Interview mit Dr. Robert Mayr Digitale Prozesse senken Transaktionskosten

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Die Digitalisierung der kaufmännischen Abläufe steht erst am Anfang, sagt Robert Mayr. Der Vorstandsvorsitzendedes Nürnberger Steuerberater-Dienstleisters DATEV erwartet, dass Kosten für neue digitale Lösungen sehr schnell durch effizientere Abläufe kompensiert werden.

Olaf Deininger im Interview mit dem DATEV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Robert Mayr. - © Stephan Minx

Der 1966 geborene Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ist seit 2016 Vorstandsvorsitzender der DATEV eG sowie verantwortlich für digitale Transformation. Davor war er neun Jahre geschäftsführender Gesellschafter einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Zwischen 1994 und 2001 war er bei Deloitte. 1998 wurde Mayr zum Steuerberater und 2000 zum Wirtschaftsprüfer bestellt. Davor war er Lehrbeauftragter an der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre an der Universität München, wo er 1994 promovierte.

Chefredakteur Olaf Deininger im spannenden Interview mit Dr. Robert Mayr.

Die Digitalisierung der kaufmännischen und steuerlichen Prozesse verspricht eine Befreiung der Unternehmer von den Routine- und Standard-Tätigkeiten der Buchführung. Ist diese Einschätzung realistisch oder ein Marketing-Versprechen?

Unternehmer können diese Tätigkeit ja ohnehin zu großen Teilen an ihren Steuerberater outsourcen. Insofern ist das Versprechen für Unternehmer eigentlich schon eingelöst.

Damit schon bei den vorbereitenden Tätigkeiten in den Unternehmen die Vorteile der Digitalisierung genutzt werden können, ist es notwendig, die kaufmännischen Prozesse den technischen Möglichkeiten anzupassen. Und das hat jeder Unternehmer in der eigenen Hand.

Dazu gehört insbesondere der Umstieg auf digitale Belege sowohl bei der Erstellung der eigenen Belege wie beim Belegeingang. Sollte beispielsweise eine Lieferantenrechnung ausnahmsweise doch noch in Briefform ankommen, sollte diese "ersetzend gescannt" werden. Damit der Papierbeleg nach dem Digitalisieren nicht mehr in Papierform aufbewahrt werden muss . In der Regel ist es sinnvoll, wenn der Steuerberater die Belege auf digitalem Wege erhält. Der Unternehmer sollte also das Gespräch mit ihm suchen.

Besser ist natürlich: Die Systeme im Unternehmen sind medienbruchfrei gestaltet und über intelligente Schnittstellen mit den kaufmännischen Systemen der Geschäftspartner sowie mit dem Steuerberater und den öffentlichen Verwaltungen digital verbunden. Die Prozesse können dann teilautomatisiert ablaufen. Das ist nicht nur für Konzerne, sondern dank der technischen Entwicklung längst auch für mittelständische Unternehmen umsetzbar.

Wann könnte es soweit sein? Was muss als Voraussetzung dafür gegeben sein?

Wie gesagt, das alles sind keine Visionen für die Zukunft, sondern vieles davon ist bereits gängige Praxis in vielen Betrieben.

Mittelständischen Betrieben wird zwar häufig noch Nachholbedarf attestiert, aber ein genauer Blick zeigt, es gibt eben auch die Unternehmer, die vieles längst in ihren Betrieben umgesetzt haben, beispielsweise eben das ersetzende Scannen oder die schon genannten durchgängig medienbruchfreien kaufmännischen Prozesse. Das war ja auch eines der Ergebnisse unserer gemeinsamen Studie zur Digitalisierung im Handwerk:

Insbesondere bei der Automatisierung gibt es aber sicherlich noch viel Potenzial, ebenso bei den neuen technischen Möglichkeiten unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

Die Innovationskraft dieser schon länger bekannten Technologie ergibt sich auch aus der massiv gestiegenen Leistungsfähigkeit der Hardware, den deutlich besseren Vernetzungsmöglichkeiten über alle Zeitzonen hinweg und der immer stärkeren Verbreitung genau solcher Lösungen.

Kann der Unternehmer eines kleinen oder mittleren Betriebs diese Entwicklung beeinflussen?

Die Entwicklung im Großen eher nicht, aber eben in seinem Betrieb. Jeder kann hier aktiv werden. Jeder Schritt hin zu einer Digitalisierung der Prozesse zählt, denn es geht hier nicht um eine Revolution, sondern um eine evolutionäre Entwicklung. Die Unternehmen müssen bei der technischen Entwicklung am Ball bleiben.

Den einen großen Schritt wird es erfahrungsgemäß nicht geben. Deshalb lieber mit kleinen Schritten langsam aber sicher vorangehen, als in Erwartung einer umfassenden Lösung im Status Quo zu verharren und damit den Anschluss zu verlieren.

Einheitliche technische und semantische Standards für Metadaten sollen künftig dafür sorgen, dass etwa eine Rechnung von allen beteiligten Systemen automatisch gelesen und interpretiert werden kann. So kann man eine geschlossene Weiterverarbeitungskette ohne Medienbrüche sicherstellen. Wie wichtig sind diese Standards? Wie offen sind diese Standards? Und halten sich alle wichtigen Player im Markt an diese Standards ­- oder setzt jeder eher auf eigene proprietäre Standards und schafft damit ungewollte Medienbrüche?

Die Standards sind tatsächlich sehr wichtig, denn nur durch sie lässt sich das Potenzial der Digitalisierung wirklich heben.

Die Vorgehensweise der Player am Markt hat sich hier aber auch verändert. Es geht nicht mehr darum sich gegenüber Wettbewerbern abzugrenzen, sondern um eine technische Zusammenarbeit der Schnittstellen und Datenschemata, um den Anwendern über entsprechende Standards einen systemübergreifenden Datenaustausch zu ermöglichen.

Wir sprechen hier von der Entstehung von Ökosystemen und deren Vernetzung untereinander.

Beispiel dafür ist ZUGFeRD, ein Standard für elektronische Rechnungen .

Oder ganz aktuell der digitale Finanzbericht, kurz DiFin, der es endlich möglich macht, Abschlussdaten der Unternehmen im Rahmen des Kreditverfahrens digital nach einem einheitlichen systemübergreifenden Standard an Banken und Sparkassen zu übermitteln.

Der DiFin wurde im April freigeschaltet und über DATEV wurden bereits mehr als 2000 Übermittlungen getätigt.

Unsere Mitglieder und DATEV sind hier Vorreiter. Die ersten und bisher auch die mit Abstand meisten Übermittlungen liefen über unser Rechenzentrum an die Kreditinstitute.

Ein weiteres Beispiel ist die Taxonomie für Kassendaten, für die sich branchenübergreifend Hard- und Software-Hersteller von Kassensystemen, IT-Dienstleister und Software-Anbieter von Buchführungsprogrammen, Vertreter des steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufsstands sowie Vertreter der Finanzverwaltung im Rahmen des Deutschen Fachverband für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik e.V. (DFKA) zusammengesetzt haben.

Die Taxonomie wird zurzeit getestet und wird nach der Freigabe entscheidend dazu beitragen, dass die Prozesse rund um die Bargeld-Kasse digitalisiert und automatisiert werden können.

Was verbirgt sich hinter dem Projekt oder dem Produkt "SmartTransfer"? Wie groß schätzen Sie den Markt dafür ein?

DATEV SmartTransfer ist eine Portallösung, über die Unternehmen die verschiedenen Formate von Belegen ohne Aufwand vereinheitlichen und mit ihrem Steuerberater austauschen können.

Beim Austausch von geschäftlichen Daten übernimmt unsere Lösung die Rolle eines Dolmetschers: Sender und Empfänger von Rechnungen, Gutschriften, Bestellungen, Mahnungen oder Gebührenbescheide müssen sich nicht auf ein gemeinsames Datenformat verständigen. Der Sender gibt die Daten einfach in dem bei ihm erzeugten Format hinein, der Empfänger erhält sie automatisch in dem Format, das er benötigt. Grenzen sind aktuell noch dort gesetzt, wo unstrukturierte, bildhafte Daten (z.B. PDF) in strukturierte Daten (z.B. ZUGFeRD) übersetzt werden sollen. Hier kommt dann die oben schon angesprochene Standardisierung ins Spiel, die solche Hürden künftig gar nicht erst entstehen lassen soll.

Das Portal unterstützt eine Vielzahl an Übertragungskanälen und diverse elektronische Formate – von bildhafter Darstellung (etwa als PDF, PDF/A oder TIFF) bis hin zu Transaktionsdateien wie EDIFACT, XML, IDoc usw.

Es lässt es sich einfach an alle gängigen ERP-Systeme oder rechnungserstellenden Programme anbinden, sodass der Rechnungsversand direkt aus dem jeweiligen System angestoßen werden kann. Eingehende Dokumente lassen sich zudem prüfen und freigeben.

DATEV SmartTransfer ist in ein übergreifendes Netzwerk eingebunden: In diesem TRAFFIQX-Verbund sind außerdem Anbieter wie die Bundesdruckerei, SGH, Neopost Deutschland, Asterion, BeCloud oder b4value.net mit eigenen Portalen vertreten.

Als Verbund profitiert jeder Knotenpunkt von den Entwicklungen und Möglichkeiten des anderen; auch von attraktiven Konditionen, die wegen der hohen Übertragungsvolumina im Netzwerk gewährt werden – selbst beim konventionellen Versand per Briefpost.

Weiterer Vorteil: Alle versendeten und empfangenen Dokumente können für die Erstellung der Buchführung direkt an den Steuerberater weitergegeben werden. So entstehen durchgängige digitale Prozesse direkt bis in die Kanzlei.

Und das Marktpotenzial ist groß: Jeden Monat werden mehrere Millionen Dokumente auf diesem Wege zwischen Unternehmen transferiert – mit stark steigender Tendenz.

Gegenüber dem herkömmlichen Briefpostversand lassen sich durch den durchgängigen elektronischen Dokumenten- und Datenaustausch nach Schätzungen so bis zu 80 Prozent Prozesskosten-Einsparungen erreichen.

Sie bieten auch eine Kassenlösung an, Casio ist der erste Kooperationspartner. Wie geht dieses Projekt weiter?

Unsere Lösung Kassenarchiv online haben wir am 13. Juli freigegeben. Sie waren bei unserer Jahrespressekonferenz ja dabei.

Die Lösung kommt am Markt gut an. Auch hier sind wir Vorreiter. Zudem sind die Fachkollegen mit zahlreichen Kassenherstellern im Gespräch, damit diese die Schnittstelle zu unserer Lösung in ihre Kassensoftware einbauen.

So kann DATEV Kassenarchiv online für Unternehmer mit Kassen deutliche Erleichterungen schaffen – und zusammen mit weiteren Verbesserungen beim Umgang mit Bargeld dazu beitragen, dass sie besser schlafen können.

Denn es hat sich ja inzwischen herumgesprochen, dass die Finanzbehörden inzwischen sich die kaufmännischen Abläufe rund um die Kasse genauer anschauen und es dann häufig zu Zuschätzungen kommt.

Die Digitalisierung reduziert in vielen Branchen die Grenzkosten. Sehen Sie im Bereich kaufmännische und steuerliche Dienstleistungen ähnliche Entwicklungen?

Das Thema Grenzkosten haben wir ja schon diskutiert... Daher rate ich den steuerlichen Beratern – ich bin ja übrigens selber auch Steuerberater und Vizepräsident in der Steuerberaterkammer in Nürnberg – stetig über weiterführende Dienstleistungen nachzudenken und ihren Mandanten entsprechende Angebote zu machen. Der Steuerberater ist ein perfekter Outsourcing-Partner für den mittelständischen Unternehmer. Das gilt auch für alles rund um das Thema Compliance. Auch aus diesem Grunde sage ich dem Berufsstand auch immer ein goldenes Zeitalter voraus – wenn er die Chancen der digitalen Transformation richtig und intensiv nutzt.

Mit der Digitalisierung der kaufmännischen und steuerlichen Prozesse wandelt sich die Buchführung in ein intelligentes und lernfähiges System. Könnte diese Entwicklung die Anforderungen an die Interpretation der Daten steigern?

Damit steigen nicht unbedingt die Anforderungen, aber vor allem die Möglichkeit, die Daten tiefergehend zu analysieren und interpretieren.

Wir haben heute die technische Infrastruktur und Tools, große Datenmengen schnell zu verarbeiten und tiefgehend zu analysieren – Stichwort Big Data und Deep Data Analytics.

Das machen sich nicht nur Plattformanbieter wie Facebook und Amazon zunutze, sondern auch die Finanzverwaltungen, wenn sie bei einer Kassen-Nachschau oder einer Betriebsprüfung mit Unterstützung entsprechender Software die Daten der Unternehmen sehr tiefgehend unter die Lupe nehmen.

Aber diese Möglichkeiten kann ich als Unternehmer natürlich ebenfalls nutzen, zum Beispiel bei der vorausschauenden Liquiditätsplanung, bei der Analyse von Kunden- und Marktdaten oder bei der Prüfung der Daten in der eigenen Finanzbuchführung, bevor der Prüfer vor der Tür steht.

Mit der Blockchain lassen sich finanzielle Transaktionen aber auch kaufmännische Abläufe wie etwa Warenentnahmen, Lieferungen etc. verbindlich dokumentieren.

Damit - also mit der Blockchain - wäre steuerliche Transparenz doch ganz leicht herzustellen. Ein Vergleich: Die Blockchain wäre wie ein offenes digitales Grundbuch? Allerdings: Der Datenschutz müsste damit sicher neu geregelt werden, oder?

Nehmen wir das Beispiel der E-Rechnung: Mein Betrieb liefert Waren ins Ausland. An der Lieferung hängen eine Menge Formalitäten und auch bei der steuerlichen Gestaltung sind einige Punkte zu beachten. Hier kann künftig die Technologie der Blockchain helfen, bestimmte Informationen zu einem Geschäftsvorfall sauber zu dokumentieren. Wichtiger noch – eine Manipulation der Informationen kann in der zeitlichen Folge ausgeschlossen werden.

Datenschutz ist aber ein essentieller Faktor. Deshalb sind hier in vielen Blockchain-Ansätzen noch konzeptionelle Hausaufgaben zu erledigen. Stichworte sind hier z.B. „privat vs. public Blockchain“ und der Schutz personenbezogener Daten durch passende Technologien.

Freilich dürfte die neue Technologie auch Anpassungen in den rechtlichen Vorgaben erfordern. In Brüssel und Berlin wird darüber bereits diskutiert.

Wenn auch beim Steuerberater die Routine- und Standard-Tätigkeiten der Buchführung wegfallen, wandelt er sich noch stärker zum Berater, vielleicht sogar zum echten Berater (Stichwort: proaktive Steuerberatung). Wie verändert sich dadurch die Branche der Steuerberater?

Der Steuerberater war schon immer „der“ Berater rund um die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen im Unternehmen, allerdings stark mit Blick auf die bereits abgewickelten Geschäftsvorfälle. Wenn wir ihm, flankiert durch die Möglichkeiten der digitalen Transformation, zusätzlich datenbasierte Informationen an die Hand geben, kann er noch zukunftsorientierter, noch proaktiver beraten und er wird zu einem Digital-Coach.

Kleine und mittelständische Unternehmen tun sich bei rechtlichen und technischen Veränderungen häufig schwer, die notwendigen Veränderungen in ihren Prozessen zeitnah und sinnvoll umzusetzen. Beispiel: Kassen-Nachschau oder ZUGFeRD-Rechnung.

Die steuerlichen Berater haben die rechtlichen Fachkenntnisse und mit uns einen berufsständischen IT-Partner, der ihnen intelligente und rechtssichere Lösungen bietet. So können sie als Digitalisierungs-Coach sowohl bei den technischen wie rechtlichen Entwicklungen den Unternehmer unterstützen.

Muss der Steuerberater künftig neben der Beratungstätigkeit auch Know-How im Bereich IT haben?

Wenn er die Rolle als Digitalisierungs-Coach annimmt, muss sein bereits vorhandenes Know-how in diesem Bereich – Steuerberater arbeiten ja schließlich seit über 50 Jahren digital und sind damit IT-Pioniere – noch weiter ausbauen. Sicherlich wird es hier auch zu Spezialisierungen kommen.

Wie erkenne ich als Unternehmer, ob mein Steuerberater diese Veränderungen ernst nimmt und sich (und damit auch mich) in die Lage versetzt auf der Höhe der Zeit zu sein und von diesen Veränderungen zu profitieren?

Sprechen sie mit ihm oder ihr über diese Themen, dann wird sich das sehr schnell herausstellen. Wenn die Kanzlei auf digitale oder digitalisierte Belege möglichst frühzeitig in der Verarbeitungskette und in der gemeinsamen Zusammenarbeit hinwirkt und Ihnen auch noch andere Beratungsperspektiven aufzeigt, dann ist das sicher der richtige Weg…

Einheitliche Daten könnten doch sicher auch ein Benchmarking auf ein neues Niveau heben. Von den besten Betrieben lernen, wäre doch dann sicher einfacher zu realisieren - zumindest bei den kaufmännischen Kennzahlen?

Ja, natürlich. Es liegen mehr Daten vor und diese können schneller mit eigenen Daten verglichen werden. Je mehr Daten von immer mehr Wettbewerbern vorliegen, umso tiefergehender kann auf Basis anonymisierter Daten analysiert werden – der Schutz der individuellen Daten bleibt gewährleistet.

Vielen Dank für das Gespräch!