Betrieblicher Gesundheitsschutz Diabetes bei Mitarbeitern: So gehen Führungskräfte im Handwerk richtig damit um

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Rund elf Millionen Deutsche haben Diabetes, jedes Jahr kommen mindestens 500.000 dazu. Wer betroffenen Mitarbeitern mit Offenheit begegnet, sorgt für ein angenehmes und sicheres Betriebsklima für alle. Was Chefs über die Erkrankung wissen müssen und und worauf es in Notfällen ankommt.

Laut Schätzungen sind etwa drei bis vier Millionen Menschen im erwerbstätigen Alter an Diabetes erkrankt.
Laut Schätzungen sind etwa drei bis vier Millionen Menschen im erwerbstätigen Alter an Diabetes erkrankt. - © Dragana Gordic - stock.adobe.com

Jahr für Jahr erhalten eine halbe Million Menschen in Deutschland die Diagnose „Diabetes“. Betroffen von der chronischen Erkrankung sind laut Deutscher Diabetes-Hilfe e.V. derzeit rund elf Millionen Deutsche – ohne Dunkelziffer wohlgemerkt. Mit etwa 95 Prozent ist Typ-2-Diabetes dabei der am meisten verbreitete Typ, insulinpflichtige Typ-1-Diabetes haben hierzulande etwa 340.000 Erwachsene (siehe Info unten).

Vorurteile: Nicht leistungsfähig und erhöhte Unfallgefahr

Angesichts der hohen Verbreitung befinden sich damit auch unter den Mitarbeitern in den Betrieben viele Menschen mit Diabetes, laut Schätzungen sind etwa drei bis vier Millionen Menschen im erwerbstätigen Alter. Dr. Kurt Rinnert, Leitender Betriebsarzt der Stadt Köln, weist darauf hin, dass häufig ein Zerrbild des Diabetes in der Arbeitswelt besteht: Betroffene seien ständig krank, produzierten Unfälle und seien nicht leistungsfähig. „Es gibt statistisch keine erhöhte Unfallgefahr bei Menschen mit Diabetes im Arbeitsumfeld“, stellt der Mediziner klar. Dabei hätten unter anderem die großen Fortschritte in der Diabetestherapie der letzten Jahrzehnte beigetragen.

Alle Berufe und Tätigkeiten möglich!

„Für Menschen mit Diabetes bei der Arbeit gilt grundsätzlich der Leitsatz: Gut eingestellte und geschulte Menschen mit Diabetes können alle Berufe und Tätigkeiten sicher durchführen“, betont Experte Rinnert. Ganz plakativ macht er es mit einem Beispiel aus dem handwerklichen Bereich: „Wenn ein Dachdecker vom Dach fällt, dann nicht, weil er Diabetes hat, sondern weil er auf dem Dach arbeitet. Wenn die Arbeitsschutzvorschriften eingehalten werden, besteht für Menschen mit Diabetes auch an diesem Arbeitsplatz kein erhöhtes Risiko.“

Was ist der Unterschied zwischen Diabetes Typ 1 und Typ 2?

  • Typ-2-Diabetes ist vererbbar und macht sich bei mangelnder Bewegung, falscher Ernährung und Fettleibigkeit durch hohe Blutzuckerwerte bemerkbar. Die Bauchspeicheldrüse der Betroffenen produziert noch Insulin, aber die Empfindlichkeit dafür sinkt, sodass (zu viel) Zucker im Blut verbleibt und nicht in die Zellen gelangt. Mit Bewegung, einer Ernährungsumstellung und eventuell auch Tabletten kann der Blutzucker meist reguliert werden. In extremen Fällen muss Insulin gespritzt werden.
  • Bei Typ-1-Diabetes handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper die Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört, die Insulin produzieren. Betroffene müssen sich daher zwingend von Beginn der Diagnose an das lebensnotwendige Hormon spritzen.

Generell können bei Diabetes durch langjährig hohe Blutzuckerwerte Folgeerkrankungen drohen, die man durch Therapiemaßnahmen zu vermeiden kann, indem ein möglichst normaler Blutzuckerspiegel angestrebt wird. Bei einer Insulintherapie kann es zu Unterzuckerungen kommen – wenn etwa für eine Mahlzeit zu viel Insulin gespritzt wurde oder Bewegung die blutzuckersenkende Wirkung verstärkt.

Weitere Informationen bieten die Videos von "TV Wartezimmer":

Arbeitsrecht: Keine Pflicht zur Offenlegung der Erkrankung

Menschen mit Diabetes müssen im Bewerbungsgespräch keine Auskunft über ihre Erkrankung geben, sofern diese keine Auswirkung auf die angestrebte Tätigkeit hat. Zur Mitwirkungspflicht und damit zur Offenlegung sind sie also nur verpflichtet, wenn sie selbst ganz offenbar erkennen können, falls sie nicht für die Arbeit geeignet sind. Ebenso verhält es sich bei einer Schwerbehinderung, die in Einzelfällen auch bei Diabeteserkrankungen ausgestellt wird – diese muss im Bewerbungsgespräch nicht angegeben werden.

Auch Betriebsärzte unterliegen der Schweigepflicht

Mediziner Rinnert weist auf die Gesetzeslage hin: Laut Arbeitsschutzgesetz müssen die Arbeitsbedingungen immer zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz aller Arbeitnehmer beurteilt werden (Gefährdungsbeurteilung), bei besonderen Risiken ist gegebenenfalls auch eine individuelle Beurteilung erforderlich. Vor Aufnahme einer gefahrgeneigten Tätigkeit erfolgt grundsätzlich eine arbeitsmedizinische Vorsorge mit persönlicher, ganzheitlicher Beratung und gegebenenfalls auch einer Untersuchung. Der Betriebsarzt unterliegt dabei der Schweigepflicht – auch über eine Diabeteserkrankung. Die Mitarbeitenden können also dort im geschützten Raum über mögliche Probleme sprechen und gemeinsam Lösungen vereinbaren. Einige gehen offen damit um und erzählen ihrem Team und ihren Vorgesetzten auch ohne Verpflichtung davon – der empfehlenswerte Weg –, andere verheimlichen ihren Diabetes.

Wichtig: Vorbehalte durch offene Kommunikation abbauen

Chefs und Führungskräfte sollten eine Atmosphäre der Offenheit und Vertrauen schaffen, in der Betroffene ohne Sorge von ihrer Erkrankung erzählen könne. Aus Scham, eine vermeintliche Schwäche zuzugeben oder als nicht leistungsfähig zu gelten, verheimlichen viele Betroffene die Krankheit gegenüber den Kollegen. Bei Unsicherheiten und Sorgen kann in geeignetem Rahmen deutlich gemacht werden, dass Mitarbeiter mit Verständnis und Unterstützung rechnen können, wenn sie sich mit gesundheitlichen Themen an sie wenden. Als positives Vorbild wirken Vorgesetzte, die mit gutem Beispiel vorangehen und eigene, vermeintliche Schwächen oder Erkrankungen ansprechen.

Erzählen Mitarbeiter offen von ihrer Diabeteserkrankung, sollten Chefs dieselbe Offenheit an den Tag legen und proaktiv erfragen, wie man optimal unterstützen kann. Sensibilität ist bei diesen Gesprächen extrem wichtig, denn man sollte es den Betroffenen selbst überlassen, wie viel sie tatsächlich von sich preisgeben wollen. Auch kann ein ständiges, alarmiertes Fragen nach dem aktuellen Befinden schnell kontraproduktiv wirken.

Unter- und Überzuckerung: Wie Chefs und Kollegen richtig reagieren

Bei einer Unterzuckerung (medizinisch „Hypoglykämie“) ist der Blutzucker zu niedrig. Jeder Betroffene reagiert ein wenig anders auf sehr tiefe Blutzuckerwerte. Ein Gespräch mit dem Betroffenen kann Kollegen und Vorgesetzten dabei helfen, derartige Situation zu erkennen und um im Notfall rechtzeitig zu helfen.

Im Notfall: Cola und Traubenzucker, keine Schokolade

Auch wenn jeder Mensch mit Diabetes anders auf Unterzuckerungen reagiert, so hilft bei allen ein Gegenmittel: schnellwirksame Kohlenhydrate wie Traubenzucker oder Cola (nicht Cola-light!), die den Blutzucker rasch wieder steigen lassen. Folglich sollten Vorgesetzte und das Team wissen, wo Mitarbeiter mit Diabetes ihre Notfall-Rationen an schnell wirksamen Kohlenhydraten lagern. Achtung: Schokolade ist als nicht als Hypo-Helfer geeignet, da die Kohlenhydrate der Schokolade aufgrund ihres hohen Fettgehalts nur (zu) langsam ins Blut gelangt!

Im schlimmsten, aber zum Glück seltenen Fall droht bei einer Unterzuckerung ein Koma, wenn nicht gegengesteuert wird. Für solche Fälle gibt es eine „Glukagon-Spritze“, die im Kühlschrank verwahrt werden muss, sowie alternativ ein Notfallnasenspray: Falls der Mitarbeiter eine derartige Notfallausrüstung besitzt, sollten das Kollegium und der Vorgesetzte wissen, wo diese gelagert sind. Im Idealfall zeigen Betroffene dem Team, wie sie damit umgehen müssen, damit im Notfall schnell und kompetent Hilfe geleistet werden kann – ganz ohne Berührungsängste.

Bei Überzuckerung: Kaum akute Beschwerden, dafür aber Folgeerkrankungen

Im Gegensatz dazu sind hohe Blutzuckerwerte selten lebensbedrohlich oder akut – das ist gerade die Tücke von Typ-2-Diabetes, der viele Jahre hohe Blutzuckerwerte und damit Folgeerkrankungen verursacht – oft unbemerkt. Menschen mit Typ-1-Diabetes reagieren dagegen oft auch körperlich auf extrem hohe Blutzucker-Werte, die ebenfalls nur im äußersten Extremfall zur Bewusstlosigkeit führen. Auch hier sind die Symptome sehr individuell. Möglich sind Anzeichen wie Schläfrigkeit, Durst oder Unkonzentriertheit. Im Zweifelsfall den Mitarbeiter einfach aktiv ansprechen.

Unterzuckerung: Die wichtigsten Anzeichen

Bei jedem Menschen mit Diabetes kann sich eine Unterzuckerung durch völlig unterschiedliche Symptome äußern. Die folgenden Anzeichen können darauf hindeuten:

  • Zittern
  • Schwitzen
  • Unruhe
  • Unkonzentriertheit
  • Benommenheit
  • Blässe
  • Schwäche