Ausbildungsstart: Willkommen im Club

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Jeder dritte Azubi im Handwerk löst seinen Vertrag ­vorzeitig auf, oft noch in der Probezeit. Wie Betriebe es schaffen, dass die Azubis trotz erster Enttäuschungen bleiben und sich gut entwickeln.

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    © Falk Heller
    Johannes Demmelhuber startet jedes Ausbildungsjahr mit einem Kennenlern-Event für seine Azubis.
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    © Chart: handwerk magazin
    Stolze zehn Prozent liegt das Handwerk bei den Abbrecherquoten über dem Niveau von ­Industrie und Handel.
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    © Bleumortier
    „Am ersten ­Arbeitstag sollte sich der Chef die Zeit nehmen, den neuen Azubi persönlich einzuweisen.“ Sabine Bleumortier, ­ Expertin für Berufsaus­bildung, Trainerin und Coach in München.

Wer bei Johannes Demmelhuber eine Ausbildung beginnt, sollte sich das erste Wochenende nach dem 1. September freihalten. „Ich lade zum Start jedes Ausbildungsjahrs auf eine dreitägige Kick-off-Veranstaltung zum gegenseitigen Kennenlernen ein“, sagt der Inhaber der Baierl & Demmelhuber Innenausbau GmbH im oberbayerischen Töging.

Auf dieses Event, das mal in den nahegelegenen Alpen, mal in der tschechischen Auslandsniederlassung stattfindet, nimmt Demmelhuber immer auch Ausbilder und ältere Azubis mit. In Workshops bereiten diese die rund ein Dutzend „Neuen“ auf die kommenden Wochen und Monate vor. Das Spektrum der Themen reicht von Ausbildungsinhalten über die Aufgaben der Meister und anderen Mitarbeiter bis zu Umgangsformen im Betrieb. „Auch die 50-jährige Geschichte des Unternehmens steht auf dem Themenplan“, sagt Demmelhuber.

Paten für jeden neuen Azubi

Wer sich künftigen Herausforderungen stellen will, muss seiner Meinung nach die vergangenen kennen. Anschließend teilt der Firmenchef jedem neuen Lehrling einen Auszubildenden im zweiten oder dritten Lehrjahr als Paten zu. „Mit diesem gibt es einen zweiten persönlichen Ansprechpartner im Betrieb, wenn der Ausbilder nicht sofort Zeit hat, sich um das Anliegen zu kümmern“, betont der Handwerksmeister.

Einen solchen werden die Azubis gerade in den ersten Wochen und Monaten benötigen. Für nahezu jeden stellt der Start in den Berufsalltag das bisherige Leben auf den Kopf. Vor dem 1. September war dieses vor allem durch Familie, Schule und den Freundeskreis geprägt. Viele Nachwachsende fühlen sich hier als vollwertiges Mitglied. Sie reden mit, wohin die Familie in den Jahresurlaub fährt oder was sie am Wochenende unternimmt, und bestimmen weitgehend selbst, wie sie ihre Zeit außerhalb der Schule verbringen.

Schluss mit der Selbstbestimmung

Im Alltag haben sie vorwiegend mit Gleichaltrigen Kontakt, denen sie auf Augenhöhe begegnen. Genau dies ist im Ausbildungsbetrieb nicht der Fall: Vom Azubi im zweiten oder dritten Lehrjahr über Sekretärin und Gesellen bis hin zu Meister und Firmenchef hat es ein neuer Lehrling fast ausschließlich mit älteren und erfahreneren Kollegen zu tun. Er muss acht Stunden lang konzentriert durcharbeiten – auch dies ist eine neue Erfahrung.

Im Schulalltag, der meistens nur fünf Stunden dauerte, konnte er schon mal „abschalten“ und das Versäumte später nachholen. Außerdem muss er bisherige Lebensgewohnheiten aufgeben. Vorbei sind die Zeiten, als das Smartphone regelmäßig auf Facebookeinträge, eingehende Mails oder Whats-App-Botschaften gecheckt wurde. Im Betrieb kann der Jugendliche dies allenfalls während der Pausen tun.

Viele Abbrecher in der Probezeit

Wer mit dieser Zäsur nicht fertig wird, wirft gerade im Handwerk schnell das Handtuch. Über 31 Prozent der Azubis lösen den Ausbildungsvertrag vorzeitig auf. Jeder dritte tut dies während der viermonatigen Probezeit – in Industrie und Handel sind es deutlich weniger. Vor allem Konflikte mit Ausbildern und anderen Mitarbeitern, Enttäuschung über die Ausbildungsinhalte und unbefriedigende Arbeitsbedingungen werden dem Bundesinstitut für berufliche Bildung (BIBB) in Bonn von den Auszubildenden als Kündigungsgründe genannt.

Bei kleinen Betrieben wiegen solche Faktoren offenbar besonders schwer. Jeder Unternehmer kann jedoch gegensteuern, indem er einen genauen Ausbildungsplan erarbeitet und die Azubis mit gezielten Maßnahmen in den Betrieb integriert. „Er muss den Jugendlichen zeigen, dass sie willkommen sind, und den ersten Arbeitstag genau planen“, sagt die Münchner Ausbildungsexpertin Sabine Bleumortier.

Einführung ist Chefsache

Einen Betriebsrundgang machen, alle Mitarbeiter vorstellen, Arbeitskleidung und -werkzeug ausgeben, den Ausbildungsplan und den Ablauf der ersten Ausbildungstage erklären – solche Maßnahmen sollte der Chef persönlich übernehmen und hierbei auch auf Kleinigkeiten achten. „Informationen, ob Kollegen geduzt oder gesiezt werden und wann oder wo Rauchen gestattet ist, sind ebenfalls wichtig“, sagt Bleumortier. Auch Azubis, die bereits ein Betriebspraktikum absolviert haben, sollten an einer solchen Einführung teilnehmen. Denn während des höchstens einwöchigen Praktikums haben sie erfahrungsgemäß nur festgestellt, ob ihnen der geplante Beruf wirklich zusagt und ob sie sich mit ihrem künftigen Ausbilder verstehen.

Erfolgserlebnisse bieten

In der Ausbildung hingegen schauen die Jugendlichen den Mitarbeitern nicht mehr nur über die Schulter, sondern müssen selbst anpacken. Auch deshalb werden sie manche falsche Erwartung korrigieren. „Diesen Prozess muss der Azubi während der Probezeit abschließen“, betont Oliver Steinke, stellvertretender Abteilungsleiter der Landesgewerbeförderungsstelle des Nordrhein-Westfälischen Handwerks (LGH). „Wichtig sind deshalb Aufgaben, welche den Azubi weder unter- noch überfordern.“

Viel hängt vom Ausbilder ab: Er soll Arbeiten vergeben, welche die Azubis nach kurzer Einweisung möglichst selbständig erledigen können, und muss deren Persönlichkeit genau einschätzen. „Der Ausbilder sollte immer das Gespräch mit den Jugendlichen suchen“, empfiehlt Demmelhuber. Schließlich zögern viele Azubis nach seinen Erfahrungen mit Kritik.

Ein großer Betrieb wie Baierl & Demmelhuber mit rund 300 Mitarbeitern hat bei der Ausgestaltung zweifellos mehr Spielraum als ein kleiner: Die Oberbayern haben eine Lehrwerkstatt, wo angehende Produktdesigner, Maler, Schreiner, Metallbauer und Trockenbaumonteure während der ersten Wochen einfache Produkt- und Montageteile anfertigen. Erst wenn diese Arbeiten überzeugen, unterstützen die Azubis die Montagetrupps auf den Baustellen.

„Jeder Lehrling lebt von Erfolgserlebnissen“, weiß Demmelhuber. Die jedoch kann jeder Ausbildungsbetrieb selbst herbeiführen, wenn der Chef oder der Ausbilder regelmäßig Rückmeldungen geben. „Wenigstens einmal in der Woche sollte einer der beiden mit dem Azubi ein ausführliches Gespräch über dessen Arbeit führen“, empfiehlt Bleumortier. Andere Experten sprechen sich sogar für tägliche Kontakte aus.

Schwächen sofort beheben

Je intensiver der Dialog, desto schneller kann der Betrieb feststellen, wie qualifiziert der Azubi tatsächlich ist und welche besonderen Stärken und Schwächen er hat. „Wenn der Lehrling mit größeren Defiziten im Rechnen und Rechtschreiben zu kämpfen hat, muss sofort gehandelt werden“, sagt Klaus Engelhardt, Ausbildungsberater der Handwerkskammer in Dortmund (siehe Interview oben).