Erschwerte Trennung

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Kündigung

Kündigungsschutz - Ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat die Kündigungsfristen für deutsche Betriebe verlängert. Wer dies weiß und auch die anderen Regeln kennt, spart unnötige Personalkosten.

Die gesetzliche Kündigungsfrist schützt Mitarbeiter: Je länger sie dem Betrieb angehören, desto früher muss ihr Chef kündigen. Für Mitarbeiter verlängert sich die gesetzliche Frist nicht. - © handwerk magazin

Erschwerte Trennung

Schock aus Luxemburg: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht durch die verkürzte Kündigungsfrist jüngere Mitarbeiter in Deutschland diskriminiert (Az.: C 555/07). Die Regel je länger ein Mitarbeiter im Betrieb ist, desto länger ist die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber, wurde bisher bei ihnen abgeschnitten, indem erst der Betriebseintritt ab dem 25. Lebensjahr zählte (handwerk magazin 3/2010). Seit 19. Januar 2010, dem Urteilsdatum des EuGH, gilt diese Vorschrift in Paragraf 622 BGB nicht mehr. Viele Handwerksunternehmer müssen neu rechnen.

Die Frist allein ist jedoch nur ein Teil der Überlegungen eines Chefs zur Kündigung. Bevor er sie ausspricht, sollten alle Voraussetzungen für die Entlassung geprüft sein. So darf der Betrieb etwa einem unzuverlässigen Mitarbeiter nicht schon beim ersten Vergehen kündigen. Mindestens einmal vorher muss bei einer solchen verhaltensbedingten Kündigung vorher abgemahnt werden, damit der Mitarbeiter noch eine Chance erhält, die Kündigung zu vermeiden.

Wie wichtig diese richtige Strategie ist, erfuhr Rudolf Wilhelm, stellvertretender Kreishandwerksmeister in Mannheim und Inhaber eines 20-Mann-Dachdeckerbetriebs: Einer seiner sonst so zuverlässigen Mitarbeiter, verursacht offenbar durch private Probleme, provozierte plötzlich seinen Rauswurf. Über Monate hinweg war er, der über 17 Jahre lang zur Zufriedenheit seines Chefs gearbeitet hatte, nun ein Ausbund von Unzuverlässigkeit. Wilhelms Rechtsanwalt Werner Lang, Geschäftsführer der Mannheimer Kreishandwerkerschaft: „Der Mann hat immer wieder versucht, seinen Chef zu einer unüberlegten Kündigung zu bewegen, um eine hohe Abfindung von 20000 bis 40000 Euro zu kassieren.“ Dabei habe er es mehr oder weniger geschickt verstanden, so Lang, „verschiedene Anlässe zu geben, die einen Arbeitgeber üblicherweise zum Kündigungsentschluss bringen können, vor Gericht aber keinen Bestand haben.“ Ob es sich um kurzzeitiges unentschuldigtes Fehlen handelte oder immer wieder um Kurz- und Langzeiterkrankungen – es waren alles Verstöße, die für sich genommen, für eine Kündigung nicht ausreichten. Das änderte sich, als der Mann einen Brief mit unhaltbaren Vorwürfen an seinen Chef schrieb und daraufhin eine sehr langes Antwortschreiben zurückbekam mit einem kurzen Absatz, der die Kündigung mit einer so genannten Potestativbedingung enthielt: „Wenn Sie nicht bis zum ... zur Arbeit erscheinen, so gilt dieses Schreiben als Kündigung.“ Eine wenige Tage später ausgesprochene zweite Kündigung, diesmal aus betriebsbedingten Gründen, verwirrte den Kläger so sehr, dass er sich beim Prozess in unauflösbare Widersprüche verwickelte und schließlich mit einer Abfindung von 1000 Euro zufrieden sein musste. Fazit von Rechtsanwalt Lang: „Insgesamt hat der Betrieb mindestens 20000 Euro Abfindung plus 1462 Euro Rechtsanwaltsgebühren gespart. Die Beratung durch die Kreishandwerkerschaft erfolgte kostenlos; lediglich die Gerichtsvertretung wurde mit 721 Euro in Rechnung gestellt.“

Das Risiko des „Annahmeverzugs“ sollten Arbeitgeber ebenfalls im Auge behalten. Elke Siewert von der Kreishandwerkerschaft Bonn/Rhein-Sieg warnt: „Juristisch gut beratene Mitarbeiter erklären nach der Kündigung oft ausdrücklich ihre Bereitschaft, bis zum Prozessende weiter zu arbeiten. Lehnt der Arbeitgeber dies ab, gerät er in Annahmeverzug und muss, wenn er den Prozess verliert, den Lohn für die ganze Zeit nachzahlen. Geht der Fall durch alle Instanzen, kann das schon mal drei bis vier Jahre dauern, und die entsprechend hohe Summe einen Kleinbetrieb in den Ruin treiben.“

Ganz so klein darf die Firma indes nicht mehr sein, seitdem 2004 der Geltungsbereich des Kündigungsschutzes auf Betriebe mit mindestens zehn Mitarbeiter (vorher fünf) heraufgesetzt worden ist. Rechtsexpertin Siewert hält den neuen Schwellenwert für einen Segen: „Für unserer Handwerksbetriebe, die weniger Mitarbeiter haben, ist die Luft da jetzt raus. Sie haben mit dem Kündigungsschutzgesetz nichts mehr zu tun.“

Für juristische Laien ist jedoch nicht einmal die Zehner-Grenze so einfach zu berechnen. Da sind zuerst die Teilzeitbeschäftigten, die nur als „halbe Mitarbeiter“ zählen, wenn sie nicht mehr als 20 Wochenstunden arbeiten, oder mit dem Faktor 0,75 in die Rechnung mit eingehen, wenn sie maximal 30 Wochenstunden aktiv sind. Lehrlinge zählen nicht mit, wohl aber mitarbeitende Familienangehörige.

Da wo der Kündigungsschutz gilt, sind Arbeitnehmer in den ersten sechs Monaten ihres Arbeitsverhältnisses ausgenommen. Trotzdem kann es ratsam sein, ein so genanntes befristetes Probearbeitsverhältnis zu vereinbaren, so dass der Arbeitsvertrag automatisch zum Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit endet. Sonst genießen Schwangere, Schwerbehinderte oder Betriebsratskandidaten auch zu Beginn ihrer Tätigkeit schon den besonderen Kündigungsschutz.

Ansonsten spielen gerade in der jetzigen Wirtschaftskrise betriebsbedingte Kündigungen wegen Rationalisierung, Umsatzrückgang oder Auftragsmangel in der Praxis die wichtigste Rolle. Dabei dürfen die Gerichte nicht nachprüfen, ob etwa die Anschaffung einer neuen Maschine oder die Verkleinerung eines Cafés, wodurch Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren, wirtschaftlich zweckmäßig ist. Wichtig sind nur die freie Entscheidung des Unternehmers und die Tatsache dass „ein dringendes betriebliches Bedürfnis“ vorliegt. In neueren Urteilen des Bundesarbeitsgerichts wird allerdings deutlich, dass es sich Arbeitgeber nicht allzu einfach machen dürfen und beispielsweise formulieren: „Wegen eines Umsatzrückgangs ist als Rationalisierungsmaßnahme eine Verringerung des Personals nötig.“ Hier muss unterschieden werden, ob es sich nun um einen Umsatzrückgang oder eine Rationalisierungsmaßnahme handelt – nur eines von beiden geht. Und dem Arbeitsgericht vor Ort muss erläutert werden, warum der Betrieb deshalb Personal freigesetzt hat.

Weitere Fallstricke warten auf Arbeitgeber bei der konkreten Berechnung der Kündigungsfristen. Das EuGH-Urteil betrifft hier nicht nur den einschlägigen Paragrafen 622 BGB, sondern im Schlepptau eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Vereinbarungen (siehe auch Kasten „Weitreichende Folgen“). Der Brühler Rechtsanwalt Michael W. Felser: „Wir haben in Deutschland weit über 60000 Tarifverträge, und viele davon sehen ebenfalls bestimmte, nicht selten kürzere Kündigungsfristen vor. Auf der anderen Seite sind in Arbeitsverträgen auch längere als die gesetzlichen Fristen möglich. Ist das der Fall, so das Bundesarbeitsgericht (2 AZR 296/04), muss sich auch der Arbeitgeber daran halten und darf sich nicht selber eine kürzere Kündigungsfrist einräumen. In dem beurteilten Fall stand im Arbeitsvertrag einer Arbeitnehmerin eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende, während für die Kündigung durch den Arbeitgeber sechs Wochen zum Monatsende vereinbart waren. Der Arbeitgeber, so das Gericht, müsse hier die längere Kündigungsfrist beachten und deshalb noch für weitere zwei Monate den Lohn zahlen.

Im Internet gibt es zahlreiche Kündigungsfristenrechner, mit denen Betroffene angeblich schnell ausrechnen können, was in ihrem Fall gilt. Zur Vorsicht mahnt aber Rechtsanwalt Felser, der einen solchen Rechner unter www.felser.de/kuendigungsfrist-berechnen.php ins Netz gestellt hat: „Viele berücksichtigen nur die gesetzlichen Fristen und lassen Tarif- oder einzelne Arbeitsverträge außen vor. Das kann natürlich zu völlig falschen Ergebnisse führen.“ Er rät deshalb Handwerkschefs, die Fristen für ihre Firma immer auch individuell zu prüfen.

harald.klein@handwerk-magazin.de