Interview mit Prof. Volker Quaschning Steigende Energiepreise: Jammern die Betriebe auf zu hohem Niveau?

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95 Prozent der Gasspeicher sind im Oktober gefüllt, die Gaspreisbremse soll Privatleute und Wirtschaft entlasten. Sind wir als Gesellschaft in der Lage, damit gut durch die Krise zu kommen? Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, sagt im Interview, wie Betriebe sich jetzt selbst helfen.

Energiepreisbremse: Beklagen sich Deutschlands Betriebe auf zu hohem Niveau?
Wer seinen Betrieb energieautark aufstellt, macht sich unabhängig von steigenden Energiepreisen. - © metamorworks - stock.adobe.com
Herr Professor Quaschning, beklagen wir uns in Deutschland angesichts steigender Energiepreise zu Unrecht?

Nun, wenn Sie in den Nachrichten hören, dass aktuell auf der Welt 800 Millionen Menschen Hunger leiden, dann haben viele bei uns immer noch Luxusprobleme. Wir haben in den letzten Jahrzehnten ein Energiesystem aufgebaut, bei dem wir in Deutschland 70 Prozent unseres Energiebedarfs importieren und damit die Erde in die Klimakatastrophe führen. Sich gutgläubig auf günstige Energieimporte zu verlassen und sämtliche Klimaschutzwarnungen zu ignorieren, hat uns in die jetzige Situation gebracht. Diese Herangehensweise war eine leichtfertige Wette. Die ist beispielsweise jeder eingegangen, der jüngst eine Gas- oder Ölheizung eingebaut hat, in der Hoffnung, die Preise würden dauerhaft niedrig bleiben. Diese Wette haben wir verloren. Insofern sind wir in Deutschland selbstverschuldet in der jetzigen Lage gelandet.

Wie bewerten Sie die Gaspreisbremse – das Hilfspaket über 200 Milliarden Euro – das nun Abhilfe schaffen soll?

Unser sozialstaatliches Prinzip, das nun ein 200 Milliarden-Hilfspaket auf den Weg bringt, wird dafür sorgen, dass es für den Einzelnen nicht zu teuer wird. Das ist mit Sicherheit richtig. Wirtschaftsgläubige in den USA würden in dieser Situation einfach nur sagen „Pech gehabt!“ Allerdings muss man auch sehen: Es handelt sich ja um Kredite, wir plündern damit das Sparbuch unserer Kinder. Ärgerlich ist mit Sicherheit, dass voraussichtlich Unternehmen und Menschen mit hohen Einkommen in den Genuss der Förderung kommen, die diese gar nicht nötig haben.

Sehen Sie sich aktuell in Ihren Thesen bestätigt? Sie propagieren die Energiewende, die jetzt auch politisch gefordert wird, nicht erst seit heute?

In der Tat reden wir seit über 30 Jahren darüber, dass wir den Klimawandel nur aufhalten, indem wir unsere Energiesysteme ändern. Ich selbst fahre E-Auto, das ich mit Strom aus meiner Photovoltaik-Anlage speise. Meine dreifach verglasten Fenster verhindern unter anderem Wärmeverluste in meinem Haus. Die Energiepreiskrise tangiert mich kaum. Man kann wirklich eine Menge tun, wenn man sich seine Verantwortung gegenüber künftigen Generationen vergegenwärtigt. Leider wurden wir mit unserem Engagement und der Befürwortung des Einsatzes regenerativer Energien in der Vergangenheit von vielen Menschen belächelt. Denn wer aktuell keine Probleme in den Energiepreisen sieht, weil er sich als Betrieb optimal aufgestellt hat, hat natürlich zunächst Geld in die Hand nehmen müssen, um sich unabhängig zu machen. Und dieser Preis war vielen bislang zu hoch. Diese Sichtweise ändert sich gerade. 

Aber viele Betriebe haben ja bereits investiert?

Das Bäckergewerbe gilt als das Paradebeispiel für Unternehmen, die durch zu hohe Energiepreise überfordert werden. Aber das muss nicht sein. Es gibt auch eine Bäckerei, die inzwischen alle benötigte Energie weitgehend mit Photovoltaik selbst herstellt. Sogar der Backbetrieb wurde an den Sonnenaufgang angepasst, um die Kraft der Sonne zu nutzen. Einfach toll! Viele Mittelständler besitzen eigene Gebäude. Das ist ein großer Vorteil, um Maßnahmen direkt umzusetzen und später von niedrigen Kosten zu profitieren, auch wenn man zunächst in die passenden Systeme investieren muss, was natürlich erst einmal Geld kostet. In der Mietwohnung ist man auf die Bereitschaft der Vermieter angewiesen, den Energieträger zu wechseln. Das ist ungleich schwerer. Man muss aber natürlich auch ganz klar sagen: Jetzt zu investieren, wo die Kassen leer sind, ist natürlich schwieriger. Und mancher Betrieb ist damit tatsächlich zu spät dran.

Bringt die Gaspreisbremse für die Wirtschaft die gewünschten Effekte oder sehen Sie, dass Betriebe darüber hinaus entlastet werden müssten?

Die Gaspreisbremse könnte sich als Bumerang entpuppen, dann nämlich, wenn das Sparverhalten gebremst wird und wir im März feststellen, dass unsere Speicher sich zu schnell geleert haben. Das Gießkannenprinzip ist an dieser Stelle tatsächlich ungünstig. Auch muss sich die Politik die Fragen gefallen lassen, warum Betriebe, die sich beispielhaft gut aufgestellt haben und ihren Energiebedarf nahezu vollständig aus Erneuerbaren bestreiten, für die Tatenlosigkeit der großen Mehrheit aufkommen müssen. Das ist ja auch eine wettbewerbsrechtliche Frage um nicht zu sagen Wettbewerbsverzerrung.

Wie meinen Sie das genau?

Wenn man es noch deutlicher sagen will: Warum müssen die Vorausschauenden, die belächelt wurden, jetzt mit Steuergeldern all ihre Spötter subventionieren? Eine zielgerichtete Unterstützung für Menschen und Betriebe, die tatsächlich Hilfe benötigen, wäre mit Sicherheit schlauer. Darüber hinaus muss man bedenken: Irgendwer muss die 200 Milliarden Euro, die jetzt in die Hand genommen werden, ja auch zurückzahlen.

Welche mittel- bis langfristigen Klimaschutz-Investitionen empfehlen Sie einem kleinen bis mittelgroßen Betrieb, um schnell Energie einzusparen?

Aufgrund der jahrzehntelang niedrigen Energiepreise haben wir uns alle einen recht laxen Umgang mit Energie angewöhnt. Ich empfehle aktuell erst einmal schnell umzusetzende Maßnahmen, mit denen sich oft 20 bis 30 Prozent Energie einsparen lassen. Selbst kleine Justierungen können große Wirkung zeigen. Nehmen Sie nur so banale Dinge wie die Heizung über das Wochenende runterzudrehen, oder Computer abends vom Stromnetz zu nehmen. Als nächstes müssen ineffiziente Geräte ersetzt werden, die Beleuchtung in den Betrieben muss auf den Prüfstand ebenso wie IT-Geräte. Dann geht man das Thema Wärme an. Bei der Heizung erzielen Wärmepumpen eine effiziente Energienutzung, Photovoltaikanlagen produzieren günstig Strom und es gibt inzwischen gute Speichersysteme. So können Betriebe den nicht sofort verbrauchten Strom gewissermaßen einlagern.

Ja, aber solche Investitionen kosten erst einmal. Das könnte schwierig werden, denn das Budget ist ja nach der Pandemie womöglich bescheiden. Das ist auch der Grund, warum viele Unternehmer zwar Sparkonzepte in den Schubladen haben, aber bisher nicht zur Umsetzung brachten. Wie argumentieren Sie?

Die steigenden Energiekosten tragen dazu bei, dass sich Kosten für energieeffiziente Anlagen schneller amortisieren. Keiner weiß, wie sich das Energiepreisniveau in Zukunft genau darstellt. Aber würden wir aktuelle Preise zugrunde legen, amortisiert sich eine Photovoltaikanlage durch eingesparte Kosten bereits in fünf Jahren. Schon bisher war die Investition mit einer Amortisation binnen acht, zehn oder zwölf Jahren ein gutes Geschäft - aber dennoch für die meisten nicht gut genug. Dafür bezahlen wir jetzt die Rechnung. Dabei ist so eine Photovoltaikanlage ein sicheres Modell, das uns für 20 bis 30 Jahre – wenn man ihre Lebensdauer bedenkt – sichere Preise garantiert. Diese Sicherheit war bisher in gewisser Weise nichts wert. Wer jetzt investiert, profitiert künftig von dieser Sicherheit.

Sind wir zu sehr fixiert auf Rendite?

Ach, wenn ich beispielsweise an die USA denke, es gibt Nationen, die sind noch stärker auf Rendite aus, als wir.

Und was raten Sie Unternehmern aktuell noch?

Wir müssen die Energiekrise als Chance begreifen. Wir kennen die Technologien, die uns dauerhaft von Energiekrisen befreien: klimaverträgliche erneuerbare Energien. Wenn Unternehmen jetzt diese Chancen erkennen und nutzen, werden sie nach der Krise besser aufgestellt sein als davor.

Vielen Dank für das Gespräch!

Unser Interviewpartner

© Janine Escher

Volker Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin

  • seit 2004 Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme, Sprecher für den Studiengang Regenerative Energien

  • 1999-2004 Projektleiter für solare Systemanalyse beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR Außenstelle Plataforma Solar de Almería, Spanien

  • 1996-2000 Habilitation an der Technische Universität TU Berlin zu Strukturen einer klimaverträglichen Energieversorgung

  • 1993-1996 Promotion an der Technische Universität TU Berlin zu Verschattungen von Photovoltaiksystemen

  • 1988-1993 Studium Dipl.-Ing. Elektrotechnik an der Universität KIT Karlsruhe