Standort ländliche Regionen Handwerker auf dem Land: So überlebt Ihr Betrieb fernab der Städte

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Gewerbebau, Nachfolge, Standortwahl und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Funklöcher, Landflucht, leere Schulen, Fachkräftemangel: Es heißt, Deutschlands Dörfer würden abgehängt. Aber stimmt das eigentlich? Auf diese Veränderungen müssen Sie sich einstellen, wenn Sie Ihren Standort in ländlichen Regionen halten und ausbauen wollen.

Sonja und Christian Beer
Sonja und Christian Beer leiten in zweiter Generation eine Schreinerei im äußerst ländlichen Wolfersdorf im Landkreis Freising in Oberbayern. - © Elisabeth Hörterer

Ihr braucht einen Laden in der Stadt – mindestens einen Showroom! Solche wohlmeinenden Ratschläge hören Christian und Sonja Beer oft. In zweiter Generation leiten sie eine auf die Herstellung hochwertiger Küchen spezialisierte Schreinerei. Die zahlungskräftigen Kunden, die bei der Küchenmanufaktur individuell gefertigte Küchen kaufen, l eben meist in den südbayerischen Städten: München, Ingolstadt, Landshut, Augsburg. Die Beers hingegen haben ihren Sitz tief im bayerischen Hinterland: „Das ist hier eigentlich nicht einmal ein Dorf, sondern nur ein kleiner Weiler mit sieben Häusern“, erklärt Sonja Beer. Christian Beers Großvater hat hier noch Landwirtschaft betrieben. Der Vater gründete dann Anfang der 1980er-Jahre eine einfache Schreinerei. Heute steht auf dem ehemaligen Bauernhof eine hochmoderne Produktionshalle für teure Küchen. 22 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen. „Die Kunden kommen von überallher zu uns raus, um sich ihre Traumküche kreieren zu lassen“, sagt Christian Beer stolz.

Ein regelmäßiges Controlling der Standortfaktoren findet im Handwerk kaum statt

Kaum ein Großkonzern würde auf die Idee kommen, irgendwo mitten auf dem Land, fernab von Fachkräften, Kunden und moderner Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, in einen neuen Standort zu investieren. Bei Handwerksunternehmen läuft es hingegen oft so: Das Unternehmen entsteht meist dort, wo die Familie seit Generationen ansässig ist, wo der Gründer Land besitzt oder sich schlicht eine günstige Gelegenheit ergibt, eine Werkstatt oder einen Laden aufzumachen. Und dann macht man eben das Beste aus der Lage. „Lehrbuchmäßige Kriterien der Standortwahl oder gar ein regelmäßiges Controlling der Standortfaktoren spielen bei Handwerksunternehmen nur sehr selten eine Rolle“, sagt Jörg Lahner, Professor für Wirtschaftsförderung und Unternehmensführung an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Göttingen.

Handwerker entscheiden oft nach auf den ersten Blick eher persönlichen und wenig unternehmerisch gedachten Gründen, wo sie ihr Unternehmen gründen. „Das kann auch durchaus vernünftig und rational sein“, sagt Lahner. „An ihrem Heimatort können Handwerker oft an vorhandene, persönliche Netzwerke anknüpfen. Sie kennen ihre Zielgruppe und die Konkurrenzsituation gut.“ Damit Handwerker ihren einmal gewählten Standort im Nachhinein ändern, muss viel passieren. „Zu einer Standortverlagerung kommt es in der Regel nur, wenn etwa ein Gebäude aus rechtlichen Gründen nicht mehr gewerblich genutzt werden darf. Wenn es zu großen politischen Veränderungen wie der Wiedervereinigung kommt. Oder wenn der Platz für notwendiges Wachstum am Standort nicht mehr ausreicht“, sagt Lahner. Selbst dann bleiben Handwerker aber meist ihrer Region treu – und suchen einen neuen Standort ganz in der Nähe, schon alleine um ihre Fachkräfte zu halten.

Handwerks-Cluster: Das sind Deutschlands Handwerksregionen

Deutschlands Handwerksregionen
Deutschlands Handwerksregionen - © Quelle: INKAR Datenbank des BBSR, eigne Darstellung

Handwerk ist traditionell ländlich: Das zeigt die Karte, welche den Anteil der im Handwerk Tätigen an allen Erwerbstätigen darstellt. Handwerksunternehmen sind oft die wichtigsten Arbeitgeber in ihrer Heimatregion. In diesen Regionen ist das Handwerk ein besonders starker Wirtschaftsfaktor:

Handwerksunternehmen sind für ihre ländlichen Heimatregionen enorm wichtig

Einmal Landhandwerker, immer Landhandwerker – so lässt sich also die Lage für viele Unternehmer zusammenfassen. Von rund einer Million Handwerksbetrieben in Deutschland ist mehr als die Hälfte in ländlichen Regionen angesiedelt. Und aktuelle Studien zeigen: Handwerksunternehmen sind für ihre ländlichen Heimatregionen sehr wichtig. Sie sind in vielen Dörfern die größten Arbeitgeber : Handwerksunternehmen stellen bis zu 30 Prozent der Jobs auf dem Land. „Unsere Studien weisen zudem darauf hin, dass Handwerksunternehmen in ländlichen Regionen für mehr wirtschaftliche und soziale Stabilität sorgen“, sagt Petrik Runst, der beim Institut für Handwerksforschung (IFH) zum Thema forscht. Über die Gründe kann er nur spekulieren – womöglich liege es daran, dass Handwerker sich oft nicht nur als Unternehmer, sondern auch ehrenamtlich in Vereinen und der Politik für ihre Heimat engagieren und stark auf Ausbildung setzen.

Trotz Urbanisierungstrend: Auf dem Land ist nicht alles schlecht!

Was aber bedeutet das alles in Zeiten, in denen immer mehr ländliche Regionen als „abgehängt“ gelten, für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Unternehmer? Leben und Arbeiten auf dem Land – da denken heute viele Menschen an all die schlechten Nachrichten, die in den Medien zu lesen sind: Funklöcher. Keine Glasfaseranbindung. Kaum öffentlicher Nahverkehr. Leer stehende Häuser. Überschuldete Kommunen. Junge Leute, die lieber in die Städte ziehen. Was ist dran an den düsteren Land-Klischees? „Man kann nicht allgemein sagen, dass auf dem Land alles schlecht ist“, stellt IFH-Experte Runst klar. Zwar gebe es einen allgemeinen Urbanisierungstrend: „Das ist nicht aufzuhalten, das lässt sich weltweit beobachten: Immer mehr Menschen zieht es in die Städte“, sagt Runst.

Dennoch gelte: Land ist nicht gleich Land, Dorf nicht gleich Dorf. „Wir haben zum einen sehr gut vernetzte ländliche Regionen , die oftmals recht nah an den städtischen Zentren liegen und in denen Infrastruktur und Lebensqualität auf hohem Niveau zu finden sind“, sagt Runst. Diesen Regionen gelinge es meist recht gut, für junge Leute und damit auch für Unternehmer nachhaltig attraktiv zu bleiben. „Gleichzeitig gibt es sehr abgelegene Regionen, etwa in den grenznahen Lagen im Osten oder Süden Deutschlands, in denen es große Probleme gibt durch die Abwanderung junger Leute und durch schlechte Infrastruktur.“ Dort würden viele Handwerksunternehmer bereits desillusioniert aufgeben. Es fehlt an Kunden und Nachwuchskräften, analysiert der IFH-Experte. „Letztlich muss man aber sagen: Die Handwerksunternehmer kennen ihre eigene Region in der Regel sehr gut“, sagt Runst. „Sie wissen, wo der Schuh drückt, und lassen sich einiges einfallen, um sich an Veränderungen anzupassen und ihr Geschäft zukunftsfähig aufzustellen.“

Perspektiven: So zukunftsfähig ist Ihre Region

gefährdete Regionen
gefährdete Regionen - © Quelle: IW, eigene Darstellung

Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln identifiziert die Regionen in Deutschland, deren Zukunftsfähigkeit stark gefährdet ist. In einigen Regionen ist es vor allem die demografische Entwicklung, die ein Risiko darstellt: Viele junge Leute ziehen weg. In anderen Regionen ist es maßgeblich die schlechte Infrastruktur, die zum Risiko wird: Schlechte Breitbandanbindung, geringe Ärztedichte, überschuldete Kommunen. Wo eine schwache Wirtschafts- und Infrastruktur und demografische Abwanderung zusammenkommen, gilt die Zukunftsfähigkeit einer Region als akut gefährdet.

Mit einem geeigneten Plan lohnen sich Standort-Investitionen

So haben es auch Christian und Sonja Beer mit ihrer Schreinerei im bayerischen Hinterland gemacht. „Als ich im Jahr 2009 den Betrieb übernommen habe, wurde es hier in der Region bereits schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu finden“, erinnert sich Christian Beer. Das Unternehmen war zu dem Zeitpunkt noch viel breiter aufgestellt, produzierte neben Küchen und Schränken auch Treppen und Fenster. Das Unternehmerpaar beschloss, sich zu spezialisieren. „An der Küchenproduktion hatte ich schon immer den meisten Spaß, und der Bereich schien uns vielversprechend“, erklärt Beer. Das Unternehmen wagte also den Schritt, nach und nach alle anderen Geschäftsbereiche einzustellen – und stattdessen massiv in den Ausbau der Marke, der Kompetenzen und Produktion im Küchenbereich zu investieren.

Eine sechsstellige Summe steckte das Paar im Jahr 2012 in einen modernen Maschinenpark, einen Umbau der Produktionshalle und eine neue Webseite. „Natürlich haben wir uns in dieser Zeit auch gefragt, ob wir einen Standort in der Stadt oder vielleicht in Stadtnähe im Gewerbegebiet brauchen“, sagt Sonja Beer. Aber dass die Produktion am etablierten Standort auf dem Dorf bleiben sollte, war den Beers schnell klar. „Wir haben hier viel Platz, eine gute Autobahnanbindung. Jeder Mitarbeiter hat seinen eigenen Parkplatz.“ Ein vergleichbar großes Gewerbegrundstück in Stadtnähe wäre sehr teuer. „Da investieren wir lieber in den Standort hier und machen den Mitarbeitern das Arbeiten hier möglichst angenehm“, erklärt Beer. Die neue Produktionshalle bekam einen hellen und großen Aufenthaltsraum mit eigener Küche. Das Firmen-WLAN reicht bis auf den Parkplatz, und jeder Mitarbeiter bekommt ein Betriebs-Smartphone. Mitarbeiter, die einen längeren Anfahrtsweg haben, können sich ihre Arbeitszeit auf eine Vier-Tage-Woche aufteilen. „Wir haben in der Region den Ruf, ein guter Arbeitgeber für anspruchsvolle Handwerker zu sein. Diese wollen in einem modernen Unternehmen arbeiten, das gleichzeitig echtes handwerkliches Können schätzt“, sagt Sonja Beer selbstbewusst. „Wir wollen bewusst weg von diesem Klischee, dass die Leute denken: So eine Dorfschreinerei, das ist sicher ein altmodisches, verstaubtes Unternehmen.“ Deshalb nennt sich das Unternehmen bewusst nicht „Schreinerei“, sondern „ Küchen-Manufaktur“. Auf der Webseite bietet das Unternehmen viele Einblicke in den Arbeitsalltag.

Prozessoptimierung um Fachkräftebedarf zu reduzieren

Sogar Initiativbewerbungen bekomme das Unternehmen, berichtet Beer stolz. „Klar ist aber auch, dass wir alle Prozesse so optimieren und digitalisieren, dass wir den Fachkräftebedarf möglichst reduzieren – denn der Fachkräftemangel wird in den nächsten Jahren sicher nicht verschwinden. Im Gegenteil“, stellt sie klar. Deshalb setzt das Unternehmen zum Beispiel einen modernen Laserscanner ein, mit dem Monteure auch ohne große Fachkenntnis die Räume für den Küchenaufbau bis ins kleinste Detail ausmessen können. Der Scanner erfasst automatisch jede Unebenheit, jede schiefe Wand – sodass diese Details bei Küchenplanung und -produktion automatisiert berücksichtigt werden können. Das spart Zeit beim Aufmaß, aber auch später bei der Montage der Küche.

Lohnt sich ein zweiter Standort in der benachbarten Großstadt?

Trotz all dieser Investitionen kommt immer wieder das Thema auf: Brauchen wir doch einen Laden oder einen Showroom in München? „Wir haben uns bislang immer wieder dagegen entschieden“, sagt Christian Beer. Denn in der Stadt würde es schwerfallen, sich von der Konkurrenz der großen Küchenstudios abzusetzen. „Wir müssen den Kunden ja klarmachen, dass sie bei uns eine komplett handwerklich gefertigte Küche aus Produktion in der Region bekommen – das ist unser Alleinstellungsmerkmal, wir kaufen keine fertigen Module und Bauteile zu“, erklärt der Schreinermeister.

Im Showroom auf dem Land, direkt neben der Produktionshalle, können die Handwerker alle zehn Musterküchen zeigen – eine vergleichbare Fläche in München anzumieten würde wohl den Umsatz ankurbeln, wäre aber auch sehr teuer. Bislang wollen die Beers dieses Risiko nicht eingehen – zumal es der Digitalisierung sei dank auch mit einem Online-Showroom gut funktioniert. 50 Prozent der Neukunden kommen über die Webseite . „Jeder Kunde, der dann zu uns rauskommt, bekommt eine Werksführung. Hier draußen auf dem Land können wir zeigen, wer wir sind“, erklärt Sonja Beer. Der Standort im Heimatort der Familie gehört zum authentischen Auftritt dazu, ergänzt Christian Beer. „Hier sind unsere Wurzeln, hier gehören wir her.“

Chancenregionen: Diese ländlichen Bereiche boomen

Chancenregionen
Datengrundlage: Statistische Ämter des Bundes und der Länder BBSR, eigene Berechnung, Quelle: BI - © Datengrundlage: Statistische Ämter des Bundes und der Länder BBSR, eigene Berechnung, Quelle: BI

Auch eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts unterscheidet drei verschiedene ländliche Regionen: Erfolgreiche ländliche Regionen mit hoher Lebensqualität (Cluster 4), die sich durch starke Wirtschaftslage und gute Versorgungsinfrastruktur auszeichnen; diese Regionen liegen vor allem im Süden Deutschlands sowie in den „Speckgürteln“ um städtische Regionen herum. Ländliche Regionen mit vereinzelten Problemen (Cluster 5) finden sich vor allem in den westlichen Bundesländern und im Osten Bayerns. Sogenannte „abgehängte“ ländliche Regionen (Cluster 6) sind Dörfer, in denen Wirtschaftslage und Infrastruktur so schlecht sind, dass die Lebensqualität der Menschen stark beeinträchtigt ist. Die meisten dieser Regionen liegen vor allem im Osten Deutschlands, vereinzelt sind sie aber auch im Norden und Westen zu finden.

Ortsfremde Unternehmer haben es auf dem Land schwer

Viel schwieriger kann es sein, wenn Handwerker versuchen, als Ortsfremde auf dem Land dort Fuß zu fassen, wo sie nicht auf ein etabliertes Netzwerk zugreifen und auf eine lange Familiengeschichte zurückblicken können. Diese Erfahrung hat Holger Schmidt (Name von der Redaktion geändert) gemacht. Der Metzgermeister, der seinen richtigen Namen lieber nicht veröffentlicht sehen möchte, wagte vor rund sieben Jahren den Schritt, in einem 1.000-Einwohner-Örtchen in Bayern eine ehemalige Dorf-Metzgerei wiederzubeleben. Dass es eine Herausforderung werden würde, war ihm klar – und Schmidt hatte viele Ideen mitgebracht, wie der Neustart der Metzgerei gelingen könnte. Er richtete eine moderne Webseite ein, stellte Wurstautomaten auf, bot Catering an, wählte sorgfältig ein vielfältiges Warensortiment aus und fuhr mit seiner „mobilen Metzgerei“ die umliegenden Ortschaften ab, um seine Metzgerei bekannter zu machen. „Ganz ehrlich – heute denke ich, es war ein Fehler, in einen so kleinen Ort zu gehen“, sagt Schmidt. Er ist enttäuscht, aufgewühlt, wütend – und erschöpft. „Seit acht Jahren bin ich jetzt hier, hänge mich voll rein, aber für viele im Dorf ist und bleibt man einfach der Auswärtige, der Zugezogene.“

Rocco Meißner, Malermeister
Rocco Meißner leitet als Malermeister in fünfter Generation einen Malerbetrieb in Karstädt, Brandenburg. - © Jörg Brockstedt

Es klingt wie ein überzeichnetes Klischee über das Dorfleben – aber so erlebt es der Handwerker gerade. Der Niederbayer Schmidt als Unternehmer in Oberbayern: Schon diese vergleichsweise geringe kulturelle und geografische Distanz reicht aus, dass die Kunden im Ort fremdeln . „Ich hätte das wirklich nicht erwartet, komme selbst aus einer ländlichen Region – aber auf solchen sehr kleinen Dörfern wie hier läuft es wohl einfach noch mal anders“, sagt Schmidt. Dank der Webseite und dem Metzgermobil laufe das Geschäft ganz gut. „Aber wir müssen einfach zu viel machen für jeden Euro. Wir müssen so viel Zeit und Energie reinstecken, damit es läuft. Keinen kleinen Fehler darf man sich erlauben, es sich mit keinem Nachbarn verscherzen.“ Immer heiße es gleich: „Schau, was der Neue da wieder macht!“

Die Strecken zu Kunden und Aufträgen werden immer länger

Gleichzeitig beobachte er bei Konkurrenten, die schon seit Generationen vor Ort seien, dass die kaum etwas tun müssten, damit ihnen Kunden treu bleiben. Schmidt zieht die Konsequenzen: In der Nähe seines eigenen Heimatortes tut sich gerade womöglich die Chance auf, einen Metzgerbetrieb zu übernehmen. „Familie, Heimat. Das zählt nicht nur privat, sondern auch als Unternehmer. Da gehen wir hin, wenn es klappt.“ Für ihn ist klar: Ein Tausend-Einwohner-Dorf – nie wieder. „Mindestens das Fünffache an Einwohnern muss es sein. Dann sind genug Kunden da, ohne dass man kilometerweit über Land hin und her fährt. Und man muss es sich nicht mit jedem einzelnen Dorfbewohner gut stellen, damit das Geschäft läuft.“ Familie und Heimat – das zählt auch für Rocco Meißner. Um die Vorlieben der Kunden vor Ort muss er sich allerdings wenig Gedanken machen: Es gibt kaum noch welche. Der Malermeister leitet in fünfter Generation einen Malerbetrieb in Karstädt. Die ländliche Gemeinde liegt in der Region Prignitz in Brandenburg. Für Wirtschaftsforscher ist die Prignitz eine der Problemregionen in Deutschland, die als kaum noch zukunftsfähig gelten. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Schulen leeren sich. „Ich will hier nicht weg, ich fühle mich hier wohl, hier ist meine Familie, mein Haus“, sagt Meißner. „Aber natürlich sehen wir auch, dass die jungen Leute wegziehen. Wir sind hier in der Gegend schon ganz schön abgehängt.“

Noch der Großvater habe in Karstädt „rund um den Kirchturm“ gearbeitet. „Heute hat hier kaum noch jemand Geld dafür, privat einen Handwerker zu beauftragen .“ Meissners Vater spezialisierte sich in der Wendezeit auf öffentliche Aufträge. „Aber die Strecken, die man für die Aufträge fahren muss, wurden seit Ende der Neunzigerjahre immer länger“, berichtet Meißner.

Modell " Vier-Tage-Woche" um Mitarbeiter zu halten

Er selbst fährt heute mit einem Team von zehn Malern für Aufträge bis in den Harz im Süden, bis Flensburg im Norden und bis Bremen im Westen. „Berlin machen wir nicht, bei den Kampfpreisen, die da aufgerufen werden, können wir nicht mithalten.“ 90 bis 100 Euro für den Quadratmeter Wärmedämmung rufe er auf, erklärt er. In Berlin würden Unternehmen dieselbe Dienstleistung für 45 Euro anbieten. „Wir sind vor allem in den ländlichen Regionen um die Städte im Norden herum tätig“, sagt Meißner. Den Dörfern dort geht es sehr viel besser als denen in seiner ostdeutschen Heimat. „Das sieht man ja schon, wenn man durch die Orte durchfährt. Da sind junge Leute, da werden Schulen und Turnhallen gebaut.“ In der Prignitz gebe es solche Aufträge kaum noch. „Ist halt so“, sagt Meißner.

Der Unternehmer will sein Team von zehn Mitarbeitern, die er auf drei „Brigaden“ aufteilt und zu den verschiedenen Baustellen schickt, nicht weiter ausbauen. Ersatz für Mitarbeiter zu finden, die in Rente gehen, sei zu schwierig, sagt er. „Der Aufwand für die Organisation der Fahrten und Baustellen ist zurzeit ziemlich hoch. Wenn ich langfristig ein Team von sechs, sieben Leuten halten kann, reicht mir das in Zukunft auch“, sagt Meissner. Zwei seiner Mitarbeiter hat er aus Polen rekrutiert. „Der Rest des Teams ist schon seit vielen Jahren dabei.“ Er versucht, für die erfahrenen Maler attraktiv zu bleiben, indem er ihnen eine Vier-Tage-Woche anbietet: „Montags fahren wir zu den Baustellen, Donnerstagsabends sind alle bei ihren Familien daheim.“

Die Azubi-Suche gestaltet sich auf dem Land schwierig

Azubis findet der Maler schon seit Jahren keine mehr – zuletzt hat er vor drei Jahren einen Azubi einstellen können. „Der ist leider fachlich und in der Berufsschule so schwach, dass er wohl den Abschluss nicht schaffen wird.“ Wenn der Azubi zum zweiten Mal durch die Prüfung fällt, will Meißner ihm anbieten, die Ausbildung noch einmal von vorne zu beginnen. „Vielleicht klappt es ja dann.“ Immerhin: „Mein Stiefsohn macht gerade seine Lehre bei einem anderen Malerbetrieb hier in der Region.“ Vielleicht funktioniere es ja, dass der den Betrieb übernehme.

Die vergangenen Jahre lassen den Malermeister allerdings vor allzu großem Enthusiasmus zurückschrecken. „Naja, wär schon schön, wenn das was wird. Aber man macht so seine Pläne – wir werden sehen, ob es funktioniert. Wir machen das Beste draus!“