Ausbildungsstart 2023 Ausbildung: So motivieren Sie Azubis mit digitalen Tools und E-Learning

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Darf Lernen Spaß machen? Ja, unbedingt! Mit E-Learning und digitaler Kommunikation können Handwerkschefs Inhalte smarter und individueller vermitteln – und die Azubis deutlich motivieren. Sogar lästige Pflichten wie das Führen des Berichtshefts werden aufgewertet. Warum sich der Umstieg auch im laufenden Ausbildungsjahr lohnt und welche digitalen Tools den Spaßfaktor in der Ausbildung erhöhen.

Max Oevermann, Ausbildungsleiter bei Diekmann Elektrotechnik in Damme, mit den Azubis Oliver Koop und Nicolas Schmiesing (von links).
Max Oevermann, Ausbildungsleiter bei Diekmann Elektrotechnik in Damme, mit den Azubis Oliver Koop und Nicolas Schmiesing (von links). - © Markus Hauschild

Verbrannt, verloren, Drucker kaputt oder PDF defekt – es gibt nahezu keine Aus­rede, die Max Oevermann im Zusammenhang mit dem Berichtsheft noch nicht gehört hat: „Da meine Ausbildung erst wenige Jahre zurückliegt, kann mir bei dem Thema keiner was erzählen“, erklärt der Ausbildungsleiter von Diekmann Elektrotechnik in Damme.

Mit seinen erst 22 Jahren ist der gelernte Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik im Familienbetrieb mit 110 Mitarbeitern für die Aus- und Weiter­bildung der Azubis und Gesellen zuständig. Als seine eigene Fachkarriere durch einen Arbeitsunfall gestoppt wurde, bot ihm Firmenchef Thorsten Diekmann 2020 den Job als Ausbildungsleiter an. Der damals 20-Jährige nahm an – und kümmert sich seitdem Vollzeit auch um die Belange der insgesamt 24 Azubis.

Diktieren statt aufschreiben

Obwohl der Betrieb schon seit langer Zeit ein hybrides Modell mit PDF-Vorlage nutzt, ist das Berichtsheft nach seiner Erfahrung „schon immer das letzte Thema bei den Auszubildenden“. Entsprechend fantasievoll sind auch die Ausreden, wenn ein Azubi beim Eintragen der Arbeitsinhalte mal wieder hinterherhinkt. Da Oevermann durchaus nachvollziehen kann, dass es spannendere Arbeiten als das Berichtsheft gibt, findet er es prima, dass der komplette Ausbildungsjahrgang 2021 die von der Kreishandwerkerschaft Vechta gemeinsam mit den Innungs­betrieben entwickelte digitale Version des Berichtshefts nutzt: „Da kann der Azubi auf der Fahrt zur Baustelle reintippen oder diktieren und die Arbeitsinhalte zeitnah erfassen.“

Digitales Berichtsheft ist wichtiger Imagefaktor für das Elektrohandwerk

Für ihn als Ausbilder hat das digitale Berichtsheft den Vorteil, dass er nicht mehr jeden Monat einen Stapel Papier durch­sehen und abstempeln muss, zudem lässt sich der Job prima aus dem Homeoffice erledigen. Darüber hinaus kann er besser nachvollziehen, inwieweit sich die Arbeitsinhalte des Azubis mit dem Lehrplan decken und welche Themen in der ­Berufsschule behandelt werden.

Neben den praktischen Vorteilen ist das digitale Berichtsheft für Max Oevermann auch ein wichtiger Imagefaktor für die gesamte Branche: „Das Elektrohandwerk verantwortet viele neue Technologien, da passt es nicht, wenn wir noch länger dicke Berichtsheft-Stapel von A nach B tragen.“

Digitales Berichtsheft: Vorteile für Betrieb und Azubi

Für die Azubis ist es lästig und uncool, für die Ausbilder eine ständige Quelle des Ärgers. Klar, um die Dokumentation der Ausbildungsinhalte kommt keine Generation herum. Doch das Führen (Azubi) und Kümmern (Ausbildungsleiter) kann auch Spaß machen und dabei helfen, die Qualität der Ausbildung nachhaltig zu verbessern.

  1. Weniger Frust: Da kann die Arbeit noch so spannend und interessant gewesen sein, für viele Azubis gibt es schlicht nichts Langweiligeres, als das Getane danach umständlich aufzuschreiben. Da leidet nicht nur die Motivation, sondern auch die Handschrift, der spätere Ärger mit dem Ausbildungsleiter ist so oft vorprogrammiert. Bei der Digitalvariante lassen sich die Inhalte nicht nur aufsprechen und bearbeiten, sondern auch mit Bildern und/oder Videos ergänzen. So macht das Erstellen viel mehr Spaß, noch dazu sind die Medien bester Social-Media-Stoff für die Azubi-Netzwerke.

  2. Konstruktiveres Feedback: Lob, Tadel, Anregungen, Tipps, Nachfragen und Verbesserungsvorschläge müssen nicht mehr mühevoll irgendwo an den Rand geschrieben oder langatmig beim Besprechen des Berichtshefts abgearbeitet werden, sondern lassen sich vom Ausbilder jederzeit und zeitnah anbringen. Das verbessert die Qualität des Feedbacks und hilft beiden Seiten, Missverständnisse durch eine mangelhafte Kommunikation zu vermeiden.

  3. Lernlücken schneller erkennen: Hat der Azubi wirklich alle für sein Lehrjahr wichtigen Arbeitsinhalte in der Praxis schon einmal kennengelernt? Da Betriebspraxis und Ausbildungsrahmenplan oft auseinanderklaffen, lassen sich etwaige Lernlücken durch den (automatischen) Abgleich zwischen Erlerntem und Lehrplan schnell erkennen und ausmerzen.

  4. Effizientere Organisation: Je nach gewählter Lösung haben nicht nur Azubis und Ausbildungsleiter Zugriff auf das Berichtsheft, sondern auch Berufsschullehrer und die Ausbilder der überbetrieblichen Lehrlings­unterweisung (ÜLU). Das verbessert die Kommunikation und bringt alle Beteiligten auf den gleichen Informationsstand. Zudem lassen sich Anleitungen, Tests oder Berichtsvorlagen hochladen und weiterverwenden. Zusatzplus für Ausbilder: Sie können die Berichtshefte ihrer Azubis zeit- und ortsunabhängig auch im Homeoffice prüfen!

  5. Kein Stress vor der Prüfung: Wird das Berichtsheft unzureichend oder nur sehr schlampig geführt, fällt das in der Praxis oft erst so richtig vor den Prüfungen auf. Die meisten digitalen Varianten haben eine Erinnerungsfunktion und melden, wenn Inhalte fehlen oder nicht freigegeben wurden. Weiterer Pluspunkt ist das digitale Übermitteln – meist als PDF – an die zuständige Prüfungskommission. Geht zwar noch nicht immer und überall, setzt sich aber zunehmend durch.

Eine Einstellung, die nach Erfahrung von Marcus Nacke, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft (KHW) Vechta, längst nicht überall im Handwerk angekommen ist. „Bisher wurde das digitale Berichtsheft eher in der Industrie und von größeren Betrieben genutzt. Um das zu ändern, haben wir gemeinsam mit allen Innungsbetrieben eine branchenübergreifende Lösung für das Handwerk entwickelt.“ Seit August 2021 ist die neue Lösung bereits am Start und inzwischen ist es gelungen, dass alle Innungsbetriebe im Kammerbezirk die digitale Variante nutzen. Das liegt zum einen an der Übereinkunft von Betrieben und Kreishandwerkerschaft, nach der die Berichtshefte für die Prüfungen nur noch digital eingereicht werden können. Andererseits bietet die Digitalversion auch einen Kostenvorteil: „In Vechta übernimmt die Innung die Kosten für die Mitgliedsbetriebe, die analogen Berichtsheft-Ordner musste früher jeder Betrieb selbst bezahlen“, erklärt KHW-Geschäftsführer Nacke. Insofern hätten sich nur wenige Betriebe gemeldet, die Probleme mit der Umstellung hatten, diese konnten jedoch alle zeitnah beseitigt werden.

Spaß als Wettbewerbsfaktor

Laut Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bieten aktuell nicht einmal die Hälfte der Betriebe ihren Auszubildenden die Chance, das wenig beliebte Berichtsheft digital führen zu können. Da diese Quote im Handwerk nach Einschätzung der IW-Experten noch deutlich niedriger ausfallen dürfte, kann die Umstellung nicht nur einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ausbildungsbetrieben darstellen, sondern auch zum Bleiben der Azubis beitragen. Schließlich brechen laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) immer noch knapp 30 Prozent der Azubis im Handwerk ihre Ausbildung während der Probezeit ab.

Wer für seine Azubis den Spaßfaktor beim Führen des Berichtshefts erhöhen will, kann sich neben der Variante der KHW Vechta auch die öffentlich geförderte Web-Anwendung BloK (online-ausbildungsnachweis.de) ansehen. Deren Nutzung ist für Ausbildungsbetriebe kostenfrei, sofern das Tool über eine Kammer, Innung oder den Fachverband zur Verfügung gestellt wird. Darüber hinaus gibt es viele Branchenlösungen von den Augenoptikern über die Dachdecker bis hin zu den Zimmerern. Diese Lösungen sind teils auch für Innungsmitglieder kostenpflichtig, bieten dafür aber tolle Features bis hin zur Wissensdatenbank.

Digitales Lernen beim Bäcker

Also einfach die passende Lösung suchen und schon passt es mit der Digitalisierung der Ausbildung? Auf keinen Fall. Schließlich offenbart die IW-Studie in vielen Bereichen noch deutlich Luft nach oben. So nutzen gerade einmal 40 Prozent der Betriebe digitale Arbeitsmittel zum Lernen, Lernplattformen werden sogar nur von jedem vierten Betrieb in der Ausbildung eingesetzt. Dazu gehört auch Essmann‘s Backstube im westfälischen Altenberge. Im Bäckereibetrieb mit 70 Filialen und knapp 800 Mitarbeitern starten jährlich 40 Azubis ins Berufsleben.

Um das Detailwissen zu vermitteln, hatte die Bäckerei früher Handbücher als Lernmaterial bereitgestellt. „Allein die Bedienungsanleitung für die Kaffeemaschine umfasst 80 DIN-A4-Seiten“, erklärt Marek Helfer, der das Controlling des Familienbetriebs leitet. Solche Umfänge lassen sich nicht im Handumdrehen bewältigen, geschweige denn auswendig lernen. Mittlerweile hat Helfer das Betriebswissen von bedrucktem Papier auf Apps mit kurzen Texten und animierten Videos umgestellt. Seit Sommer 2021 gibt es dazu in der Pilotfiliale in Altenberge Tablets für das Team: „Neue Mitarbeiter und Azubis können sich mit den digitalen Lernprogrammen leichter einarbeiten“, freut sich Helfer.

Eine Minute Film statt 80 Seiten

Für das Projekt, das zudem die interne Mitarbeiter-Kommunikation umfasst, holte sich der Controller Unterstützung beim IT-Dienstleister Soti. Im weiteren Prozess befüllte Helfer gemeinsam mit den Ausbildungsleitern der Filialen die digitalen Applikationen mit eigenen Inhalten. Statt in zäher Lektüre lernen die Azubis nun im selbst produzierten Kurzfilm in einer Minute, wie sich die Kaffeemaschine bedienen lässt. „Unsere Azubis freuen sich alle riesig über diesen technischen Fortschritt“, sagt Helfer.

Produktiver arbeiten und sparen

Um vor allem den Ausbildern in Klein­betrieben Technikwissen und Ideen zu vermitteln, wie sie die Lehrjahre ihrer Azubis digitaler gestalten können, hat das BiBB im Mai 2022 den MIKA-Campus online gestellt. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte und von Handwerkskammern erprobte Lernplattform soll Ausbildern in 60 Stunden den Umgang und den Einsatz von kostenfreien Tools (siehe Download) in der Ausbildung vermitteln. „Mit Erklärvideos zu lernen oder im Quiz erworbenes Wissen zu wiederholen macht den digitalaffinen Auszubildenden viel Spaß“, sagt Natalie Deininger, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BiBB.

Marek Helfer kann diese Erfahrung nur bestätigen und will schon bald weitere Filialen mit der digitalen Technik ausstatten. Die Kosten dafür beziffern sich zwar auf einen sechsstelligen Betrag, doch die Investition zahlt sich auf jeden Fall aus: „Die Ausgaben kommen an vielen Stellen sofort wieder rein, weil beispielsweise Papier wegfällt und die Produktivität massiv ansteigt.“