Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Statt demokratischer Abstimmung gleichen die Sozialwahlen einer belanglosen Ernennung

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Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann

Es scheinen wichtige Wahlen anzustehen. Überall trifft man auf Plakate, Inserate und Werbung für die anstehenden Sozialwahlen. Kolumnistin Ruth Baumann beleuchtet die Sozialwahl in einer weiteren Folge "Neues von der Werkbank“. Sie fragt: "Will man so ein Interesse wecken, welches sich bei den letzten Wahlen im Jahr 2017 in spärlichen 30,42 Prozent Wahlbeteiligung erschöpft hatte?"

Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg
Ruth Baumann Landesvorsitzende ufh Baden-Württemberg. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. - © privat

Nicht erst in jüngster Zeit mutieren demokratische Formen der Willensbildung. Selbst ein Minister gibt in der Öffentlichkeit unumwunden zu, dass es ihm egal ist, was seine Wählerschaft von ihm denkt. Die Folgen der sich angemaßten Gestaltungs- und Deutungshoheit über die Art der Heizung, der Mobilität und selbst der Ernährungsweise ergänzen den Eindruck der Überheblichkeit zusätzlich. Es entsteht zudem der Eindruck, dass sie bei einigen Akteuren von mangelnder Kompetenz bei der Folgenabschätzung ihrer Entscheidungen zeugen. Doch diese Bemerkung sei mal nur am Rande erwähnt.

Auskunft gleich Fehlanzeige

Die Sozialversicherungswahl sorgt schon seit einigen Jahren für großen Unmut. Wer wissen will, welche Kandidaten sich zur Wahl stellen, wird enttäuscht. Der Wähler darf ein Kreuz unter den 13 Listen mit diversen Zusammenschlüssen einzelner Sozialversicherungsträger, deren Kandidaten namentlich nicht aufgeführt werden, setzen. Der berufliche Hintergrund und sogar die jeweilige Expertise der sich dahinter „versteckenden“ Personen münden ebenfalls in einer Fehlanzeige. Eine direkte Personenwahl ist nämlich nicht möglich. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang für jeden wahlberechtigten Versicherten beruhigend zu wissen, dass eh die Anzahl der Bewerber auf den Listen bereits der Anzahl der zu vergebenden Sitze exakt entspricht. Ein wirklicher Wettbewerb um die besten Vertreter findet somit nicht statt, denn die Vorauswahl bedeutet für jeden Kandidaten ein sicheres Mandat.

Eine Wahl, die keine ist

Wenn schon vor der Stimmabgabe und Auszählung jedem einzelnen (ungenannten) Bewerber gratuliert werden kann, fällt es schwer, hierin eine Wahl zu sehen. Der Ablauf spricht vielmehr für die Bezeichnung „Ernennung“ und wäre somit auch ehrlicher charakterisiert. Oder würden Sie zu einem Fußballspiel gehen, wenn das Ergebnis bereits vor dem Anpfiff feststeht? Aktuell hat nun bereits jeder Wähler zwei Schreiben, die den Formalitäten einer Wahl, die eigentlich keine ist, huldigen. Ob dies nun klimafreundlich, unbürokratisch, kostengünstig oder gar ehrlich ist, darf jeder selbst bewerten. Vielleicht ist dies auch ein Grund für die geringe Resonanz, auf die die Sozialwahlen stoßen. Dennoch betrugen die Kosten dieses lieb gewonnenen Rituals bei der letzten Sozialversicherungswahl 2017 insgesamt 59,3 Millionen Euro (!!!). Wohlgemerkt, bei einer Beteiligung von 30,42 Prozent.

Prozesse besser hinterfragen

Demokratie ist ein hohes Gut und legitimiert sich keinesfalls durch die Höhe der Wahlbeteiligung. Dennoch dürfen vermeintlich demokratische Prozesse, die nicht ergebnisoffen und zugleich auch noch sehr teuer ablaufen, schon hinterfragt werden. Immerhin hat die soziale Selbstverwaltung eine große und wichtige Bedeutung bei der Lösung vieler Herausforderungen, die auch kommende Generationen noch betreffen werden: Rente, Gesundheit sowie die Versorgung mit Medikamenten und Medizintechnik, die zuletzt medial sehr präsent war. Hier braucht es besonders kluge Köpfe und engagierte Streiter für die Sache.

Die Sache mit den Kosten

Nach der mehrfachen Nennung im jährlichen Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler über öffentliche Verschwendung, hatten viele Wahlberechtigte die Hoffnung, dass man nun endlich spürbar an der Kostenschraube drehen will. Selbst im damaligen Koalitionsvertrag von Union und SPD fand dieses Thema seinen Niederschlag. Die Masse an Werbung überall als auch die Papierflut im heimischen Briefkasten haben sich allerdings nicht spürbar verändert. Auf der bunten Homepage mit reichlich Eigenwerbung und entsprechenden Empfehlungen einiger Fürsprecher der Listen rückt man mehr die Erläuterung der Briefwahl, denn die der Online-Wahl in den Fokus. Die technischen Voraussetzungen zur Stimmabgabe (Gesundheitskarte, Ausweis App2) zur Legitimierung scheinen bis dato wohl noch nicht sehr verbreitet zu sein. Begrenzte Einsparungen durch das Online-Verfahren auf der einen, nur mäßig verlässliche und schnelle Postzustellung wiederum auf der anderen Seite. Dann vielleicht besser gar nicht wählen? Diese Entscheidung obliegt hingegen den Wahlberechtigten.

Das Geld für Zukunftsthemen ist knapp

Uns allen bleibt somit nur die Hoffnung, dass die Listenaufstellungen nicht aufgrund von Quoten oder Gefälligkeitsgesichtspunkten, sondern unter der Prämisse von Kompetenz und Gestaltungswille aufgestellt wurden. Und die Sache mit den Einsparungen wird man dann vermutlich bei den nächsten Wahlen in sechs Jahren angehen. Denn eigentlich ist das Geld für wichtige Zukunftsthemen wie Rente und Gesundheit mehr als knapp und sollte nicht für Bürokratie, Porto, Werbung oder Verschwendung von Ressourcen vergeudet werden. Dies sich einzugestehen und entsprechend zu handeln wäre ehrlicher, nicht wahr?

Über Autorin Ruth Baumann:

Bei Ruth Baumann war es ein zart gehauchtes "Ja", das sie in einen mittelständischen Straßenbaubetrieb und damit ins Handwerk brachte: Seit ihrer Hochzeit führt sie gemeinsam mit Ehemann Martin Baumann die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. Trotz ihres abgeschlossenen Hochschulstudiums entschied sie sich damals bewusst, in den Familienbetrieb einzusteigen und bekräftigte dies durch eine weitere Ausbildung zur Bürokauffrau. Zunächst im Ehrenamt bei den Unternehmerfrauen im Handwerk Freiburg, später als Präsidentin des Landesverbandes der Unternehmerfrauen im Handwerk Baden-Württemberg, war es ihr immer ein besonderes Anliegen, die Mitglieder mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Stolz auf das Handwerk auszustatten. Sie sieht die Unternehmerfrauen als Wirtschaftsverband und vertritt dies auch in der Öffentlichkeit.

Ihre betriebliche Erfahrung wurde in der Folgezeit auch verstärkt in der politischen Theorie nachgefragt und stieß – zu ihrer eigenen Überraschung – auf immer mehr Resonanz. Es folgten unterschiedliche Kommissionen und Funktionen in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die sie mittlerweile auch auf Bundesebene ausführt. In Interviews, Vorträgen und Podiumsdiskussionen rund um das Handwerk gibt sie parteiübergreifend Einblicke in die Sorgen und Nöte von Familienbetrieben. Jüngst wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt und ist dort als "Handwerk mit Mundwerk und akademischen Grad" Mittler zwischen unterschiedlichen Welten.