Auftragsabwicklung, Baurecht und Professioneller Bauablauf – Kolumne von Andreas Scheibe
Der Handwerker muss das Bau-Soll verstehen, kalkulieren und anbieten können. Blöd nur: Fast auf jeder Baustelle weicht das Bau-Ist vom Bau-Soll ab, und zwar von dem, was der Auftraggeber bei der Vergabe beschrieben bzw. was der Fachplaner geplant hat. Oftmals sorgt ein solcher Fall für Chaos und sogar Mehrarbeit. Kolumnist Andreas Scheibe fragt sich entsprechend in der 15. Folge von „Professioneller Bauablauf“: Warum macht daraus eigentlich keiner Geld, wenn es doch sein gutes Recht ist?

Beginnen wir die heutige Kolumne mit einer Frage: Was ist eigentlich das Bau-Soll? Auflösung: Es handelt sich hierbei um die zu erbringende Leistung, welche definiert ist über den Langtext des Leistungsverzeichnisses in Verbindung mit der Planung und allen sonstigen Vertragsunterlagen nach VOB. Fakt ist: Wird dieses Bau-Soll allerdings geändert, bringt das Vergütungsfolgen mit sich. Oder anders ausgedrückt: Eine Änderung kostet Geld, denn schließlich wurden ursprünglich mal andere Dinge vereinbart. Leider bemerken viele Handwerker nicht gleich, dass sich etwas geändert hat und erst recht nicht, wie sie die Angelegenheit dokumentieren und monetarisieren können – insofern sie das überhaupt wollen!
Die Führungskraft auf der Baustelle
Wen meine ich da eigentlich genau? Ich verrate es Ihnen: den Obermonteur. Er ist die erste Führungskraft auf der Baustelle. In einigen Fällen übernimmt diese Rolle auch der Bau- bzw. der Projektleiter. Jedenfalls muss diese Führungskraft auf der Baustelle zwingend in der Lage sein, das Bau-Soll vom Bau-Ist unterscheiden zu können. Zudem muss die Person jene Änderung richtig dokumentieren können, damit das Team im Büro daraus eine Vergütung generieren kann. Hiermit meine ich Nachträge, Entschädigungen, Schadenersatz oder auch Kündigungen im letzten Schritt. Alle diese Punkte lassen sich problemlos durchsetzen, wenn die Dokumentation und die Sachlage dazu klar und nachvollziehbar sind. Selbst auch für einen Richter, der von Baustellen nur geringfügig etwas versteht.
Themen, die das Planungsbüro gerne mal ignoriert
Bringen wir also mal wieder die VOB, unsere Lieblingslektüre, ins Spiel. In der VOB/C ist die sogenannte Standardbaustelle beschrieben und diese ist gültig, solange vertraglich nicht explizit etwas anderes vereinbart wurde. Ganz oft werden Themen wie Wegelängen, Parkplatzmöglichkeiten, Sanitäranlagen, Schnittstellen zu anderen Gewerken ignoriert. Gerade die Angaben zur Baustelle und die Angaben zur Ausführung (0.1 und 0.2 in VOB/C) werden gern mal vom Planungsbüro vollkommen überfahren. Jedoch sind diese ganz klar zu definieren.
Kein Standard mehr
Bei Sanierung kommt es häufig zu Demontage. Wir lesen im Leistungsverzeichnis (LV) beispielhaft: „Demontage bis DN 100, Stahlrohrleitung inkl. Dämmung, inkl. Stahlmantel.“ Zum Ausbringweg steht da aber nichts. Nebenbei bemerkt, ist das auch ein Thema für den Kalkulator. Wenn Sie also vier Geschosse haben und zum Abtransport hundert Meter laufen müssen, dann sind wir schon nicht mehr im Standard. In der DIN18459 Abs. 3.3.6 stehen nämlich ganz andere, deutliche geringere Werte. Ich empfehle an dieser Stelle: Schlagen Sie einfach mal nach! Ihre VOB-Ausgabe sollte sich ohnehin in einer Armlänge Entfernung zu Ihnen befinden.
Von guter Dokumentation zu lohnendem Nachtrag
Wenn jetzt der Obermonteur auf der Baustelle nicht merkt, dass er Mehrarbeit leistet bzw. leisten lässt also beispielsweise eben unnötig viele Laufwege, kann nichts dokumentiert werden und dementsprechend der Projektleiter im Büro keinen Nachtrag stellen. In diesem Fall würde es sich um einen sogenannten „Wandernachtrag“ handeln. Insgesamt gibt es noch rund 20 andere Nachtragsformen, darunter etwa den lukrativen „Dübelnachtrag“ oder den „Pinkelnachtrag“.
Das Delta zwischen SOLL und IST
An dieser Stelle wird deutlich, dass, wenn der Obermonteur auf der Baustelle nicht erkennt, wo genau das Delta zwischen SOLL und IST liegt, entsprechend auch weniger Nachträge gestellt werden können. Wie notwendig das Ganze jedoch ist, wird spätestens dann klar, wenn ein Projekt rote Zahlen schreibt. Wenn Obermonteure Leistungen allerdings gern unentgeltlich mitmachen, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn die Stunden im Projekt über die Kalkulation hinauslaufen.
Wenn die Belohnung bereits winkt
Eine führende Person vor Ort, wie etwa der Obermonteur, übernehmen also eine tragende Rolle auf der Baustelle. Und zwar für den Werkerfolg als auch für die Jahresabrechnung. Und Sie, liebe Leserschaft, können sich gar nicht vorstellen, wie das die Moral und den Spaßfaktor im Team steigert, wenn man einen Wandernachtrag für 4.000 Euro und/oder einen Dübelnachtrag für 15.000 Euro durchgeboxt hat. Also wenn das nicht nach einem Grillabend für die ganze Mannschaft schreit…
Über Autor Andreas Scheibe:

Andreas Scheibe hat selbst als Planer und Projektleiter in großen Firmen gearbeitet, später den väterlichen Handwerksbetrieb übernommen und umgekrempelt. Seine Erfahrung bezahlte er laut eigener Aussage mit viel „Schweiß und Blut“, aber auch viel Geld. Es entstand die Idee zum „professionellen Bauablauf“!
Mit der Continu-ING GmbH (lücken-im-lv.de) verfolgt er heute als Coach und Mentor eine Mission: Das Handwerk muss wieder für seine Leistung anerkannt und entsprechend vergütet werden. Schluss mit dem „Sozialhandwerker“, der sich nicht zu wehren weiß und auf Kosten sitzen bleibt. Vom Handwerker als Getriebener zum aktiven Projekttreiber. Wichtige Fragen sollen endlich geklärt werden: Was sind meine Rechte, was meine Pflichten? Wie sieht es mit den Pflichten anderer aus? Was kann und muss ich fordern, um störungsfrei arbeiten zu können? Wie gelingt der Sprung vom letzten, missachteten Glied im Bauablauf zu einer Position auf Augenhöhe mit Fachplaner und Auftraggeber? Andreas Scheibe möchte neue Sichtfelder für Handwerker eröffnen.
„Stark im Handwerk – das Buch für Handwerker„ Im August 2021 ist das erste Buch „Stark im Handwerk“ von Andreas Scheibe erschienen. Darin beweist der Experte, dass die VOB voller Potenzial, aber auch Geld steckt. Aus der Praxis weiß handwerk-magazin-Kolumnist Scheibe, dass das Bild, welches Auftraggeber, Architekten und Planungsbüros oft vom Handwerker haben, meist kein ruhmreiches ist. Zwar sind die ausführenden Firmen nach deutschen Standards sehr gut ausgebildet und wissen technisch bestens Bescheid, „doch von einer Sache hat man Ihnen nichts erzählt: Welche Rechte sie haben! Und auch nicht, dass sie eigentlich und zuallererst auf Augenhöhe mit Auftraggeber und Fachplaner stehen“, erklärt Scheibe. „Der Handwerker ist zwar der letzte in der Reihenfolge bezogen auf den Bauablauf, aber der letzte Depp ist er noch lange nicht!“ In diesem Zusammenhang kommt der Autor in seinem Buch sowohl auf die Rechte eines Handwerkers als auch auf dessen Pflichten zu sprechen. Denn genau diese stehen so im Detail in der VOB. Diese ist jedoch kompliziert und daher auch sehr unbeliebt – zu Unrecht, wie der Autor findet. Das Buch von Andreas Scheibe weckt nicht nur Interesse für das Projektgeschäft, sondern auch für das Durchsetzen von Rechten und Forderungen sowie den spielerischen Umgang mit Paragrafen. Das Ziel: Handwerk muss wieder Spaß machen und zu alter Stärke zurückfinden. stark-im-handwerk.de Ankündigung neues Buch: „Starke Obermonteure – Retter der Baustelle“ Wollen Sie Ihre Obermonteure zu Mega-Monteuren ausbilden? Verzeihen Sie den Wortwitz, aber genau darum geht es: Obermonteure sollen die VOB/C aufsaugen und wie die Mitternachtsformel auch noch mitten in der Nacht rezitieren können. So schaffen Sie mehr Sicherheit als auch höhere Profitabilität auf Ihren Baustellen. Bestellen Sie dazu ab dem 6. August 2022 die Neuerscheinung meines Buches „Starke Obermonteure – Wie deine Obermonteure zum Retter deiner Baustelle werden“. starke-obermonteure.de |