Technologie Augmented Reality: Produzieren und Planen in der virtuellen Welt

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Augmented Reality und Virtual Reality eröffnen Handwerksbetrieben eine neue Dimension: Noch bevor sie Hand an ein Projekt gelegt haben, können sie gemeinsam mit Mitarbeitern und Kunden am gewĂŒnschten Ergebnis feilen. Auch eine umfassende visuelle Beratung aus der Ferne ist möglich. Doch besteht in den Betrieben noch großer Wissensbedarf, wie sich die Technologien handhaben lassen.

 Augmented-Reality-Anwendung
Die beste Brille gemeinsam mit dem Kunden aussuchen – dafür braucht der Augenoptiker heute kein echtes Gestell mehr, sondern eine Augmented-Reality-Anwendung. - © Gemeinsam digital

Villeroy & Boch machtÂŽs vor: Um seinen Kunden die vielen Möglichkeiten zu zeigen, ein Bad zu gestalten, lĂ€sst der SanitĂ€rhersteller die Produkte in seiner App entdecken. Von Duschwannen bis hin zu UnterschrĂ€nken und Waschtischen können sich die Kunden dort wischen – und prĂŒfen, wie die GegenstĂ€nde im eigenen Bad aussehen. Der Kunstgriff gelingt ĂŒber die erweiterte RealitĂ€t .

Das geht so: HĂ€lt der Badbesitzer sein Handy auf den Platz, an dem ein Waschbecken installiert werden soll, schiebt sich das in der App ausgewĂ€hlte Produkt ins Blickfeld. Der digitale Scanner in der App erfasst dabei die realen Raummaße und fĂŒgt die Produkte digital hinzu. Wirklichkeit und virtuelle Welt verschmelzen zu einem Bild. Nun kann der Kunde ein Produkt nach dem anderen testen. In allen GrĂ¶ĂŸen, Farben und Materialien.

Einerseits ist das effizient, andererseits auch sehr spielerisch. Augmented Reality kommt schließlich aus der Gaming- und Entertainmentbranche. Das beliebte Handy-App-Spiel PokĂ©mon Go, bei dem kleine virtuelle Monster in der eigenen Umgebung gejagt werden mĂŒssen, hat der Technologie vor vier Jahren den Weg in den Massenmarkt geebnet. Auch Virtual Reality hat seinen Ursprung in der Spielerecke – und findet ebenfalls immer öfter Anwendung in Handwerksbereichen. In beiden Werkzeugen sieht das Heinz-Piest-Institut fĂŒr Handwerkstechnik an der Leibniz UniversitĂ€t Hannover ( HPI) vielseitige und gewerkeunabhĂ€ngige Einsatzbereiche. Im Technologie-Steckbrief zum Thema „AR/VR“ fĂŒhrt das Institut vier Einsatzmöglichkeiten in den Betrieben an:

  • Produktvisualisierung
  • virtuelle Instandsetzung
  • Marketing
  • Aus- und Weiterbildung .

Blick in die Zukunft

Einzelne Produkte im virtuellen Raum zu betrachten birgt große Vorteile fĂŒr die produzierenden Gewerke im Bauwesen. Setzt sich der Handwerker die VR-Brille auf, kann er das gesamte Bauvorhaben visualisieren oder – auch gemeinsam mit dem Kunden – spezifische Details wie die Auswahl der Badfliesen oder der Möbel­oberflĂ€chen planen. Augmented Reality hat in der Beratung und im Service ihren Platz: FĂŒr Gewerke, in denen Servicetechniker ihre Leistungen vor Ort erbringen, unterstĂŒtzen weitere aufs Handy eingespielte Daten den Handwerker bei seiner Arbeit. Ein direkter Kontakt zu den Mitarbeitern im Innendienst ist ebenfalls möglich: Über stereooptische Kamerasysteme können beispielsweise Wartungs- oder Installationsinformationen direkt vor Ort ĂŒber eine Smartphone-AR-App oder eine Datenbrille abgerufen werden.

Anwendungsgebiete entstehen, so beschreibt der HPI-Steckbrief, auch in den Gesundheitsgewerken. Zahnarzt-Patienten haben die Möglichkeit, bereits vor der Erstellung einer Zahnprothese ĂŒber einen „virtuellen Spiegel“ zu sehen, wie das Ergebnis aussehen wird. Augenoptiker wiederum können ihre Kunden ĂŒber digitale Zusatzinformationen bei der Auswahl des Brillengestells oder der Anpassung des Tönungsgrads beraten.

FĂŒr Ulrich Goedecke, Projektleiter im Kompetenzzentrum Digitales Handwerk (KDH ), eignen sich AR und VR daher lĂ€ngst nicht mehr allein fĂŒr große Firmen wie Villeroy & Boch, sondern fĂŒr die ganze Bandbreite an kleineren Betrieben. Zum Beispiel diejenigen, die Möbel, KĂŒchen- oder Badeinrichtungen herstellen und verkaufen. „Die Kunden schĂ€tzen diesen Zusatzservice“, beobachtet er.

AR: Stabiler Internetempfang nötig

Doch macht Goedecke auch einige HĂŒrden aus. Zum Beispiel bei der Datenhoheit. Denn wĂ€hrend im Gegensatz zu VR-Anwendungen die Daten – wie etwa das Aufmaß der jeweiligen RĂ€ume – im Betrieb bleiben, erhĂ€lt der Kunde bei AR diese Informationen auf sein Handy. Theoretisch könnte er damit dann auch andere Betriebe beauftragen, so die BefĂŒrchtung.

Daneben sind Augmented-Reality-Anwendungen stark abhĂ€ngig vom verfĂŒgbaren Internetempfang. Probleme sieht Goedecke dann, wenn es sich zum Beispiel um den Fernsupport bei Heizungsanlagen oder des Stromnetzes handelt. „Viele SchaltkĂ€sten sind im Keller angesiedelt, wo der Datentransfer in der Regel nicht reibungslos funktioniert“, erklĂ€rt er. Auch Baustellen sind nicht der ideale Ort fĂŒr AR-Anwendungen. „Handwerker mĂŒssen bei ihrer Arbeit beide HĂ€nde frei haben. WĂ€hrenddessen ein Handy zu halten ist daher umstĂ€ndlich.“ Datenbrillen, die diese HĂŒrde aus dem Weg rĂ€umen könnten, sind mit annĂ€hernd zwei Kilogramm noch zu schwergewichtig – zumal viele Handwerker auf dem Bau bereits mit Schutzbrillen ausgerĂŒstet sind. Das Dilemma könnten kĂŒnftig Wearables lösen, darunter smarte Uhren, die sich an eine Plattform ankoppeln lassen. Goedecke zufolge könnte es in fĂŒnf Jahren soweit sein.

Co-Kreation: GewerkeĂŒbergreifendes Arbeiten am digitalen Zwilling

Im Einsatz von VR sieht der Experte daher vorerst mehr Entwicklungspotenzial, insbesondere im Business-to-Business-Bereich. Ein Beispiel ist das Zukunftsfeld der Co-Kreation, das durch VR entsteht: In Form eines Avatars können mehrere Personen gleichzeitig in ein virtuelles dreidimensionales Modell eintauchen und mit anderen kommunizieren. Dabei entstehen mehrere Chancen: Sind Handwerker unterschiedlicher Gewerke im Modell, können sie – wie beim Business Information Modeling (BIM) – ĂŒber den digitalen Zwilling in der virtuellen Welt am Projekt gemeinsam arbeiten.

Neue Möglichkeiten eröffnen sich auch im Bereich der Aus- und Weiterbildung. Der HPI-Steckbrief fĂŒhrt die Simulation verschiedener Tätigkeiten an, wie den virtuellen Schweißtrainer, digitale Montageprozesse im Kfz-Bereich oder einen Lackier- und Beschichtungssimulator. Diese Anwendungen stellen – so schreibt das Institut – eine kosten- und ressourcenschonende Ergänzung zu den regulären Aus-, Fort- und Weiterbildungsinhalten dar, die es den Teilnehmern erlauben, Fehler zu machen, ohne dass jemand dabei zu Schaden kommt. Doch auch das Technologiepapier zeigt noch einige Herausforderungen auf. Dazu zĂ€hlen die Anschaffungskosten (eine VR-Brille gibt es ab circa 500 Euro) sowie vor allem die fehlende Bereitschaft sich mit der Technologie auseinanderzusetzen. Laut einer Umfrage unter FachverbĂ€nden im Rahmen des Steckbriefs ordnet die HĂ€lfte der Befragten die Relevanz fĂŒr die eigene Branche als sehr hoch oder hoch ein, der Umsetzungsgrad liegt aber aktuell bei nur 13 Prozent. Diese LĂŒcke lĂ€sst sich jedoch schließen, so das HPI: Gewerkespezifische Angebote an Aus- und Weiterbildung könnten den Einsatz von AR und VR im Handwerk fördern.

Technisches Verfahren und Funktionsprinzip

(Quelle: Heinz-Piest-Institut fĂŒr Handwerkstechnik an der Leibniz UniversitĂ€t Hannover)

Zeigen, was physisch eigentlich gar nicht da ist: Diesen Kunstgriff können Augmented Reality und Virtual Reality. WĂ€hrend Handwerker fĂŒr den Einsatz von VR eine spezielle Brille benötigen, ist fĂŒr AR nur ein mobiles GerĂ€t wie etwa ein Smartphone nötig.

Der Begriff virtuelle RealitÀt (Virtual Reality, VR) bezeichnet die datenbasierte Simulation einer virtuellen Umgebung, in der der Nutzer handeln und unterschiedliche Anwendungen steuern kann. Diese Umgebung kann unter anderem durch sogenannte VR-Brillen erzeugt werden, die die reale Umgebung vollstÀndig abdecken und so das visuelle Eintauchen in eine andere Welt ermöglichen. Innerhalb dieser virtuellen Welt besteht je nach Simulation die Möglichkeit, von einem festen Standpunkt aus zu agieren oder sich zusÀtzlich durch die jeweilige Simulation zu bewegen. Um interagieren zu können, werden EingabegerÀte wie Datenhandschuhe, Controller oder spezielle LaufbÀnder verwendet.

Im Gegensatz zur virtuellen RealitĂ€t, steht bei der erweiterten RealitĂ€t ( Augmented Reality, AR) die Darstellung ergĂ€nzender Informationen im Vordergrund. Der Unterschied zur VR ist vor allem, dass die reale Umgebung zu jeder Zeit sichtbar bleibt. Die AR lĂ€sst sich demnach zwischen der realen Welt (RealitĂ€t) und der ausschließlich virtuellen Welt (VR) einordnen. Durch den Einsatz von Tablets, Smartphones oder Datenbrillen können die zusĂ€tzlichen Informationen, wie Bilder, Videos oder 3-D-Darstellungen, so eingeblendet werden, dass sie sich in die vorhandene, reale Umgebung einfĂŒgen. Die reale Umgebung wird dabei entweder ĂŒber Kameras (z. B. Smartphone, Tablet) oder durch das Tragen einer Datenbrille abgebildet. Es geht dabei allerdings nicht allein darum, zusĂ€tzliche Informationen in digitaler Form in der vorhandenen Welt zu platzieren. In vielen Anwendungen ist es dem Nutzer zusĂ€tzlich möglich, mit diesen Elementen zu interagieren .

AR und VR in der Praxis: So profitieren die Betriebe

Virtuelle Welten finden allmĂ€hlich auch im Handwerk Einzug. Neben der Kundenberatung unterstĂŒtzen Augmented Reality und Virtual Reality auch beim Service und bei der Aus- und Weiterbildung.

GranSeher
GranSeher  Mit AR mehr zeigen und verkaufen
GranSeher Mit AR mehr zeigen und verkaufen - © Emma Das Fotostudio

Mit AR mehr zeigen und verkaufen
Wie viele kleinere Unternehmen hat der Augenoptiker und Akustik-Experte GranSeher nur einen begrenzten Bereich, um seine Produkte zu prĂ€sentieren. Über Augmented Reality kann der fĂŒnfköpfige Betrieb aus Gransee in Brandenburg seinen Showroom allerdings endlos erweitern. Smart TV, Webcam und Wlan schaffen die Voraussetzungen dafĂŒr, dass Kunden Brillen aus dem gesamten Online-Sortiment anprobieren können – und das selbst außerhalb der Ladenöffnungszeiten. Nachdem sie im Schaufenster an einem markierten Bereich von der Kamera erfasst wurden, können sich in Ruhe eine Brille nach der anderen „aufsetzen“ und ĂŒber eine VerknĂŒpfung mit Freunden teilen. „Dass in unserem Schaufenster auch abends nach Ladenschluss und am Wochenende etwas los ist, lockt zahlreiche Passanten in der FußgĂ€ngerzone an“, sagt Judith Behm, GeschĂ€ftsfĂŒhrerin GranSeher.

Die Vorteile:
  • den physischen Showroom um weitere virtuelle Brillenmodelle erweitern
  • ĂŒber spielerische Anprobe positive Image-Effekte erzielen
AIvitex
Aivitex  Zeit und Budget im Service sparen
Aivitex Zeit und Budget im Service sparen - © aivitex

Zeit und Budget im Service sparen
Die Heizung im Haus ist ausgefallen. Oder eine Badsanierung steht an, zu der sich der Kunde zunĂ€chst einmal eine erste Expertenmeinung einholen will. Egal, um was es sich handelt: Viele Anfragen an Handwerksbetriebe lassen sich vorerst, und zuweilen sogar vollstĂ€ndig, aus der Ferne regeln . Das Start-up Aivitex aus Stuttgart hat dafĂŒr eine Video-Plattform entwickelt, die mithilfe von Augmented Reality den Kunden auch aus der Distanz beraten und ihn dazu befĂ€higt, einfachere Reparaturen selbst auszufĂŒhren. Über die Verbindung der Aivitex-App auf dem Smartphone des Kunden sieht der Handwerker das Szenario aus der gleichen Perspektive wie der Kunde auch. Eine Zeigefunktion unterstĂŒtzt den Handwerker dabei, den Kunden Schritt fĂŒr Schritt zum Beispiel durch die Heizungssteuerung zu fĂŒhren. „Wann immer Sie ein bestehendes Problem aus der Ferne lösen können, sparen Sie Anreise- und einen Großteil der Personalkosten“, erklĂ€rt GrĂŒnderin und GeschĂ€ftsfĂŒhrerin Daniela Gerd tom Markotten die Vorteile. „Durch eine prĂ€zisere Bewertung und Analyse des bestehenden Problems vorab werden unnötige Anfahrten, Begehungen und das MitfĂŒhren falscher Ersatzteile vermieden.“


Die Vorteile:
  • unnötige Fahrten einsparen
  • langfristige und vertrauensvolle Kundenbeziehungen aufbauen
Craftguide
Craftguide Sicheres Lernen mit  VR-Brille
Craftguide Sicheres Lernen mit VR-Brille - © Johannes Nies

Sicheres Lernen mit VR-Brille
NachwuchskrĂ€fte ausbilden, das bestehende Team weiterbilden – beides trĂ€gt zur QualitĂ€t eines Handwerksbetriebs bei. Über Augmented Reality und Virtual Reality lĂ€sst sich der Zeitaufwand, der fĂŒr Kurse nötig ist, um einiges minimieren. Das Start-up Craftguide aus MĂŒnchen hat eine Plattform entwickelt, auf der neue Lehrinhalte und Kurse zur VerfĂŒgung stehen. Durch diese Art von Wissensvermittlung will Craftguide neue Lernumgebungen schaffen. Über das Aufsetzen einer VR-Brille etwa können User den Lernstoff realitĂ€tsnah visualisieren. Gut dabei ist, das Verhalten in kniffeligen Situationen zunĂ€chst in der virtuellen Welt gefahrlos simuliert und geschult werden kann. So lĂ€sst sich beispielsweise der Umgang mit einer KreissĂ€ge ohne Verletzungsgefahr erlernen. Außerdem können Mitarbeiter lernen und ĂŒben, wann sie wollen und wo sie wollen. „Mit unserer Plattform und der Digitalisierung von Lerninhalten wollen wir die AttraktivitĂ€t fĂŒr die handwerkliche Ausbildung steigern“, sagt Johannes Nies, GrĂŒnder von Craftguide. Unter den Kursinhalten sind außerdem die Möglichkeiten, die AR und VR im Handwerk bieten.

Die Vorteile:
  • zeit- und ortsunabhĂ€ngig lernen
  • riskante TĂ€tigkeiten einstudiere, ohne dabei einer echten Gefahr ausgesetzt zu sein
  • zukunftsorientierte Technologie ausprobieren

Relevanz vs. Umsetzung BĂ€cker experimentieren gerne

FĂŒr die Technologien VR und AR interessieren sich bereits einige Gewerke, wie das Baugewerbe. Der Umsetzungsgrad bleibt im Durchschnitt allerdings noch deutlich hinter der Relevanz zurĂŒck. Nur das BĂ€ckereihandwerk bildet eine Ausnahme.

Relevanz und Umsetzung von AR/VR  – Bäcker experimentieren gerne
Relevanz und Umsetzung von AR/VR – Bäcker experimentieren gerne - © Quelle: HPI, Steckbrief AR/VR/handwerk magazin

Quelle: HPI, Steckbrief AR/VR: Umfrage unter 15 FachverbÀnden; Relevanz und Umsetzung von AR/VR (0= gering bis 4= hoch)