Andrea Eigel leitet zahlreiche Erfa-Gruppen – und ist somit ganz nah dran am Handwerk. In ihrer Kolumne beantwortet die erfahrene Beraterin Fragestellungen aus der Praxis. Folge 8: Führungskraft.

Das waren noch Zeiten im Wilden Westen. Will man Karl May glauben (und das muss man wirklich wollen), herrschte kein Häuptlingsmangel bei den Native Americans. Bei Winnetou & Co. wurden die Chefs der Stämme von einem Ältestenrat ernannt. Sie konnten sich bei Entscheidungen stets der Beratung durch diese weisen, erfahrenen Männer und Frauen sicher sein. Die Häuptlinge kannten die Werte der Gemeinschaft aus dem Effeff und waren durch die Wahl von den Stammesmitgliedern anerkannt.
Deutlich anders sieht es mit „Häuptlingen“ (m/w/d) aus, die die Chefposition in einem Handwerksbetrieb annehmen. Und das in vielerlei Hinsicht: Es gibt wenige willige Nachfolger. Der Handwerks-Häuptlingsposten stellt vor viele Herausforderungen. Und es tauchen besondere Probleme auf, wenn die neue Führungskraft aus den Reihen der Mitarbeiter kommt. Wie lässt sich solch ein Führungswechsel dennoch geschmeidig und auch auf lange Sicht erfolgreich gestalten?
Die Führungskraft muss in die neue Rolle hineinwachsen
In einem Schreinerbetrieb wurde ich in einer Erfa-Gruppe mit einer besonderen Konstellation konfrontiert. Der Inhaber besitzt neben dieser Firma noch zusätzlich einen weiteren Handwerksbetrieb am selben Standort. In der Schreinerei war schon lange ein Betriebsleiter eingesetzt. Diese altgediente Führungskraft ging im Sommer in Rente und eine Doppelspitze aus zwei jungen Schreinermeistern, beides „Eigengewächse“ des Unternehmens, leitet seither die Schreinerei. Schon ein Jahr vor diesem Führungswechsel holte mich der Inhaber an Bord, um die zukünftigen Chefs auf ihre neue Rolle und so den Betriebsleitungswechsel in vielerlei Perspektiven gut vorzubereiten. Denn eines war – so bestätigten es mir die jungen Schreinermeister – klar: Sie waren bestens handwerksfachlich präpariert, aber in Themen wie Auftragswesen, Personalführung, strategischer Planung oder Marketing fühlten sie sich unsicher.
In monatlichen, halbtägigen Treffen mit dem damals noch aktiven Betriebsleiter und den beiden Nachfolgern haben wir die konkreten Handlungsfelder identifiziert und jeweils die nächsten Meilensteine für die Bearbeitung gesetzt. Mitarbeiterführung, der Umgang mit der neuen Leitungsstruktur und mit potenziell konfliktbehafteten Personalsituationen, die zukünftige Kundengewinnungsstrategie und die profilierte Positionierung des Betriebs am Markt standen im Mittelpunkt. Auch nach dem Ausscheiden des Betriebsleiters setzten wir das Coaching fort. Die jungen Chefs profitieren weiterhin vom Austausch über alltägliche Situationen. Immer wieder ist das Hineinwachsen in die Führungsrolle Thema – kürzlich beispielsweise, wie man als Chef seine Vorbildfunktion klar definiert und sich selbstbewusst gegenüber den ehemaligen Kollegen aufstellt. Statt ins kalte Wasser springen zu müssen, dabei aus Unsicherheit Fehler zu machen, gar die Lust an der Aufgabe zu verlieren und damit dem Betrieb im schlimmsten Fall zu schaden, hat dieses Vorgehen zu einem überaus fundierten Führungswechsel in dieser Schreinerei geführt.
Das macht einen gelungenen Führungswechsel aus:
- Optimaler Start für die neue Führungskraft? Langfristige Einarbeitung! Planen Sie genug Zeit ein, um den Wechsel in der Betriebsführung durchzuführen. Alte und neue Führungskraft sollten nach einem genau definierten Fahrplan alle betriebswirtschaftlich relevanten Themen konkret gemeinsam anfassen.
- Fachlich top, aber keine Führungskompetenz? Lässt sich lernen! Gerade im Handwerksbereich sind junge Meisterinnen und Meister selten gut auf die Chefposition vorbereitet. Machen Sie junge Führungskräfte fit im Kundenkontakt, auf der gesamten betriebswirtschaftlichen Seite und in den betrieblichen Abläufen – konkret und Schritt für Schritt.
- Plötzlich Chef der ehemaligen Kollegen? Personalführung üben! Wenn die neue Führungskraft aus den eigenen Reihen kommt, tut sich ein besonderes Spannungsfeld auf. Der Rollenwechsel will gemeistert werden. Wie verschaffe ich mir auf positive Weise Respekt gegenüber den Kollegen? Wie grenze ich mich ab? Wie führe ich Mitarbeiter- und Konfliktgespräche souverän und erfolgreich? Fragen wie diese kläre ich in meinen betrieblichen Coachings nicht nur theoretisch, sondern spiele sie zusammen mit den Nachwuchschefs an konkreten, aktuellen Betriebssituationen durch.
- Alles wie immer oder Ausblick auf gute Veränderungen? Zukunft planen! Ein Führungswechsel ist die beste Gelegenheit, um die Positionierung des Betriebs zu überprüfen, gegebenenfalls bei Wunschkunden und lukrativen Leistungen neue Akzente zu setzen sowie das Marketing voranzutreiben. Das gibt der neuen Führung zudem die Chance, mitzugestalten. Auch hier profitieren Betriebe vom Blick von außen, kombiniert mit entsprechendem Knowhow.
Fazit: Eine zukünftige Führungskraft braucht einen konkreten Plan
Eine hektische Kurzeinweisung der neuen Betriebsführung, bevor es ab ins kalte Wasser geht, ist kein zielführendes Vorgehen. Es braucht Zeit und eine genaue Planung, um die vielen Felder des Übergabeprozesses konstruktiv gemeinsam zu beackern. Eine häufig offene Flanke bei zukünftigen Führungskräften mit Meisterbrief ist deren mangelnde Führungskompetenz. Hier benötigen die Nachwuchschefs eine Extraportion Schulung – und vor allem ein offenes Ohr, um konkrete Probleme zu besprechen und zu lösen. Besonders oft treten Konflikte auf, wenn die neue Leitung aus dem Mitarbeiterkreis kommt. Doch mit einem langfristig geplanten, disziplinierten und gecoachten Führungswechsel profitieren alle Beteiligten – und natürlich die vielversprechende Zukunft des Betriebs.
Wie haben Sie Ihre Übernahme oder Übergabe der Betriebsleitung erlebt? Wo liegen in Ihren Augen die Knackpunkte? Schreiben Sie mir gern!
Über Kolumnistin Andrea Eigel:
Andrea Eigel unterstützt Unternehmerinnen, Unternehmer und Führungskräfte im Handwerk dabei, Kunden und Mitarbeitende zu gewinnen und nachhaltig zu binden – und dabei auch selbst bei Lust und Laune zu bleiben.
Sie hält Vorträge, macht Workshops und Coachings, moderiert Veranstaltungen und leitet seit vielen Jahren Erfa-Gruppen. Nebenberuflich ist sie Dozentin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.