Energiekrise Energielieferverträge: Was zu tun ist, wenn alte Verträge auslaufen und die Ersatzversorgung bevorsteht

Zugehörige Themenseiten:
Energieberater und Stromeinkauf

In der aktuellen Mangellage auf den Energiemärkten verlängern Versorgungsunternehmen häufig die Lieferverträge nicht, wenn Verträge auslaufen. Betriebe sind dann auf teure Ersatzlieferungen angewiesen. Energieberater Dirk Bräu von der Handwerkskammer München-Oberbayern berät Handwerkschefs, wie sie mit der Situation am besten umgehen.

Ermittlung des Energieverbrauchs durch systematische Erfassung
Energieversorgungsverträge sollten Chefs aktuell nicht kündigen. - © j-mel - stock.adobe.com
Wie erleben Sie die aktuelle Energiekrise, sind die Anfragen von Betrieben in den letzten Wochen gestiegen?

Derzeit werden wir mit Anfragen überhäuft. Beratungsbedarf zu Maßnahmen zum Energieeinsparen hatten wir bereits vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs, jedoch hat sich die Dringlichkeit inzwischen deutlich erhöht. Handwerksbetriebe erleben aktuell eine große Unsicherheit. Dabei brauchen sie gerade in der jetzigen Zeit Planungssicherheit, wo immer das möglich ist. Wünschenswert wären hier seitens der Politik klare Aussagen.
 

Welche Fragen sind die häufigsten?

Die häufigste Frage ist, wer beliefert mich weiter, wenn mein aktueller Energieliefervertrag ausläuft. Viele mir bekannte Versorger geben bei Auslaufen eines Vertrags derzeit gar kein Angebot für weitere Energielieferungen ab. Ob die geplanten Entlastungen der Bundesregierung beim Gaspreis nun Umlage, Deckel oder Bremse genannt werden, ist zweitrangig. Entscheidend ist die schnelle Umsetzung sauber ausgearbeiteter Gesetze mit einer deutlichen Entlastung für die Handwerksbetriebe. Leider ist aber auch schon jetzt klar: Es wird auch mit der angekündigten Gaspreisbremse keine Planungssicherheit im Hinblick auf Wärmeenergie geben.

Wie geht es den Handwerksbetrieben in Bezug auf die Energiepreise?

Noch vergleichsweise glücklich können sich derzeit Betriebe mit längerfristigen Energielieferverträgen schätzen. Viele haben Lieferverträge über ein oder zwei Jahre, da kommt erst zum Laufzeitende die Kostenexplosion. Auf der anderen Seite stehen die Betriebe, deren Verträge eben ausgelaufen sind und die gar keine Angebote mehr erhalten. Sie sind auf sogenannte Ersatzlieferungen angewiesen, die den bisherigen Preis um ein Vielfaches übersteigen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Besonders Betriebe mit hohen Verbräuchen sind betroffen. Gerade habe ich ein Autohaus mit großen Verkaufsflächen beraten, da stieg der Preis je Kilowattstunde (kWh) Erdgas in der Ersatzversorgung von 2,67 Cent auf 28,72 Cent je kWh in der Ersatzversorgung. Und das bei einem Verbrauch von 450.000 kWh pro Jahr. Dadurch würde sich die Rechnung mehr als verzehnfachen. Hier ist dringend Handlungsbedarf geboten, einen günstigeren Gasanbieter zu finden, was bislang jedoch mangels Angeboten nicht gelang. Eine Alternativ wäre, einen Flüssiggastank auf dem Grundstück aufzustellen. Das ist mit einer Einmalzahlung von 600 Euro und 125 Euro jährlicher Miete sowie Gaskosten von 11,5 Cent pro kWh gar nicht so teuer, wie man vielleicht denken könnte. Nur sind solche Flüssiggastanks aktuell aufgrund der hohen Nachfrage kaum verfügbar. Und der Preis für Flüssiggas wird sicher auch weiter steigen.

Aber was heißt es für Unternehmer, keine Lieferverträge mehr zu haben?

Sie fallen in die sehr teure Ersatzversorgung. Das heißt, der Betrieb hat aktuell keinen laufenden Versorgungsvertrag mehr und ist auf Gas oder Strom des Grundversorgers, also des Energieversorgungsunternehmens vor Ort angewiesen, das das Einzugsgebiet zum überwiegenden Teil mit Energie beliefert. Große Gasverbraucher wie es auch Lackierbetriebe oder Brauereinen sind, erhalten aktuell kein Verlängerungsangebot, auch nicht als langjährige Kunden. Es gibt auch Angebote, den Einkauf über den Spotmarkt (Bezeichnung für kurzfristige Geschäfte innerhalb weniger Stunden und Tage) zu vermitteln. Das Problem: Unternehmer müssen sich etwa binnen weniger Stunden entscheiden, ob sie die Lieferung zum tagesaktuellen Preis möchten. Das ist eine völlig neue Herangehensweise, macht die Planung natürlich schwierig und führt zu großer Verunsicherung bei den Betrieben. 

Raten Sie den Betrieben dazu, den Energieversorger proaktiv aufzufordern, eventuell die Abschlagszahlungen vorausschauend zu erhöhen? Oder Verträge sogar zu kündigen?

Hier müssen die laufenden Verträge genau betrachtet werden. In der Regel führt ein Versorgerwechsel nach Kündigung zu einem deutlichen Preisanstieg. Wurden die Abschlagszahlungen seitens des Versorgers noch nicht angepasst, sollten auf jeden Fall Rücklagen für entsprechende Nachforderungen gebildet werden.

Müssen Verträge generell auf den Prüfstand? Hat man etwa als Chef Verhandlungsoptionen mit dem Versorger? Oder lohnt sich sogar ein Wechsel des Anbieters?

Die Zeiten, in denen man als langjähriger Kunde mit seinem Versorger verhandeln konnte, sind nach meinem Kenntnisstand vorbei. Derzeit gilt es, das am wenigsten schlechte Angebot zu finden, so hart das auch klingt. Die Großhandelspreise schwanken stark auf sehr hohem Niveau. Von einem überhasteten Wechsel des Anbieters kann ich daher nur abraten. Die Preisbindung des neuen Anbieters beträgt oft nur wenige Stunden und orientiert sich am Großhandelspreis. Eine zuverlässige Kalkulation ist hier nicht möglich.

Welche Sparpotenziale können Handwerksbetriebe in der aktuellen Situation nutzen und an welchen Stellen gibt es womöglich sogar unterschätzte Sparoptionen?

Bereits bezahlte Energie sollte so effektiv wie möglich genutzt werden. An oberster Stelle steht die Wärmerückgewinnung, die Vermeidung von Wärmeverlusten sowie der weitere Ausbau von erneuerbaren Energien.

Das hieße aber, der Betrieb müsste Geld in die Hand nehmen, um im Nachgang zu sparen?

Aktuell ändert sich die Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen massiv, was das Angehen energetischer Maßnahmen attraktiver macht. Aufgrund der vergleichsweise niedrigen Energiepreise haben sich viele Optimierungen in der Vergangenheit kaum gelohnt. Jetzt haben wir völlig andere Ausgangsbedingungen. Der Einbau einer Wärmepumpe amortisiert sich jetzt schneller und hilft dabei, langfristig Energiekosten einzusparen. Fachleute gehen ja davon aus, dass das Preisniveau auch in Zukunft hoch bleiben wird.

Aber sollen Betriebe jetzt ihr Energiekonzept komplett in Frage stellen und neu ausrichten? Kennen Sie Beispielfälle, die das gerade in Erwägung ziehen oder bereits in Erwägung gezogen haben – in einer Klimakrise befinden wir uns ja schon länger?

Energiekonzepte liegen bei vielen Betrieben schon länger in den Schubladen. Aus diversen, oft auch gut nachvollziehbaren Gründen, kam es bisher nicht zur Umsetzung. Aktuell melden sich unter anderem Unternehmer, die ich vor fünf Jahren beraten habe. Sie möchten jetzt die empfohlenen Maßnahmen angehen. Auf jeden Fall wäre es der richtige Zeitpunkt, wobei inzwischen dem Wärmebereich deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. 

Ermittlung des Energieverbrauchs durch systematische Erfassung

Energieberater Dirk Bräu empfiehlt: „Mit dem kostenlosen Energie-Tool der Mittelstandsinitiative Energiewende lassen sich Energiedaten sehr einfach erfassen. Umfangreiche Auswertungsmöglichkeiten stellen übersichtlich Emissionen dar und bilden eine gute Grundlage für weitere Entscheidungen. Diese Daten sind auch für tiefergehende Energieberatung wertvoll. Gegebenenfalls sind hierfür weitere Messeinrichtungen (Gaszähler) notwendig.“ Und er fügt hinzu: „Da alle Maßnahmen ineinander greifen und auch die zeitliche Abfolge der Umsetzung relevant ist, ist teilweise auch eine umfassendere geförderte Energieberatung ratsam. Der Berater begleitet den Unternehmer hier über mehrere Tage, ehe er eine Empfehlung abgibt. Damit erhalten Chefs einen langfristigen und detaillierten Überblick über mögliche Sanierungsmaßnahmen und deren Einsparpotenzial mit den entsprechenden Berechnungen.“ Ob und in welchem Umfang weitergehende Beratungen empfehlenswert sind, stellt sich häufig erst bei einer Betriebsbesichtigung heraus. Energieberater für weiterführende Beratungen finden Sie unter: energie-effizienz-experten.de

Nun hört man aber, dass SHK-Handwerker ausgebucht, Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen kaum lieferbar sind. Wie gehen Unternehmer damit um?

Betriebe sollten sich nicht davon abhalten lassen, ihre Vorhaben voranzutreiben. Energetische Maßnahmen bedurften immer eines gewissen Vorlaufs, die Projektierung dauert nun einmal. Jetzt muss man eben etwas mehr Geduld aufbringen. Nichts zu tun oder abzuwarten, dass die Energiepreise wieder auf Vorkriegsniveau sinken, ist die schlechteste Lösung.

Wie schätzen Sie diesbezüglich staatliche Förderungen ein – ausreichend oder verbesserungswürdig?

Es gibt gute Förderprogramme seitens Land und Staat, allerdings ist die Beantragung und Abwicklung ausbaufähig. Für die Betriebe ist eine einfache Beantragung mit Unterstützung von Fachleuten und die schnelle Auszahlung von Fördermitteln wichtig. Aufgrund massiv gestiegener Investitionskosten sollte auch über eine Anhebung der Fördersätze nachgedacht werden.

Die Betriebe sind womöglich klamm, macht es da Sinn, an grundsätzlichen Stellschrauben zu drehen und zusätzlich Geld in die Hand zu nehmen? Oder kümmert man sich aktuell lieber darum, unbeschadet durch den Winter zu kommen?

Es gibt Investitionen, die sich innerhalb weniger Monate rechnen können, andere geht man lieber langfristig an (siehe Kasten unten). Zu kurzfristigen Lösungen zählt etwa der Ersatz energieintensiver Leuchtmittel durch LED. Ich denke da zum Beispiel an Optikerbetriebe, die ihre Schauflächen mit Halogenlampen ausleuchten. Schaltet man LED-Lampen intelligent, kann der Betrieb mit sehr geringem Aufwand eine Menge Energie einsparen. Aber auch die Investition in eine Photovoltaikanlage zur Erzeugung selbstgenutzten Stroms rechnet sich in der Regel innerhalb von zehn Jahren, bei weiter steigenden Strompreisen sogar schneller. Das rechtfertigt auch die Finanzierung mit Fremdkapital. Auch für die Heiztechnik gilt: teils kleine, kostengünstige Maßnahmen wie der hydraulische Abgleich zeigen große Wirkung. Die Möglichkeiten sind dabei so individuell wie die Betriebe, die wir beraten.

Was kann perspektivisch Lösungen schaffen?

Vor allem die Gemeinden sind gefragt, damit Betriebe überschüssige Wärme loswerden können. Natürlich ist eine Bäckerei kein Energielieferant, da eine Wärmelieferung nicht durchgehend gewährleistet ist. Aber der Bäcker könnte etwa Wärme ins Fernwärmenetz einspeisen, oder für die Warmwasserbereitung zur Verfügung stellen. Dafür braucht es technische Vorrichtungen und Wärmelieferverträge. Bisher scheiterte dies an Technik- und Administrationskosten. Aber das könnte sich in Zeiten hoher Energiepreise jetzt ändern.

Als Berater der Handwerkskammer sind Sie vor Ort bei den Betrieben. Wie genau unterstützen Sie?

Als Energieberater zeige ich Handwerksbetrieben vor Ort Möglichkeiten zur Energieeinsparung auf. Dabei sind teilweise beim Firmenrundgang schon Einsparpotentiale ersichtlich; durch den Einsatz von Messgeräten können weitere Maßnahmen ermittelt werden. Auch weise ich auf die passenden Fördermöglichkeiten zur Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen hin. Meine Beratung ist für unsere Mitglieder über den Kammerbeitrag abgedeckt.

Maßnahmen zur Energieeinsparung

kurzfristig

  • Umstellung der Beleuchtung auf LED sowie der Einsatz von Helligkeits-, Präsenz- und Bewegungsmeldern
  • Überprüfung und Abdichtung von Leckagen im Druckluftsystem
  • Ersatz ungeregelter Umwälzpumpen (BAFA-gefördert)
  • Erweiterung von volatilen Verbräuchen (Lackierkammer, Kompressor, Wärmeübergabestationen) durch Messtechnik zur Ermittlung des Energieverbrauchs
  • Optimale Auslastung der energieintensiven Anlagen
  • Auswertung des Stromlastgangs

mittelfristig

  • Installation einer Photovoltaik-Anlage zur vorrangigen Nutzung im Eigenverbrauch
  • Umstellung der Heizung auf Wärmepumpe (kombiniert mit PV-Strom und großzügig dimensionierten Pufferspeichern)
  • Nutzung von Abwärme
  • Wärmerückgewinnung der Abluft
  • Reduzierung druckluftbetriebener Geräte
  • Absenkung des Druckniveaus auf ein Minimum
  • Reduzierung von Wärmebrücken

langfristig

  • Energetische Verbesserung der Gebäudehülle
  • Umstellung auf nicht-fossile Energieträger (Hackschnitzel etc.)
  • Einbindung der Elektromobilität als Kurzzeitstromspeicher
  • Umstellung des Betriebs auf CO2-Neutralität

Der Experte

Dirk Bräu ist Energieberater und Beauftragter für Innovation und Technologie (BIT) der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Er berät unter anderem zu den Themen Solarthermie, Photovoltaik, Beleuchtung, Blockheizkraftwerke, EEG, Technologie und Innovation sowie Wärmerückgewinnung.