Während Start-ups noch die unbeschwerte Jugend erleben, haben wir in unseren Familienbetrieben schon viele Erfahrungen mit Vorhaben gemacht, die uns versprochen, aber nicht eingelöst wurden. Man hat als Unternehmer nicht selten den Eindruck, Vater Staat hofft auf „betrieblichen“ Gedächtnisschwund – formuliert es unsere Kolumnistin Ruth Baumann für diese Folge von "Neues von der Werkbank". Die Wirtschaftswende gelinge nur, wenn Bürokratie abgebaut, in Infrastruktur investiert und klare, praxisnahe Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Willkommen im ersten Monat der Wirtschaftswende und mit einem neuen Papst. Mit Gottes Segen können nun die vielen Versprechen der letzten Jahre (oder gar Jahrzehnte) endlich in Angriff genommen werden. Genug der Zeit des Darüber-Redens, der Papiere und der Analysen – jetzt geht es ans Handeln!
Während auf dem Petersplatz die Wahl des neuen Oberhaupts der katholischen Kirche sofort tosenden Beifall auslöste, bedurfte es in Berlin zum ersten Mal eines zweiten Wahlgangs bis „weißer“ Rauch aufsteigen konnte. Jetzt gilt aber: Der Blick geht nach vorne, denn im Rückspiegel waren genügend Baustellen sichtbar.
Alte Baustellen blockieren die Straße zur Wirtschaftswende
Viele Unternehmer stehen an der Straße und warten auf den Bus, den „Omnibus“. Diese Wortschöpfung aus dem Europaparlament verspricht bei den inflationären Nachhaltigkeitsberichterstattungen bürokratische Entlastung. Damit aber die Wartezeit nicht zu lang wird, biegt plötzlich die jährliche Prüfpflicht von Fahrzeugen um die Ecke, während teure Energiekosten, volatiler Strom, Mobilitäts- und Heizungsdiskussionen, teure Zertifizierungen und vieles mehr die Straßen verstopfen.
Nach dem Blackout in Spanien sieht man, wenn man will, Bargeld und Verbrenner im anderen Licht. Papier ist geduldig, Ergebnisse wären greifbar und die Zeit drängt. Es braucht keine neuen europäischen Baustellen, solange die alten noch nicht erledigt sind.
Der Staat muss den Rahmen setzen
Viele zählen hierzulande auf die versprochene Wirtschaftswende. Der Blick in den Rückspiegel, der die Zahlung von einem 13. Monat Sozialversicherungsbeiträge in einem Jahr (Einführung der Sozialsummenschätzung) vor 20 (!) Jahren, die Einführung eines zeitlich begrenzten Solidaritätszuschlags, die beruhigenden Erträge aus Riester-Verträgen, gelebte Wertschätzung von klein- und mittelständischen Betrieben und nicht zuletzt den Kampf gegen die Bürokratie zeigt, zieht vorbei. Keine Frage: Wir brauchen jetzt einen Staat, der sich nicht im Klein-Klein verliert, sondern die Rahmenbedingungen effizient, sparsam und erfüllbar setzt.
Die Kosten müssen überall runter. Sei es bei Wohnraum, Energie, Steuern, Abgaben – denn sie sind es, die einen Wirtschaftsstandort attraktiv machen. Gleichzeitig bedarf es einer ertüchtigten Infrastruktur, egal ob bei der Kinderbetreuung, der Bildung, der Gesundheitsversorgung, der Altersabsicherung, der Glasfaserversorgung oder der Mobilität. Alle diese Bereiche haben in den letzten Jahren – um es vorsichtig zu formulieren – gelitten. Hier muss Geld in die Hand genommen werden, um zu investieren, statt weiterhin nur zu konsumieren.
Für die Wirtschaftswende müssen Liebhabereien weichen
Wir alle werden uns von manchen Liebhabereien vergangener Jahrzehnte verabschieden müssen, weil die finanziellen Mittel an anderer Stelle dringender gebraucht werden. Es ist das Gebot der Stunde, die Zahl der Gutachter und Beauftragten auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen zu minimieren und dem Mut zu Pragmatismus, Eigenverantwortung und Handeln Vorfahrt einzuräumen. Gesetze müssen angewendet und Handlungsspielräume genutzt werden.
Politiker dürfen sich nicht beklagen, dass etwas nicht funktioniert, denn sie allein haben die Macht, für Abhilfe zu sorgen. Man kann beispielsweise den Brandschutz immer weiter ergänzen und ausweiten, wenn aber die Alarmierungszeit schon an der Verkehrspolitik scheitert, stößt Papier an seine Grenzen. Es reicht nicht, Vorgaben zu geben, wenn der Rahmen nicht stimmt. Wer günstigen Wohnraum will, darf ihn nicht zugleich unerschwinglich machen. Wer heimische Produkte und Gewerbestandorte will, darf die Produzenten nicht mit zu vielen Forderungen knebeln.
Bremsen lösen und Themen einfacher denken
Um wieder innovativer und effektiver zu werden, braucht es den Schneid, Dinge einfacher zu denken: simplify your life – vereinfache dein Leben. Klare Rahmenbedingungen (was ist das Ziel?) und eine verständliche Sprache sind ein erster Schritt. Die Zehn Gebote, das Grundgesetz, Angebotsanfragen, AGB, Formulare – wenn man weiß, was man will, kann man sich kurzfassen. Die künstliche Intelligenz bedingt auch menschliche Intelligenz, man soll sie nutzen und sich nicht in ihr verlieren. Lösen wir die Bremsen und trennen wir uns von Unnötigem.
Unsere Mitarbeiter und Betriebe haben schon mehrfach in der Geschichte bewiesen, dass sie Zukunft gestalten können. Der Blick geht erneut nach vorne: Baustellen jetzt abarbeiten und nicht voreilig neue anfangen. Dann kommt die Wirtschaftswende. Was andere können, schaffen wir auch.
Über Autorin Ruth Baumann:
Bei Ruth Baumann war es ein zart gehauchtes "Ja", das sie in einen mittelständischen Straßenbaubetrieb und damit ins Handwerk brachte: Seit ihrer Hochzeit führt sie gemeinsam mit Ehemann Martin Baumann die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. Trotz ihres abgeschlossenen Hochschulstudiums entschied sie sich damals bewusst, in den Familienbetrieb einzusteigen und bekräftigte dies durch eine weitere Ausbildung zur Bürokauffrau. Zunächst im Ehrenamt bei den Unternehmerfrauen im Handwerk Freiburg, später als Präsidentin des Landesverbandes der Unternehmerfrauen im Handwerk Baden-Württemberg, war es ihr immer ein besonderes Anliegen, die Mitglieder mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Stolz auf das Handwerk auszustatten. Sie sieht die Unternehmerfrauen als Wirtschaftsverband und vertritt dies auch in der Öffentlichkeit.
Ihre betriebliche Erfahrung wurde in der Folgezeit auch verstärkt in der politischen Theorie nachgefragt und stieß – zu ihrer eigenen Überraschung – auf immer mehr Resonanz. Es folgten unterschiedliche Kommissionen und Funktionen in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die sie mittlerweile auch auf Bundesebene ausführt. In Interviews, Vorträgen und Podiumsdiskussionen rund um das Handwerk gibt sie parteiübergreifend Einblicke in die Sorgen und Nöte von Familienbetrieben. Jüngst wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt und ist dort als "Handwerk mit Mundwerk und akademischem Grad" Mittler zwischen unterschiedlichen Welten.