Digitalisierung, Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann und Social Media
Das zunehmende Vergessen eigener Posts oder zahlreiche inhaltslose Ergüsse vieler Nutzer sozialer Medien, erwecken bei Kolumnistin Ruth Baumann, Präsidentin der Unternehmerfrauen im Handwerk (ufh) Baden-Württemberg, den Eindruck, dass kaum mehr sinn- und verantwortungsvoll mit Instagram und Co. umgegangen wird. Dient diese neue Kommunikationsform der Information, der Werbung oder lediglich der reinen Selbstdarstellung? Antworten darauf lesen Sie in einer weiteren Folge von “Neues von der Werkbank".
Gleich zu Beginn eine Klarstellung: Ja, auch ich bin in den unterschiedlichsten sozialen Medien unterwegs und sehe daher durchaus auch deren Berechtigung. Zu meiner Wahrnehmung gehört allerdings ebenso, dass sich hier ein Zeitfresser etabliert hat, der Oberflächlichkeit zum Gesellschaftsmodell erhebt und bei Nutzern nur auf das Kurzzeitgedächtnis setzt.
Die sozialen Medien und ihre Problematik
Jeder, der der Welt etwas mitteilen möchte, darf dies selbstverständlich gern tun. Aber aller Schnelllebigkeit zum Trotz: das Thema Rechtschreibung ist auch im Jahr 2022 noch immer in Mode und unterstützt so manchen Leser auf der Suche nach dem gewünschten Inhalt. Zwischen „den“ und „denn“ gibt es also ganz klar einen Unterschied. Auch inhaltliche „Umbrüche“ finde ich oft nicht wirklich nachvollziehbar. Auf das flammende Plädoyer für den Umweltschutz folgt kurze Zeit später die epische Story über die nächste (Fern)Reise. So kann man sich und seinen Auftritt auch selbst demontieren. Oder: Der junge, gesunde und dabei strahlende Mensch wirbt in den sozialen Medien für eine Krankenkasse, deren direkte Ansprechpartner sich zunehmend im weltweiten Netz verlieren. Während Arztpraxen und Krankenhäuser sich an DRG (Diagnosis Related Group, für Handwerker: Fallpauschalen) abarbeiten, fragt sich nicht nur der Rentner, ob er in seiner Kasse überhaupt noch wahrgenommen wird.
Die personalisierte Werbung, die tagtäglich jeden überschwemmt, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis ausgeklügelter digitaler Berechnungen, besser bekannt als Algorithmen. Einfach alles ist heutzutage nur wenige Klicks entfernt, wenn denn die Digitalisierung auch funktioniert. Aktuell machen wir ja eher andere Erfahrungen und mancher denkt sich bei der Renaissance des Bargeldes so seinen Teil.
Was kümmern uns die Posts von gestern?
Ich finde es höchstens „nett“, wenn Politiker, ein Bein vorausgestellt und diskret die Kameralinse streifend, sich mit Förderbescheiden online darstellen. Blenden sie dabei etwa ebenso diskret die Realität aus oder kennen sie diese schlichtweg nicht (mehr)? Erst kürzlich hat man sich bei einer Veranstaltung, im Gespräch mit Person XY (Bild natürlich immer mit anbei), noch vollmundig für Entbürokratisierung ausgesprochen und dies entsprechend über Social Media gestreut. Heute ist man schon einen Schritt weiter und setzt sich genauso strahlend für die Aufstockung des Bundestags ein. Das Leben ist schnelllebig, was kümmert also der Inhalt von gestern?
Dank standardisierter Inhalte immer im Gespräch
Standardisierte Inhalte werden mit dem eigenen Namen versehen und schon ist man wieder präsent im Netz. Mal wird das Ehrenamt geehrt, die „Blaulichter“ wertgeschätzt, billiger Wohnraum versprochen, die CO2-Abgabe gelobt, der Energiekostenzuschlag gerechtfertigt oder Überlegungen zu einer Kriegsabgabe ins Netz gestellt. Diese haben wir zwar schon in Form der Schaumweinsteuer zu finanzieren, doch das haben viele mittlerweile längst vergessen. Tags darauf wundert man sich dann wieder, dass alles teurer wird und gibt sich entsetzt.
Thematische Widersprüche mit trivialer Oberflächlichkeit wettmachen
Das Internet ist gnädig. Kaum ein Leser reagiert auf diesen Widerspruch in den eigenen Äußerungen und Posts. Oberflächlichkeit und Homestory-Charakter lassen auf viele Likes hoffen. Selbst der Friseurbesuch der Gattin oder die Reinigung des Balkons, versehen mit netten Bildchen, muss digital publik gemacht werden. Nichts erscheint zu trivial, als dass es nicht doch eine „Nachricht“ wert wäre. Was früher zur Überbrückung im Wartezimmer diente, soll nun Kunden generieren, Personal finden, Vertrauen schaffen oder gar eine Visitenkarte von Engagement und Wichtigkeit abgeben. Denn: Ohne Inhalt kann Selbstdarstellung auch armselig wirken.
Nicht von vermeintlicher Online-Wichtigkeit benutzen lassen
Menschen, die nichts zu verbergen haben, müssen dennoch nicht alles vor der Welt ausbreiten. Wir könnten beispielsweise die sozialen Medien nutzen, um dem Akademisierungswahn die Vorteile des Handwerks gegenüberzustellen. Zeigen wir, dass wir im Leben aktiv unterwegs sind und uns einsetzen, ohne der reinen Bespaßung zu huldigen. Wir sollten uns nicht von der vermeintlichen Wichtigkeit der Posts benutzen lassen. Es ist in meinen Augen vertane Zeit, sich online über den Fachkräftemangel die Finger wund zu tippen, wenn das Gegenüber keinen eigenen Berufsabschluss hat. Das ist nicht nur „ein großes Dislike“, sondern würde das eigene Zeitmanagement auch effektiver machen.
Gutes posten und kritisch bleiben!
Lassen Sie sich nicht zur „Winkekatze“ des Internets machen: Gute Ideen, interessante Gedanken werden ihren Niederschlag finden. „Gefällt mir“ oder Emojis haben nur begrenzte Aussagekraft, andernfalls würden uns viele Posts erspart bleiben. Seien Sie kritisch und wählerisch, denn die virtuelle Welt hat ihre eigene Realität, die sie selbst inszeniert.
Über Autorin Ruth Baumann:
Bei Ruth Baumann war es ein zart gehauchtes "Ja", das sie in einen mittelständischen Straßenbaubetrieb und damit ins Handwerk brachte: Seit ihrer Hochzeit führt sie gemeinsam mit Ehemann Martin Baumann die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. Trotz ihres abgeschlossenen Hochschulstudiums entschied sie sich damals bewusst, in den Familienbetrieb einzusteigen und bekräftigte dies durch eine weitere Ausbildung zur Bürokauffrau. Zunächst im Ehrenamt bei den Unternehmerfrauen im Handwerk Freiburg, später als Präsidentin des Landesverbandes der Unternehmerfrauen im Handwerk Baden-Württemberg, war es ihr immer ein besonderes Anliegen, die Mitglieder mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Stolz auf das Handwerk auszustatten. Sie sieht die Unternehmerfrauen als Wirtschaftsverband und vertritt dies auch in der Öffentlichkeit.
Ihre betriebliche Erfahrung wurde in der Folgezeit auch verstärkt in der politischen Theorie nachgefragt und stieß – zu ihrer eigenen Überraschung – auf immer mehr Resonanz. Es folgten unterschiedliche Kommissionen und Funktionen in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die sie mittlerweile auch auf Bundesebene ausführt. In Interviews, Vorträgen und Podiumsdiskussionen rund um das Handwerk gibt sie parteiübergreifend Einblicke in die Sorgen und Nöte von Familienbetrieben. Jüngst wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt und ist dort als "Handwerk mit Mundwerk und akademischen Grad" Mittler zwischen unterschiedlichen Welten.