Hilfen bei körperlicher Arbeit Exoskelette im Handwerk: die schweren Jobs leichter und besser schaffen

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Körperlich hart zu arbeiten gehört zum Handwerk. Doch was tun, wenn die Kraft nicht oder nicht mehr ausreicht? Wie Exoskelette den Alltag der Mitarbeiter erleichtern und die Motivation erhöhen, zeigt ein Forschungsprojekt im SHK-Handwerk.

Christoph Reichart, Monteur bei der Hans Schramm GmbH & Co.KG in München.
Christoph Reichart, Monteur bei der Hans Schramm GmbH & Co.KG in München, findet die futuristische Optik der Exoskelette cool und lässt sich bei schweren Arbeiten im Alltag gerne davon unterstützen. - © Tanja Kernweiss

RoboCop-Optik statt langweiliger Blaumann? Christoph Reichhart, Monteur bei der Hans Schramm GmbH & Co,KG in München, fühlt sich in seinem Exoskelett pudelwohl und trägt dies auch gerne sichtbar über der Arbeitskleidung. „Da gibt es sehr unterschiedliche Typen, manche wollen einfach nicht, dass man es sieht, und tragen es unter der Kleidung“, weiß Kilian Schramm, der den Familienbetrieb gemeinsam mit seinem Vater führt. Dass sein aus 80 Mitarbeitern bestehendes Team überhaupt die Chance bekam, die teils futuristisch anmutenden körper­lichen Assistenzsysteme zu testen, liegt vor allem an der schon fast traditionellen Aufgeschlossenheit für neue Lösungen, die dem Betrieb schon mehrfach die Auszeichnung zu „Münchens Bäderbauer Nummer eins“ einbrachte.

Damit dies auch in Zukunft so bleibt und der Betrieb immer über ausreichend qualifizierte Fachkräfte verfügen kann, hat sich das Münchner Unternehmen am Forschungsprojekt „Handwerksgeselle 4.0“ des Zentralverbands Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) beteiligt. Ziel war es, im Praxiseinsatz zu untersuchen, ob Exo­skelette die oft körperlich schweren und belastenden Tätigkeiten im Handwerk erleichtern können. So hätten Fachkräfte nicht nur die Chance, länger und gesünder in einem Beruf zu verbleiben, sondern es könnten auch neue Zielgruppen für eine Ausbildung im Handwerk gewonnen werden, die sich bislang wegen der vermeintlich hohen körperlichen Belastung nicht dafür interessierten.

Nutzen in der Praxis: bis zu 20 Kilo Entlastung sind drin

Was die Entlastung der Fachkräfte in der Badsanierung angeht, ist Kilian Schramm vom Nutzen der technischen Helferlein überzeugt: „Die körperliche Beanspruchung der Mitarbeiter sinkt enorm, sie können schneller arbeiten und auch länger erstklassige Qualität liefern, sodass wir unsere Leistungen auch kosteneffizienter anbieten können.“ Eine klare Win-win-Situation für alle Beteiligten. Kilian Schramm hat deshalb noch während des Projekts beschlossen, jedem Mitarbeiter, der es nutzen wollte, ein Exoskelett zur Verfügung zu stellen. „Wir haben ein Testmodell, das jeder einen Monat ausprobieren kann. Auf Wunsch erhält er danach ein eigenes Modell mit seinem Namen“, erklärt der Unternehmer.

Motivation für das Team: Leichter an die Prämien kommen

Rund 800 Schweizer Franken (circa 810 Euro) investiert der Betrieb jeweils für das Modell eines Schweizer Herstellers, das sich im Praxistest als beste Lösung für die Anforderungen des Bäderbauers herausgestellt hat. Aktuell nutzen fünf mit Abbrucharbeiten betraute Mitarbeiter das Exoskelett, allerdings nicht exakt aus den gleichen Motiven, die die Initiatoren auf dem Zettel hatten, wie Kilian Schramm bestätigt: „Die Mitarbeiter haben festgestellt, dass sie durch die Exoskelette weniger Rücken haben und somit auch den Bauzeitenplan leichter einhalten können, wofür sie jeweils eine Prämie erhalten.“

Es sind jedoch genau diese Erfahrungen aus der Alltagspraxis, die das Projekt „Handwerksgeselle 4.0“ eben auch zutage bringen wollte. Denn was nützt der beste theoretische Ansatz, wenn die Lösungen keine Akzeptanz bei den Mitarbeitern finden? Wie wichtig es ist, die Gesundheit der Fachkräfte zu schonen und deren Arbeitsfähigkeit zu erhalten, kann Matthias Thiel, Projektleiter beim ZVSHK, eindrucksvoll mit Zahlen belegen: „Jedes Jahr scheiden doppelt so viele Fachkräfte aus dem Erwerbsleben aus wie dazukommen, aktuell fehlen in unserer Branche bereits 41.000 Monteure und 31.500 Auszubildende.“

Interesse an Ergonomie wächst mit dem Fachkräfteknappheit

Eine Riesenlücke, die sich natürlich nicht allein durch den Einsatz von körper­lichen Assistenzsystemen schließen lässt. Doch langfristig könnten diese nach Thiels Einschätzung gerade bei lang­anhaltenden Tätigkeiten mit dem gleichen Belastungsprofil dafür sorgen, dass jüngere Fachkräfte länger ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen arbeiten und ältere Mitarbeiter noch ein wenig länger im Job bleiben können.

Die im Projekt durchgeführte Um­frage bei 1.800 SHK-Innungsbetrieben zeigt, dass knapp die Hälfte der größeren Betriebe ein höheres ergonomisches Bewusstsein entwickelt hat als früher. Auch Projektleiter Thiel berichtet von vielen Anfragen durch Firmenchefs, die den Einsatz von Exoskeletten im Betrieb testen wollen.

Exoskelette: Die Vorteile

Weniger Belastung und Fehlzeiten, mehr Motivation und Zufriedenheit – die Chefs sehen den Einsatz der Exoskelette positiv.

Exoskelette Die Vorteile
© handwerk magazin/Quelle: Umfrage des Pilotprojekts „Handwerksgeselle 4.0“

Schwere Arbeiten: Was Betriebe tun, um Mitarbeiter zu entlasten

Hebehilfen oder ein an der Belastungsverträglichkeit orientierter Mitarbeitereinsatz sind für gut als zwei Drittel der Betriebe die erste Wahl.

Mitarbeiter bei schweren Arbeiten entlasten
© handwerk magazin/Quelle: Umfrage des Pilotprojekts „Handwerksgeselle 4.0“

Kathrin de Blois, geschäftsführende Gesellschafterin bei Haas Haustechnik in Mönchengladbach, hat sich wie Kilian Schramm gleich zur Teilnahme am Pilotprojekt im Handwerk entschlossen. „Wie immer bei neuen Lösungen haben wir das mit dem Team durchgesprochen, bei uns wird nichts übergestülpt“, betont Kathrin de Blois, die den Familienbetrieb mit 50 Mitarbeitern gemeinsam mit Vater und Bruder führt. Bei den Reaktionen der Mitarbeiter war quer über alle Altersstufen alles dabei, von großer Neugierde bis hin zur typischen Skepsis: „Manche fanden es cool und hatten sogar richtig Spaß daran, mit den Exoskeletten zu arbeiten.“

Wunschvorstellung: Ein Exoskelett für alle Arbeiten

Getestet wurden bei Haas Systeme, die den Rücken beim Tragen unterstützen. Allerdings ist der Job sehr vielseitig, sodass ein Mitarbeiter etwa bei Überkopf­arbeiten ein anderes Exoskelett benötigt als beim Tragen schwerer Lasten. Weil auch passive Systeme ohne Motorunterstützung schon deutlich dreistellige Beträge kosten und das An- und Ausziehen im Arbeitsalltag wenig praktikabel ist, können mehrere Assistenzsysteme pro Mitarbeiter nach Einschätzung von Kathrin de Blois auch nicht die Lösung sein: „Beim ständigen Wechseln ist der Aufwand größer als der Nutzen.“ Wenn die Exoskelette jedoch im Alltag leichter zu handeln und auch etwas günstiger wären, sieht die Unternehmerin darin auch für ihren Betrieb „ein Riesenpotenzial“.

Wunschdenken aus der Praxis oder realistische Zukunftsvision? Robert Weidner, Geschäftsführer der ebenfalls am Projekt des ZVSHK beteiligten ExoIQ GmbH in Hamburg und Professor für Fertigungstechnik an der Uni Innsbruck, kann sich für manche Arten von Exoskeletten durchaus eine Integration in die Arbeitskleidung vorstellen: „Die Lösungen werden immer schlanker und es wird auch bereits an textilen Stützsystemen gearbeitet, doch diese wirken natürlich anders als außen am Körper angebrachte Assistenzsysteme.“ Wichtigste Auf­gabe ist es aus seiner Sicht in der jetzigen Phase, die Akzeptanz bei den Mitarbeitern zu erhöhen: „Manche fühlen sich damit nicht wohl, weil sie vermeintlich als Schwächlinge angesehen werden, deshalb müssen wir vor allem den Coolnessfaktor erhöhen, dann steigt auch die Akzeptanz bei den Beschäftigten.“

Knackpunkt: Das Ego der männlichen Kollegen

Kilian Schramm kann die Einschätzung des Professors nach seinen Erfahrungen im Betriebsalltag nur bestätigen. „Die Mitarbeiter müssen mir ihrem Ego klarkommen und das Exoskelett auch tragen wollen, das ist wichtiger als wissenschaftliche Studien und Messwerte.“

Checkliste: Was Sie vor dem Einsatz prüfen müssen

Einfach kaufen, umschnallen und loslegen funktioniert bei Exoskeletten nicht. Die am Körper getragenen Assistenzsysteme müssen nicht nur individuell an den jeweiligen Träger angepasst werden, sondern sollten auch erst dann zum Einsatz kommen, wenn andere Schutzmaßnahmen nicht möglich oder ausreichend sind. Die Berufsgenossen­schaften empfehlen deshalb die folgende Vorgehensweise.

  • Schritt 1: Gefährdungsbeurteilung durchführen
    Um herauszufinden, bei welchen Tätigkeiten ein Exoskelett Ihre Mitarbeiter wirklich entlasten und unterstützen kann, müssen Sie zunächst im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung die physischen Belastungen an den einzelnen Arbeitsplätzen ermitteln und klären, inwieweit eine Unterstützung sinnvoll sein kann.
  • Schritt 2: Alternativen prüfen
    Überall dort, wo sich andere technische und organisatorische ergonomische Schutzmaßnahmen wie etwa elektrische Treppensteiger nicht realisieren lassen, kann der Einsatz von individuellen Unterstützungssystemen in Form von Exoskeletten sinnvoll sein. Informieren Sie die Mitarbeiter über die Vor- und Nachteile der Assistenzsysteme und beziehen Sie Ihr Team oder einen von den Mitarbeitern beauftragten Vertreter in die weiteren Schritte mit ein.
  • Schritt 3: Passende Produkte auswählen
    Inzwischen gibt es am Markt mehr als 100 Hersteller, die Lösungen für die unterschiedlichsten Anforderungen anbieten, einige davon sind meist auch auf den großen Branchenmessen im Handwerk vertreten. Prüfen Sie, welche Produkte am besten für Ihre Anforderungen geeignet erscheinen, und nehmen Sie Kontakt zum Hersteller auf.
  • Schritt 4: Praxistest planen und durchführen
    Vereinbaren Sie mit dem Hersteller einen Zeitraum, in dem interessierte Mitarbeiter nach einer detaillierten Einweisung die Möglichkeit haben, die Exoskelette im Betriebsalltag zu testen. Machen Sie klar, dass es nicht darum geht, körperliche Schwächen aufzudecken, sondern dass körperliche Entlastung und der langfristige Schutz der Gesundheit im Vordergrund stehen.
  • Schritt 5: Wirksamkeit prüfen
    Beobachten und dokumentieren Sie mithilfe des Herstellers genau, bei welchen Tätigkeiten die Exoskelette wirksam unterstützen und wo sie eventuell stören oder gar für neue Gefahrenquellen sorgen. Kritische Punkte sind dabei je nach System Schlaufen oder auch vom Körper abstehende Stangen.
  • Schritt 6: Produkte beschaffen
    Erstellen Sie für die infrage kommenden Einsatzbereiche – bei Bedarf mit Unterstützung der zuständigen Berufsgenossenschaft – ein betriebsinternes Pflichten- und Lastenheft, dessen Kriterien die Assistenz- und Unterstützungs­systeme erfüllen müssen. Fragen Sie, wer für welche Arbeiten ein solches System nutzen möchte und statten Sie die Mitarbeiter bei Bedarf mit individuellen Lösungen aus.