Gesundheitshandwerk: Trotz Versorgungsfälle-Plus kämpfen viele Betriebe um die Existenz

Was tun, wenn die Zahl der Kunden steigt, die Berufe durch Festpreise und strenge Reglementierung jedoch an Attraktivität verlieren? In ihrem Branchenreport zeigen die fünf Gewerke im Gesundheitshandwerk, was sich ändern muss, um die Versorgungsqualität der Bevölkerung langfristig zu sichern. Die Zahl der Versorgungsfälle im Gesundheitshandwerk wächst stetig, dennoch kämpfen viele Betriebe ums Überleben. Eigentlich sind die Marktbedingungen für Unternehmer im Gesundheitshandwerk nahezu perfekt: Die Zahl der potenziellen Kunden wächst dank der demografischen Entwicklung kontinuierlich, 2023 zählte die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Bereich der handwerklichen Hilfsmittelerbringer bereits stolze 1,5 Millionen Versorgungsfälle mehr als 2019, Tendenz steigend. Darüber hinaus haben die Patienten hohe Erwartungen an Gesundheit, Ästhetik und Komfort. Doch statt von der gestiegenen Nachfrage nach Brillen, Hörgeräten, orthopädischen Hilfsmitteln und Zahnersatz zu profitieren, kämpfen viele Betriebe um ihre Existenz: Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Handwerksbranchen können sie Preissteigerungen nicht einfach an die Kunden weitergeben, sondern sind bei vielen Produkten und Leistungen an die Vorgaben der GKV gebunden. „Die Unternehmen haben keine Chance, die Preise für Kassenleistungen anzupassen, weil das auf Sachleistungen basierende System viel zu starr ist“, erklärt Markus Schäfer, Referatsleiter der Verbände im Gesundheitshandwerk beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin. Zu viel Bürokratie durch aufwendige Dokumentation Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, haben Augenoptiker, Hörakustiker, Orthopädieschuhtechniker sowie Orthopädie- und Zahntechniker erstmals einen gemeinsamen Branchenreport vorgestellt. Ziel ist es, nicht nur über die Lage der Branche zu informieren, sondern aufzuzeigen, was bei weiter steigenden Patientenzahlen getan werden muss, um die Versorgung der Patienten und Kunden mit Hilfsmitteln und Zahnersatz zu sichern.Dabei geht es laut Schäfer nicht nur um flexiblere Vergütungsmodelle, sondern vor allem auch darum, die einzelnen Berufsbilder wieder attraktiver für den Nachwuchs und die Fachkräfte zu gestalten: „Den größten Hebel dazu sehen wir beim Bürokratieabbau.“ Schließlich brauche ein Orthopädietechniker für die Versorgung eines Kunden mit einer Kniebandage im Durchschnitt 22 Minuten, die dafür notwendige Dokumentation benötige dagegen 31 Minuten. Kein Wunder, so Schäfer, dass sich immer weniger junge Menschen für eine Ausbildung im Gesundheitshandwerk entscheiden und die vorhandenen Fachkräfte immer weniger Freude an ihrem Job haben.Immerhin hatte das Bundesministerium für Gesundheit noch zu Ampel-Zeiten signalisiert, im Rahmen des Bürokratieentlastungsgesetzes mit den Praxischecks ein eigenes Konzept mit den Gesundheitshandwerkern zu erarbeiten. Nach Einschätzung von Markus Schäfer braucht es für die Umsetzung jedoch Geduld: „Die Zusage ist da, doch die neue Regierung setzt natürlich ihre eigenen Prioritäten.“ Zukunftswünsche im Gesundheitshandwerk: Die Forderungen an die Politik Flexiblere PreisgestaltungIm bisherigen System der Sachleistungen muss sich ein Betrieb an die für eine Leistung vereinbarten Preise halten und hat keine Möglichkeit, kurzfristige Preisanpassungen vorzunehmen. Zudem wird die Höhe der Festbeträge nur selten angepasst. Das ist in Zeiten von Inflation und laufenden Marktveränderungen nicht mehr zeitgemäß und verschärft die sowieso angespannte Fachkräftesituation, weil es keinen Spielraum mehr für marktübliche Lohnsteigerungen gibt. Um das hohe Versorgungsniveau zu halten und die Eigenverantwortung der Versicherten zu fördern, könnten sich vor allem Augenoptiker und Hörakustiker einen Wechsel vom Sachleistungs- zum Festzuschussprinzip vorstellen. Schlankere PräqualifizierungWer die Patienten als Vertragspartner der Krankenkassen mit Hilfsmitteln und Gesundheitsdienstleistungen versorgen möchte, muss als Gesundheitshandwerker mit der Präqualifizierung einen speziellen Prüfprozess durchlaufen. Dieses Verfahren sowie die alle 20 Monate stattfindenden, verpflichtenden Betriebsbegehungen durch einen Akkreditierungsbeauftragten kosten neben Geld auch viel Zeit, die bei der Versorgung der Patienten fehlt. Hinzu kommt ein verzerrter Wettbewerb, da Apotheken zwar einige Hilfsmittel abgeben, aber zum Teil keine Präqualifizierung brauchen. Anspruchsvollere LeistungenDa die Betriebe größtenteils in ihrer finanziellen Absicherung auf die Verträge mit den Krankenkassen angewiesen sind, fehlt nicht nur der Spielraum für Lohnanpassungen. Sondern es geht auch darum, die einzelnen Berufsbilder aufzuwerten, um etwa die chronisch überforderte Ärzteschaft zu entlasten. Während die Hörakustiker bereits heute die Nachsorge bei Cochlea-Implantaten übernehmen, schlagen etwa die Augenoptiker vor, das optometrische Screening als Kassenleistung in ihren Betrieben einzuführen. Die wichtigsten Gesundheitshandwerk-Branchendaten im Überblick: Während die Zahl der Versorgungsfälle bei den Gesetzlichen Krankenkassen sowie die Umsätze seit 2020 kontinuierlich steigen, bleibt die Zahl der in den fünf Gesundheitshandwerken tätigen Beschäftigten nahezu gleich. Da es auch immer weniger Auszubildende gibt, sollen die Berufsbilder jetzt wieder attraktiver für Fachkräfte und den Nachwuchs werden.

Branchencheck Gesundheitshandwerk: Trotz Versorgungsfälle-Plus kämpfen viele Betriebe um die Existenz

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