Service 4.0 Die Prozesse vom Kunden her digitalisieren

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Digitalisierung

Betriebe brauchen eine durchgängige digitale Kette vom ­Kunden ins Unternehmen und wieder zurück, sagt Christoph Krause, Leiter Kompetenzzentrum für Gestaltung, Fertigung & Kommunikation der HWK Koblenz.

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    Christoph Krause ist davon überzeugt, dass Betriebe IT-Lösungen brauchen, mit der sie ihre Prozesse modellieren und abbilden können.
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    Christoph Krause ist davon überzeugt, dass nur die vollständige, vom Kunden her gedachte digitale Integration die Prozesse die Zukunft sichert.

Am Vormittag hat Apple angerufen. Im „Kompetenzzentrum für Gestaltung, Fertigung & Kommunikation“ der Handwerkskammer Koblenz, das mittlerweile zu den bundesweit vier digitalen Kompetenzzentren im Handwerk zählt. Zum ersten Mal überhaupt. Sie möchten ihre Technologie zur Verfügung stellen. Darüber kann sich Zentrumsleiter und Digitalisierungsexperte Christoph Krause richtig freuen. Denn der sonst eher verschlossene Konzern möchte jetzt auch mit dem Handwerk ins Geschäft kommen. Das sei super, meint Krause, und ein weiterer Schritt bei der Zukunftssicherung.

Sie begleiten Handwerksunternehmen bei der Digitalisierung. Wo liegen Hürden und Widerstände? Und wo rennen Sie eher offene Türen ein?

Digitalisierung läuft für mich auf die Begriffe neue Geschäftsfelder und Service 4.0 hinaus. Wir sollten aus diesem Grund aufhören, von Industrie 4.0 oder Handwerk 4.0 zu sprechen. Beide Begriffe sind erfunden worden, damit wir Deutschen langsamer machen können als die wirkliche digitale Welt da draußen.

Wie meinen Sie das?

Industrie 4.0 heißt nichts anderes, als eine vernetzte Produktion und eine Vernetzung zum Kunden hin zu realisieren. Das Gleiche kann ja beim Handwerk stattfinden. Dafür gibt es unzählige Beispiele. Es hat deshalb eher etwas mit der Kundenschnittstelle zu tun und mit neuen Kundenbedürfnissen. Es geht etwa um die zentrale Frage: Wie greifen Kunden auf Produkte und Dienstleistungen des Handwerks oder der Industrie zu? Deshalb brauchen wir stattdessen den Begriff Service 4.0, weil er beide Welten, die des Handwerks und der Industrie, kulturell miteinander vereint und das Thema vom Kunden her ganzheitlich betrachtet.

Wie können wir diesen Service-Gedanken realisieren?

Wenn wir Service 4.0 erreichen wollen, dann müssen wir die Geschäftsprozesse im Handwerk und auch in allen anderen Unternehmen digitalisieren. Das heißt, ich brauche eine durchgängige digitale Kette vom Kunden ins Unternehmen und wieder zurück. Wenn ich analoge Schnittstellen habe, wenn ich etwa Daten zu Papier bringe und dann wieder zurück in digitale Daten verwandle, wird mir Service 4.0 niemals gelingen.

Wie kann man das umsetzen?

Das ist eine große Herausforderung für das Handwerk, denn das Handwerk kann sehr gut die handwerklichen Tätigkeiten durchführen, qualitative Produkte entwickeln und qualitative Dienstleistungen durchführen. Aber es tut sich relativ schwer, in seinen einzelnen Branchen eine durchgängige digitalisierte Prozesswelt aufzubauen. Das liegt daran, dass das Handwerk sehr kleinteilig ist, dass es viele unterschiedliche Berufe und natürlich sehr viele unterschiedliche Software-Lösungen von der IT-Seite her gibt. Wenn wir es nicht schaffen, das zu standardisieren und zusammenzudenken – und zwar gewerkeübergreifend –, werden wir Service 4.0 niemals realisieren. Die größte Herausforderung für Deutschland wird es also sein, gemeinsam in Plattformen zu denken.

Unter Service 4.0 verstehen Sie also nicht nur die digitale Kundenkommunikation, sondern auch die digitale Projekt- und Auftragsverwaltung, Kundendaten- und Kundenmanagement, Produktion und Produktionsdaten, also eine geschlossene digitale Kette sämtlicher Tätigkeiten im Betrieb.

Genau, nur so kann man die Digitalisierung effektiv denken. Anders wird es relativ teuer und ist meist nicht kundenspezifisch. Das heißt, ich muss alle meine Geschäftsprozesse digitalisieren.

Das gilt sicher auch für die Kundenkommunikation?

Ich muss meine Kommunikation zum Kunden digitalisieren. Wenn der Kunde etwa über einen Konfigurator im Internet in die Möbelproduktion eingreift, die ja durchaus handwerklich sein kann, dann brauche ich diese Kommunikationsschnittstelle. Diese Schnittstelle ist aufwändig und muss qualitativ genauso hochwertig realisiert sein wie die Produkte meines Handwerks selbst. Beim Schreiner muss der Tisch eine Top-Qualität haben, und genau die gleiche Qualität muss die Kundenschnittstelle aufweisen. Und da reicht es nicht, auf Facebook ein paar Posts hin- und herzuschieben und ein paar Bildchen als Referenzen hochzu­laden. Das genügt nicht. Denn eine echte Kundenschnittstelle erzeugt Daten, wertet diese Daten aus und generiert dabei digitale Flüsse im Unternehmen, die wiederum Dienstleistungen oder Produkte erzeugen.

Das ist ein sehr abstrakter und anspruchsvoller Ansatz...

Möglich, aber wenn ich diese digitale Kette nicht begreife, dann habe ich zukünftig wenig Chancen, mein Unternehmen in solchen Modellen weiterzuentwickeln.

Gehen die Betriebe hier mit?

Sie begreifen die Vorteile, die in der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse liegen sofort, wenn wir ihnen ein Beispiel aus ihrer Branche oder ihrem Gewerk zeigen.

Wir sehen bei vielen Unternehmen unzählige IT-Inseln. Damit entstehen bei der Integration eine ganze Reihe von Schnittstellenproblemen.

Das Einzige, was hilft: in ganzheitlichen Prozessen denken. Das ist natürlich eine Herausforderung, obwohl Prozessmanagement aus dem Handwerk kommt. Aus dem Bootsbau in Venedig. Dort wurde arbeitsteilig in kleinen Teams gearbeitet. Wir müssen uns das zurückerobern. Was ich dazu brauche ist nicht nur der Unternehmer, der denkt, er hätte diese Prozesse im Griff. Das hat er aber nie. Wir brauchen die Mitarbeiter, die diese Prozesse ausführen, und wir brauchen die Kunden. Nur so entstehen ganzheitliche Lösungen, anstatt sich wieder eine Insellösung stricken zu lassen.

Vita Christoph Krause:

Geboren im März 1978 in Halle an der Saale, studierte an der Bauhaus-Universität Weimar Produkt- und Prozessgestaltung. Seit 2009 leitet er das Kompetenzzentrum für Gestaltung, Fertigung und Kommunikation in Koblenz. Aktuell leitet er zusätzlich das neue Kompetenzzentrum Digitales Handwerk, Schaufenster West. Er begleitet Unternehmen bei der Digitalisierung der Kommunikation, der Geschäftsprozesse, der Produktion und der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle. Er fungiert als Digitalisierungsexperte, Designer,Thinker und Redner.
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