Fahrzeugtest Mercedes Benz eCitan: Solider Elektro-Lieferwagen lässt sich seinen Stern gut bezahlen

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Der Mercedes-Benz eCitan komplettiert das Elektro-Trio der Transporter mit Stern. Doch wie schlägt sich der Schwabe mit günstigerer französischer Verwandtschaft im Test?

Feuriger Auftritt: Mercedes-Benz eCitan als Fotomodell in Loranditrot.
Feuriger Auftritt: Mercedes-Benz eCitan als Fotomodell in Loranditrot. - © Randolf Unruh

Lorándit ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der Sulfide und Sulfosalze, weiß das Internetlexikon Wikipedia. Dort heißt es auch, dass frische Proben von Lorándit von scharlachroter Farbe mit metallischem Glanz sind. Was dies mit unserem Testwagen, einem Mercedes-Benz eCitan, zu tun hat? Nun, er fährt hier im leuch­tenden Lack namens Loranditrot vor.

Auch beim eCitan handelt es sich um eine frische Probe – die erste ­Generation musste ohne Stromer auskommen. Jetzt startet der Schwabe für all jene, die statt eines weitgehend identischen Renault einen E-Lieferwagen mit Stern bevorzugen. Weil er besser in den vorhandenen Fuhrpark passt, die Werkstatt näher liegt, ein sympathisches Angebot lockt oder mercedestypische Eigenschaften gefragt sind.

Diese bestehen zunächst in einem eigenständigen Design der tiefen Nase und der Scheinwerfer. Die Verwandtschaft zu A- und B-Klasse ist unverkennbar. Weniger markant sind die dezente Rückenfalte, der Stoßfänger hinten und die Grafik der Rückleuchten, geschenkt. Augenfällig: die sogenannten Design­räder. Was nach Alu aussieht, besteht aus günstigerem Stahl – Alus kann man sich daher sparen. Schließlich ist ein eCitan mit netto mindestens 36.220 Euro (Variante Pro: 38.713 Euro) teuer genug. Schmerzhaft im Vergleich zum Einstiegs-Citan als Benziner. Und knapp sieben Prozent teurer als der technisch identische ­Renault Kangoo Rapid E-Tech.

Heimeliges Gefühl

Dafür fühlen sich Sympathisanten des Sterns sofort zu Hause. Runde Luft­düsen in Jet-Optik, klassische analoge Instrumente inklusive Mittendisplay à la Sprinter, die gewöhnungsbedürftige Klaviatur des Multifunktionslenkrads, die Bedienfelder links und in der Mittelkonsole, der altbekannte Ingenieurs­hebel für Blinker, Fernlicht und sämt­liche Scheibenwischer, der Wählhebel in der Mittelkonsole – Mercedes pur. Alles eingepackt in vergleichsweise hochwertige und gut verarbeitete Materialien. Auch MBUX steckt im eCitan und gehorcht aufs Wort – nun ja, meistens. Der Monitor in Cockpitmitte ist von überschaubarer Größe und die Kartendarstellung der Navigation unübersichtlich. Also: „Hey Mercedes, Navigation mit Sprachausgabe“ – na also, schon besser.

Gemeinsamkeiten mit dem Zwillingsmodell? Bequeme Sitze, wenn auch etwas kurz und mit knapper Längsverstellung, die Mittelkonsole mitsamt dem klotzigen Ablagekasten und die großen Außenspiegel. Das Thema Sicht verdient genauere Betrachtung. Die nach unten breit auslaufenden A-Säulen behindern den Blick nach schräg vorn. Nach hinten steht der sehr breite Steg zwischen den beiden Fenstern in der Kunststoff-Trennwand zum Laderaum im Weg. Schön wäre es, gäb’s einen digitalen Innenspiegel wie beim französischen Kompagnon oder im größeren Vito. Pustekuchen. Dabei ist der erste Schritt schon absolviert: Bei Vorwärtsfahrt lässt sich die Rückfahrkamera zuschalten. Allerdings wird der Bildschirm ab 30 km/h wieder dunkel – Sicherheitsgründe meldet ein Text.

Also, Test des Parkassistenten. Er sucht und findet die Lücke, lenkt rückwärts hinein. Angesichts des Abstands zum Bordstein runzelt der Fahrer allerdings die Stirn. Und lässt den Stromer danach automatisch nach vorne ausparken.

Rasanter Stromer

Zurück zu handfesten Themen. Unter der Haube steckt ein fremderregter Synchronmotor, der 90 kW/122 PS mobilisiert. Was das heißt, wird beim Tritt aufs Fahrpedal deutlich: Rasant fegt der Testwagen aus den Startlöchern. Kennt auch bei der Zwischenbeschleunigung kein Halten. Fährt seinen Verbrennerkollegen mühelos um die Ohren. Um dann bei 132 Sachen sanft abzuregeln.

Eine gewisse Sanftheit zählt ohnehin zu den Grundzügen des neuen eCitan. Er fährt selbst für einen Elek­triker leise, kennt kein Pfeifen oder Singen. Bereits leer benimmt sich das Fahrwerk ausgesprochen zivilisiert. Beladen legt der Komfort noch zu, ohne dass der 4,49-Meter-Stromer erweichlicht. Allenfalls wippt und nickt er ein wenig um die Querachse. Zwar verträgt der eCitan klaglos hohe Kurvengeschwindigkeiten, doch er lädt eher zu gelassener Fahrweise ein.

Zurückhaltender Zeitgenosse

Dies kommt dem Stromverbrauch zugute. Laut WLTP-Norm schluckt die getestete Variante im Schnitt 18,9 kWh. Voll ausgeladen unterbot der eCitan diesen Wert mit 18,0 kWh auf der anspruchsvollen Teststrecke – Heizung und Klimaanlage abgeschaltet, versteht sich. Mit Extremwerten von nur 12,0 kWh auf der Kurzstrecke und 28 kWh in vollem Galopp. In der Regel landet er zwischen etwa 15 und knapp über 20 kWh. Der zentrale Monitor präsentiert den Stromkonsum auf Wunsch detailliert. Wer seinem Temperament nicht traut, drückt auf die Eco-Taste. Das reduziert die Leistung auf 60 kW/82 PS und auch das Maximaltempo. Zusätzlich lässt sich mit dem Wählhebel die Rekuperation einstellen, vom Segel­modus bis zur Einpedal-Fahrweise. Die Normalstellung in Fahrstufe „D“ bremst indes kräftig genug.

Aus all dem resultiert angesichts einer nutzbaren Batteriekapazität von 45 kWh eine Alltagsreichweite von rund 250 Kilometern. Serienmäßig lädt der eCitan mit 11 kW an der Wallbox, Auf Wunsch schluckt er mit 22 kW. Schnellladen bedeutet maximal 80 kW. Wobei das Ladetempo schon nach halber Strecke sehr deutlich und nach etwa dreiviertel gefüllter Batterie stark nachlässt. Für das Ladekabel ist kein Platz vorgesehen, also wird es im Beifahrer-Fußraum mit Füßen getreten oder fliegt im Laderaum herum.

Kräftige Zugmaschine

Das Batteriepaket des eCitan wiegt schwer, daher durfte der Testwagen nur eine halbe Tonne Fracht schleppen, inklusive Fahrer wohlgemerkt. Wer mehr transportieren will, muss zur Lang-Ausführung greifen. Oder zum Anhänger, denn der eCitan darf erstaunliche 1,5 Tonnen ziehen. Zum Vergleich: Der bisherige eSprinter kennt den Begriff Anhängelast nicht einmal.

Hinter den Blechwänden verbirgt sich ein Laderaum von 2,5 Kubikmetern. Realistisch gerechnet, das schafft nicht jeder Hersteller. Das Heckportal misst in der Breite 1.260 Millimeter, der Abstand zwischen den Radkästen 1.250 Millimeter. Gutwillige Staplerfahrer zirkeln eine Europalette also quer hinein. Obacht: Das Portal verjüngt sich nach oben.

Und Lorándit? Mit der Zeit läuft das Material häufig bleigrau an, so der Wikipedia-Hinweis. Gehen wir davon aus, dass dem roten eCitan dieses Schicksal erspart bleibt.

Mercedes-Benz eCitan

  • Abmessungen (L/B/H): 4.498/1.856/1.820 mm
  • Radstand: 2.716 mm
  • Wendekreis: 11.750 mm
  • Laderaum (L/B/H): 1.810/1.520/1.260 mm
  • Breite zw. den Radkästen: 1.248 mm
  • Ladekapazität: 2,52 m³
  • Leergewicht Testwagen: 1.730 kg
  • Nutzlast: 500 kg
  • Zulässiges Gesamtgewicht: 2.230 kg
  • Anhängelast bei 12 % Steigung: 1.450 kg
  • Zul. Zuggesamtgewicht: 3.500 kg
  • Batterie: Lithium-Ionen, netto 45 kWh
  • Aufladung: Wallbox 11 kW, optional Ladestation 22 kW, Schnellladung max. 80 kW
  • Motor: E-Motor vorn
  • Leistung: 90 kW/122 PS
  • Drehmoment: 245 Nm
  • Getriebe: Einganggetriebe, feste Übersetzung
  • Antrieb: auf die Vorderachse
  • Höchstgeschwindigkeit 132 km/h
  • Verbrauch (WLTP): 18,9 kWh/100 km
  • CO2-Emission: 0 g/km kombiniert
  • Verbrauch Teststrecke belad.: 18,0 kWh/100 km
  • Testverbrauch beladen: min./max. 12,0–28,0 kWh/100 km
  • Grundpreis (exkl. MwSt.): 36.220 Euro