Branchencheck Friseurhandwerk: In gewisser Weise systemrelevant

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Hart getroffen von den Lockdown-Phasen, mussten die Friseure zwar starke Umsatzeinbußen hinnehmen, konnten aber durch die von Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich eingeräumte Sonderrolle bei der Öffnungsstrategie deutliche Imagegewinne erzielen. Trotzdem bricht der Nachwuchs weg.

Branchencheck Friseurhandwerk
Friseure haben in der Pandemie einen Imagegewinn erzielt. - © InterStilist - stock.adobe.com

Gute zwölf Prozent weniger Umsatz und fast zwanzig Prozent weniger Auszubildende, die 2020er- Bilanz für das Friseurhandwerk sieht alles andere als rosig aus. Einen kleinen Hoffnungsschimmer sieht Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband Deutsches Friseurhandwerk in Köln, inzwischen dennoch am Horizont: „Die Pandemie verdeutlicht, dass unsere Dienstleistungen und Services für die Menschen überaus wichtig und in gewisser Weise, nämlich für das soziale Miteinander, systemrelevant sind."

Bei der in den Anfängen der Pandemie emotional geführten Diskussion zur Systemrelevanz hatte zwar niemand die Friseure auf dem Zettel, doch einige Monate ohne frischen Haarschnitt haben letztendlich auch die Politik umdenken lassen. Bereits im Januar 2021 versprach die für ihre Frisur oft belächelte Bundeskanzlerin Angela Merkel der Branche, baldmöglichst eine Öffnungsperspektive zu bieten, am 1. März konnten die Friseure dann endlich wieder arbeiten.

Wettbewerbsverzerrung durch Mikrobetriebe

Trotz der Sonderbehandlung belasten die Auswirkungen der Pandemie die Branche weiterhin, vor allem Betriebe mit hohen Fixkosten, Löhnen und Mieten sind nach Einschätzung von Verbandspräsident Harald Esser gefährdet. Zudem ist in den letzten eineinhalb Jahren die Zahl der Mikrobetriebe gestiegen. Diese beschäftigen keine Mitarbeiter, bilden nicht aus und können, wenn sie weniger als 22.000 Euro Jahresumsatz erzielen, ihre Leistungen mehrwertsteuerfrei anbieten. Eine klare Wettbewerbsverzerrung, findet der Zentralverband, schließlich mussten laut Umfrage von Wella 89 Prozent der Betriebe ihre Preise im Durchschnitt um vier Prozent wegen des Zusatzaufwands für Arbeitsschutz und Hygienemaßnahmen erhöhen.

Besonders sorgt sich die Branche jedoch um den Nachwuchs. Weil viele Betriebe im Coronajahr 2020 nicht ausgebildet haben und auch die Nachfrage der Jugendlichen zurückging, gab es bis zum Stichtag 30. September 2020 stolze 18,7 Prozent weniger neue Ausbildungsverträge als 2019. Die zentrale Aufgabe, so der Verband im aktuellen Jahresbericht, ist und bleibt deshalb die Nachwuchsgewinnung im Friseurhandwerk.

Die wichtigsten Branchentrends im Friseurhandwerk

  • Barber-Shops
    Inzwischen legen auch immer mehr Männer großen Wert auf eine intensive Beauty- und Haarpflege. Bevorzugt in coolen Locations, die zunehmend Dienstleistungsort sowie Kult- und Begegnungsstätte sind. Dadurch interessieren sich auch immer mehr junge Männer für eine Friseurausbildung.
  • Nachhaltigkeit
    Saloninhaber achten verstärkt auf Nachhaltigkeit in den Salons und setzen auf die Themen Klima- und Umweltschutz.
  • Digitalisierung
    V
    on der Online-Terminbuchung über digitale Beratungsangebote zur Frisurenvoransicht bis hin zu digitalen Trinkgeldlösungen wie Tip@Click ist die Branche ständig auf der Suche nach smarten Lösungen für die Kunden.
  • Strukturwandel
    Durch Corona ist die Zahl der nicht ausbildenden und keine Mehrwertsteuer zahlenden Mikrobetriebe weiter gestiegen. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen und belastet die Ausbildungsqualität der Fachkräfte.
Abwärtstrend für 2020

Während die Friseurbetriebe 2020 teilweise sehr kräftige Einbrüche beim Umsatz, den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Mitarbeitern sowie den Auszubildenden hinnehmen mussten, stieg die Zahl der Betriebe dagegen leicht. Sorge bereitet der Branche vor allem der Rückgang bei den Auszubildenden.

Der gesetzliche Mindestlohn ist oft die Untergrenze

Bei der Entlohnung der Mitarbeiter gibt es nach wie vor große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Während sich die Topkräfte der Branche in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein dank allgemeinverbindlicher Tarifverträge über Bruttolöhne um die 2.000 Euro freuen können, gilt beim Grundlohn in Berlin, Brandenburg, der Pfalz, dem Saarland und Sachsen der tarifliche Mindestlohn von derzeit 9,60 Euro pro Stunde.

Quelle: Angaben der Landesinnungsverbände

Landesinnungs- verband/TarifgebietEntgelt-TV (Empfehlung)GrundlohnTariflohn für TopkräfteMax. TariflohnMax. Tariflohn
Baden-WürttembergTV av 1.710,00 €1.966,50 €2.650,50 €
BayernTV av 1.740 ,70 €2.247,70 €2.923,70 €
BerlingesMiLo
BrandenburggesMiLoevtl. aus TV nw
BremenTV 1.650,00 €2.004,75 €2.689,00 €
HessenTV av 1.798,41 €2.217,81 €2.933,42 €
NiedersachsenTV av 1.650,00 €2.004,75 €3.056,62 €
NRWTV 1.812,60 €2.094,75 €2.616,30 €
PfalzgesMiLo
RheinlandTV 1.733,00 €2.339,55 €
SaarlandEgesMiLo1.914,00 €2.262,00 €
SachsengesMiLoggf. noch nachwirkender TV mit Umsatzbeteiligung
Schleswig-HolsteinTV av 1.605,50 €2.078,70 €2.535,00 €
ThüringenTV nwgesMiLoggf. noch nachwirkender TV mit Umsatzbeteiligung

E = Empfehlung, TV= Tarifvertrag, AVE = Allgemeinverbindlichkeitserklärung, av = allgemein verbindlich, AV beantr. = Allgemeinverbindlichkeit ist beantragt, nw = nachwirkend
Ein gesetzlicher Mindestlohn – gesMiLo – in Höhe von 9,50 Euro gilt vom 01.01.2021 bis 30.06.2021; ab 01.07.2021 beträgt der gesetzliche Mindestlohn 9,60 Euro. Er ist zum Teil die Grundlage der Vergütung mit weiteren Entgeltkomponenten vertraglicher oder tariflicher Art. Die Entgelthöhe bzw. Tarifentgelte oder Entgeltempfehlungen beruhen zum Teil auf unterschiedlichen wöchentlichen Arbeitszeiten/Optionsmodellen bzw. deren Empfehlung.