Interview mit Cornelia Höltkemeier Preisgleitklauseln: So überzeugen Sie öffentliche Auftraggeber, Kosten steigender Materialpreise zu übernehmen

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Lieferengpässe, volatile Energiemärkte, Ukrainekrise – Handwerker können bei der Preiskalkulation nur spekulieren, wenn sie Aufträge öffentlicher Auftraggeber annehmen, die erst in naher Zukunft abgewickelt werden. Rechtsanwältin Cornelia Höltkemeier, Geschäftsführerin der Landesvereinigung Bauwirtschaft Niedersachsen e.V. in Hannover, erklärt im Interview, wie sich Preisgleitklauseln in Verträge implementieren lassen und wie Unternehmer ihre Rechte auch für bereits bestehende Verträge durchsetzen.

Nach der Ausschreibung eines Auftrags und Erhalt des Zuschlags sind rechtlich keine nachträglichen Preisanpassungen mehr möglich. - © Oleksandr - stock.adobe.com
Frau Höltkemeier, Sie haben eine Mustervereinbarung erarbeitet, die Chefs dabei helfen soll, verbindliche Termini in ihre Verträge zu integrieren. Gibt es dafür eine gesetzliche Grundlage?

Cornelia Höltkemeier: Verpflichtend ist die Prüfung und Vereinbarung von Preisgleitklauseln wegen Materialpreissprüngen nur für Bauvorhaben, die der Bund vergibt. Hierfür gibt es Erlasse des Bundesbau- und des Bundesverkehrsministeriums. Die darin vermerkten Sonderregelungen wurden im Dezember noch einmal verlängert bis zum 30. Juni 2023. Die Regelungen wurden zwischenzeitlich auch nachgeschärft und eine alternative Methode zur Ermittlung der Basiswerte für die eingeführt – siehe Formblatt 225a VHB.

Aber beziehen sich diese Erlasse auch auf Aufträge von Ländern und Kommunen?

Die Erlasse beziehen sich nur auf Bundesaufträge – sie werden aber von den Bundesländern in aller Regel ausdrücklich auch auf die Aufträge angewendet, die vom Land vergeben werden. Wir hier in Niedersachsen haben zum Beispiel die eindeutige Erklärung unserer zuständigen Ministerien im Bereich Wirtschaft und Finanzen, dass auch die verlängerten Sonderregelungen für Maßnahmen des Landes entsprechend anwendbar sind – ich gehe davon aus, dass auch andere Bundesländer sich entsprechend geäußert haben.

Wie aber geht man vor, wenn man etwa als Schreiner für die örtliche Kommune angefragt wurde und den Zuschlag nur erhielt, weil man der günstigste Anbieter war. Muss die Kommune sich ebenfalls an den Anforderungen des Landes orientieren?

In der Tat sind Verträge, die man mit Kommunen abschließt, schwieriger im Handling. Länder können den Kommunen nicht „vorschreiben“, dass sie sich an die Regelungen für Aufträge auf Bundes- oder Landesebene halten sollen. Das hat etwas mit dem Konnexitätsprinzip zu tun. Das Land kann Kommunen nicht zu etwas verpflichten, was Geld kostet, ohne diese Mehrausgaben zu übernehmen. In der Praxis führt die Vereinbarung von Gleitklauseln unter Umständen zu Mehrausgaben bei den Kommunen – daher also das Problem, dass die Bundeserlasse für Aufträge der Kommunen nicht direkt anwendbar sind.

Gibt es denn keine Absprachen diesbezüglich zwischen Bundesländern und Kommunen?

Nach meiner Kenntnis haben natürlich alle Bundesländer mit ihren Kommunen gesprochen und diese gebeten, auch bei ihrer Auftragsvergabe die Situation der Bieter im Auge zu behalten. So zum Beispiel bei uns in Niedersachsen. Zudem hat unser für die Kommunalaufsicht zuständige Innenminister ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kommunen bei der Vereinbarung von Gleitklauseln keine Kritik der Aufsicht fürchten müssen. Aber natürlich ergibt sich aus der fehlenden „Pflicht“ die Tatsache, dass manche Kommune zum Teil sperrig reagiert – so, wie viele Handwerkschefs es derzeit erleben.

Aber wieso bleiben manche Kommunen so unnachgiebig? Der gesunde Menschenverstand würde ja in der aktuellen Situation nahelegen, den Unternehmern entgegenzukommen? Es ärgert viele Betriebsinhaber auch, dass dies nicht der Fall ist.

Nach dem Vergaberecht ist es zutreffend, dass nach Ausschreibung und Angebotszuschlag keine nachträgliche Preisanpassung mehr erfolgen kann. Daher ist es um so wichtiger, dass Chefs künftig bei Aufträgen, die sie annehmen, sicherstellen, dass die Kommunen in ihren Ausschreibungen auch eine Preisgleitklausel aufnehmen. Bei uns in Niedersachsen ist das jetzt häufig der Fall – ansonsten bekommen sie eben keine passenden Angebote mehr von unseren Betrieben.

Was aber können Chefs tun, wenn die Ausschreibungen keine Preisgleitklausel enthalten? Gibt es für Unternehmer entsprechende Handhaben?

Ist keine Preisgleitklausel enthalten und der Unternehmer hat Sorge, dass er nicht seriös kalkulieren kann, stellt er zukünftig eine Bieteranfrage mit der Aufforderung, dass eine Preisgleitklausel einzufügen wäre. Denn langsam stellen wir fest, dass sich der „Geist“ der bereits genannten Erlasse allmählich auch auf die Verhandlungssituation bei Aufträgen mit Kommunen erstreckt. Das heißt: Zumindest auf Nachfrage gelingt es vielen unserer Unternehmen, eine Preisgleitklausel zu vereinbaren. Es bedeutet aber auch: Hier müssen die Unternehmen in der Angebotsphase aktiv werden, denn im Nachgang ist die rechtliche Anpassung eben aus den bekannten Gründen nahezu unmöglich. Wenn Kommunen sich dann immer noch weigern nachzubessern, sollten Chefs überlegen, ob Sie das Risiko tragen wollen oder nicht – und eventuell nicht bieten.

Was können Handwerker tun, die etwa im Frühjahr 2022 Rahmenverträge für zwei Jahre ohne solche Klauseln unter Dach und Fach gebracht haben, die Einkaufspreise für notwendiges Material unterdessen aber um 20 bis 30 Prozent gestiegen sind?

Die Regelungen für die Bundesbauten sehen auch die Möglichkeit von Vertragsanpassungen innerhalb laufender Verträge vor – allerdings nur nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Hier hängt die Latte sehr hoch. Die Rechtsprechung verlangt hier, dass die Vertragsdurchführung „absolut unzumutbar und unbillig wäre“. Die Erfahrung vor den Gerichten zeigt: Eine klare prozentuale Grenze, ab wann eine Kostensteigerung von einzelnen Materialien den gesamten Auftrag so sehr beeinflusst, dass eine Kostenanpassung zu erfolgen hat, gibt es nicht. Preissteigerungen um 20 bis 30 Prozent dürften in der Regel nicht ausreichen, da bei Bauaufträgen die Aufwendungen für Personal im Vordergrund stehen. Die Anpassung laufender Verträge ist also auch schon bei Bundesbauten kein Selbstläufer, deutlich schwieriger wird es daher dann bei Aufträgen mit Kommunen in diesen Fällen, da die Erlasse nicht direkt anwendbar sind. Ein Gerichtsprozess ist in so einem Fall also nicht zu gewinnen.

Das heißt, Betriebschefs haben in solchen Fällen keine Möglichkeit, doch noch eine Nachbesserung zu erwirken?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Ich empfehle in dieser Situation, nochmals ein Gespräch mit der Kommune zu suchen – darauf hinzuweisen, dass auf Bundesebene ja auch Anpassungen in laufenden Aufträgen vorgenommen werden. Die Grundregel für Bundesaufträge besagt für Fälle eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage durch Materialpreissteigerungen, dass sich Auftraggeber und Auftragnehmer die Preissteigerungen teilen – der Auftraggeber übernimmt also maximal 50 Prozent der Preissteigerung. Im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit können sich Handwerker mit ihren öffentlichen Auftraggebern oft einigen. Dass dies erfolgversprechend sein kann, wird uns zumindest auch aus anderen Bundesländern und Kommunen berichtet.

Im Prinzip kommt es also auf den guten Willen der Beteiligten an, oder?

Ja, tatsächlich ist das so. Eine gute, laufende und projektbegleitende Kommunikation über Veränderungen der Preissituation ist hier eine wesentliche Grundlage für die Option, doch noch einen Teil der Kosten weitergeben zu können.  Dies gilt übrigens auch für die Entwicklung der Energiepreise. Nur für zukünftige Aufträge haben Chefs das Heft in der Hand – kein Abschluss ohne Preisgleitklausel. Unsere Innungsbetriebe, die wir seit Anfang letzten Jahres beraten, haben durchaus Erfolg mit der genannten Vorgehensweise. Wer unsicher ist, kann sich bei den Innungen vor Zuschlagserteilung beraten lassen.

Vita: Cornelia Höltkemeier

Rechtsanwältin Cornelia Höltkemeier
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Rechtsanwältin Cornelia Höltkemeier ist Geschäftsführerin der Landesvereinigung Bauwirtschaft in Niedersachsen in Hannover. In der Landesvereinigung Bauwirtschaft Niedersachsen haben sich acht niedersächsische Fachverbände des Bau- und Ausbauhandwerks zusammengeschlossen, um gebündelt die Interessen ihrer insgesamt rund 16.000 Mitgliedsbetriebe mit ca. 160.000 Beschäftigten zu vertreten. Cornelia Höltkemeier ist zudem Mitglied im Vorstand der Deutschen Rentenversicherung, Regionalleiterin Hannover der Bundesstiftung Mediation, ehrenamtliche Richterin am Landesarbeitsgericht Niedersachsen, stv. Mitglied im Tarifausschuss des Landes Niedersachsen,