Marktentwicklung "Reines Spezialistentum im Handwerk war gestern"

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Der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann im Interview über die Zukunft des Handwerks in der digital-vernetzten Wirtschaft, die Veränderungsangst mancher Handwerksunternehmer und die freundliche Matrix, in der wir uns alle wiederfinden.

Trendforscher Peter Wippermann im Interview mit handwerk magazin Chefredakteur Olaf Deininger über Veränderungsaxt und "freundliche Matrix". - © Sebastian Berger

handwerk magazin: Herr Wippermann, entwickelt sich die Wirtschaft zu einem digitalen Netzwerk ?

Peter Wippermann: Die Industrialisierung ist durch Arbeitsteilung, durch Spezialisierung, durch Abgrenzung und durch Optimierung der einzelnen Silos 150 Jahre lang erfolgreich gewesen. In der Netz-Ökonomie geht es dagegen um Vernetzung und den Fluss von Informationen. Unternehmen, die Dinge - etwa auf einer technologischen Ebene - miteinander kombinieren, können dadurch völlig neue Angebote machen.

Was bedeutet das speziell für das Handwerk?

Die Zusammenarbeit der Gewerke ist zunehmend die Eingangsvoraussetzung für die Teilnahme an Markt, während das wirklich Neue in der Digitalisierung und der Professionalisierung des Nutzens aus Kundensicht ist.

Dadurch entstehen auch neue Player, etwa Tesla mit Photovoltaik-Dachziegeln, Thermondo usw.

Ja, man kann das in vielen Bereichen sehen. Etwa bei der zunehmenden Vernetzung von Elektro- und Feuchthandwerk. Zum Beispiel nicht nur über Lösungen rund um das Licht, sondern auch über sensorgetriebenes Nutzungsverhalten. Künftig werden etwa Wasser- und Elektrizitäts-Lösungen zunehmend gemeinsam angeboten.

Betriebe können künftig also immer weniger isoliert erfolgreich agieren. Sie werden kooperieren müssen. Ähnlich verändert sich das Marketing. Grundsätzlich müsste ein Handwerksbetrieb allerdings viel stärker in der Lage sein, gutes digitales Storytelling zu machen, als etwa die Industrie.

Üblicherweise werden Handwerker von zufriedenen Kunden empfohlen. Auf das Marketing übertragen ist das analoges Influencer-Marketing oder analoge Mund-zu-Mund-Propaganda. Genau das findet aber heute zunehmend in den Netzen statt. Hier sehen wir, dass die Lust über sich selbst zu berichten bei den jüngeren Arbeitnehmern selbstverständlich ist, weil sie sich selbst vermarkten. In den Unternehmen existiert das Bewusstsein und auch das Können der Selbstvermarktung dagegen in der Form nicht.

Gerade Premium-Betriebe, die Online-Marketing beherrschen, machen die Erfahrung, dass sie auf einmal Kunden im ganzen Bundesgebiet bekommen.

Richtig! Und der leidenschaftliche Bericht auf Facebook oder auf der Website über die tägliche Arbeitet motiviert Mitarbeiter und motiviert Menschen, zu diesem Unternehmen zu kommen. Diese Posts oder Meldungen deuten darauf hin, dass dort die richtigen Kollegen sind, mit denen man gerne arbeitet. Es macht die Freude deutlich, die darin liegt, Dinge fertigzustellen und Probleme zu lösen.

Vor zehn Jahren wurde gesagt "Märkte sind Gespräche" ...

... sind sie ja immer noch, nur dass sie von Algorithmen geführt werden.

Wie verändern sich die Geschäftsmodelle im Handwerk?

Wenn man akzeptiert hat, dass die Jüngeren Qualifikationen mitbringen, die man gebrauchen kann; wenn man akzeptiert hat, dass wir in einer Welt leben, die sich immer mehr zu einer hoffentlich freundlichen Matrix entwickelt, dann muss man davon ausgehen, dass alles digital miteinander interagiert. Stichworte sind im Business-to-Business-Bereich "Industrie 4.0" und im Konsumentenbereich "Internet der Dinge".

Das bedeutet: Es geht darum, auf Basis von IT-getriebenen Unternehmen neue Produkte und neue Dienstleistungen zu entwickeln. Die Überlegungen, mit wem arbeite ich eigentlich wie zusammen um welchen Nutzen meinem Kunden anzubieten, ist eine andere Denke, als die, die früher einmal üblich war. Damals ging es darum: Ich bin Spezialist für Gewerk A oder Gewerk B und das, was vor mir ist, nehme ich als Eingangsvorraussetzung und beschwere mich vielleicht darüber, dass es nicht in Ordnung ist. Ansonsten interessiere ich mich nicht dafür, was nach mir kommt. Das geht immer weniger.

Ein Beispiel?

Die Idee der Vernetzung können wir heute schon im Bereich Planung von Bauvorhaben sehen. Wer etwa in wenigen Jahren "BIM Building Information Modelling" nicht beherrscht, kann an großen Bauvorhaben nicht mehr teilnehmen.

Ich bin manchmal erschüttert, wenn ich mit Gleichaltrigen, also mit Anfang Fünfzigjährigen zu tun habe, wie schwerfällig und konservativ die geworden sind, welche Verweigerungshaltung neuem gegenüber vorherrscht.

Die Unberechenbarkeit und die Komplexität des Alters haben extrem zugenommen. Deshalb versuchen die Menschen Orientierung zu bekommen und Reduktion der Komplexität. Deshalb gehen die Menschen in eine kleine Welt anstatt in eine große Welt und man versucht gleichzeitig mit Leuten in Verbindung zu bleiben, die ähnlich ticken wie man selbst, die nicht überzeugt werden wollen. Der persönliche Haltung wird geprägt von beleidigt Sein und nicht von Sachlichkeit, eher eine Trotzreaktion als die Suche nach Chancen. Und genau die umgekehrte Tendenz stellen wir bei den Jungen fest.

Man ist beleidigt, dass sich die Welt trotzdem noch einmal geändert hat, obwohl man doch mit Dreißig schon wusste, wo man hingehört. Und jetzt stimmt es gar nicht mehr.

Ja, das ist für viele schon lange her. In einer sicheren Umwelt kann man sich rebellisch verhalten, in einer unsicheren Umwelt sucht man Orientierung. Die Themen, welche die Generation Y stark geprägt haben, wie etwa der 11. September oder die Finanzkrise in den USA, waren noch sehr weit weg. Wenn man jetzt schaut: Die heutigen Probleme wie etwa der Zusammenbruch der Deutschen Bank, die Niedrigzinsen und die Einwanderungsprobleme sind viel näher an uns allen dran. Und Jugendliche reagieren da viel schneller darauf als Leute, die schon viele Lebensjahre auf dem Buckel haben.

Vielen Dank für das Gespräch.