Metzger, Standortwahl, Start-up und Zukunftsperspektiven im Handwerk
Eine junge Generation von Handwerkern und Food-Start-ups erobert gerade die deutschen Innenstädte. Sie bieten regionale, nachhaltige Produkte und profitieren davon, dass immer mehr junge Gutverdiener in ihre Nachbarschaft ziehen, die sich diese Produkte auch leisten können. Doch der Trend stößt auch auf Widerstand bei Alteingesessenen. So wirkt sich Gentrifizierung auf das Handwerk aus.
Wenn der Metzger Max Haller über Fleisch redet, spricht der Philosoph aus ihm: „Fleisch ist ein Rohstoff, der von lebenden Tieren stammt. Ein Leben zu nehmen ist eine große ethische Verantwortung. Dieser Verantwortung will ich als Metzger gerecht werden.“ Vor seiner Ausbildung studierte der 29-Jährige dreieinhalb Jahre Philosophie und Religion. Doch ihm fehlte das Praktische, die Arbeit mit den Händen und die Identifikation mit einem Produkt. Deshalb steht der 29-Jährige heute hinter der Fleischtheke von Kumpel & Keule in Berlin und zerschneidet vor den Augen seiner Kunden Schweinekeulen zu saftigen Schnitzeln.
Gläserne Metzgerei schafft Transparenz
Seit vier Jahren verkaufen die jungen Metzger von Kumpel & Keule Bio-Fleisch in der Markthalle 9 in Berlin-Kreuzberg. Als die Metzgerei 2015 eröffnete, berichteten überregionale Medien in der ganzen Republik über das Ereignis. Denn anders als bei herkömmlichen Metzgern sind die Räume bei Kumpel & Keule komplett verglast. „Das schafft Transparenz und ich kann den Kunden zeigen, was gutes Fleisch ausmacht“, erklärt Haller. Auch auf Instagram und Facebook postet Kumpel & Keule regelmäßig Bilder und Videos. In einem Video beispielswiese erklärt Haller, wie er eine Schweinekeule in seine Einzelteile zerlegt.
Das Fleisch, das am Ende hinter der Kühltheke landet, kommt ausschließlich von Bio-Landwirten: Die Schweine suhlten sich auf fränkischen Weidewiesen und die Lämmer grasten an Flusshängen in Baden-Württemberg. Dafür bezahlen die Kunden viel Geld: 14 Euro kostet etwa die Bratwurstschnecke vom fränkischen Schwein, serviert mit Kürbiskraut, Kerbel und Apfel im hauseigenen Restaurant von Kumpel & Keule.
Neue Lebensmittelhandwerker punkten mit Regionalität und Nachhaltigkeit
Haller und seine Metzgerkollegen sind die Speerspitze einer neuen Generation von Lebensmittelhandwerkern. Sie werben für ihren Berufsstand und wollen ihn radikal verändern. Regionalität und Nachhaltigkeit sind die Zauberworte dieser Bewegung.
Dabei profitieren die Food-Start-ups und innovativen Handwerkbetriebe von der steigenden Kaufkraft in deutschen Innenstädten: Explodierende Mieten verdrängen immer mehr Alteingesessene und ziehen Gutverdiener an. Die achten auf Qualität und sind bereit, mehr Geld für Fleisch und andere Handwerksprodukte auszugeben. Die Nachfrage nach alternativen Fleischern, Barbieren und Biobäckern steigt. Gute Nachrichten also für Handwerker, die sich auf den Gentrifizierungs-Trend einstellen und ein passendes Angebot vorweisen können.
Alteingesessene Betriebe werden aus dem Markt gedrängt
Doch herkömmliche Handwerksbetriebe, die oft schon über Generationen in ihren Vierteln arbeiten, fühlen sich von der neuen Konkurrenz oft bedrängt. Sie passen plötzlich nicht mehr ins Bild des hippen, gentrifizierten Wohnviertels und fürchten, von der alternativen Handwerkergeneration aus dem Markt gedrängt zu werden.
Diese Sorge ist durchaus bergründet: „Betriebe, die bei den neuen Produktionstechnologien und Trends nicht schritthalten, könnten von größeren Unternehmen oder Startups verdrängt werden“, sagt Henrik Scheller, Teamleiter Wirtschaft und Finanzen am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Gleichzeitig steigen die Mietpreise für Gewerbeflächen, und der Platz in den sowieso schon engen Innenstadtgassen wird noch knapper. Wer nicht im Hochpreissegment anbietet, sondern sein Angebot eher auf einkommensschwächere Einwohner ausgerichtet hat, für den wird es eng.
Fast jeder fünfte Handwerksbetrieb will den Standort wechseln
Viele Handwerker ziehen daraus inzwischen Konsequenzen: Fast jeder fünfte Handwerksbetrieb in der Innenstadt plant laut einer Befragung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), innerhalb der nächsten zwei Jahre den Standort zu wechseln. Viele wollen raus aus der Stadt. Und nicht nur traditionelle Handwerker verschwinden aus den Innenstädten. Auch Fastfood-Restaurants, Ein-Euro-Shops und Discounter werden durch die wohlhabende Nachbarschaft verdrängt.
Was ist wichtiger: Soziale Nachhaltigkeit oder Schutz von Umwelt und Tieren?
Die Betreiber der Markthalle 9 in Berlin-Kreuzberg etwa hatten im Februar bekanntgegeben, dass der Aldi aus der Halle verschwinden und durch einen Drogeriemarkt ersetzt werde. „Seit der Pleite von Schlecker fehlt uns ein Drogeriemarkt hier in der Nachbarschaft“, schrieben die Betreiber in ihrer Begründung. Außerdem wollen sie die Stände mit kleinbäuerlichen Produkten unterstützen. Eine Drogerie liefere dazu ein "ergänzendes Angebot", hieß es in der Ankündigung.
Einige Kreuzberger waren damit gar nicht einverstanden. Im September demonstrierten rund 100 Menschen gegen die Schließung des Aldi-Marktes. „Wo kaufst DU ein, wenn Aldi weg ist?“ stand auf einem der Plakate. Ihr Vorwurf: Die regionalen Bioprodukte aus der Markthalle können sich nur die reichen Zugezogenen und Touristen leisten. Für Alteingesessene sei das Fleisch von Kumpel & Keule kaum bezahlbar. Die müssen jetzt in die Nachbarviertel ausweichen, wenn sie günstig einkaufen wollen. Sie stellen damit eine Frage, mit der viele Handwerker konfrontiert sind, die besonders nachhaltige und dadurch auch teurere Produkte anbieten: Was ist wichtiger? Soziale Nachhaltigkeit? Oder der Schutz von Umwelt und Tieren?
Bio-Metzger Haller: "Auch Geringverdiener können sich teures Fleisch leisten – nur nicht jeden Tag"
Die so kritisierten Markthallen-Handwerker wollen diese Generalkritik an ihren nachhaltigen Produkten nicht gelten lassen. Schließlich muss die Gesellschaft mittel- und langfristig auch die Folgekosten von Massentierhaltung, Wegwerfkultur und den daraus resultierenden Umweltschäden tragen. Umweltprobleme gegen soziale Probleme auszuspielen, ergebe keinen Sinn, sagen auch die Metzger von Kumpel und Keule. „Wir können die Proteste teilweise verstehen, aber Fleisch ist nun einmal kostspielig, wenn es gut ist“, sagt Haller. Und eigentlich könne sich jeder teures Fleisch leisten, auch ein Geringverdiener – nur eben nicht jeden Tag. „Viele Menschen essen zu jeder Mahlzeit Fleisch. Das ist zu viel.“ Ein bis zwei Mal Fleisch in der Woche reiche völlig , erklärt Haller. Es müsse zudem auch nicht immer das Rinderfilet sein. Für 5 Euro bekomme der Kunde bei Kumpel & Keule etwa ein Kilo Knochenfleisch, woraus er beispielsweise eine kräftige Brühe kochen könne.
Auch andere Teile, die von vielen Kunden sonst ignoriert werden, seien eine gute Alternative zu teuren Filetstücken. Zuletzt habe er beispielsweise Schweineohren frittiert. Weniger Fleisch, dafür besseres, so Hallers Devise. Er ist trotz aller Kritik überzeugt: „Die Menschen sind die Fließbandproduktion satt. Sie sehnen sich nach einer ordentlichen Qualität.“ Herkömmliche Metzgerbetriebe können hunderte Kilo Würste in der Stunde herstellen, so Haller. „Bei Kumpel & Keule produzieren wir selbst an warmen Sommertagen, also zur Grillsaison, nur ungefähr 60 Kilo Würste.“ Große Maschinen gibt es in der Metzgerei nicht. „Es dauert dann eben seine Zeit, jede Wurst einzeln mit der Hand abzudrehen“, sagt Haller.
Individuellen Produkten gehört die Zukunft in den Innenstädten
Solchen kleinen Handwerksbetrieben, die für ihre Innenstadt-Klientel maßgeschneiderte Produkte und Dienstleistungen anbieten, gehört die Zukunft in den Innenstädten, prognostizieren Experten. Was für Lebensmittelhandwerker wie Bäcker oder Metzger gilt, ebenso für Schreiner, das Metall- und Bauhandwerk: „Wir gehen davon aus, dass in der Stadt langfristig eher kundenspezifische, individuelle Produkte gefertigt werden“, sagt Joachim Lentes, Leiter des Team Digital Engineering beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Handwerks- und produzierende Betriebe müssten sich auf solche Trends eben einstellen, so Lentes. Etwa durch Investitionen in neue Technologien, mit denen geringere Mengen und individuelle Produkte effizient gefertigt werden können. Und indem sie ihre Geschäftsmodelle an die veränderte Klientel in der Nachbarschaft anpassen.
Wenn traditionelle Handwerker die jungen Handwerksunternehmen mit ihren neuen Ideen nicht als Bedrohung sehen, sondern als Inspiration, können sie von dem Knowhow und den Innovationen profitieren, die diese in die Städte tragen. Das neue, kreative Potential sollten Handwerker nutzen, um neue Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln, sagt Lentes vom IAO: „Nur weil ein Handwerker einen 100 Jahre alten Familienbetrieb führt, heißt das nicht, dass er alles immer genauso weitermachen muss wie die Generationen vor ihm.“