Aufträgen aufgrund von Haushaltssperren. „Trotz allem hatten wir Vollbeschäftigung und unterm Strich ein gutes Jahr“, zieht das Geschäftsführer-Duo Bilanz. Nicht zu ­vergessen: Trotz des fortschreitenden Fachkräftemangels konnten sie neue Mitarbeiter für sich gewinnen. Ihren unternehmerischen Erfolg schreiben sie ihren mutig angegangenen Veränderungen im Zweier-Führungsteam zu. „Es hilft uns sehr, dass wir uns untereinander ab­sprechen können und Entscheidungen von großer Tragweite auch in den aktuellen Zeiten mit Materialengpässen und Preissteigerungen gemeinsam tragen.“ Wenn im Betrieb die gesamte Verantwortung und das Betriebswissen nicht nur bei einer einzigen Person liegt, läuft eben vieles leichter. Das spüren letztlich auch die Kunden: Über die moderne Betriebsführung können Aufträge schneller erstellt und durchgeführt werden.

Schon jetzt planen Keller und Bauer das Weihnachtsessen für ihr Team. „Das wird ein schönes Event mit gutem Essen als Belohnung für die tolle Arbeit das gesamte Jahr über.“ Eine einsame Festrede wird es dann sicherlich nicht geben, sondern eine, die so viel abwechslungs­reicher ist, wenn sich zwei die Bälle zuspielen – als Team an der Spitze.

Nachfolge im Tandem: 5 Vorteile

Alles alleine machen war gestern. Heute steht für einige Handwerker die Work-Life-Balance im Vordergrund. Diese gelingt über eine Doppelspitze. Zudem erweist es sich von Vorteil, auch die Mitarbeiter stärker zur Verantwortung zu ziehen.

  1. Schwierigere Entscheidungen können miteinander besprochen werden: von Personalentscheidungen bis hin zu Maßnahmen angesichts aktueller Lieferschwierigkeiten und Preissteigerungen.
  2. Unterschiedliche Berufswege und Kenntnisse sind beim Tandem ein Vorteil: Während sich der eine dem technischen Bereich widmet und das Team handwerklich anleitet, übernimmt der andere die kaufmännischen Aspekte im Betrieb wie Buchhaltung und Auftragsabwicklung.
  3. Um den geeigneten Kompagnon zu finden, helfen Handwerkskammern sowie die Initiative „Unternehmensnachfolge – aus der Praxis für die Praxis“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
  4. Mit der Übernahme wird häufig die gesamte Struktur und Kultur eines Betriebs unter die Lupe genommen. Im Führungs-Tandem, aber auch gemeinsam mit dem Team, gilt es zu überlegen, was verbessert werden sollte. Etabliert haben sich tägliche oder wöchentliche Treffs, um Feedbacks und Meinungen einzuholen.
  5. Wer sich Arbeit teilt, kann ebenfalls überlegen, ob er nicht an weitere Mitarbeiter Verantwortlichkeiten übertragen möchte. Je mehr Personen in einem Betrieb über bestimmte Abläufe Bescheid wissen, desto besser gestaltet sich die Work-Life-Balance. Weiterer Vorteil: Mit mehr Aufgaben und Kenntnissen vertraut, eröffnen sich für die Mitarbeiter viele Wachstumspotenziale. Das führt letztlich dazu, dass sie sich eine mögliche spätere Betriebsübernahme ihrerseits eher vorstellen können.