Interview und Konjunkturbericht Holger Schwannecke zur Handwerkskonjunktur 2023: "Es ist weiterhin keine seriöse Prognose möglich"

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Konjunktur und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Für das Jahr 2023 kann man momentan keine seriöse Prognose geben, da ist sich Holger Schwannecke, Generalsekretär beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), im Gespräch mit handwerk magazin sicher. Es bestehen einfach zu viele Unwägbar­keiten und Risiken. Unklar bleibt vor allem, wie sich die geopolitische Lage und der Ukraine-Krieg als einer Hauptursache der derzeitig ­extrem angespannten wirtschaftlichen Lage entwickeln werden.

Holger Schwannecke Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH)
Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), wagt für das Jahr 2023 noch keine Prognose. - © ZDH/Boris Trenkel
handwerk magazin: Herr Schwannecke, der ZDH rechnet mit rauen Zeiten auch im Handwerk. Welche Entwicklungen machen Ihnen die größten Sorgen?

Holger Schwannecke: Von immer mehr Betrieben hören wir, dass momentan deutlich weniger Neuaufträge ankommen. Diese fehlenden Aufträge drohen spätestens im Frühjahr zu einem deutlichen Einbruch der aktuell noch robusten Geschäftslage im Handwerk zu führen. Die hohe Verbraucherpreisinflation, hohe Beschaffungskosten für Energie und noch immer angespannte Lieferketten erschweren den Handwerksbetrieben den Geschäftsbetrieb. Kundinnen und Kunden achten stärker auf den Preis eines Produkts oder einer Dienstleistung, weil ihr real verfügbares Einkommen spürbar kleiner geworden ist. Zugleich lassen teure Energie und hohe Einkaufspreise für Rohstoffe oder Vorprodukte die Herstellungskosten deutlich steigen. Die Lunte brennt an beiden Enden, ohne dass die Betriebe ihre Mehrkosten in erforderlichem Maß an die Kundschaft weitergeben könnten. Sinkende Margen sind die Folge. Das Geld fehlt dann für Investitionen etwa für energieeffizientere Abläufe oder die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, also genau für die Bereiche, die entscheidend sind, um sich zukunftsfest aufzustellen. Der Baubereich dürfte 2023 als Stabilisator wegfallen – so der Eindruck aus Gesprächen mit Unternehmern. Nach zuletzt vielen sehr guten Jahren am Bau sehen wir auch hier aktuell einen Einbruch bei den Neuaufträgen. Deutlich schlechtere Finanzierungskonditionen und die hohen Anstiege bei den Bau­preisen machen privaten Bauherren die Realisierung ihrer Eigenheimpläne schwieriger. Die gewerbliche Baunach­frage wird zugleich durch die unsicheren Konjunkturaussichten gebremst. Als Konjunkturstabilisator droht der Bau daher im kommenden Jahr wohl tatsächlich wegzufallen.

Sie hatten schon vor einem Jahr an dieser Stelle vom Blick in die Glaskugel gesprochen. Wie lautet dennoch Ihre 2023er-Prognose fürs Gesamthandwerk?

Für das Jahr 2023 kann man momentan keine seriöse Prognose geben – das sieht man auch an den teils starken Prognoserevisionen der Wirtschaftsforschungs­institute in den vergangenen Wochen. Es bestehen einfach zu viele Unwägbar­keiten und Risiken. Gas- und Strompreisbremse machen die Energiekosten für die Betriebe zwar kalkulierbarer. Ob Gas und Strom jedoch im Verlauf des Winters ausreichend und flächendeckend zur Verfügung stehen werden, dahinter bleibt ein Fragezeichen. Auch beim Konsum ist nicht absehbar, wie sehr die Verbraucher sich zum Sparen gezwungen sehen werden. Unklar bleibt vor allem, wie sich die geopolitische Lage und der Ukraine-Krieg als einer Hauptursache der derzeitig ­extrem angespannten wirtschaftlichen Lage entwickeln werden.

Sehen Sie Gewerke, die besser durch diese rauen Zeiten kommen werden?

Bei allen Handwerken, die maßgeblich für die Umsetzung der Energie- und Mobilitätswende sowie des Klimaschutzes sind, findet durch die Beschleunigung der Energiewende ein Auftragshochlauf statt. Betriebe etwa, die Photovoltaik­anlagen und passende Speicherlösungen installieren oder Wärmepumpen ein­bauen, können der hohen Nachfrage momentan gar nicht gerecht werden. Hier fehlen weiter ausreichend Fachkräfte im ­Handwerk. Es fehlt aber oft auch am Nachschub der Komponenten wie Solarpaneelen oder Wärmepumpen, die die Industrie nicht in den benötigten Stückzahlen liefern kann.

Welche drei Themen sollten Unternehmerinnen und Unternehmer trotz dieser angespannten Lage unbedingt angehen?
  1. Mit Blick auf die Demografie bleibt die Sicherung der eigenen Fachkräftebasis essenziell – sei es durch mehr Ausbildung oder Zuwanderung. Viele Betriebe werden sich zusätzliche Fachkräftepotenziale erschließen müssen, damit sie auch in Zukunft die Anforderungen der Kundinnen und Kunden erfüllen können.

  2. Die Energiekosten werden absehbar deutlich höher sein als vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs. Vor allem energie­intensive Betriebe sollten daher, wo es möglich ist, ihre Produktion auf Alter­nativen zu fossilen Energieträgern umstellen. Je nach Betrieb kann auch ein Ausbau der eigenen Energieerzeugungs- und Energiespeicherkapazitäten sinnvoll sein.

  3. Im Blick bleiben muss auch das Thema Digitalisierung. Zwar lässt sich die handwerkliche Arbeit in vielen Gewerken kaum digitalisieren und die fähigen Hände unserer Handwerkerinnen und Handwerker werden weiter entscheidend sein. Aber die dahinterliegenden Geschäfts­modelle müssen mit der Zeit gehen und beispielsweise der immer stärkeren Vernetzung von Anlagen und der daraus entstandenen Datenökonomie Rechnung tragen. Deshalb müssen die Geschäfts­prozesse entsprechend angepasst und die Beschäftigten entsprechend geschult werden.

ZDH-Konjunkturbericht 2023: Die Zahlen zum Interview

Lässt sich die Geschäftslage im dritten Quartal 2022 noch mit solide bezeichnen, drehen sich die Vorzeichen schon ab dem vierten Quartal ins Negative. Die hohen Energie- und Beschaffungspreise, aber auch die immer noch existierenden Engpässe beim Material und die zunehmend zurück­haltender agierende Kundschaft trüben den Blick auf den Start ins Jahr 2023 deutlich ein. So gehen dem aktuellen ZDH-Konjunkturbetricht zufolge 39 Prozent der Befragten von einer Verschlechterung der Geschäftsentwicklung aus – ein Jahr zuvor waren lediglich elf Prozent so pessimistisch.

Geschäftsklimaindikator des Handwerks

Ein Absturz um 29 Punkte – der Geschäftsklimaindikator des Handwerks, der laut ZDH die Lage und Erwartungen der Handwerksbetriebe bündelt, ist deutlich von 126 Punkten auf 97 Punkte gefallen. Der Hauptgrund für den Einbruch: die schlechten Erwartungen für die kommenden Monate.

Geschäftsklimaindikator des Handwerks
© handwerk magazin/Quelle: ZDH-Konjunkturbericht 2/2022

Geschäftslage: Pessimismus angesagt

39 Prozent zu 51 Prozent zu zehn Prozent – immerhin gut jeder zweite Handwerkschef erwartet eine gleichbleibende Geschäftslage.

Geschäftslage im Handwerk
© Quelle: ZDH-Konjunkturbericht 2/2022; Charts: handwerk magazin
Legende ZDH-Konjunkturbericht 2/2022
© handwerk magazin

Prognose: Die Preissenker sind mit vier Prozent deutlich in der Minderheit. Umgekehrt befinden sich die 63 Prozent, die von einer Erhöhung ihrer Verkaufspreise ausgehen, in bester Gesellschaft (01/2022: 64 Prozent; 03/2022: 62 Prozent).

Gewerbegruppen: Doch wie sieht das Thema in den sieben Gewerbezweigen aus? Ausbau (68 Prozent), Kfz (71 Prozent) und Lebensmittel (74 Prozent) liegen über dem Durchschnitt, Bau (60 Prozent), Gewerblicher Bedarf (58 Prozent), Gesundheit (39 Prozent) und Personenbezogene Dienstleister (58 Prozent) darunter.

Beschäftigte: Zartes Pflänzchen wächst

Während nur acht Prozent der Befragten ihre Teams vergrößern möchten, wollen 15 Prozent sogar ihre Belegschaften verkleinern.

Beschäftigte
© Quelle: ZDH-Konjunkturbericht 2/2022; Charts: handwerk magazin
Legende ZDH-Konjunkturbericht 2/2022
© handwerk magazin

Prognose: Auch die Beschäftigungserwartungen fallen dem ZDH zufolge in allen Gewerbegruppen ziemlich negativ aus. Die deutlichsten Indikatorwerte liefern das Lebensmittelhandwerk mit minus 22 Punkten und der Bau mit minus zwölf Punkten. Die Gründe: die massiv gestiegenen Herstellungskosten einerseits sowie die verschlechterte Auftragslage und das kommende Winterquartal andererseits.

Gewerbegruppen: Ein Blick zurück: Wer hat zuletzt an Beschäftigung zugelegt? Mit Blick in die ZDH-Daten sind das die Ausbau- und die Gesundheitsgewerke. Die übrigen fünf Gewerbezweige mussten Rückgänge hinnehmen.

Umsatz: Zufriedenheit überwiegt noch

Schlechtere Umsätze prognostizieren 36 Prozent der Befragten – ein Plus von zehn Punkten gegenüber dem dritten Quartal 2022.

Umsatz
© Quelle: ZDH-Konjunkturbericht 2/2022; Charts: handwerk magazin
Legende ZDH-Konjunkturbericht 2/2022
© handwerk magazin

Prognose: Immer weniger Optimisten unter den Handwerkerinnen und Hand­werkern – so rechnen nur noch 20 Prozent der Befragten mit steigenden Umsätzen. Im dritten Quartal 2022 waren es noch 26 Prozent, im ersten Quartal 2022 und im dritten Quartal 2021 noch 24 Prozent respektive 29 Prozent.

Gewerbegruppen: Für die Folgequartale planen derzeit alle Handwerksbranchen ein, dass sie künftig weniger einnehmen werden. Die größten Skeptiker kommen dabei aus dem Lebensmittelhandwerk (45 Prozent) und den privaten Dienstleistungsgewerken (40 Prozent).

Auftragsbestand: Pipeline schlechter gefüllt

Nur noch 15 Prozent der Handwerkerinnen und Handwerker erwarten, dass ihr Auftragsbestand in den nächsten Wochen besser wird.

Auftragsbestand
© Quelle: ZDH-Konjunkturbericht 2/2022; Charts: handwerk magazin
Legende ZDH-Konjunkturbericht 2/2022
© handwerk magazin

Prognose: Im dritten Quartal lag die Auftragsreichweite im Gesamthandwerk bei 10,2 Wochen – Tendenz leicht sinkend. Aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen verwundert es kaum, dass 42 Prozent der Befragten mit einer schlechteren Entwicklung rechnen.

Gewerbegruppen: Welche Handwerksbranchen sind besonders optimistisch, was ein Auftragsplus angeht? Vorneweg gehen hier die Gesundheitshandwerke mit 21 Prozent, gefolgt vom Kfz-Gewerbe mit 19 Prozent sowie Bäckern, Fleischern und Konditoren mit 17 Prozent.

Verkaufspreise: Nach oben korrigieren

Die Preise auf den Rechnungen dürften steigen. 63 Prozent prognos­tizieren höhere Verkaufspreise.

© Quelle: ZDH-Konjunkturbericht 2/2022; Charts: handwerk magazin
Legende ZDH-Konjunkturbericht 2/2022
© handwerk magazin

Prognose: Die Preissenker sind mit vier Prozent deutlich in der Minderheit. Umgekehrt befinden sich die 63 Prozent, die von einer Erhöhung ihrer Verkaufspreise ausgehen, in bester Gesellschaft (01/2022: 64 Prozent; 03/2022: 62 Prozent).

Gewerbegruppen: Doch wie sieht das Thema in den sieben Gewerbezweigen aus? Ausbau (68 Prozent), Kfz (71 Prozent) und Lebensmittel (74 Prozent) liegen über dem Durchschnitt, Bau (60 Prozent), Gewerblicher Bedarf (58 Prozent), Gesundheit (39 Prozent) und Personenbezogene Dienstleister (58 Prozent) darunter.

Investitionen: Zurückhaltung spürbar

Das Geld sitzt nicht mehr so locker. 40 Prozent der Befragten frieren ihre Investitionsbudgets ein. Ein Wert ähnlich der Finanzkrise 2008/2009.

Investitionen
© Quelle: ZDH-Konjunkturbericht 2/2022; Charts: handwerk magazin
Legende ZDH-Konjunkturbericht 2/2022
© handwerk magazin

Prognose: Schon im dritten Quartal 2022 sank der Investitionsklimaindikator auf minus neun Punkte. Für die nächsten Wochen ist sogar mit einem Wert von minus 27 Punkten zu rechnen.

Gewerbegruppen: Durch die Bank gingen die Investitionen im dritten Quartal 2022 in allen Branchen zurück. Am investitionsfreudigsten schauen die Kfz-Handwerke und die Personenbezogenen Dienstleister (jeweils 17 Prozent) sowie die Ausbaugewerke in die Zukunft.