Handlungsfelder Zukunftstrends im Handwerk - Wo liegen die Lösungen?

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Digitalisierung, Internationale Handwerksmesse, Upcycling und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Energiewende, Fachkräftemangel und Digitalisierung: So wappnet sich das Handwerk für die Trends der Zukunft.

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    Oskar Vogel, Hauptgeschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstags: »Die Betriebe tun sich noch schwer damit, länger als zwei bis drei Jahre vorauszu- schauen.«
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    Marktentwicklung: Anzahl der Betriebe polarisiert. Die Zahl der sehr kleinen und der großen Handwerksunternehmen ist in den letzten Jahren gewachsen. Die Mitte hat dagegen verloren. In Baden-Württemberg ist diese Tendenz stärker ausgeprägt als bundesweit, vor allem in Richtung Großbetriebe.
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    Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz und Beirats- mitglied des Projekts „Dialog und Perspektive Handwerk 2025“: »Wir brauchen eine Modernisierung der dualen Ausbildung unter Einbezug der Schulen.«
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Beim Blick auf Zukunftstrends wie Digitalisierung oder Fachkräftemangel wird eines schnell klar: Das Handwerk hat einiges aufzuholen, es muss sich etwas tun. Das hat besonders Baden-Württemberg erkannt und will Unternehmern jetzt das richtige Rüstzeug für die Zukunft verschaffen.

Seit Jahren wird deshalb an Strategien und Handlungsempfehlungen für das Handwerk gebastelt. Digitalisierungsprämien, kostenlose Personalberater und persönliches Coaching sind nur einige davon. handwerk magazin zeigt die wichtigsten Ergebnisse des Projekts "Dialog und Perspektive Handwerk 2025" im Überblick.

Wie kommt man in Zukunft an neues Personal?

Wie finde ich überhaupt Personal? Wie kann ich Nachwuchs dauerhaft an mich binden? Und wer übernimmt einmal meinen Betrieb? Diese Fragen werden immer aktueller. Ganze zwei Drittel der im Handwerk ausgebildeten Fachkräfte verlassen die Branche im Laufe ihres Lebens. "Handwerk 2025" will deshalb mit der sogenannten "Personaloffensive" Abhilfe schaffen. Was kompliziert klingt, ist im Grunde einfach logisch: Die Betriebe müssen anfangen, sich für die Arbeitnehmer strategisch attraktiv machen.

Um das zu erreichen, werden mehrere Maßnahmen ergriffen. Einerseits sind bis zum Herbst 2017 acht Personalberaterstellen an den Handwerkskammern geplant. Die Berater unterstützen die Unternehmer bei allen Fragen rund um die Personalentwicklung und entwickeln mit ihnen konkrete Strategien. Die ersten acht Beratungstage sind dabei sogar kostenlos. Außerdem wird es eine Informations- und Wissensplattform zum Thema Persona l geben. So können Betriebe sich auch selbständig informieren. Zu guter Letzt wird ein Coaching bei der Beratungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft für Handwerk und Mittelstand (BWHM) angeboten. Das Coaching liegt mit einem Eigenanteil von 350€ unter dem regulären Preis.

Wie begegnet man der Digitalisierung?

Dass das Handwerk beim Digitalisierungstrend einiges aufzuholen hat, ist bekannt. "Handwerk 2025" bietet jetzt konkrete Unterstützung. Geplant ist eine enge Verknüpfung mit Wirtschaft 4.0 und deren Unterstützungsangeboten, zum Beispiel der Digitalisierungsprämie. Aber auch sogenannte "Digital-Werkstätten" sind in Arbeit. Damit können Unternehmer neue Anwendungsmöglichkeiten im Handwerk ausprobieren.

Dazu gehört die Entwicklung von Digitalisierungsstrategien durch kollegiales Coaching , sprich: Coaching im Sinne von "Unternehmer lernt durch Unternehmer". Außerdem wird sich Baden-Württemberg in den Themenfeldern "IT-Sicherheit", "Digitalie Markterschließung" und "Digitalisierte Geschäftsprozesse" an das bundesweite Förderprogramm " go digital " anschließen.

Wie handelt man strategisch?

Handwerksunternehmer gehen immer wieder zu unstrategisch vor. Deshalb ist die "Strategieoffensive" besonders wichtig: Hier wird Unternehmern die strategische Betriebsführung explizit vermittelt. Dabei helfen wieder Coaches, die die Betriebe bei der Entwicklung und Umsetzung von Strategien unterstützen. Außerdem wird es eine Geschäftsstelle für "zukünftige Strategien und Geschäftsmodelle" beim Baden-Württembergischen Handwerkstag (BWHT) geben. Auf diesem Weg sollen Betriebe über Strategien, Technologie- und Marktentwicklungen informiert und für Zukunftsthemen sensibilisiert werden.

Die Hintergründe: Daran fehlt es im Handwerk!

Die Handlungsempfehlungen von "Handwerk 2025" fußen auf der vorangegangenen Studie "Dialog und Perspektive Handwerk 2025" des BWHT zur Zukunft der baden-württembergischen Betriebe. In zehn Workshops diskutierten Handwerksunternehmer dafür ihre Geschäftsaussichten. Die Runden aus jeweils etwa einem Dutzend Teilnehmern moderierte der Wirtschaftsexperte und stellvertretende Leiter des Karlsruher Forschungsinstituts itb, Ewald Heinen.

Sein Fokus: Wo liegen die Chancen und Risiken der Betriebe – und zwar heute und in neun Jahren. Die Gespräche sollten herausfinden, wie sich die Betriebe besser für die Zukunft aufstellen können und wo die Erfolgsfaktoren für künftige Märkte liegen. Und nicht nur das: Die Diskussionen sollten auch herausarbeiten, was Politik, Verwaltung und Handwerksorganisation tun müssen, um die Betriebe hier zu stärken. Im Januar dieses Jahres wurde der Ergebnisbericht in Stuttgart vorgestellt. Dabei wurde eines schnell deutlich: Es besteht Handlungsbedarf im Bereich Fachkräftegewinnung und -bindung, im Bereich der Digitalisierung und bei der strategischen Betriebsführung:

Wenig Strategie und mangelhafte Geschäftsmodelle

Eine zehn Jahre in die Zukunft gedachte strategische Ausrichtung der Unternehmen ist wünschenswert und ideal“, findet Ewald Heinen. „Auf konkrete Nachfrage äußerten viele Diskussionsteilnehmer jedoch, dass ihnen, aufgrund vieler Unwägbarkeiten einerseits und der Belastung durch das Tagesgeschäft andererseits, maximal eine Planung mit zwei bis drei Jahren Horizont möglich sei.“ Diese strategische Lücke müssten Betriebe überwinden.

Szenario-Technik kann dabei helfen: Bei der Entwicklung der betrieblichen Zukunftsausrichtung sollten verschiedene Szenarien für den Umgang mit alten und neuen Risikofaktoren (Veränderung der Nachfrage, neue Technologien, Ertragsausfälle, IT-Sicherheit) entworfen werden, die auch ein Risikomanagement mit einschließen. Weiter sollten die Betriebe außerdem von zunehmenden Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien ausgehen.

Mehr Fokus Objekt-Lebenszyklus

Professionelles Marketing, das zielgruppengerecht kommuniziert, wird zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dabei ist es wichtig, unterschiedliche Kundengruppen zielgruppengerecht anzusprechen. Im Exportgeschäft ist es von besonderer Bedeutung, anspruchsvollen und zahlungskräftigen ausländischen Kunden die Leistung professionell zu visualisieren, beispielsweise über Prototypen, digitale Modelle oder Messen. Die Qualität der handwerklichen Leistungen muss für Kunden künftig wahrnehmbarer gestaltet sein.

Um den künftig vermehrt auftauchenden Kundenwunsch nach vollständigen Problemlösungen zu erfüllen, sind gewerkeübergreifende Komplettangebote „aus Meister-Hand“ oder Ähnliches zu vermarkten. Traditionelle Leistungsangebote müssen um neue Kerntätigkeiten ergänzt werden, die meist dienstleistungsorientiert sind, wie Objekt-Sharing , Objekt - Leasing oder - Miete , Objekt-Management . Damit tritt die Begleitung entlang des Objekt-Lebenszyklusses mehr in den Vordergrund.

Defizite bei Führung & Ausbildung

Beim Handlungsfeld ‚Führung und Motivation, Qualifizierung, Kompetenzen und Wissensmanagement‘ ergeben sich für die Politik aus Sicht des Handwerks einige Punkte“, sagt Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz und Beiratsmitglied, zur Studie. „Das sind die Sicherung der Berufsschulstandorte und der handwerklichen Bildungsstätten, die Förderung der I ntegration ausländischer Fachkräfte und die Modernisierung der dualen Ausbildung unter Einbezug der Schulen.“

Die Ausbildung sei ebenfalls von zunehmender Polarisierung geprägt, berichteten viele Handwerksunternehmer in den Workshops. Einerseits haben viele Azubis hohes Interesse und Eignung für Ausbildung und Karriere im Handwerk. Andererseits gibt es eine Gruppe, die mit den Anforderungen teilweise überfordert ist. Um dieses Problem zu lösen, schlägt die Studie vor, Interessierten zusätzliche Qualifikationsebenen anzubieten. Auch der zunehmende Spezialisierungsbedarf sei zu erkennen und durch zusätzliche Qualifizierung zu befriedigen.

Die in mehreren Handwerksberufen bereits angebotene gestufte Ausbildung könne ein sinnvolles Instrument darstellen, um leistungsschwächere Jugendliche nach zwei Jahren zu einem ersten anerkannten Berufsabschluss zu führen. Grundsätzlich verfolgt das Handwerk jedoch das Bildungsziel der Vollausbildung mit Gesellenbrief.

Optionen für die wichtigsten Handlungsfelder

Fachkräftesicherung

  • Führung: Regelmäßige Gespräche mit Beschäftigten über Leistungen, Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten.
  • Erfolgsbeteiligung: Mitarbeiterkapitalbeteiligung oder Erfolgsprämien am Unternehmenserfolg einführen.
  • Betriebskultur: Zusammengehörigkeit im Betrieb stärken, Betriebskultur gestalten, Teamoptimierung fördern, Werte betonen und leben.

Innovationsfähigkeit

  • Netzwerke: Kooperationen zwischen Gewerken (Komplettangebote) in allen Stufen der Wertschöpfungskette etablieren.
  • Know-how-Zuwachs: Externe Akteure und Partner in die Geschäftsmodellinnovationen (Open Innovation) einbeziehen.
  • Expertise: Spezialisierung auf hohem Leistungs- und Qualitätsniveau sowie Komplettangebote durch Vernetzung und Kooperation anbieten.

Internationalisierung

  • Marktentwicklung: Wettbewerber-Analyse mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien durchführen.
  • S trategie: Betriebliche Markteintritts-Strategien (Zukunftsausrichtung), gegebenenfalls mit Führungskräften gemeinsam, entwickeln.
  • Kultur-Know-how: Mitarbeiter verschiedener Kulturen nutzen, um Auslandsmärkte zu erschließen. Integration ausländischer Mitarbeitern forcieren.

Ressourceneffizienz

  • Energieeffizienz: Möglichkeiten der verbesserten Energieeffizienz mit digitaler Unterstützung ausbauen und nutzen.
  • Procurement: Kooperationen auch für Materialeinkauf und Weiterbildung, nicht nur für Leistungsumsetzung nutzen.
  • Re- und Upcycling: Längerfristige Perspektive (Strategische Betriebsführung) einnehmen: Kreislaufwirtschaft optimieren und Recycling fördern.

Energiewende

  • Wissenstransfer: Kooperationen, auch über das Handwerk hinaus, entwickeln. Fachkräftekooperationen organisieren.
  • Vertrieb: Verknüpfung von persönlichem Kundenkontakt und Online-Handel. Kundenzielgruppen definieren und gezielt ansprechen.
  • Geschäftsmodelle: Technologiebasierte, dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle in Smart Home, Gebäudetechnik, Ressourceneffizienz gestalten.

Demografischer Wandel

  • Zielgruppenorientierung: Anpassung an verändertes Kommunikationsverhalten der Kundengruppen.
  • Komplettlösungen: Kooperationen zwischen Gewerken zum Vertrieb von Komplettangeboten in der gesamten Wertschöpfungskette etablieren.
  • Produktentwicklung: Systematische Entwicklung von Dienstleistungen zur Angebotserweiterung. Beschäftigte und Partner motivieren, Ideen einzubringen