Kolumne „Eigels Erfa-Erkenntnisse“ Wissenstransfer: Wie bringe ich Azubis und erfahrene Mitarbeitende zusammen, Frau Eigel?

Andrea Eigel leitet zahlreiche Erfa-Gruppen – und ist somit ganz nah dran am Handwerk. In ihrer Kolumne beantwortet die erfahrene Beraterin Fragestellungen aus der Praxis. Folge 15: Wie man die ältere Garde im Betrieb dazu bewegt, ihren Erfahrungsschatz verständlich an die junge Generation zu vermitteln – und warum beide Seiten vom Wissenstransfer profitieren.

Andrea Eigel zeigt in ihrer neuen Kolumne, wie Unternehmer den Wissenstransfer zwischen erfahrenen Mitarbeitern und den Azubis anstoßen können.
Andrea Eigel zeigt in ihrer neuen Kolumne, wie Unternehmer einen Umgang mit schwierigen Mitarbeitern finden, damit die Teamdynamik nicht leidet. - © andranik123 - stock.adobe.com

Wissen ist Macht. Doch was macht es mit einem Betrieb, wenn heute und morgen unglaublich viel handwerkliches Wissen mit denen, die es zwischen den Ohren und ihren Fingern haben, in Rente geht? Was macht es mit einem Betrieb, wenn gleichzeitig versäumt wird, jahrzehntelange Erfahrung an den wenigen Nachwuchs weiterzugeben?

Verlorenes Knowhow mindert die fachliche Kompetenz des Betriebs. Verlorene Kompetenz wirkt sich negativ auf die Effizienz des Betriebs, sein Qualitätsversprechen und damit auf die Kundenzufriedenheit aus. Und letztlich demotiviert die vertane Chance, vorhandenes Wissen im Betrieb umfassend an die Jungen zu vermitteln, auch den lernenden Nachwuchs. Wie stoppt man diese Abwärtsspirale mit seinen vielen negativen Facetten?

Die Jungen lernen auf breiter Front von den Alten: Warum eigentlich nicht?

Ein Handwerksbetrieb, den ich seit Jahren berate, hat sich dieses Problem konkret vorgeknöpft. Ausgangspunkt unserer Überlegungen war, wie man die aktuellen und künftigen Auszubildenden im Unternehmen noch besser zu fähigen Mitarbeitenden entwickeln könnte. Dem Betrieb ist es wichtig, dass die Lehrlinge möglichst viel lernen und sie motiviert sind, längerfristig im Betrieb zu bleiben.

Deshalb sollten alle, die im Betrieb mit den Azubis in Verbindung stehen, über den Ausbilder hinaus, als potenzielle Wissensvermittler in Frage kommen – und zukünftig die Lehrlinge gleichermaßen gut anleiten können. Zusätzlich sah das Unternehmen eine Chance darin, dass Lehrlinge verschiedene Herangehensweisen der erfahrenen Kolleginnen und Kollege kennenlernen und so später genau den Ansatz zur Lösung von handwerklichen Aufgabenstellungen wählen können, der ihnen am besten liegt. Der Betrieb hat viele Gesellen in ihren 50ern, die durch ihre jahrzehntelange Erfahrung so viele handwerkliche Tricks und Kniffe beherrschen, die in keinem Lehrbuch nachzulesen sind.

Wissenstransfer braucht mehr als gute Absichten

Also, so die Überlegung am grünen Tisch, alles ganz einfach: Man muss nur die Alten und Jungen zum Wissenstransfer zusammenbringen, und dann profitieren alle. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht die Sache – sicher nicht nur in diesem Betrieb – anders aus. Denn: Es gibt Widerstände. Die älteren Mitarbeitenden verweigern oft, sich intensiv mit den Lehrlingen auseinanderzusetzen. Sprüche wie „Ich habe keine Lust, in die Lehrlinge, die immer so selbstbewusst tun und sich dann doch nichts merken, Zeit reinzustecken.“ sind sicherlich bekannt. Auf der Azubi-Seite sieht es nicht besser aus. Die jungen Leute beklagen beispielsweise, dass viele Ältere ungeduldig sind, ihnen nur einmal etwas zeigen und dann erwarten, dass sie es beherrschen. Klappt das nicht, wird gemeckert.

Das Problem: Die scheinbar so selbstbewussten Lehrlinge könnten zwar nachfragen, tun es aber nicht. Im Gespräch wurde den Verantwortlichen im Betrieb und mir klar, dass wir die Sache umfassender anpacken müssen. Eine Schulung musste her, in der alle Facharbeitenden im Betrieb die Grundzüge von aktuellem Ausbilderwissen erlernen würden. Der Schwerpunkt müsste auf Kommunikationsfähigkeiten liegen, die die berühmte Lücke zwischen den Generationen zu überbrücken hilft – und klare, einfach umzusetzende Handlungsanweisungen enthalten, mit dem Wissenstransfer von erfahren zu unerfahren in Zukunft gelingen kann.

Damit Wissen fließen kann: Kommunikationsbarrieren beseitigen

Vorweggeschickt: Die Schulung hat bereits stattgefunden, etwas in Bewegung gebracht und die älteren Mitarbeitenden sensibilisiert – auch wenn der Betrieb noch am Anfang der neuen Entwicklung steht. Schon am Tag nach der Veranstaltung wurde die Geschäftsführung Ohrenzeuge, wie ein ansonsten eher raubeiniger Geselle mit einer ganz anderen Tonalität auf einen Azubi zu- und auf ihn eingegangen ist. Im ersten Teil unserer Schulung hatten sich die älteren Mitarbeitenden damit beschäftigt, warum sich die junge Generation so scheinbar selbstbewusst verhält, was eigentlich dahintersteckt und warum ihre Aufmerksamkeitsspanne so viel kürzer ist als früher.

Auch die Erkenntnis, dass die meisten jungen Leute deutlich weniger handwerkliches Geschick mitbringen als früher, weil es in ihren Familien nicht mehr selbstverständlich geübt wird, hat bei den älteren Mitarbeitenden zu einem Aha-Erlebnis und in der Folge zu mehr Verständnis für die Jungen geführt. Ein Exkurs zu den unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen, über die Knowhow aufgenommen wird – der eine lernt besser, wenn er neue Wissensinhalte sieht, der andere muss sie hören, der dritte nimmt es durch Anfassen und Tun besser auf – hat den Mitarbeitenden Rüstzeug für ihren Wissenstransfer an die Hand gegeben.

So geht’s: Der 4-Schritte-Lernplan für die innerbetriebliche Wissensweitergabe

Wie tickt die junge Generation und wie gehen wir kommunikativ auf sie ein, damit wir Wissen verständlich vermitteln können? Nach diesen Grundlagen haben wir in der Schulung vier konkrete Schritte festgelegt, mit denen die Alten den Jungen ab sofort ihren reichen Erfahrungsschatz sinnvoll weitergeben:

  1. Fertigkeit vormachen: Der Mitarbeitende zeigt dem Azubi den Arbeitsablauf und erklärt gleichzeitig, worauf es im Detail ankommt.
  2. Fertigkeit nachmachen: Im Anschluss führt der Lehrling den Arbeitsablauf selbst aus. Der Mitarbeitende nutzt die Gelegenheit und fragt nach, weshalb der Vorgang so ausgeführt wird. So kann er prüfen, ob der Azubi die Zusammenhänge versteht. Wenn nicht, liefert man an Ort und Stelle das Hintergrundwissen nach. So bleibt es besser hängen.
  3. Fertigkeit anwenden lassen: Derselbe Arbeitsablauf wird nun vom Nachwuchs eigenständig durchgeführt. Motto: Erst mal machen lassen, aber eng begleiten. Wenn der Mitarbeitende einen Fehler sieht, berichtigt er ihn nicht sofort, sondern fordert den Azubi auf, den Fehler selbst zu finden und ihn möglichst eigenständig zu beheben. Das steigert den Lerneffekt enorm.
  4. Fertigkeit trainieren lassen: Nicht jeder neu erlernte Arbeitsgang kann endlos geübt werden. Doch Mitarbeitende achten jetzt darauf, dass die Azubis neu Erlerntes mehr als zwei Mal trainieren, um Sicherheit zu bekommen und ihr neues Wissen in der Praxis umsetzen zu können.

Fazit: Wissenstransfer im Betrieb – Win-Win für alle Beteiligten

Azubis sind als zukünftige Leistungsträger wichtig. Genauso wichtig sind die älteren Mitarbeitenden, die viel Handwerkswissen weiterzugeben haben. Bezieht man alle Facharbeitenden in die Ausbildung der Lehrlinge mit ein, gewinnen alle – inklusive des Betriebs. Doch dazu muss die alte Garde einen Zugang zur jungen Generation bekommen und kommunikative Ansätze und Vermittlungsabläufe erlernen, mit denen sie ihre ganze Erfahrung zielgerichtet an den Nachwuchs weitergeben können. Der Einsatz lohnt sich: Wertvolles Wissen bleibt dem Betrieb erhalten. Lehrlinge gewinnen können, echtes Selbstbewusstsein und Motivation. Und nicht zuletzt genießen auch die älteren Mitarbeitenden die Wertschätzung, die sie als Lehrmeister der Jungen erfahren.

Wie verhindern Sie, dass Handwerkswissen mit der Pensionierung Ihrer Mitarbeitenden dem Betrieb verloren geht? Wie organisieren Sie das „Azubis lernen von erfahrenen Mitarbeitenden“ in Ihrem Unternehmen? Wo gibt es Erfolge, wo Schwierigkeiten? Schreiben Sie mir – ich lerne gern dazu!

Über Kolumnistin Andrea Eigel:

Andrea Eigel unterstützt Unternehmerinnen, Unternehmer und Führungskräfte im Handwerk dabei, Kunden und Mitarbeitende zu gewinnen und nachhaltig zu binden – und dabei auch selbst bei Lust und Laune zu bleiben.

Sie hält Vorträge, macht Workshops und Coachings, moderiert Veranstaltungen und leitet seit vielen Jahren Erfa-Gruppen. Nebenberuflich ist sie Dozentin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.

Andrea Eigel schreibt die Kolumne "Eigels Erfa-Erkenntnisse"
Andrea Eigel schreibt die Kolumne "Eigels Erfa-Erkenntnisse" - © Kaleidoskop Marketing-Service GmbH
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