Mobilität in der City Lastenrad-Einsatz im Handwerk: Ohne Führerschein voll bepackt und schnell am Ziel

Zugehörige Themenseiten:
Elektromobilität, Fuhrpark, Lastenräder und Nachhaltigkeit

Die Flotte vieler Handwerksbetriebe kann sich sehen lassen, oft reiht sich ein Transporter an den anderen. Doch es geht auch anders: Schreiner Dirk Schmidt und Steinmetz Heinz Blaschke sind stattdessen immer öfter auf dem Lastenrad unterwegs.

Schreinermeister Dirk Schmidt aus Düsseldorf
Schreinermeister Dirk Schmidt aus Düsseldorf setzt seit dem Jahr 2014 aufs Lastenrad – für die Mobilität in der City. - © Markus J. Feger

Ein Kunde ruft an. Sein Schloss ist kaputt und muss ausgetauscht werden – kein Problem, ein Standard-Job für Schreiner wie Dirk Schmidt. Die Schwierigkeit ist eine andere: Der Kunde befindet sich zwar nur wenige Kilometer von Schmidts Holzatelier im Düsseldorfer Ortsteil Flingern entfernt, das Haus liegt aber mitten in der Innenstadt. Parkplätze gibt es also nur wenige. Mit einem großen Transporter dort spontan einen zu finden, das würde schon an ein kleines Wunder grenzen.

Aber Schmidt hat eine Idee. Er schnappt sich das neue Schloss und entsprechendes Werkzeug, packt alles in seine Satteltasche und schwingt sich aufs Fahrrad. Und dieser Einsatz klappt so reibungslos, dass Schmidt zunächst überlegt, wie er für künftige Aufträge einen Werkzeugkoffer am Fahrrad montieren kann. Dann schießt ihm der Gedanke an ein Lastenrad durch den Kopf – also ein Fahrrad, das mit einer Ladefläche daherkommt. Sein Entschluss steht fest: 2014 wird das erste Lastenrad geliefert, mittlerweile stehen schon drei Lastenräder im Hof der Schreinerei.

Immer beliebter

Damit liegt Schmidt voll im Trend: Denn die Transporträder werden immer beliebter, die Verkaufszahlen sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Allein im Jahr 2021 wurden in Deutschland 167.000 Lastenräder verkauft, das sind 62 Prozent mehr als noch im Vorjahr, meldet der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Längst ist der Trend im Handwerk angekommen, das sieht auch Johannes Gruber so. Er leitet beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Projekte und Studien zum Thema Lastenrad. An der ersten groß angelegten Studie „Ich entlaste Städte“ aus dem Jahr 2021 nahmen 755 Personen teil. Zwölf Prozent der Teilnehmenden stammten aus dem ver­arbeitenden Gewerbe, elf Prozent aus dem Baugewerbe. Nach dem Test kaufte rund ein Drittel der Studien­teilnehmer ein Lastenrad. Viele bemängelten im Test aber, dass die Transportmöglichkeiten auf dem Rad nicht perfekt auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnitten waren.

MITMACHEN: An der zweiten Testreihe teilnehmen

Wer bereits plant, seinen Fuhrpark auf emissionsfreie Fahrzeuge umzustellen, und dabei ebenfalls auf E-Lastenräder oder leichte E-Nutzfahrzeuge setzen möchte, kann sich beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für die zweite Testreihe des Projekts „Ich entlaste Städte“ bewerben.

Der Test geht ein Jahr und richtet sich explizit an Handwerker, (Logistik-)Dienstleister und Handel. Handwerker, die Interesse an der Studie haben, können sich über diesen Fragebogen bewerben:

Mit Kiste oder Ladefläche

Wie das Lastenrad ausgestattet ist, hängt dabei vor allem von Hersteller und Modell ab. Der größte Unterschied: Entweder ist eine Kiste fest verbaut oder es gibt eine Art Pritsche, auf der Handwerker selbst Kisten, Güter oder Material verladen können. Für Letzteres hat sich Schmidt mit seinem Bullitt-Bike entschieden. Diese Art Zweirad mit einer Ladefläche vorne nennt man auch „Long John“. „Das Rad habe ich damals getestet und bin direkt dabeigeblieben“, erzählt der Schreiner. Auf das Rad spannt er Werkzeugkisten, kleine Lieferungen oder auch mal Getränkekisten auf dem Weg vom Markt zur Werkstatt. „Viele unserer Aufträge sind in Düsseldorf und die erledigen wir alle per Fahrrad.“

Und wenn es doch mal was Großes zu liefern oder transportieren gibt? „Dann nehmen wir den Transporter“, sagt Schmidt. Ganz verzichten kann er auf das Auto nicht. Wenn er aber weiß, dass der Kunde keinen eigenen Parkplatz hat und der Einsatz mehrere Stunden oder gar Tage dauern kann, dann erledigen die Schreiner das anders. „In solchen Fällen fährt ein Duo mit dem Transporter vor, lädt aus, bringt das Fahrzeug wieder heim und fährt dann mit dem Lastenrad zum Kunden“, erklärt Schmidt. So sparen sich die Düsseldorfer Parkgebühren, Knöllchen und vor allem Stress bei der Parkplatzsuche, weil sie auf Ladezonen und Parkverbotszonen ausweichen können. Das Lastenrad findet nämlich immer einen guten Platz, weil es auch auf Gehwegen stehen darf, sofern ein Durchgang von 1,50 Metern frei bleibt. Gemäß Straßenverkehrsordnung dürften Lastenräder tagsüber sogar auf dem Seitenstreifen oder am äußeren Straßenrand parken.

Kein Führerschein nötig

Abseits des Parkvorteils kommen aber noch zwei wichtige Punkte hinzu: Fahrradfahren hält fit und jeder kann auf den Sattel steigen, es braucht keinen Führerschein. Den machen nämlich immer weniger junge Menschen. Auch bei Schmidt in der Schreinerei arbeiten zwei ohne: „Einer meiner Gesellen und natürlich mein Azubi haben keinen Führerschein“, sagt der Schreinermeister. „Hätte ich kein ­Lastenrad, könnte keiner der beiden alleine zum Kunden fahren, wahrscheinlich hätten andere Kollegen sie gar nicht erst eingestellt.“

Und wenn es regnet, fahren die beiden einfach mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Kunden. Brauchen sie mehr als einen Werkzeug­koffer, nehmen sie einen Werkzeug­trolley mit. Für sein Mobilitätskonzept hat Schmidt schon mehrere Preise gewonnen und Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt.

Wichtige Leuchttürme

„Damit Lastenräder in der Mitte der Gesellschaft ankommen, braucht es Vorreiter und Leuchtturmprojekte“, erklärt DLR-Experte Gruber. Ein Pro­blem gibt es aber noch: „Die Dienstleistungen rund ums Rad sind aktuell noch nicht gut ausgebaut“, sagt er. Für Handwerker, die sich für ein Lastenrad interessieren, heißt das konkret: Vor dem Kauf informieren, ob es auch eine Radwerkstatt in der Nähe gibt, die Lastenräder annimmt. Und am besten eine Versicherung abschließen, die ­einen Pannendienst beinhaltet und ­Räder abschleppt – dafür reicht sogar schon die ADAC-Mitgliedschaft.

Für Heinz Blaschke ist das alles Nebensache, er ist passionierter Radfahrer. Nach einem Probetag stand für den Steinmetz fest: Hier zieht ein E-Lastenrad ein. „Wir besitzen zwar alle einen Pkw- und Lkw-Führerschein, haben aber aufgrund der schlechten Verkehrssituation schon länger überlegt, wie wir schneller vorankommen.“ Blaschke entschied sich 2018 dann für ein zweirädriges Urban Arrow Cargo L, also ein Lastenrad mit fest verbauter Box, die ein Volumen von 300 Litern hat und bis zu 120 Kilogramm schafft. „Da haben wir bisher alles rein­bekommen“, berichtet er.

Bei Angaben zum Volumen hat Experte Gruber einen Tipp für Handwerker parat: „Letztlich sagt die Liter-Angabe nur wenig aus. Entscheidend ist vielmehr: Passen meine Werkzeug­kisten und Produkte rein oder kann ich die Box für mich passend aus­bauen?“ Sperrige Geräte wie Schaufeln lassen sich zum Beispiel mit ent­sprechenden Haken auch an der Seite der Kiste befestigen.

Akku für einen Tag

Steinmetz Blaschke hat die Kiste nicht extra ausgebaut. Werkzeug und Material passen rein, ohne Ausbau bleibt er flexibler. Für ihn war eine geschlossene Kiste im Vergleich zur freien Ladefläche die bessere Wahl. „So kann ich einfach alles einpacken und muss nichts groß sichern, wenn ich zum Kundentermin in der Stadt fahre“, erklärt der Steinmetzmeister.

Seit das Lastenrad bei den Stuttgartern im Einsatz ist, bleiben Pkw und Lkw häufig auf dem Hof stehen. Stattdessen wird nun jeden Abend der Akku vom E-Lastenrad geladen. Denn das hügelige Stuttgart saugt den Akku schnell leer. „Angegeben sind 70 Kilometer Reichweite für den Akku, realistisch sind es einige Kilometer weniger, wenn man den Berg hoch muss“, so Blaschke. Trotzdem reicht der Akku für den ganzen Tag.

Abstellplatz finden

Nur mit einem ist der Steinmetz unzufrieden: „Ab und zu haben wir Probleme, einen passenden Abstellplatz für das Lastenrad zu finden.“ Denn das Rad darf zwar nahezu überall parken – in gewöhnliche Fahrradständer passt das Rad aber häufig nicht. „Trotzdem ist es mit dem Lastenrad um einiges entspannter und wir müssen nicht fünfmal um den Block fahren, um letztlich gestresst und genervt beim Kunden anzukommen.“ In Großstädten gibt es erste Pilotprojekte mit ausgewiesenen Lastenrad-Stellplätzen.

Innovation aus der Praxis

Doch bis das flächendeckend der Fall ist, hat sich Blaschke etwas Eigenes überlegt: den Radstein. Er bietet seinen Kunden gebrandete Poller oder Stelen mit Löchern zum Durchfädeln eines Fahrradschlosses an. An diesen Radstein lassen sich natürlich auch normale Räder anschließen. Blaschke scheint damit einen Nerv zu treffen: Den Radstein haben schon Kunden aus ganz Deutschland bei ihm in Auftrag gegeben.

Checkliste: So finden Sie das passende Lastenrad für sich

Nicht nur bei Hersteller und Modell haben Handwerksbetriebe die Qual der Wahl. Auch die Anzahl der Räder, der E-Antrieb und das Tourenprofil sind wichtige Parameter. Mit diesen fünf Schritten kommen Sie Ihrer Mobilitäts-Alternative näher.

  1. Gehen Sie unbedingt in den Fachhandel, auf Mobilitätsmessen oder Lastenradveranstaltungen. Dort können Sie verschiedene Modelle sehen, Infos einholen und das Wichtigste: testen. Steigen Sie auf ein Fahrrad mit drei Rädern und eines mit zwei – denn das Fahrgefühl ist jeweils ein ganz anderes. Während Zweiräder sehr nah am normalen Fahrradgefühl sind, kommen die stabiler erscheinenden Dreiräder nur langsam um die Kurve und sind auf unebenen Wegen oft schwerer zu lenken.

  2. Haben Sie sich entschieden, ob Sie ein Zwei- oder Dreirad wollen, geht es an das Herzstück des Rads: die Ladefläche. Hersteller geben in der Regel an, wie viele Kilogramm die Räder transportieren können. Häufig sind es zwischen 100 und 150 Kilogramm. Entscheidender ist aber, ob Sie eine fest verbaute Kiste oder eine freie Ladefläche wollen. Der Vorteil der Kiste: Sie können alle Werkzeugkoffer, Materialien und Produkte ohne groß nachzudenken einpacken und losfahren. Bei Ladeflächen müssen Sie vor der Abfahrt alles sichern. Dafür sind sie flexibler. Sie können zum Beispiel selbst Boxen für verschiedene Einsatzarten packen und diese dann einfach nach Bedarf auf die Ladefläche spannen.

  3. Haben Sie die Wahl zwischen einem normalen Lastenrad und einem mit E-Unterstützung, lohnt sich in den meisten Fällen die E-Variante. Je nachdem wie schwer das Rad beladen ist, kann es ohne E-Antrieb mühsam sein, an der Ampel in die Gänge oder einen Hügel hinaufzukommen. Außerdem ermöglicht ein E-Antrieb weitere Anfahrten zu Kunden, man kommt auch im Sommer nicht zu verschwitzt an und es kann ein Argument gegenüber den eigenen Mitarbeitern sein, dem Rad doch eine Chance zu geben.

  4. Vereinbaren Sie mit Ihrem Händler vor Ort einen Probetag, das bieten einige an. Am Probetag können Sie das Fahrrad dann nicht nur Ihren Mitarbeitern vorstellen und schmackhaft machen, sondern final testen, ob der Fahrradtyp im Alltag für Sie der richtige ist, ob wirklich alles reinpasst und Sie sich damit wohl fühlen.

  5. Bevor Sie nun die Bestellung aufgeben, prüfen Sie im Internet oder mit dem Fahrradhändler zusammen, ob es bei Ihnen vor Ort eine Förderung für gewerbliche Lastenräder gibt. Falls nicht, beantragen Sie zumindest die Förderung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). So bekommen Sie ein Viertel der Anschaffungskosten bis maximal 2.500 Euro pro Lastenrad vom Staat. Wichtig: Warten Sie zuerst die Entscheidung über die Förderung ab. Denn je nach Förderprogramm dürfen Sie erst nach Bewilligung der Förderung die Bestellung in Auftrag geben.