Zukunftsperspektive Ergänzungsabgabe Ost Solidaritätszuschlag: Warum der Bundesfinanzhof ihn für rechtmäßig erklärt und wie es mit dem Soli weiter geht

Viele Betriebe bezahlen ihn nach wie vor, obwohl ein Gros der Steuerzahler nicht mehr davon betroffen ist: In einem mit Spannung erwarteten Urteil stellte der Bundesfinanzhof (BFH) klar, dass der Solidaritätszuschlag aktuell noch verfassungskonform ist (Aktenzeichen IX R 15/20). Eine Abschaffung des „Soli“ wird es aller Voraussicht nach vorerst nicht geben. Was hinter dem Urteil steckt und wie Politik und Rechtsexperten die Zukunft der Abgabe – ursprünglich eingeführt für den Wiederaufbau Ost einordnen.

BFH: Der Soli ist eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe
Der Soli ist eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe - © Tatjana Balzer - stock.adobe.com

In dem Fall, der vor dem Bundesfinanzhof (BFH) verhandelt wurde, hatte sich ein Ehepaar aus Bayern, das Einkünfte aus selbstständiger Arbeit bezog, mithilfe des Bund der Steuerzahler gegen einen Vorauszahlungsbescheid für das Jahr 2020 gewandt, der neben Einkommensteuervorauszahlungen auch den Solidaritätszuschlag in Höhe von 453 Euro vierteljährlich festsetzte. Die beiden verlangten in der Klage, dass die Soli-Vorauszahlungen ab 2020 auf null herabgesetzt werden und beriefen sich auf das Auslaufen der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019.

Solidaritätszuschlag: So urteilte die Vorinstanz

Das Finanzgericht hatte im Vorfeld die Klage abgewiesen. Der Solidaritätszuschlag habe nicht mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs seine Rechtfertigung verloren, so die Auffassung der Richter. Auch liege kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) oder das Recht auf Eigentum (Art. 14 Grundgesetz) vor. Das Gericht ließ aber eine Revision zum BFH zu „wegen grundsätzlicher Bedeutung in der Sache“.

BFH: Der Soli ist eine zulässige Ergänzungsabgabe

Das Urteil der BFH-Richter: Der Solidaritätszuschlag ist noch nicht verfassungswidrig, es handele sich um eine rechtlich zulässige Ergänzungsabgabe, eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei daher nicht geboten.

Der Bund der Steuerzahler kommentierte: Zwar bezahlten 90 Prozent der Steuerzahler 2021 keinen Soli mehr, er belaste aber weiter die Mitte, vor allem kleine und mittlere Betriebe. Zunächst stand im Raum, das Ehepaar werde Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen, davon wolle man aber absehen, erklärte Rainer Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler bei einer Veranstaltung des ifst Institut Finanzen und Steuern, bei dem sich Politik und Rechtsexperten zum Thema austauschten. Unter anderem, weil bereits mehrere Verfahren zum Solidaritätszuschlag – unter anderem der FDP – beim Bundesverfassungsgericht anhängig seien.

Das sind die Entscheidungsgründe für den Soli

Eva Greil, Geschäftsstellenleiterin des ifst erläuterte die Entscheidungsgründe des BFH. Demnach stellten die Richter klar, es sei nicht notwendig, eine Ergänzungsabgabe, wie es der Soli ist, von vornherein zu befristen oder nur für einen kurzen Zeitraum zu erheben. Mit Auslaufen des Solidarpaktes II, der den Soli bis 2019 für den Wiederaufbau Ost festschrieb, waren manche Experten von einem generellen Ende ausgegangen. Es gehöre zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, welche Aufgaben wann in Angriff genommen und finanziert würden, es sei somit unerheblich, ob die Soli-Einnahmen zweckgebunden für den Aufbau Ost verwendet werden – für den er ursprünglich vorgesehen war. Der Soli erhöht ausschließlich die Bundeseinnahmen, nicht aber die von Ländern und Kommunen, was bei der Veranstaltung mehrfach zur Sprache kam.

Finanzbedarf des Bundes unverändert hoch

An den durch die Wiedervereinigung bedingten besonderen Finanzbedarf dürften keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Denn der besteht auch in den Jahren 2020 und 2021 fort – insbesondere bei der Rentenversicherung, um nur einen großen Posten zu nennen, den der Bundeshaushalt für die ostdeutschen Länder leistet. Nach wie vor decken die Einnahmen aus dem Soli nicht die Ausgaben. Andererseits gelte ein dauerhafter Finanzbedarf als unzulässiger Grund für die Einführung der Ergänzungsabgabe, er könne sich aber „vorübergehend“ durchaus auf einen langen Zeitpunkt erstrecken, so die Ansicht der Richter. Die Integration der neuen Länder sei ein historisches Großereignis mit einem immensen Finanzbedarf und daher eine Generationenaufgabe, die 30 Jahre dauern könne.

BFH: Soli ist zulässig, obwohl Zweckbestimmung wegfällt

Warum aber sieht der BFH den Solidaritätszuschlag noch als rechtlich zulässig an, trotz Wegfall des primären Bedarfsgrunds? Auch hierfür gibt es triftige Gründe: „Der Solidaritätszuschlag stellt keine Zwecksteuer dar, die Verknüpfung mit finanziellen Lasten der Wiedervereinigung ist lediglich ideeller Art beziehungsweise politischer Natur“, so Greil. Letztlich sei der Soli nicht für einen bestimmten Verwendungszweck reserviert, es bestehe lediglich eine politische Bindung. Manch Kritiker sah die Gleichberechtigung in Gefahr, doch auch dagegen hatten die Richter Gegenargumente: Die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte sei zulässig, der Gesetzgeber könne daher die Ergänzungsabgabe auf Steuerpflichtige mit hohen Einkommen beschränken.

Der Soli: Soviel erhebt der Staat je nach Einkommen

Der Solidaritätszuschlag wird seit Januar 2021 erhoben, wenn die Einkommensteuer bei Einzelveranlagten mehr als 16.956 € im Jahr oder bei Zusammenveranlagten mehr als 33.912 € im Jahr beträgt. Die jährliche Freigrenze für das zu versteuernde Einkommen liegt 2022 bei 62.603 € (Alleinstehende) oder bei 125.206 € (Verheiratete/Lebenspartner). Danach schließt eine Gleitzone an. Der volle Solidaritätszuschlag wird ab einem zu versteuernden Einkommen über 96.280 € (Alleinstehende) und 193.641 € (Ehe- oder Lebenspaare) erreicht.
Der Solidaritätszuschlag auf Einkünfte aus Kapitalvermögen und auf die Körperschaftssteuer bleibt unverändert. Kapitalanleger und Kapitalgesellschaften sind daher von der Senkung des Solidaritätszuschlags nicht betroffen. Darin sahen Kritiker eine Ungleichbehandlung, die der BFH jedoch zurückwies.

Argumente von Parteien und Rechtsexperten für und gegen den Soli

Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler konstatierte, er bleibe weiter gespannt, wie das Bundesverfassungsgericht in der Sache urteile, auch wenn der Verband gemeinsam mit dem Ehepaar keine weiteren Schritte unternehmen werde. Michael Schrodi, Bundestagsabgeordneter der SPD, machte die Position seiner Partei deutlich: „Wir sehen nach wie vor den Bedarf nach der Wiedervereinigung, wir haben das Fortbestehen des Soli als große Koalition beschlossen, für uns ist er gesetzt.“ Er sehe daher auch keinen Grund, über eine Abschaffung nachzudenken.

Dagegen argumentierte FDP-Bundestagsabgeordneter Maximilian Mordhorst und machte die Uneinigkeit innerhalb der Ampel-Koalition deutlich: „Unsere Türen stehen offen, den Soli abzuschaffen.“ Es handele sich gerade nicht um eine Reichensteuer, die über die Einkommensteuer erhoben werden müsse. Außerdem könne man die Entscheidung, ob der Soli zum jetzigen Zeitpunkt richtig oder falsch sei, nicht an der Frage festmachen, ob er als verfassungswidrig eingeschätzt werde oder nicht.

Grenze von 30 Jahren? Soli kann nicht zeitlich unbefristet erhoben werden

Professor Dr. Henning Tappe von der Universität Trier stellte noch einmal klar, dass der Soli den Finanzbedarf des Bundes decke und dass die Ergänzungsabgabe aus rechtlicher Sicht nicht zeitlich unbefristet erhoben werden könne. Allemal bestehe eine Prüfungspflicht 30 Jahre nach Einführung inwieweit die Fortführung geboten ist. So eine Prüfung sei auch schon bei der Neuregelung 2019 nach Auslaufen des Solidarpaktes II erfolgt. 30 Jahre seien zudem keine eindeutige zeitliche Grenze.

Bundestagsabgeordneter Brehm, CSU, gab zu, dass ihn die BFH-Entscheidung überrascht habe. Eine langfristige Erhebung des Soli könne politisch nicht erwünscht sein, zumal der Entschluss der großen Koalition, den Soli fortzuführen, bereits eine Kompromisslösung gewesen sei. Er zeigte sich überzeugt: „Spätestens mit Neuregelung des Länderfinanzausgleichs muss der Soli entfallen.“

Perpetuum Mobile: Steigende Staatsausgaben machen Fortführung notwendig

Holznagel verwies auf die Gefahr eines Perpetuum Mobile: Der Soli würde dann bleiben mit dem Argument der erhöhten Staatsausgaben durch Pandemie, Urkraine-Krieg (Stichwort Sondervermögen), ohne dass der Staat gleichzeitig Sparanstrengungen unternehme. Professor Tappe bestätigte: „Geld, das der Staat erhält, gibt er auch aus.“ Die aktuellen Krisenszenarien erforderten Geldzuflüsse. Insofern sei tatsächlich unabhängig von rechtlichen Erwägungen Vorsicht geboten, zumal durch den Solidaritätsbeitrag Wettbewerbsnachteile für Unternehmer entstünden.

Solidaritätszuschlag: Es geht nicht um die Abschaffung einer „Reichensteuer“

Holznagel insistierte, der Verband wolle nicht per se eine Reichensteuer bekämpfen, die müsste vielmehr offen diskutiert werden und nicht indirekt über den Soli erhoben werden. Holznagel machte außerdem darauf aufmerksam, dass das Bundesverfassungsgericht dem BFH nicht folgen müsse, daher sei der Ausgang ungewiss. CSU-Abgeordneter Brehm verwies darauf, dass eine Umwidmung des Soli in ‚Energie-Soli‘ aufgrund der aktuell erhöhten Ausgaben klar und transparent kommuniziert werden müsse und der BFH nicht umsonst von „noch nicht verfassungswidrig“ gesprochen habe.

Eva Greil vom ifst verdeutlichte: „Das Argument der ‚Reichensteuer‘ greift jedoch zu kurz.“ Sie erläutert: „Was Olaf Scholz noch in seiner Rolle als Finanzminister sagte, dass der Soli nur noch von den ‚sehr, sehr Reichen‘ zu zahlen sei, ist einfach falsch. Zwar gelten seit 2021 erhöhte Freigrenzen, Soli ist aber auch etwa für Kapitalerträge fällig. Hier sind nicht zwangsläufig nur die Reichen betroffen.“ Ihre Einschätzung lautete, dass der Soli erst einmal bleiben werde. Auch die anderen Diskussionsteilnehmer gehen davon aus, dass frühestens 2025 mit der neuen Legislaturperiode Schluss sei. Nun bleibe abzuwarten, wie es weiter gehen wird.