Fahrbericht TYN-E: Lastenzwerg mit Kasten, Pritsche oder Koffer

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Elektromobilität und Fuhrpark

Winzig, vielseitig und überraschend ­nützlich: Der elektrifizierte Tyn-e ist viel mehr als nur niedlich. Eindrücke von der ersten Ausfahrt.

Winziger Transporter mit großer Pritsche: Die Ladefläche des Tyn-e TX2-P ist rund 3,5 Quadratmeter groß.
Winziger Transporter mit großer Pritsche: Die Ladefläche des Tyn-e TX2-P ist rund 3,5 Quadratmeter groß. - © Randolf Unruh

Ein gelbes Schild warnt im Schauraum von Tyn-e: „Achtung Rutschgefahr“. Es steht sinnbildlich für so manche Neugründung im Bereich der E-Mobilität. Mit vielen Vorschusslorbeeren abgehoben – und inzwischen hart bis zur Bruchlandung aufgekommen. Ob Street­scooter, Sono Motors oder XBus – nicht jedes Start-up ist ein Tesla und krempelt die Autowelt um. Tyn-e-­Geschäftsführer Markus Graf distanziert sich prompt: „Wir sind kein Start-up.“ Und legt Wert auf solide schwäbische Unternehmen hinter der Marke: Weber Mobility als Tochter eines Autozulieferers und ShareX Mobility als Tochter eines Zeitungsverlags. Der eine suchte einen Weg zur Antriebswende, der andere fahndete nach einem günstigen E-Zustellfahrzeug. Das Ergebnis heißt Tyn-e, gefertigt in China von einem Betrieb mit dem spannenden Namen „Shandong Horche Intelligent Automo­bile“. Verfeinert durch deutsche Ingen­ieure, findet der Lastenzwerg als ­Kastenwagen, Pritsche und sogar Koffer den Pfad in ganz andere Branchen, zum Beispiel das Handwerk.

Gekonnt einfädeln

Putzig sieht der kleine Kastenwagen mit der Zusatzbezeichnung TX1-2 aus: Mit seinen großen kugelrunden Augen vor dem gedrungenen blechernen Karosseriekörper schaut er in die Autowelt. Hinein also ins Fahrerhaus, eher ein Häuschen, ein Tiny House auf Rädern. Wer an die zwei Meter misst, tut sich dabei ein wenig schwer: rechter Fuß unter die Pedale, rechtes Knie am Lenkrad vorbei, dann seitlich hineinschieben.

Drinnen spannt der Tyn-e dann wie ein körpernahes Hemd nach dem Festmahl, passt aber. Und macht einen aufgeräumten Eindruck. Da wären einfache, aber ordentliche Materialien, mehrere offene Ablagen und Steckdosen, ein digitales Instrumententäfelchen mit etwas mickrigen Anzeigen – ist beim edlen VW ID.Buzz Cargo auch nicht größer – und simple Bedienelemente. Etwa der klassische Zündschlüssel, die mechanisch betätigte Handbremse, der „D-N-R“-Dreh­regler für die Fahrtrichtung, der Einarm-Scheibenwischer, eine Rückfahrkamera, große Außenspiegel und E-Fensterheber. Es gibt eine Heizung und eine Klimaanlage, alles vor wenigen Jahren für einfache E-Mobile nicht selbstverständlich.

Leinen los – hier hinten links das Ladekabel –, schon schnurrt der Kleine davon. Beschleunigt überraschend flott bis auf Stadttempo, obwohl noch mit 72-Volt-Anlage und einem kleinen E-Motörchen mit Maximalleistung von nur 15 kW/20 PS ausgerüstet. Dieser treibt wie bei den richtig Großen die Hinterräder an. Die Serienmodelle ab Sommer fahren mit 320 Volt und auf 30 kW/41 PS verdoppelter Leistung. Bei gut 70 Sachen ist Schluss, dies wird sich auch mit der neuen Maschine nur geringfügig ändern. Aber am Berg werden den Tyn-e die Kräfte erst später verlassen, jetzt wirkt er doch etwas ermattet, selbst nach Druck auf die rot markierte „Sport“-Taste für volle Leistung.

Ganz klar: Hier ist ein Großstädter unterwegs, der mit nur anderthalb Metern Breite dort hineinfährt, wo andere draußen bleiben müssen. Das passt auch zum überschaubaren Stromvorrat von jetzt 20,7 und künftig 17,8 kWh. Etwa 130 Kilometer soll der E-Neuling damit schaffen. Eberhard Wizgall, Co-Geschäfts­führer und zuständig für die Technik: „Realistisch ist ein tägliches Einsatz­gebiet von 50 bis 80 Kilometern.“ Geladen wird bisher an der Steckdose, künftig auch an der Wallbox. Und mal ehrlich, längere Strecken mit höherem Tempo will man in dem kleinen Blechzwerg ohne Airbags und ESP auch nicht zurücklegen. Das ist erlaubt, weil der Tyn-e als N1-Kleinserienmodell zugelassen ist. Das funktioniert bis zu einer Auflage von 1.500 Stück und Typ in der EU.

Kräftig schleppen

Wer mit dem Tyn-e durch die Stadt hoppelt, gewinnt bei nahezu jedem Halt neue Freunde. Der Gesprächsbedarf ist groß, die Sympathie riesig. Womit sich der Lastenzwerg mit der passenden Beschriftung als prima Marketingprojekt entpuppt. Und gleichzeitig als Anpacker. Schleppt er doch eine halbe Tonne Nutzlast in seinem kistenförmigen Laderaum. Geladen wird durch eine Seitentür mit 690 Millimetern Breite oder eine Hecktür, unten im schmaleren Bereich 935 Millimeter schlank. Auf eine aufwendige Schiebetür oder eine Doppelflügeltür hinten verzichtet der Kleine, ebenso auf Feinheiten wie innenliegende Scharniere. Das Frachtabteil misst rund 1.620 x 1.265 x 1.125 Millimeter, woraus Tyn-e arg optimistisch ein Volumen von 2,6 Kubikmetern errechnet. In der Realität sind’s, auch die Radkästen in Rechnung gestellt, eher zwei Kubikmeter. Damit reiht sich der Tyn-e ebenso wie mit seiner Nutzlast am unteren Rand klassischer E-Lieferwagen ein. Fällt aber mit lediglich 3,45 Metern Länge rund einen Meter kürzer aus und dreht mit nur neun Metern Wendekreis fast auf der Hinterhand. Auch liegt sein Grundpreis mit netto 19.990 Euro etwa ein Drittel niedriger.

Üppig aufladen

Exakt 6.000 Euro netto mehr muss anlegen, wer den Tyn-e als Pritschenwagen namens TX2-P erwerben will. Er streckt sich dann um einen knappen Meter auf 4.400 Millimeter. Die Ladefläche fällt mit 2.360 x 1.490 Millimetern schon recht üppig aus, ebenso die Zuladung von gut einer dreiviertel Tonne. Ein Fall für Bau- und Baunebenbetriebe, Gartenbauer und angrenzende Gewerke – ein fleißiger Gartenzwerg. Wettbewerber sind links und rechts nicht zu sehen. Das betrifft auch den angekündigten Koffer TX2-B mit rund vier Kubikmetern Volumen und etwa 700 Kilo Nutzlast. Und wenn dies nicht genügt, wäre da der Tyn-e TX7 als Pritsche und Koffer. Mit ihm wächst das zulässige Gesamtgewicht auf 2,4 Tonnen und der Koffer auf respektable 5,7 Kubikmeter Volumen.

Bleibt zu hoffen, dass nun keiner der Beteiligten auf dem glatten Parkett der Elektromobilität ausrutscht. Zu süß ist der kleine Tyn-e, auch zu praktisch.