Gesundheitsmanagement Schluss mit dem Dauerstress

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Das ständige Arbeiten an der Kapazitätsgrenze zehrt in vielen Betrieben nicht nur an den Nerven der Mitarbeiter, sondern auch an der Leistung. Sie wollen den Dauerstress nicht länger hinnehmen? Wer als Chef dagegen vorgeht, wird von den Krankenkassen sogar mit Prämien belohnt.

Christian Klemm, Inhaber der Niepmann GmbH
Christian Klemm (vorne), Inhaber der Niepmann GmbH in Düsseldorf: »Als Chef möchte ich wissen, was die Mitarbeiter bei der Arbeit im Betrieb wirklich belastet.« - © Markus J. Feger

Was denken die Mitarbeiter wirklich über den Betrieb? Sind sie mit der Arbeit zufrieden? Und wenn nicht: Wo drückt der Schuh am meisten? Christian Klemm, Inhaber des Sanitär- und Heizungsbetriebs Niepmann GmbH in Düsseldorf, wollte endlich einmal „ein realistisches Gefühl dafür bekommen“, wie seine 13 Mitarbeiter und fünf Auszubildenden die Arbeitsbedingungen und das Betriebsklima wahrnehmen. Schließlich weiß er als langjähriger Unternehmer nur zu gut, dass er beim direkten Nachfragen nicht alles erfährt, was die Mitarbeiter belastet.

Als er sich bei einer Veranstaltung am Infostand der IKK Classic über die Möglichkeiten des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) informierte, wurde ihm schnell deutlich, dass die im Rahmen des BGM durchgeführten Maßnahmen effizient zur Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit beitragen können. „Anfangs“, so Christian Klemm, „herrschte im Betrieb große Skepsis, was das bringen soll, doch im Nachhinein waren alle sehr positiv überrascht.“

Um herauszufinden, wo die größten Schwachstellen liegen, wurden Bürokräfte und Gesellen jeweils durch den IKK- Classic-Trainer Otto Brackhan befragt. Was dabei vor allem herauskam, hat Firmenchef Christian Klemm beeindruckt: „Eine bessere Vorbereitung der Termine und Baustellen ist für die Mitarbeiter tatsächlich wichtiger als das Geld.“ In einem Workshop wurde dann überlegt, wie sich die Arbeitsabläufe für beide Seiten stressfreier gestalten lassen könnten.

Kommunikation gegen den Stress

So konnten die Gesellen etwa nicht verstehen, warum sie eine Arbeit nicht immer von Anfang bis Ende erledigen können, sondern zum Teil bei anderen Aufträgen eingesetzt werden. „Das Büroteam hat dann erklärt, wie wichtig die Flexibilität für eine reibungslose Zusammenarbeit mit anderen Gewerken ist“, erklärt Firmenchef Klemm. Um die Planung insgesamt effizienter zu gestalten, wurde beschlossen, dass die Monteure das Büro frühzeitig informieren, wenn sie länger brauchen als vorgesehen.
 
Neben organisatorischen Verbesserungen zur Reduzierung des Stresslevels wünschte sich das Team auch eine Verringerung der körperlichen Belastungen. Um das beschwerliche Schleppen der Heizkörper erträglicher zu gestalten, wurde eine Transporthilfe angeschafft. Dem älteren Monteur mit Bandscheibenvorfall steht jetzt immer ein Azubi zur Seite, der ihm schwere Arbeiten abnehmen kann. Obwohl es anfangs nicht leicht war, das Team für die BGM-Maßnahme zu begeistern, haben sich die drei eingesetzten Arbeitstage dafür nach Klemms Einschätzung mehr als gelohnt.

Nicht etwa wegen der Prämien, die Betrieb und Mitarbeiter dafür von der IKK Classic erhalten haben, sondern vor allem wegen der Tatsache, dass der Betrieb sein Image als Arbeitgeber und die Attraktivität der Arbeitsplätze erheblich steigern konnte: „Wenn die Mitarbeiter mit Kollegen darüber sprechen, merken sie, dass solche Maßnahmen in anderen Betrieben keineswegs selbstverständlich sind.“

Mini-Boom im Handwerk

Ein Blick auf die Statistik der gesetzlichen Krankenversicherung zeigt, dass der Unternehmer mit seiner Einschätzung vor allen bei den Kleinbetrieben richtig liegt: Laut Präventionsbericht von 2017 wurden bundesweit zwar in 13.132 Betrieben BGM-Maßnahmen durchgeführt, Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern und Kleinstbetriebe unter zehn Mitarbeitern sind dabei jedoch nur zu einem Fünftel vertreten. Dennoch hat sich gerade im Handwerk bei dem Thema einiges getan, wie Frank Klingler, Referatsleiter Betriebliche Gesundheitsförderung bei der IKK Classic in Böblingen, bestätigt: „Die Bereitschaft, sich auf BGM-Maßnahmen einzulassen, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.“
 
Der Mini-Boom liegt nach seiner Erfahrung jedoch nicht am Bonus, den Betrieb und Mitarbeiter für ihr BGM-Engagement von einigen Krankenkassen heute erhalten. Sondern vor allem an der Tatsache, dass inzwischen auch viele Chefs im Handwerk die Notwendigkeit sehen, sich stärker um gesundheitsfördernde Arbeitsplätze und -bedingungen zu kümmern. Ein Treiber der Entwicklung , so Klingler, ist der Fachkräftemangel: Da die Betriebe in einigen Regionen keine neuen Mitarbeiter mehr finden, müssen Chefs etwa durch die BGM-Maßnahmen dazu beitragen, die älteren Mitarbeiter länger arbeitsfähig zu halten.

Motivation der Chefs ist deutlich gestiegen


Geändert hat sich dabei nach Aussage des Experten vor allem die Motivation der Chefs : Ging es früher vor allem um Themen wie richtiges Heben und Tragen und die Reduktion von Fehlzeiten, steht heute zunehmend die Zufriedenheit der Mitarbeiter im Vordergrund . Diese leiden aktuell durch die gute Auftragslage und den Fachkräftemangel verstärkt unter Stress und psychischen Belastungen: „Spätestens bei der Analysephase kommt das Thema Stress zur Sprache“, weiß IKK-Experte Klingler.  
Zwar stünden Muskel- und Skeletterkrankungen noch auf Platz eins der Hitliste der Ausfallgründe, doch das müsse keineswegs bedeuten, dass etwa die oft beklagten Rückenschmerzen durch schweres Heben und Tragen verursacht werden. Oft seien dafür Zeit- und Leistungsdruck sowie Arbeitsstress mitverantwortlich.
 
Sabine Voermans, Leiterin Gesundheitsmanagement bei der Techniker Krankenkasse in Hamburg, bestätigt die Einschätzung des IKK-Kollegen: „Heben und Tragen sind heute auch noch wichtig, doch oft stecken hinter diesen Themen ganz andere Dinge , die die Gesundheit der Mitarbeiter beeinflussen.“ Schließlich komme der Stress nicht automatisch, weil so viele Aufträge da sind, sondern werde oft durch Mängel in der Prozessorganisation und Kommunikation verursacht. „Wenn mir der Chef buchstäblich im Nacken sitzt, hilft auch die Rückenschule nicht.“ Deswegen legt die Techniker Krankenkasse großen Wert darauf, beim BGM vor allem auf die weichen Faktoren wie Kommunikation und Unternehmenskultur zu setzen.

Fehlzeiten sinken um ein Viertel

SHK-Unternehmer Christian Klemm findet den ganzheitlichen Ansatz ebenfalls sehr wichtig, möchte aber auch den für seine Betriebsgröße wichtigen Kosten-Nutzen-Aspekt nicht aus dem Auge verlieren. „Drei Tage Mitarbeiterschulung in Sachen Gesundheitsmanagement bedeuten für mich schließlich eine Umsatzeinbuße von rund 6.000 Euro.“ Die AOK Nordost sowie die AOK Baden-Württemberg verweisen denn auch beim Thema Nutzen auf den Report der „Initiative Gesundheit und Arbeit“ (iga), einem Zusammenschluss von Deutscher Gesetzlicher Unfallversicherung, dem AOK-Bundesverband, dem Verband der Ersatzkassen und dem BKK-Dachverband.
 
Nach Analyse der iga-Experten lassen sich die krankheitsbedingten Fehlzeiten durch BGM-Maßnahmen durchschnittlich um ein Viertel reduzieren. Oder anders ausgedrückt: Für jeden in eine BGM-Maßnahme investierten Euro lassen sich 2,70 Euro durch reduzierte Fehlzeiten einsparen.

Warum Mitarbeiter im Handwerk ausfallen

Durchschnittlich 18,9 Tage fehlte ein Mitarbeiter im Handwerk im vergangenen Jahr. Ganz vorne auf der Hitliste der Fehlzeitengründe stehen die Muskel- und Skeletterkrankungen.

KrankheitsursacheAnteil
Muskel und Skeletterkrankungen29,9%
Verletzungen und Vergiftungen15,9%
Krankheiten der Atemorgane12,3%
Psychische Erkrankungen9,4%
Kreislauferkrankungen5,2%
Krankheiten des Verdauungssystems4,8%
Sonstiges22,5%

Quelle: IKK Classic, Fehlzeitenanalyse Handwerk 2017