Interview zu Video-Tutorials Meisterausbildung: "Mit Lernvideos unabhängig von Zeit und Ort modular auf die Prüfung vorbereiten"

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Ausbildung, Digitalisierung, Meisterpflicht und Weiterbildung

Dr. Lothar Semper und Achim Sacher haben rund 100 digitale Lernvideos konzipiert, die bei Meisterschülerinnen und -schülern sehr gut ankommen. Doch die Experten nennen im Interview auch Handlungsfelder, die sich gestandene Chefs noch einmal ansehen sollten.

Sacher: Digitale Lehr- und Lerninhalte werden zukünftig immer bedeutender. Ich sehe darin eine sinnvolle Ergänzung, sie sollten aber aus meiner Sicht den Prä-senzunterricht und den persönlichen Austausch unter Lehrenden und Lernende niemals vollständig ersetzen.
Digitale Lehr- und Lerninhalte werden laut Achim Sacher, stellvertretender Verlagsleiter Buchverlag des Medienhauses Holzmann Medien, zukünftig immer bedeutender. - © K Abrahams/peopleimages.com - stock.adobe.com
handwerk magazin: Die Digitalisierung schreitet auch in der Meisterausbildung voran. Unabhängig von Zeit und Ort können sich Handwerkerinnen und Handwerker jetzt vorbereiten. Ist das aus Ihrer Sicht der größte Vorteil?

Dr. Lothar Semper: Diese Möglichkeit, sich unabhängig von Ort und Zeit zusätzlich – und auf dieses zusätzlich lege ich besonderen Wert – auf die Meisterprüfung vorbereiten zu können, ist sicherlich der besondere Mehrwert unserer 97 Lernvideos. Diese verteilen sich mit 65 Lernvideos auf Teil III und mit 32 Lernvideos auf Teil IV der Meisterprüfung. Das zusätzlich habe ich deshalb betont, weil die bisher vorliegenden Lernvideos die aktive Teilnahme am Meisterkurs beziehungsweise das Studium mit dem Lehrbuch in der Regel nicht vollkommen ersetzen können. Denn sie bilden zwar viele, aber eben nicht alle Lerninhalte von „Die Handwerker-Fibel“ ab. Auf jeden Fall gibt es die Möglichkeit, Selbstlernphasen und Präsenzunterricht optimal zu kombinieren.

Achim Sacher: Ein großer Vorteil besteht darüber hinaus auch in der besonderen, sprich in der audiovisuellen Aufbereitung der Lehr- und Lernhinhalte und dem modularen Aufbau. Vielen Lernenden fällt es schlichtweg wesentlich leichter, audiovisuelle Inhalte aufzunehmen und zu behalten. Komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge können zum Beispiel nach Ende einer Präsenzunterrichtsstunde mithilfe von digitalem Text, Grafiken und Animationen besser nachvollzogen werden.

Vor allem die Generation-YouTube dürfte darauf anspringen. Themen aus den Prüfungsteilen III und IV, die sich besonders für das neue Format eignen?

Semper: Mit den vorliegenden 97 Lernvideos haben wir bereits die Inhalte herausgegriffen, die sich für dieses Format besonders eignen. Kriterien waren für uns dabei vor allem, dass sich die Inhalte zur visuellen Darstellung eignen und dass es sich um besonders relevante Sachverhalte handelt.

Welche der 97 Lerneinheiten, die auf „Die Handwerker-Fibel“ abgestimmt sind, gefällt Ihnen persönlich am besten und warum?

Semper: Da mein Herzblut an vielen der Lernvideos hängt, tue ich mich verständlicherweise schwer, einige besonders hervorzuheben. Wir haben uns bemüht, die aus der „Handwerker-Fibel“ ausgewählten Abschnitte jeweils bestmöglich in die digitale Welt zu bringen. Das ist bei der Darstellung rechtlicher Sachverhalte und Rahmenbedingungen zugegebenermaßen manchmal etwas schwieriger als bei der Darstellung konkreter betrieblicher oder Ausbildungssituationen.

Sacher: Auch bei mir gibt es kein persönliches Ranking, was die einzelnen Lernvideos betrifft. Unter den Meisterschülerinnen und Meisterschülern zeichnet sich jedoch ein gewisser Trend ab, was die Häufigkeit des Aufrufs der einzelnen Lernvideos betrifft. Betriebswirtschaftliche Themen wie die Unternehmungsplanung oder der Aufbau und die Gliederung der Kostenrechnung sind ebenso wie die persönliche und fachliche Eignung des Ausbilders sehr gefragte Lerneinheiten.

Und welche Einheit sollten Chefinnen und Chefs noch mal ansehen, um ihr Basiswissen aufzufrischen?

Auch da ist die Auswahl schwierig. Aber ich nenne Ihnen gerne jeweils ein Beispiel für die drei Handlungsfelder beziehungsweise Bände für Teil III und Band 4 für Teil IV der Meisterprüfung.

  • Band 1: „Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beurteilen“: Das Thema Erfolgsrechnung, mit dem sich jeder Unternehmer ständig auseinandersetzen muss, um erfolgreich am Markt zu sein.
  • Band 2: „Gründungs- und Übernahmeaktivitäten vorbereiten, durchführen und bewerten“: Das Thema Unternehmenskonzept, weil sich jeder Unternehmer immer wieder damit auseinandersetzen sollte und muss.
  • Band 3: „Unternehmungsführungsstrategien entwickeln“: Das Thema Marketingfunktionen und -instrumente, damit der Betriebsinhaber optimal auf seine Produkte und Dienstleistungen aufmerksam machen kann.
  • Band 4: Das Thema „Kriterien und Verfahren für die Bewerberauswahl“, weil die Nachwuchsgewinnung eine der zentralen Herausforderungen für das Handwerk ist.

Aber generell eignen sich unsere Lernvideos natürlich auch für alle, deren Meisterkurs schon einige Jahre zurückliegt, um ihre Kenntnisse aufzufrischen.

Lassen sich mit den Videos Lerntypen ansprechen, die bislang nicht so gerne gelesen haben?

Semper: Vorweg die Anmerkung, dass einem Betriebsinhaber natürlich das Lesen grundsätzlich nicht erspart bleibt. Er muss auch künftig Verträge, Geschäftsbedingungen und vieles mehr lesen können und wollen. Aber beim Lernen, das ist ja bekannt, gibt es mehrere Arten der Aufnahme von Lernstoff, nämlich unter anderem Lesen, Hören und Sehen. Gleichzeitiges Hören und Sehen – und das ermöglichen ja unsere Lernvideos. Sie ermöglichen eine deutlich höhere Behaltensfähigkeit als etwas nur zu lesen.

Sacher: Wenn wir über den wissenschaftlichen Begriff „Lerntyp“ etwas hinausgehen und das Lernverhalten betrachten, können wir immer wieder feststellen, dass es unter den Meisterschülerinnen und Meisterschüler unterschiedliche Verhaltensweisen gibt, was die Vorbereitung auf die Meisterprüfung angeht. Es gibt viele Schülerinnen und Schüler, die bereits ab jeweiligem Kursbeginn sehr engagiert mitlernen. Es gibt aber auch Prüflinge, die erst kurz vor der Prüfung beginnen, sehr intensiv zu lernen. Sind Letztere auf der Suche nach einer besonders effizienten Lernmethode, finden sie in den Lernvideos ein probates Medium.

Wofür eignen sich die Lerneinheiten besser – fürs Selbststudium oder für den Unterrichtseinsatz?

Semper: Da gibt es für mich kein entweder oder! Die Videos eignen sich für beides – zum Selbststudium über den Meistertrainer und zum Einsatz in den Kursen, da die Lernvideos sich problemlos auf die jeweiligen Online-Lernplattformen der Kursträger wie „ILIAS“ aufschalten und modular abrufen lassen. Dozentinnen und Dozenten können die Lernvideos beispielsweise dann auch zur Einführung in ein neues Thema verwenden.

Sacher: Genau diesen „dualen“ Ansatz verfolgen wir mit unseren neuen digitalen Inhalten. Zum einen möchten wir den Meisterschülerinnen und Meisterschülern eine innovative Möglichkeit an die Hand geben, sich auf die Prüfung in den Teilen III und IV vorzubereiten. Zum anderen können auch Bildungsanbieter und Kursträger auf die Lernvideos zurückgreifen und damit den Unterrichtsstoff um digitale Lehr- und Lerninhalte zu erweitern, was nicht zuletzt pandemiebedingt immer bedeutsamer geworden ist. Wie wir alle wissen, gewinnt die Digitalisierung auch in der Weiterbildung im Handwerk zukünftig immer mehr an Bedeutung.

Welches Feedback haben Sie bislang von Handwerkern auf die kurzen Lernsequenzen erhalten?

Sacher: Seit circa zwei Jahren bieten wir für den Teil III der Meisterprüfung insgesamt 65 Lernvideos an und neuerdings auch 32 Lernvideos für den Teil IV sowie zur Ausbildereignungsprüfung. Vonseiten der Meisterschülerinnen und Meisterschüler ist das Interesse sehr groß und das Feedback durchwegs positiv. Wie bereits erwähnt, erkennen die Lernenden den zusätzlichen Nutzen der digitalen Inhalte über die bestehenden Lehr- und Lernmittel hinaus. Das kommt bei den Meisterschülerinnen und Meisterschülern sehr gut an.

Bei Handwerkskammern und Kursträgern stoßen wir ebenfalls auf großes Interesse, die starke Nachfrage freut uns sehr. Mittlerweile setzen zahlreiche Bildungsanbieter unser neues digitales Lernangebot ein, Tendenz steigend. Wir sehen uns dabei als Dienstleister und Bildungspartner der Kammern und möchten mit diesen in enger Abstimmung unser Angebot stetig optimieren und weiterentwickeln.

Wenn wir uns in fünf Jahren noch mal über das Digitale Lernen unterhalten, wo stehen wir dann?

Semper: Ich gehe davon aus, dass der mit den Lernvideos eingeschlagene Weg der richtige ist. Hinzu kommt ja noch, dass Holzmann Medien auch bereits das digitale Prüfen im Portfolio hat. Diese Instrumente müssen Autoren und Verlag gemeinsam entsprechend der Marktentwicklungen und der Anforderungen eines modernen Meisterqualifizierung weiterentwickeln. Dabei gehe ich davon aus, dass auf absehbare Zeit Präsenzkurse und das Lehrbuch „Die Handwerker-Fibel“ unbestreitbar ihren Platz haben werden. Die digitalen Elemente als Add On werden aber wichtiger werden. Aber fünf Jahre sind bei der Digitalisierung eine lange Zeit. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass heute eine Software wie ChatGPT für viel Furore sorgt.

Sacher: Digitale Lehr- und Lerninhalte werden zukünftig immer bedeutender. Ich sehe darin eine sinnvolle Ergänzung, sie sollten aber aus meiner Sicht den Präsenzunterricht und den persönlichen Austausch unter Lehrenden und Lernende niemals vollständig ersetzen.

Interviewpartner

Dr. Lothar Semper
© privat

Dr. Lothar Semper war neun Jahre Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für München und Oberbayern und des Bayerischen Handwerkstages (BHT). Sein Detailwissen und seine Erfahrung bringt er als federführender Autor seit vielen Jahren in das Standardwerk-Lehrwerk „Die Handwerker-Fibel“ ein.

Achim Sacher, Holzmann Medien
© Rhode Fotografie

Achim Sacher ist stellvertretender Verlagsleiter Buchverlag des Medienhauses Holzmann Medien, in dem auch handwerk magazin erscheint.


Zulassungsvoraussetzungen zur Meisterprüfung:

© Holzmann Medien GmbH & CoKG