Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Gesund oder krank – wie zukunftsfähig ist unser Gesundheitssystem?

Es gibt neben dem Klimawandel noch andere wichtige Themen, die in den Medien (noch) nicht die entsprechende Aufmerksamkeit finden, davon ist Kolumnistin Ruth Baumann überzeugt. Etwa die Transformationen im Gesundheitssystem. Die einstige Apotheke der Welt hänge am Tropf, der „Traumberuf“ Arzt werde zunehmend zum Bürokratiemanagement und die Sprechstundenhilfen seien Terminjongleure. Baustellen allerorts! Wo sind aber die Lösungen? Ruth Baumann sucht in dieser Folge von "Neues von der Werkbank" nach Antworten.

Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg
Kosmetische Eingriffe reichen bei unserem Gesundheitssystem nicht mehr aus. Davon ist Ruth Baumann, Landesvorsitzende ufh Baden-Württemberg, überzeugt. - © privat

Es ist dringend an der Zeit, dass dem Beifallklatschen für medizinisches Personal in der Corona-Zeit endlich eine auskömmliche und leistungsangemessene Entlohnung folgt und die Richtung der bisherigen Geldströme in unserem Gesundheitswesen auf den Prüfstand gestellt wird. Neues, wirtschaftliches Wachstum soll kommen und alles richten. Nicht nur unser kränkelndes Gesundheitssystem braucht dringend Geld.

Doch die Steuereinnahmen und die Sozialversicherung der woken und Work-Life-Balance huldigenden Gesellschaft stoßen langsam an ihre Grenzen. Schwindende Arbeitsplätze, selbst bei Fahrradkurieren, sprechen eine deutliche Sprache. Was ist zu tun? Mehr Geld in das System, woher auch immer es kommen mag, oder andere Weichenstellungen? Fakt ist, unsere Betriebe werden es nicht auffangen können und staatliche Darlehen sind auch keine belastbaren Lösungen.

Die Umstellung auf DRG, Zertifizierungspflichten und die CSRD-Richtlinie belasten das Gesundheitssystem zusätzlich

Es ist vermessen, von Arzt, Krankenschwester und Sanitäter Arbeit bis fast zur Selbstaufgabe zu fordern. Wie soll denn das Primärarztprinzip funktionieren, wenn schon jetzt Termine Mangelware sind? Bei einer Praxisaufgabe braucht es vielerorts schon zwei Ärzte, um das Arbeitsaufkommen zu schultern. Kliniken werden geschlossen, medizinische Versorgungszentren geplant, während Personal Mangelware ist. Hausarztbesuche werden mit üppigen 26,27 Euro Wegegeld honoriert. Würden Sie hierfür Ihren Lkw vom Betriebshof rollen lassen?

Die Umstellung auf DRG (Diagnosis Related Group) sollte die Abrechnung ärztlicher Leistungen unkompliziert und effizienter machen. Der Wunsch war ein hehres Ziel, das Ergebnis aber blieb übersichtlich. Aufgrund mangelhafter Brustimplantate eines einzigen (!) Herstellers wurde ein Zertifizierungswahn losgetreten, der nicht nur in der Pandemie Behandlungen und Leben gefährdete, Produktionsvorgänge verlangsamte und medizinische Produkte verteuerte. Gütesiegel sind gut und richtig, aber nicht reiner Selbstzweck. Der Mut zur Reflexion hierzu fehlt bis dato.

Gleiches gilt für CSRD-Zertifikate (Corporate Sustainability Reporting Directive), einer EU-Richtlinie, die eine umfassende Nachhaltigkeitsberichterstattung fordert. Für eine Klinik entstehen Kosten in Höhe von 300.000 Euro pro Jahr, während der Invest in Personal krankt. Denken Sie auch an die Kosten der Sozialversicherungswahl, die eine Ernennung ist. Einer "Wahlbeteiligung" von 22 Prozent stehen Kosten von 88,5 Millionen Euro gegenüber. Die Senkung oder gar Abschaffung der Mehrwertsteuer bei Medikamenten und medizinischen Produkten wäre in der aktuellen Situation auch mal den ein oder anderen Gedanken wert.

Apotheker und Telemedizin sollen aushelfen

Stattdessen sollen Apotheker zunehmend als „Ersatz-Arzt“ herangezogen werden. Impfungen, Medikamentenchecks, Beratungen als Service mit kleinem Obolus – die E-Rezepte dafür liefert dann der Versandhandel billig ins Haus. Statt Abhören und körperlichen Untersuchungen beim Hausarzt vor Ort, soll es die Telemedizin schnell mal richten. Bei einem Infekt greift man zur Antibiotika-Keule, bei einem Hautausschlag soll es die hoch dosierte Kortison-Salbe richten. Wenn Ärzte fehlen, mag dies ein Ansatz sein, aber zu einer generellen Lösung reicht es nicht.

Warum ist der ehemals gehypte Gesundheitsberuf so Mangelware? Ausbildungsdauer, Bezahlung, Belastung, Bürokratie? Wo hört man von solchen Gedanken? Es braucht Mut, die verschiedenen Leistungen von Krankenkassen abzuklopfen: Ob Karenztage, Familienversicherung, Kinderkrankengeld, das Verhältnis Beitragszahler zu Leistungsempfängern usw. – keine leichte Kost, aber zukunftsweisend.

Gesundheitssystem muss grundlegend ertüchtigt werden

Bevor jetzt Stimmen kommen, dass sich die Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch mehr an den Kosten beteiligen sollen, hilft ein Blick auf unsere geschwundene Wettbewerbsfähigkeit. Den 13. Monat bei den Sozialversicherungsbeiträgen, den unsere Betriebe und Mitarbeiter vor 20 Jahren als kostenloses Darlehen erwirtschaftet und abgeführt haben, haben wir gedanklich schon ausgebucht. Weitere Kostensteigerungen werden aber den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht beflügeln, sondern ausdünnen. Statt einem „Herumdoktern“ muss unser Gesundheitssystem grundlegend ertüchtigt werden, kosmetische Eingriffe reichen da nicht aus. Arbeit muss sich lohnen – das gilt für den Arzt, wie für den Handwerker.

Über Autorin Ruth Baumann:

Bei Ruth Baumann war es ein zart gehauchtes "Ja", das sie in einen mittelständischen Straßenbaubetrieb und damit ins Handwerk brachte: Seit ihrer Hochzeit führt sie gemeinsam mit Ehemann Martin Baumann die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. Trotz ihres abgeschlossenen Hochschulstudiums entschied sie sich damals bewusst, in den Familienbetrieb einzusteigen und bekräftigte dies durch eine weitere Ausbildung zur Bürokauffrau. Zunächst im Ehrenamt bei den Unternehmerfrauen im Handwerk Freiburg, später als Präsidentin des Landesverbandes der Unternehmerfrauen im Handwerk Baden-Württemberg, war es ihr immer ein besonderes Anliegen, die Mitglieder mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Stolz auf das Handwerk auszustatten. Sie sieht die Unternehmerfrauen als Wirtschaftsverband und vertritt dies auch in der Öffentlichkeit.

Ihre betriebliche Erfahrung wurde in der Folgezeit auch verstärkt in der politischen Theorie nachgefragt und stieß – zu ihrer eigenen Überraschung – auf immer mehr Resonanz. Es folgten unterschiedliche Kommissionen und Funktionen in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die sie mittlerweile auch auf Bundesebene ausführt. In Interviews, Vorträgen und Podiumsdiskussionen rund um das Handwerk gibt sie parteiübergreifend Einblicke in die Sorgen und Nöte von Familienbetrieben. Jüngst wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt und ist dort als "Handwerk mit Mundwerk und akademischem Grad" Mittler zwischen unterschiedlichen Welten.

Zugehörige Themenseiten:
Arbeitsschutz und Gesundheit, Meinung und Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann