Branchencheck Zweiradhandwerk: Fahrradboom wird von Produkt- und Materialmangel ausgebremst

Zugehörige Themenseiten:
Branchencheck, Elektromobilität und Nachhaltigkeit

Warme und trockene Sommer, die wachsende Nachfrage nach umweltfreundlicher Mobilität sowie mehr Freizeit im Lockdown:
Die Zweiradbranche wächst seit 2019 enorm. Das Interesse der Kunden ist zwar ungebrochen, doch massive Engpässe in der Warenversorgung bremsen zum Start in die Zweiradsaison Handwerk und Handel aus.

Branchencheck Zweiradhandwerk
Nach dem Rekordjahr 2020 sieht sich die Branche auch in den kommenden Jahren weiter auf Wachstumskurs – auch wenn das Rekordniveau aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei Produkten und Material 2021 nicht erreicht werden konnte. - © familie-eisenlohr.de - stock.adobe.com

Heftiger hätte auch die stärkste Scheibenbremse den Markt nicht herunterregulieren können: So wurde die in den Anfängen der Coronapandemie explodierende Nachfrage der Kunden, die zu einem Rekordwachstum der Branche im Jahr 2020 führte, bereits wenige Monate später massiv ausgebremst. „Die Nachfrage der Kunden ist weiterhin hoch, doch den Händlern fehlen Fahrräder und Ersatzteile“, fasst Felix Lindhorst von der beim Zweiradverband in Hilden angesiedelten gewerbespezifischen Informationstransferstelle die Lage der Branche zusammen.

Zwar hätten insbesondere die großen Einkaufsgenossenschaften versucht, nach dem Auftreten der ersten Engpässe ihre Lager schnellstmöglich und vorausschauend wieder zu füllen, doch spätestens 2021 wurden sowohl die großen Handelsbetriebe als auch die handwerklich ausgerichteten Kleinbetriebe vom Produkt- und Materialmangel eingeholt. Eine für alle Protagonisten der Branche unbefriedigende Situation, die sich nach Lindhorsts Einschätzung so schnell auch nicht ändern lässt: „Es gibt zwar inzwischen einen klaren Trend, die Produktion nach Europa zurückzuholen, doch das wirkt sich erst langfristig aus.“ Deshalb rechnet der Branchenexperte frühestens 2023 mit einer Entspannung der Liefersituation.

E-Bikes mischen den Markt auf

Das ist fast ein wenig schade für eine kleine Branche, der die Marktforscher vom Kölner Institut für Handelsforschung (ifh) eine ausgesprochen rosige Zukunft prognostizieren. So wird die durch das E-Bike eingeläutete Renaissance des Fahrradmarktes nach Ansicht der ifh-Experten vor allem durch zwei Faktoren verstärkt: So haben die im ersten Lockdown herrschenden klimatischen Rahmenbedingungen mit viel Sonne und wenig Regen dafür gesorgt, dass viele Menschen das Fahrrad als Fortbewegungsmittel und Sportgerät für sich wiederentdecken. Hinzu kommt ein steigendes Umweltbewusstsein, durch das nachhaltige ­Mobilitätslösungen wie das E-Bike in den Vordergrund rücken. Zwar gewinnen laut ifh Onlineanbieter und Fachmärkte beim E-Bike-Verkauf Marktanteile von den kleineren, handwerklich ausgerichteten Fachhändlern, diese profitieren dafür aber stark vom zunehmenden Bedarf an Service und Wartung.

Rückenwind durch E-Bikes und den Mobilitätswandel

Nach dem Rekordjahr 2020 sieht sich die Branche auch in den kommenden Jahren weiter auf Wachstumskurs, obwohl das Rekordniveau aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei Produkten und Material 2021 nicht erreicht werden konnte. Für Optimismus sorgt vor allem die Tatsache, dass die Zweiräder beim Mobilitätswandel eine immer wichtigere Rolle spielen.

Umsatz (in Mrd. Euro)*
20162,6
20172,8
20183,3
20193,7
Quelle: *Destatis 2021

Prognose: Für 2021 prognostizieren Fahrradindustrie und Handel 14 Prozent weniger Umsatz als 2020, Daten für das Handwerk sind noch nicht verfügbar.

Beschäftigte*
201717.379
201818.446
201920.198
Quelle: *Destatis 2021

Prognose: Der Beruf ist gefragt und die Beschäftigtenzahlen steigen stetig, zu kämpfen hat die Branche mit vielen Quereinsteigern ohne passende Ausbildung.

Anzahl der Betriebe***
20174.107
20184.127
20194.138
20204.159
Quelle: *** Zentralverband des Deutschen Handwerks, zdh.de

Prognose: Der in den vergangenen Jahren zu beobachtende leichte Aufwärtstrend setzt sich fort, allerdings gibt es große Engpässe bei Fachkräften.

Auszubildende**
JahrZweiradmechatroniker/-in MotorradtechnikZweiradmechatroniker/-in Fahrradtechnik
2016336441
2017363492
2018372552
2019366624
2020399711
Quelle: **BIZH

Prognose: Während sich die Ausbildungszahlen für den Berufszweig Motorradtechnik seit Jahren auf einem stabilen Niveau bewegen, wächst der Anteil der Fahrrad-Azubis stetig. Insgesamt geht der Branchen­verband davon aus, dass der Trend gehalten werden kann und weiter leicht steigend ist.

Branchentrends

  • Lieferengpässe
    Ausgelagerte Lieferketten, die weltweite Pandemie und ein havariertes Frachtschiff im Suezkanal stellen sowohl die Ersatzteilversorgung als auch die Produktion auf den Kopf. Eine Marktnormalisierung wird erst für 2023 erwartet
  • Mobilitätswandel
    Die Zweiradbranche profitiert vom Wandel bei der Individualmobilität, vor allem Lasten­räder bilden innerstädtisch zunehmend eine Alternative zum Pkw. Mittelfristig sieht sich die Motorradbranche mit alternativen Antriebs­strategien und Kraftstoffen konfrontiert.
  • Digitalisierung
    Die Pandemie war ein Treiber der Digitalisierung. Viele Zweiradbetriebe beschäftigen sich damit, Geschäftsprozesse wie etwa Terminvergaben digital abzubilden sowie Onlineshops zu professionalisieren. Im Bereich der Nachwuchsgewinnung arbeitet das Zweiradgewerbe daran, die Gesellenprüfung zu digitalisieren.
  • Fachkräfte
    Durch eine stetige Modernisierung des Berufsbildes sowie den Aufbau einer Vermittlungsbörse zwischen Betrieben und potenziellen Nachfolgern versucht der Bundesinnungsverband, die Branche zu stabilisieren. Aktuell erlebt die Branche vor allem einen Zustrom von wenig qualifiziertem Personal.
  • Elektrifizierung
    Von 2010 bis 2020 ist der Anteil der E-Bikes am Verkaufsvolumen der gesamten Fahrräder von 18,5 auf stolze 71,3 Prozent gestiegen. Da immer neue Kundengruppen (Tourismus, Autohäuser, Firmen) ihre Flotten umrüsten, stehen die Zeichen weiter auf Wachstum. Zudem gibt es in den Haushalten inzwischen laut Studie des ifh Köln einen Trend zum Zweit-E-Bike.
"Zweiräder sind Teil der Lösung im Mobilitätswandel."

Felix Lindhorst, Gewerbespezifische Informationstransferstelle BIV Zweirad-Handwerk.