Projekt "Handwerk erzählt" Zeitreise mit Tischler Hans-Georg Büchner: "Wir sind Kämpfer"

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Entscheidungsfindung und Zielerreichung

In einem Erzählsalon hat Tischler Hans-Georg Büchner, geboren 1943, aus seinem bewegten Berufsleben berichtet; im Rahmen des Projekts „Handwerk erzählt“. Eine Zeitreise in Ich-Form.

Unternehmer Hans-Georg Büchner
Unternehmer Hans-Georg Büchner (re.) hat im Rahmen des Projekts "Handwerk erzählt" aus seinem langen Berufsleben berichtet. - © André Kranert

Mein Heimatort Weißenborn liegt im Ur-Holzland. Dort gab es im Grunde nur drei Berufe: Leitermacher, Rechenmacher und Landwirt. Ich entschied mich für einen anderen Weg .

Ich erlernte den Beruf des Elektro­laboranten, heute Elektronikfacharbeiter genannt. Nach der Lehre schloss ich ein Ingenieursstudium an und arbeitete nach meinem Abschluss zehn Jahre als Entwicklungsingenieur. Das war meine Welt. Ich liebte es, an neuen Techniken zu tüfteln. Die Geräte, die ich entwarf, sollten die Arbeitsprozesse besser, schneller und sicherer machen.

Schwiegervater als Mentor

Mit der Zeit kam eine zweite Leidenschaft hinzu. Mein Schwiegervater war Tischlermeister. Er war bereits über siebzig und hatte keine Gesellen mehr, die mit ihm zusammenarbeiteten. Immer wieder zog es mich in seine Werkstatt, um ihm zur Hand zu gehen. Besonders faszinierte mich der künstlerische Aspekt. Ich lernte viel von meinem Schwiegervater, und er gab sein Wissen gern an mich weiter. Meine Neugier auf dieses Handwerk war geweckt.

1976 fällte die DDR eine Entscheidung, die viele Handwerker freute: Von nun an konnte man in einen Privatbetrieb einsteigen und ihn weiterführen, wenn man ersten oder zweiten Grades mit dem Inhaber verwandt war. Da unser Bürgermeister wusste, wo ich stets meine Freizeit verbrachte, sagte er zu mir: „Das müssen wir nutzen! Hast du Lust?“ Die Aussicht auf einen eigenen Betrieb begeisterte mich. Neben meiner Ingenieurstätigkeit lernte ich nun also den Beruf des Tischlers in der Erwachsenenqualifizierung in Eisenberg. Am 1. Oktober 1978 eröffnete ich den Betrieb meines Schwiegervaters neu. 1982 machte ich meinen Meister.

28 Jahre lang Obermeister

Als dann die Wende kam, taten wir Tischler uns in der Innung zusammen. Ich wurde Gründungsmitglied und war 28 Jahre lang Obermeister. Außerdem engagierte ich mich im Landes- und Bundesvorstand ehrenamtlich in der Öffentlichkeitsarbeit und saß dabei auch mit Ministern an einem Tisch, um die Interessen des Handwerks zu vertreten .
Nach der Wende arbeiteten wir vor allem in Städten wie Leipzig an den maroden Gründerzeithäusern und Villen des 19. Jahrhunderts. Doch die neuen Eigentümer aus dem Westen konnten und wollten unsere Facharbeit nicht so richtig wertschätzen. Sie betrogen uns nach Strich und Faden. In den ersten zehn Jahren gingen mir sicher eine halbe Million D-Mark durch die Lappen. Schließlich sagten wir uns: „Für diese Leute arbeiten wir nicht mehr!“

Ein besonders schöner Auftrag kam dagegen im Jahr 2000 auf unseren Tisch: Da wurde der Neubau der Bibliothek in Jena beschlossen. Zu einem Kollegen sagte ich: „Ulli, wollen wir das machen?“ Wir erstellten eine Kalkulation und bekamen beide den Auftrag für je eine Million D-Mark.

Lehrlinge einbeziehen

Als Meister liegt es mir am Herzen, den Nachwuchs auszubilden. Ich hatte in jedem Jahr mindestens einen Lehrling, seit fünf Jahren bilden wir sogar zwei Lehrlinge pro Jahr aus. Insgesamt 55 Azubis erlernten bei mir das Tischlerhandwerk. Ich beziehe die Lehrlinge in alle Arbeiten mit ein. Wenn sie im zweiten Lehrjahr sind, baue ich mit ihnen schon einfache Möbel. Das macht die Ausbildung rund. Lehrlinge, die nur Fenster und Türen die Treppen hoch und runter tragen, gibt es bei uns nicht.

Außerdem ist es mir neben meiner Arbeit wichtig, die Beziehungen zu Schulen zu pflegen. Im Rahmen des Unterrichts der zehnten Klasse machen die Schüler oft Projekte. Wenn sie zu uns kommen, betreue ich das Projekt, lasse sie aber mit meinen Lehrlingen arbeiten, weil sie sich besser miteinander verstehen. Der Altersunterschied ist geringer. Manchmal ist einer unter den Schülern, der begeistert feststellt: Der Tischler­beruf ist ganz prima!

Deutschlandweit unterwegs

Es war immer mein Ziel, ein traditionelles Familienunternehmen aufzubauen. So gründete ich die Büchner Möbel GmbH, deren Geschäftsführer seit 2002 meine Söhne Carsten und Markus sind. Sie entschieden sich ebenfalls für den Tischlerberuf, machten beide ihren Meister und den Abschluss zum staatlich geprüften Holztechniker im Jahr 2000. Seither nehmen wir fast ausschließlich öffentliche Aufträge an. Wir bauen deutschlandweit für Projekte in Museen, Schulen, Kliniken, Universitäten und anderen öffentlichen Objekten. Solche Baustellen gefallen auch unseren Lehrlingen.

Die Arbeit im Dreigestirn macht vieles einfacher. In der Büchner Möbel GmbH und der Büchner Möbeltischlerei haben wir insgesamt 18 Mitarbeiter. Ein so großes Unternehmen möchte ich nicht mehr allein leiten. Meine Erfahrung wird jedoch noch gern in Anspruch genommen. Das macht mich stolz. Als Senior der Firma kalkuliere ich die Angebote für Ausschreibungen und schaue, dass innerbetrieblich alles läuft. Auch kleinere Aufträge von Privatkunden betreue ich. Ich arbeite weiterhin zehn bis zwölf Stunden am Tag. Solange ich noch Ideen und Freude an der Arbeit habe, anderen etwas beibringen kann und die Gesellen mich fragen: »Chef, wie würdest du das denn machen?«, denke ich nicht ans Aufhören.

2018 feierten wir das vierzigjährige Jubiläum unseres Betriebs. Ich blickte zurück und stellte fest: Alles, was ich im Leben gemacht habe, war richtig. Auch meine Ingenieurstätigkeit. Denn dort eignete ich mir technisches Wissen an, das mir heute noch sehr nützt. Im Handwerk ist es wichtig, ein Ziel zu haben und kreativ zu sein. Wir sind Kämpfer, aber wir haben auch eine Menge Spaß an unserer Arbeit. Ohne Freude geht es nicht!

Das Projekt „Handwerk erzählt – zwischen Tradition und Zukunft“

Die Lebensgeschichte von Hans-Georg Büchner, die wir hier exklusiv abdrucken dürfen, ist im Rahmen von „Handwerk erzählt – zwischen Tradition und Zukunft“ aufgeschrieben worden. Die spannende Zeitreise ist eine von mehr als 100 Erzählungen, die das Berliner Unternehmen Rohnstock Biografien von Juni 2019 bis März 2020 für dieses Projekt an 15 verschiedenen Orten festgehalten hat. Damit wolle man „jungen Menschen das Handwerk nahebringen“, so Katrin Rohnstock, Entwicklerin und Leiterin des Projektes sowie Gründerin und Inhaberin von Rohnstock Biografien. Gefördert wurde das Erzählprojekt vom Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

Die zehn kostenlosen Broschüren finden Sie hier : rohnstock-biografien.de/handwerk-erzaehlt