Vergütung Lohnvergleich: Handwerk zahlt 20 Prozent weniger

Zugehörige Themenseiten:
Auftragsspitzen, Fachkräftemangel und Mitarbeitermotivation

Laut aktueller Studie des ifh Göttingen verdienen Mitarbeiter im Handwerk durchschnittlich 20 Prozent weniger als ihre Kollegen ausserhalb des Handwerks. Wer heute Fachkräfte finden und im Betrieb halten will, muss deshalb deutlich mehr bieten als eine Bezahlung nach Tarif.

Walter Stuber, Geschäftsführer der Gemeinhardt Gerüstbau Service GmbH
Walter Stuber, Geschäftsführer der Gemeinhardt Gerüstbau Service GmbH im sächsischen Roßwein, bietet seinen Mitarbeitern attraktive Zusatzleistungen. - © Stephan Floss

Wer mit Walter Stuber über die Bezahlung seiner 45 Mitarbeiter spricht, lernt eines sehr schnell: „Entscheidend ist nicht der Stundenlohn, sondern das, was bei der Division von Bruttolohn und geleisteten Arbeitsstunden tatsächlich herauskommt“, erklärt der Geschäftsführer von Gemeinhardt Gerüstbau im sächsischen Roßwein. Das Argument bekommen auch Bewerber zu hören, wenn sie etwa darüber klagen, in ihrem bisherigen Job doch immerhin einen Euro mehr pro Stunde zu erhalten als beim sächsischen Gerüstbaubetrieb. Stuber kontert dann mit dem, was seinen Betrieb für die Mitarbeiter so nachdrücklich anders macht als die Jobs bei vielen Kollegen.

Ein Beispiel sind etwa die Rüst- und Fahrtzeiten: Während die Mitarbeiter für die Beladung der LKWs oft nur eine kleine Pauschale erhalten und die eigentliche Arbeitszeit – wie im Tarif vorgesehen – erst nach dem Eintreffen auf der Baustelle läuft, bezahlt Stuber auch die Fahrzeiten. Zudem erspart er seinen Gerüstbauern das lästige Beladen, das von den Lagerarbeitern miterledigt wird. Darüber hinaus bietet der Gerüstbaubetrieb seinem Team ein ganzes Portfolio an Zusatzleistungen, das vom Nichtraucher- und Gesundheitsbonus über Werkzeuggeld, Kita-Plätze und Weiterbildungen bis hin zur Existenzgrundversicherung reicht. Rechnet man alle Lohnbestandteile ins Brutto ein und teilt diese durch die Arbeitsstunden, liegt der tatsächliche Stundenlohn deutlich über dem Branchenschnitt und dem Tariflohn .

Werben mit dem Wunschlohn

Lassen sich damit heute noch neue Mitarbeiter für eine Branche gewinnen, die für ihre harten Arbeitsbedingungen berüchtigt ist? „Wir haben vier bis fünf Bewerbungen pro Monat für alle Bereiche, dieses Jahr stellen wir sogar sechs neue Auszubildende ein“, erklärt Walter Stuber. Verantwortlich für die hohe Anziehungskraft ist nach seiner Meinung jedoch nicht nur die Aussicht auf einen „Wunschlohn“, wie es der Betrieb in den regionalen und sozialen Medien sowie auf der Website kommuniziert. Sondern es zählen vor allem auch die weichen Faktoren wie ein gutes Betriebsklima sowie Spaß und Wertschätzung bei der Arbeit. Wie gut sich beides beim Gerüstbaubetrieb ergänzt, zeigen die sehr guten Noten beim Arbeitgeberbewertungsporta l kununu.de . „Das Image als Arbeitgeber“, so Walter Stuber, „hat mit Geld zu tun, aber nicht nur.“

Lohnlücke von 20 Prozent

Katarzyna Haverkamp und Kaja Fredriksen, Wissenschaftlerinnen am „Institut für Mittelstand und Handwerk“ (ifh) der Universität Göttingen, haben in einer Studie für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung die Lohnstruktur im Handwerk analysiert. Ernüchterndes ­Ergebnis der Analyse zahlreicher ­Datenbanken und Statistiken: Im Durchschnitt über alle Beschäftigten und Branchen verdienen Mitarbeiter im Handwerk 20 Prozent weniger als die Mitarbeiter in der Gesamtwirtschaft.

Bruttomonatsverdienste

Je besser die Qualifikation eines Mitarbeiters, desto größer werden die Lohnunterschiede zwischen Handwerk und Nicht-Handwerk. Mit der Folge, dass viele gute Kräfte abwandern.

Bruttomonatsverdienste Die Schere klafft auseinander
Bruttomonatsverdienste Die Schere klafft auseinander - © Quelle: Statistisches Bundesamt (2017b), Tab. 4.4


Erklären lässt sich die doch sehr deutliche Verdienstlücke zur Hälfte durch das im Vergleich zum Nicht-Handwerk geringere Qualifikationsniveau. „Das Handwerk reichert seinen Markenkern auch durch mehr Akademiker an, doch dieser Effekt ist längst nicht so stark wie im Rest der Wirtschaft“, erklärt Katarzyna Haverkamp. Deutlich wird dies durch die Tatsache, dass es in den unteren Lohngruppen kaum Unterschiede zwischen Handwerk und der Gesamtwirtschaft gibt, doch mit ansteigendem Qualifikationsniveau klafft die Schere immer weiter auseinander .

Bruttostundenlöhne

Wie die Analyse des ifh Göttingen zeigt, kann das Handwerk bei der Bezahlung in den unteren Lohngruppen noch mithalten. Doch schon bei den Meistern beträgt das Lohngefälle 14 Prozent, bei den Akademikern steigt es auf 18 Prozent.

Bruttostundenlöhne
Handwerk wenig attraktiv für Akademiker - © Verdienststrukturerhebung 2014, eigene Berechnung

Tarifbindung im Handwerk sinkt

Als weiteren Grund für die Lücke haben die Wissenschaftlerinnen die im Vergleich zur Gesamtwirtschaft geringere Tarifbindung im Handwerk ausgemacht, die weitere 21 Prozent des Unterschieds erklärt. Für die restlichen knapp 30 Prozent sind sowohl die Kleinbetriebsstruktur als auch die Tatsache verantwortlich, dass die Mitarbeiter im Handwerk im Durchschnitt jünger sind als die Mitarbeiter in Nicht-Handwerksbranchen.

Mehr um die Mitarbeiter kümmern

Aber: Müssen Handwerksbetriebe wirklich genauso viel zahlen wie die Indus­trie, wenn sie noch Fachkräfte für sich gewinnen wollen? Expertin Haverkamp hält dies aufgrund des großen Abstands für unrealistisch und rät den Kleinbetrieben, zwar so weit wie möglich an der Einkommensschraube zu drehen, doch sich vor allem auch stärker um die Mitarbeiter zu kümmern: „Wichtig ist, die Vorteile wie Teamspirit sowie eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Arbeiten stärker herauszustellen und auch Höherqualifizierte etwa durch ein duales Studium für einen Job im Handwerk zu begeistern.“ In einigen Branchen wie dem Metall- und Elektrobereich, wo die Lohnschere besonders weit auseinanderklafft, sei das deutlich schwerer als etwa im Lebensmittel- und Ausbaugewerbe, wo das Handwerk teilweise sogar besser zahlt als die Nicht-Handwerksbranchen.

„Die Bezahlung ist nicht alles, aber mit zu geringer Bezahlung ist alles nichts“, bringt Klaus Steinseiferdas schwierige Thema auf den Punkt. Der Berater und Malermeister, der lange selbst einen Malerbetrieb führte, fordert die Unternehmer auf, nicht dem Irrglauben zu unterliegen, die Mitarbeiter kämen jeden Morgen in den Betrieb, weil der Chef so ein netter Mensch ist. „ Geld ist immer noch das Motivationsmittel Nummer eins“, ist der Experte überzeugt. Erst wenn ein Mitarbeiter genug verdient, um Familie, Wohnung, Auto, Urlaub und Freizeit ordentlich zu finanzieren, gewinnen andere Motivationselemente an Bedeutung. Doch was sollen Unternehmer tun, wenn sie nicht einmal das gewährleisten können?

Chefs in der Verantwortung

Experte Steinseifer hat dazu eine klare Meinung: „Im Moment wird im Handwerk sehr viel Geld verdient, wer es jetzt nicht schafft, seine Leute ordentlich zu bezahlen, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht.“ Die bestehen vor allem darin, sich am regionalen Markt klar zu profilieren und ein Spezialistenimage aufzubauen, mit dem sich der Betrieb deutlich und wahrnehmbar von der Konkurrenz unterscheidet. Wer das schafft, so der erfahrene Coach, erzielt auch gute Preise und kann seinem Team faire und marktgerechte Konditionen bieten.

Höhere Löhne durch bessere Preise

„Als Chef muss ich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ich lukrative Aufträge bekomme, die die Mitarbeiter effizient abarbeiten können, dann kann ich auch mehr zahlen“, bestätigt Gerüstbauer Walter Stuber die Einschätzung des Experten. Als Anbieter von Spezial- und Sondergerüsten für jeden erdenklichen Einsatzzweck hat sich Gerüstbau Gemeinhardt nicht zuletzt durch die Domain spezialgeruestbau.de klar am Markt positioniert .

Mit drei Standorten, zahlreichen Serviceleistungen für Kunden inklusive Zufriedenheits- und Termingarantie sowie zahlreichen positiven Bewertungen auf der Website und bei Google kommuniziert der Betrieb sein Spezialistenimage auf allen Kanälen bis hin zu Youtube und Facebook. Letzteres nutzt Walter Stuber besonders gerne, um auf die guten Verdienstmöglichkeiten und attraktiven Zusatzleistungen seines Betriebs aufmerksam zu machen: „Wir brauchen schließlich im Schnitt um die 100 Bewerber, um ein oder zwei wirklich gute und zuverlässige Mitarbeiter zu finden.“

Um die hohen Qualitäts- und Serviceansprüche der Kunden jeden Tag aufs Neue erfüllen zu können, hat Walter Stuber einen sechsstufigen Auswahlprozess für die Bewerber entwickelt. Das ist im Handwerk sehr ungewöhnlich, selektiert aber bereits im Vorfeld die Spreu vom Weizen. Denn schließlich weiß der Unternehmer ganz genau, wie hoch die Produktivität der Mitarbeiter sein muss, um den gewünschten Stundenverrechnungssatz auch tatsächlich zu erzielen.

Mitarbeiter: Nur die besten setzen sich durch

Wer sich als Bewerber auf das Verfahren einlässt, muss erst einen Fragenkatalog beantworten, um abzuklären, ob er das Anforderungsprofil erfüllt. Erst danach geht es zum klassischen Vorstellungsgespräch, auf das bei gutem Eindruck ein Probearbeiten folgt. Läuft das ebenfalls positiv, muss der Bewerber in der nächsten Stufe noch einen Persönlichkeitstest sowie einen Gesundheitscheck absolvieren, bevor er mit dem Chef über das vermeintlich Wichtigste reden darf: seinen Lohn. „Natürlich“, so Stuber, „wollen das nicht alle Bewerber mitmachen, doch wer sich der Herausforderung stellt, hat schon einmal gute Voraussetzungen, bei uns ins Team zu passen.“

Bei allem Fokus auf die Fähigkeiten der Bewerber vergisst Walter Stuber jedoch nicht, dass er als Chef genauso „liefern“ muss. Als der Betrieb vor zwei Jahren eigentlich kein Weihnachtsgeld zahlen konnte, hat Stuber es dennoch getan –und ein Minus von 80.000 Euro hingenommen: „Die Mitarbeiter können ja nichts dafür, wenn die Geschäftsführung Fehler gemacht hat.“

Tarif und Marktlöhne im Handwerk

Dem Trend der Gesamtwirtschaft folgend geht auch im Handwerk die Zahl der tarifgebundenen Betriebe und Mitarbeiter zurück. Die Tabelle zeigt einige Beispiele der aktuell im Handwerk geltenden Tarifverträge.
Je nach Region liegen die tatsächlich gezahlten Löhne durchaus auch mal unter Tarif, besonders in den neuen Ländern. Doch vor allem in den Boom-Regionen wie München hat der Markt den Tarif deutlich abgehängt.

© WSI Tarifarchiv / gehalt.de, Abruf: Juli 2019