Kommunikation Ausbildung: In Ruhe reden statt ausrasten

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Ausbildung und Fachkräftemangel

Jeder dritte Azubi im Handwerk bricht laut aktueller Analyse die Ausbildung „aus betrieblichen Gründen“ vorzeitig ab. Doch was steckt genau dahinter? Das Projekt Azubi-Coach in Thüringen zeigt: Mit Respekt und Wertschätzung lässt sich auch die neue Azubi-Generation erfolgreich zum Gesellenbrief führen.

Firmenchef Wolfgang Schubert- Raab und Ausbildungsleiter Thomas Polzer  (Mitte von links) von Raab Bau in Ebensfeld
Firmenchef Wolfgang Schubert-Raab und Ausbildungsleiter Thomas Polzer (Mitte von links) von Raab Bau in Ebensfeld setzen bei den Azubis auf regelmäßiges Feedback und einen respektvollen Umgang. - © Stephan Minx

Vier Auszubildende bei über 200 Mitarbeitern? Wie viele Handwerksbetriebe stand die Raab Baugesellschaft im oberfränkischen Ebensfeld vor einer Grundsatzentscheidung: das Ausbildungsengagement komplett einzustellen oder aber neue Wege bei der Akquise und in der Zusammenarbeit mit den Azubis zu gehen. Geschäftsführerin Gisela Raab und ihr Team entschieden sich vor vier Jahren für den zweiten Weg. Denn sie sind überzeugt davon, dass jene Unternehmen, die für qualifizierte Fachkräfte am attraktivsten sind, im Wettbewerb die Nase vorn haben werden. Da das Heranziehen junger Nachwuchskräfte dabei ein wichtiger Baustein ist, stellte sie mit Thomas Polzer einen kaufmännischen Leiter ein, der in seiner Funktion als Ausbildungsleiter ein neues Konzept für die jungen Fachkräfte im Betrieb etablieren sollte. „Unser Ziel war und ist es, so viele Azubis wie möglich zu bekommen“, erklärt Thomas Polzer.

Ein Mentor für jeden Azubi

Um das zu erreichen, ist der Betrieb nicht nur in Schulen und auf Ausbildungsmessen präsent, sondern hat auch sein Ausbildungskonzept überarbeitet. Entscheidend ist es laut Polzer, die jungen Fachkräfte möglichst schnell ins Team zu integrieren. Dabei setzt das Bauunternehmen auf eine Art Doppelspitze: Während Polzer den Ausbildungsplan, die Perspektiven sowie übergeordnete Themen mit den Azubis bespricht und den Kontakt zu den Eltern und der Berufsschule hält, kümmert sich ein Vorarbeiter – im Betrieb Capo genannt – als Mentor um Alltagsfragen und ist erster Ansprechpartner auf der Baustelle.

Einmal pro Jahr gibt es dann eine Beurteilung durch den Capo, die Polzer jeweils im persönlichen Gespräch mit den Jugendlichen bespricht. Auch wenn manche Azubis „durchaus mit etwas schwitzigen Händen zu ihm ins Büro kommen“, hält der kaufmännische Leiter die Beurteilung durch eine dritte Person für deutlich nachhaltiger, als wenn diese durch den Ausbildungsbegleiter selbst erfolgt. Zudem spüre der Jugendliche natürlich auch, wie wichtig seine Meinung und seine Leistung für die Geschäftsführung wirklich sind.

Einmal im Monat gibt es bei Raab Bau zusätzlich zur Berufsschule und der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) einen „Aktionstag Ausbildung“ an der Handwerkskammer für Oberfranken. Dabei unterstützt ein eigens für den Betrieb engagierter Lehrer den Nachwuchs in Theorie und Praxis. Im Februar 2018 startete mit der Initiative „Talente am Bau“ zudem ein firmeninternes Ausbildungsprogramm, bei dem Peter Breidenbach von der gleichnamigen Akademie in Hirschaid die Auszubildenden in ihrer Persönlichkeit schult. Eine Maßnahme, die nach Polzers Erfahrung super bei den Jugendlichen ankommt, was ja auch schon der von den Azubis vergebene Projektname zeige: „Würden Sie sich sonst ‚Die Sieger‘ nennen?“

Wichtig: Motivation durch eigene Projekte

Abgerundet wird das im letzten Jahr von Focus Money als eines der besten Ausbildungskonzepte in Deutschland prämierte Modell mit einer Weiterbildungsreihe für die Ausbildungsbegleiter. Zehn Capos haben bereits die von Kommunikationstrainerin Susanne Sammet erarbeiteten drei Module absolviert und ein Ausbilderzertifikat erhalten. Da Erfolge in der Praxis genauso wichtig für das Selbstwertgefühl der Azubis sind wie Schulungen und ein respektvoller Umgang, legt der Betrieb auch großen Wert auf eigene Azubi-Projekte. Im Juni 2020 wurde der Grundstein für ein neues Schulungsgebäude gelegt, das die Azubis gemeinsam mit zwei Ausbildungsbegleitern inklusive Roh- und Innenausbau erstellen.

Erfolg der Strategie des Baubetriebs: nur ein Abbrecher in drei Jahren

Die oft gestellte Frage, ob sich der ganze Aufwand für den oberfränkischen Familienbetrieb wirtschaftlich lohnt, kann der kaufmännische Leiter gleich von drei Seiten positiv beantworten. Zum einen zählt der Betrieb mit zwölf Auszubildenden stolze 300 Prozent mehr qualifizierte Nachwuchskräfte als noch 2016. Zum anderen bringt die Zusammenarbeit mit dem engagierten Nachwuchs der Geschäftsleitung und dem Team viele neue Impulse für den Betrieb. Bei der wichtigsten Kennzahl im Ausbildungsbetrieb, der Quote der vorzeitigen Abbrecher , kann Raab Bau dann richtig punkten, wie Thomas Polzer bestätigt: „Wir hatten in den letzten drei Jahren nur einen, der die Ausbildung bei uns abgebrochen hat, weil er zu einem kleineren Betrieb gehen wollte.“

Jeder Dritte Azubi schmeisst hin

Wie herausragend die Abbrecherquote beim oberfränkischen Baubetrieb ist, wird beim Blick auf den vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gerade veröffentlichten „Datenreport 2020“ so richtig deutlich. Stolze 35,1 Prozent der im Handwerk beschäftigten Azubis haben 2018 vorzeitig ihren Ausbildungsvertrag wieder gelöst, das ist mehr als jeder Dritte. Spitzenreiter in der BIBB-Statistik der Branchen mit den höchsten Lösungsquoten sind die Friseure mit 51,2 Prozent, auch Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk, Gebäudereiniger, Gerüstbauer und Kosmetiker liegen nahe der 50-Prozent-Marke. Knapp dahinter folgen Bäcker, Metzger, Maler, Dachdecker und Stuckateure mit Lösungsquoten von 41 bis 44 Prozent. In der Hitliste der Top-20-Berufe mit den geringsten Lösungsquoten findet sich dagegen nur ein klassischer handwerklicher Ausbildungsberuf: der Mechatroniker mit 8,5 Prozent.

Woran liegt es aber, dass die Jugendlichen im Handwerk überproportional häufig ihre Ausbildung abbrechen? Die Experten des BIBB betonen zwar, dass das Handwerk an sich nicht die Ursache für das „hohe Lösungsrisiko“ sei, und sprechen von „vielfältigen und komplexen Ursachen“. Die vom BIBB durchgeführten Befragungen bei Ausbildern und den Azubis ergeben ebenfalls kein einheitliches Bild. Jede Gruppe sucht die Schuld bei der anderen: Während die Ausbilder über mangelnde Leistungsbereitschaft und Durchhaltevermögen klagen, beschweren sich die Azubis vor allem über Kommunikationsprobleme, Konflikte mit Ausbildern und eine unzureichende Ausbildungsqualität .

Noch wenig Einsicht bei den Chefs

Julia Riese, Leiterin von Handwerk und Bildung (HABI) im thüringischen Sondershausen, wollte zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Kathleen Jäntsch herausfinden, warum sich die Jugendlichen im Handwerk offenbar nicht so wohl fühlen wie in anderen Branchen. „In der BIBB-Statistik wird immer von betrieblichen Gründen gesprochen, wir wollten bei unserem Projekt Azubi-Coach herausfinden, was wirklich hinter den Abbrüchen steckt“, erklärt Julia Riese das Ziel. Wie ambitioniert die Zielsetzung tatsächlich ist, erlebten die beiden Frauen gleich bei der Suche nach Projektteilnehmern. 30 Betriebe sollten es nach Vorgaben des „Zentrums für Luft- und Raumfahrt“ als Projektträger mindestens sein. Also konzentrierte sich das Damenteam zunächst auf Betriebe in der Region mit besonders hohen Abbrecherquoten, die jedoch kaum Interesse daran zeigten, ihre Azubi-Situation verbessern zu wollen. Im Gegenteil, wie Julia Riese betont: „Wir haben viel Gegenwind bei der Akquise bekommen, unser Projekt wurde teilweise sogar als hirnrissig bezeichnet.“

Als dann nach viel Akquise- und Überzeugungsarbeit endlich genügend Betriebe zur Teilnahme am Projekt überredet werden konnten, zeigte die detaillierte Befragung der Ausbilder und Azubis laut Kathleen Jäntsch, „dass sich beide Seiten durchaus ähnliche Dinge wünschen“ : Während den Chefs als Antwort oft nur das Geld einfalle, wollen die Auszubildenden einfach nur verstanden und vor allem nicht angeschrien werden. „Wir bekamen oft zu hören, dass der Ton am Bau eben etwas rauer ist,“ erklärt Kathleen Jäntsch, „doch warum muss das unbedingt so sein?“

Neue Führungskultur gefragt

Eine Frage, auf die auch die betroffenen Ausbilder im Betrieb oft keine konkrete Anwort haben. Angeführt wird dann häufig die Tatsache, dass es eben schon immer so gewesen sei. Doch genau hier liegt laut Einschätzung von Julia Riese das Problem bei der aktuellen Azubi-Generation: „ Altes Gedankengut trifft auf neue Ansprüche, da gibt es natürlich jede Menge Konfliktpotenzial.“

Da die Ausbilder im Gegensatz zu den Azubis fast immer im Betrieb bleiben, passieren die gleichen Fehler im Umgang dann auch mit dem nächsten Azubi-Jahrgang. Um diese Negativ-Spirale zu durchbrechen, muss der Chef die Firmenkultur in Richtung eines wertschätzenden und respektvollen Miteinanders verändern. Wie das speziell bei den Azubis funktionieren kann, können Unternehmer und Führungskräfte bei dem von HABI entwickelten Bildungsgang „Azubi-Coach im Handwerk“ in bundesweit angebotenen Schulungen lernen (Info unter handwerk-bildung.de).

Nach Erfahrung von Raab-Ausbildungsleiter Thomas Polzer sind der respektvolle Umgang miteinander und der wertschätzende Führungsstil gerade auch in Corona-Krisenzeiten wichtige Erfolgsfaktoren für Betriebe. Da die Berufsschule mehrere Wochen geschlossen war, haben sich alle Azubis ohne Meckern und Klagen auf den Baustellen engagiert, der Ausbildungsleiter bekam auf seine Nachfrage bei den Jugendlichen ein durchweg positives Feedback: „Das gelingt nur, wenn die Azubis voll ins Team integriert sind und selbst auch gerne Verantwortung übernehmen.“

Checkliste: So gelingt eine gute Kommunikation mit den Azubi

Jeder vierte Auszubildende beklagte im Projekt „Azubi-Coach“ des Ausbildungszentrums Handwerk und Bildung (HABI) in Sondershausen die regelmäßigen Wutausbrüche der Ausbilder. Die Checkliste zeigt die wichtigsten Punkte, die Betriebe beim respektvollen Miteinander von Führungs- und Fachkräften sowie Auszubildenden erfüllen sollten.

  • Erwartungen abgleichen
    Wie sieht der Azubi seine Rolle im Betrieb? Was erwarten Chef und Mitarbeiter von ihm? Sprechen Sie am besten gleich im Vorstellungsgespräch die jeweiligen Vorstellungen an und kommunizieren Sie Ihre Erwartungen an den Nachwuchs auch auf der Website oder in den Sozialen Medien. Je deutlicher Sie dabei werden, desto geringer der Spielraum für Missverständnisse.
  • Ansprechpartner festlegen
    Um die vielen Fragen des Alltags zu klären, ist es sinnvoll, jedem Azubi einen Gesellen oder Meister als „Ausbildungsbegleiter“ zuzuteilen. Der sollte natürlich Spaß an der Aufgabe haben und im Umgang mit den Erwartungen der aktuellen Azubi-Generation geschult sein.
  • Werte und Umgangsformen klären
    In jedem Betrieb gibt es zahlreiche ungeschriebene Regeln für den Umgang miteinander. Fassen Sie diese zusammen und kommunizieren Sie diese sichtbar für alle per Aushang, App oder über Website/Intranet.
  • Regelmäßiges Feedback
    Etablieren Sie regelmäßige Gesprächsrunden zwischen Chef, Azubi und Ausbildungsbegleiter. Ziehen Sie bei Bedarf auch die Eltern und/oder die Berufsschullehrer hinzu. Wichtig: Sprechen Sie nicht nur Negatives an, sondern auch, was gut läuft.
  • Hilfe anbieten
    Zu geringe Deutschkenntnisse oder grobe Schwächen in Mathe? Ärgern Sie sich nicht pauschal über die „unfähige Jugend“, sondern engagieren Sie – etwa mithilfe der Handwerkskammer und spezieller Fördermittel – einen Lehrer zur Unterstützung.
  • Mitreden lassen
    Natürlich soll der Azubi das tun, was ihm aufgetragen wird. Doch Nachfragen sind nicht nur ein Zeichen von Engagement, sondern können auch für neue und bessere Lösungen sorgen. Seien Sie offen dafür und bitten Sie (freundlich) um Verständnis, wenn mal keine Zeit für Erklärungen bleibt.
  • Verantwortung übertragen
    Eigene kleine Projekte stärken das Selbstwertgefühl der Azubis und sind ein wahrer Motivationsturbo. Übertragen Sie regelmäßig Verantwortung, von der Azubi-Baustelle bis hin zum Azubi-Kundendienst oder eigenen Azubi-Produkten gibt es je nach Branche zahlreiche Möglichkeiten.
  • Fehler tolerieren
    Bleiben Sie ruhig, auch wenn der gleiche Fehler schon zum zweiten Mal passiert. Sprechen Sie mit dem Azubi sachlich über die Ursachen, damit es zukünftig besser läuft. Jeder Lernende hat eine zweite Chance verdient.
  • Vorbild sein
    Wer als Chef seine Emotionen nicht unter Kontrolle hat, kann dies auch nicht glaubwürdig von seinen Mitarbeitern erwarten. Kritisieren Sie sachlich und konstruktiv – und loben Sie gute Leistungen mindestens genauso häufig! Das motiviert die Mitarbeiter und hilft dabei, notwendige Kritik besser zu verarbeiten.

Was Azubis an den Ausbildern stört

Fast die Hälfte der Azubis fühlt sich von den Ausbildern nicht respektiert. Jeder Dritte bemängelt Fehlerkultur und Kommunikation, jeder Vierte das häufige Ausrasten der Ausbilder.

VerhaltenProzent
mangelnde Wertschätzung und Respekt 44 %
unsichere Vertrauensbeziehung31 %
mangelnde Fehlerkultur31 %
unzureichende Kommunikation31 %
fehlende Emotionskontrolle (Ausrasten)25 %
schlechte Organisation und Struktur19 %
gelegentliche Bloßstellung und Beleidigung 13 %
zu hohe Erwartungen6 %

Quelle: Umfrage im Projekt HABI-Competence, Handwerk und Bildung - Sondershausen 2019