Interview mit Anselm Bilgri „Installieren Sie Rituale der Ruhe“

Ermuntert Unternehmer, sich Auszeiten zu gönnen, denn Versäumtes lässt sich nicht mehr nachholen: Unternehmensberater Anselm Bilgri aus München.

Interview mit Anselm Bilgri

„Installieren Sie Rituale der Ruhe“

Erfolg ist planbar und keinesfalls Zufall. Für Stefan Rübke war das eine neue und beruhigende Erkenntnis. Denn, wie er selbst sagt, hat er „nur“ eine fachliche Ausbildung. „Mir hat einfach was gefehlt“, gibt der 45-jährige Maurermeister offen zu. Und so hat er sich, angeregt durch seinen Vater Willi Rübke und die Helfrecht Planungstage, schon früh mit dem Thema Zielplanung beschäftigt.
Jedes Jahr nimmt sich der Unternehmer deshalb Ende November eine Auszeit und unterzieht sich einer Art „Ich-TÜV“, wie er es nennt. Dabei überprüft er Werte, Ziele, Existenz und Sein. Worum es dabei geht? „In den zwei Tagen lege ich fest, wo ich nächstes Jahr stehen will.“

Marktnische erfolgreich belegt

Für viele Unternehmer ist ein solches Vorgehen undenkbar. Denn ob die Kunden im nächsten Jahr die Dienstleistung oder die Produkte des eigenen Unternehmens nachfragen werden, wird häufig wie eine Art Schicksal hingenommen, das ebenso unbeeinflussbar ist wie eine gute oder schlechte Konjunktur. Stefan Rübke hat jedoch keine Lust mehr auf Zufall. „Seit ich meine Ziele festlege, erreiche ich sie auch“, sagt er. Ein Beispiel? „Damit wir uns vom Wettbewerb unterscheiden hatte ich mir vorgenommen, gesunde Häuser in zuvor festgelegter Qualität zu bauen.“ Entstanden war die Idee, als ihm ein befreundeter Apotheker von einer Familie erzählte, die ständig über Kopfschmerzen klagte, seit sie in ein neues Haus eingezogen waren.

Als er mit seinem Anliegen an den TÜV Rheinland herantrat, winkten die Sachverständigen ab. „Anfangs schien es unmöglich, eine TÜV-Zertifizierung für schadstoffsichere individuelle Häuser zu bekommen“, sagt Rübke rückblickend. Doch sein Ziel fest im Visier ließ er nicht locker. Er wusste, wie wichtig ein Alleinstellungsmerkmal im Neubau war. Schließlich akzeptierte der TÜV Rübkes Idee als Pilotprojekt. Und es hat sich gelohnt. Denn heute ist das Walsroder Bauunternehmen W. Rübke das erste Bauunternehmen bundesweit, das für individuell schlüsselfertig gebaute Häuser in Massivbauweise das Toxproof-Zertifikat des TÜV Rheinland für schadstoffarmes Bauen führen darf.

Neue Zielgruppen im Visier

Im vergangenen Herbst setzte sich Rübke das Ziel, vermehrt Aufträge aus dem 90 Kilometer entfernten Hamburg zu akquirieren. „Zuerst mache ich eine Art Zielfoto“, berichtet der Unternehmer über seine Vorgehensweise. Daraus ergeben sich die Zwischenschritte, wie zum Beispiel Menschen oder Unternehmen, die ihn dabei unterstützen können, er musste sich über die Ressourcen im eigenen Unternehmen klar werden und entsprechende Werbemaßnahmen einleiten. Sicherlich sollten sich die erreichten Ziele letztlich in einem höheren Umsatz niederschlagen. Doch Rübke sieht sich noch in der Vorbereitung, um mit einem Alleinstellungsmerkmal, dem gesunden Haus, eine neue und zahlungskräftigere Kundschaft anzusprechen.

Gute Mitarbeiter, auf die sich ein Unternehmer zu 100 Prozent verlassen kann, sind dabei das A und O. Werner Tiki Küstenmacher, der Buchutor des Wirtschaftsbestsellers „Simplify your life“, kritisiert an den Chefs kleinerer Unternehmen, dass sie sich ihren Mitarbeitern gegenüber zu sehr verpflichtet fühlen (Seite 22). „Firmenlenker sollten sich durchaus immer wieder die Frage stellen, welchen ihrer Leute sie noch einmal einen Arbeitsplatz anbieten würden, wenn sie heute ihr Unternehmen neu gründen würden“, sagt Küstenmacher aus der Erfahrung mit Handwerksunternehmern. Damit meint er allerdings nicht sofortige Kündungen, sondern die regelmäßige Überprüfung des Personals. „Wer seine Unzufriedenheit einem Mitarbeiter gegenüber äußert, ist letztlich nur planerisch tätig“, sagt er. Stellt sich später heraus, dass der Mitarbeiter seine Arbeitsweise oder seinen Umgang mit den Kunden in einem zuvor festgelegten Zeitraum deutlich zum Positiven verändert, sollte dies in einem zweiten Gespräch auch lobend anerkannt werden. Verbessert sich nichts, muss ein Unternehmer auch den Mut haben, die Notbremse zu ziehen.

Das Team ist entscheidend

Mit seinen 15 Mitarbeitern ist Stefan Rübke rundum zufrieden. Er informiert sie regelmäßig über die Unternehmensziele. „Die Mannschaft ist auch immer sehr interessiert, was wir Neues planen“, freut er sich. Auf seinen Bauleiter Dirk Deinert kann er sich zu 100 Prozent verlassen und er vertraut ihm voll. Was ihm von außen oft kritische Fragen einbringt. „Ich muss nicht über jedes Detail auf den Baustellen Bescheid wissen“, sagt der Unternehmer. Und er ist froh, dass er Leute hat, auf die er sich verlassen und denen er Aufgaben übertragen kann.

Planungshilfen

Dass Planung und Zielsetzung nur bei wenigen Unternehmern den Alltag bestimmen, zeigt die Befragung der handwerk-magazin.de-Nutzer. Auf die Frage „Haben Sie genug Zeit für Ihre Zielplanung?“ antworteten nur ein Drittel der Online-Nutzer mit „Ja“. 70 Prozent kommen nur manchmal oder sogar nie dazu, Ihre Ziele zu planen.

Doch Zeit ist nicht das Einzige, woran es Unternehmern mangelt. „Zum Teil fehlt überhaupt die Bereitschaft, sich im Vorfeld Gedanken zu machen, bevor man eine Arbeit anpackt“, sagt Christoph Beck vom Seminaranbieter Helfrecht in Bad Alexandersbad. Oft würde der Wert von Planung gar nicht erst erkannt. Zudem fehlen Unternehmern seiner Meinung nach auch die Planungsinstrumente und das dazugehörige Know-how, um sie richtig einzusetzen. Viele Firmenchefs wenden sich daher an Seminaranbieter von Zeit- und Zielplanung, wie zum Beispiel Schmidt Colleg in Bayreuth oder Helfrecht (siehe Kasten links).

Unterstützung im Alltag

Maurermeister Rübke hat schon mehrere Seminare bei Helfrecht besucht. Kern der Planungstage für Unternehmensführung ist beispielsweise die Bestandsanalyse des unternehmerischen Verantwortungsbereichs – von der Zielgruppe über Marktauftritt, Kundennähe, Innovationsbereitschaft und Wettbewerb bis hin zu Mitarbeiterführung sowie das Produkt- und Dienstleistungsangebot. Ausgehend davon legen die Unternehmer ihre Ziele fest und bekommen konkrete Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Ziel in der Praxis und vor allem im unternehmerischen Alltag. Dazu gehören die unterschiedlichen Produkte der Anbieter, wie zum Beispiel Zeitplaner, Checklisten, Besprechungsmanager. Doch auch nach den Seminaren erhalten Unternehmer auf Wunsch Unterstützung, denn mit dem Seminar erwerben die Teilnehmer ein lebenslanges Beratungsrecht und dürfen sich daher jederzeit an ihren Berater wenden. Auf Wunsch gibt es sogar Coaching-Verträge.

Ausgleich schaffen

Positiver Nebeneffekt der Zielplanung ist die Beschäftigung mit privaten Plänen. „Das Leben ist einfach zu kurz, um Versäumtes nachzuholen“, warnt zum Beispiel Unternehmensberater Anselm Bilgri in München. Im Interview mit handwerk magazin rät er dazu, Rituale in den Alltag einzubauen, die eine ähnliche Priorität haben, wie ein wichtiger Termin (siehe Seite 21).

Wer sich mit solchen Ruhepausen schwer tut, der sollte eine kleine Praxisübung machen und einen Kreis malen, wie auf dieser Seite dargestellt. Den einzelnen Feldern sollten je nach Lebenssituation Prozentzahlen zugeordnet sein entsprechend der Rangordnung, die sie im Leben einnehmen.

Machen Arbeit und Leistung 80 Prozent der Fläche aus, kann ein Leben nicht im Gleichgewicht sein, so Organisations- und Zeitmanagement-Experte Lothar Seiwert. Es sei denn, dass das Wertesystem dieses Menschen Gesundheit und Familie bewusst ausblendet.

Ist dem nicht so, ist das schlechte Gewissen ständiger Begleiter, was zusätzlichen Stress verursacht. Denn schließlich brauchen Menschen soziale Kontakte, Freunde, Familie und den körperlichen Ausgleich in Form von Sport oder anderer Erholungsmaßnahmen. Bei dauerhafter Vernachlässigung der übrigen Bereiche, so Seiwert, drohen gesundheitliche Probleme oder gar Burnout.

Prioritäten setzen

Um den Berg der tausend kleinen Aufgaben, die in einem kleineren Unternehmen täglich anfallen, überhaupt bewältigen zu können, lohnt es sich, mit dem Planungsinstrument Eisenhower-Regel oder auch Eisenhower-Matrix an den unternehmerischen Alltag heranzutreten (siehe Grafik Seite 24). Sie hilft, die richtigen Prioritäten zu setzen, die einen Unternehmer seinen Zielen tatsächlich auch näher bringt und wichtig von dringend zu unterscheiden.

Die meisten Aufgaben, da sind sich die Experten einig, haben gar nichts auf dem Schreibtisch eines Unternehmers zu suchen. Sie sollten entweder gar nicht erst angefasst werden, weil sie nicht mit den Unternehmenszielen übereinstimmen, oder delegiert werden.

Entscheidend ist es dabei, den Unterschied zwischen wichtig und dringend zu kennen. Wichtig ist zum Beispiel der Termin beim Zahnarzt. Er lässt sich gut im voraus planen. Wird der Termin jedoch lange verschoben und gibt es ein schmerzendes Loch, wird der Zahnarztbesuch plötzlich dringend.

Für Unternehmer bleiben lediglich zwei Sorten von Aufgaben. Solche, die dringend und wichtig sind und daher sofort zu erledigen sind. Und die wichtigen Aufgaben, die sie ihren Zielen näher und damit das Unternehmen voran bringen.

Abschied von Zeitfressern

Der Sanitär-Heizungs-Klima-Unternehmer Rolf Steffen der Team Steffen AG in Alsdorf hat die sieben Chefaufgaben in seinem gerade erschienenen Buch „Der moderne Unternehmer im Handwerk“ folgendermaßen formuliert:

1. Den Sinn und Zweck des Unternehmens, dessen Ziele sowie die Art und Weise der Realisierung definieren.

2. Zukunftsvisionen entwickeln und die Unternehmensstrategie hinsichtlich Zielgruppen, Dienstleistungen, Produkten und Geschäftspartnern festlegen.

3. Das Mitarbeiter-Team bilden, zielorientiert führen und dessen Motivation fördern.

4. Das Rechnungswesen wirkungsvoll aufbauen und dessen Ordnungsmäßigkeit gewährleisten.

5. Die Geschäftprozesse wirtschaftlich organisieren und die Qualität der Unternehmensleistungen sicherstellen.

6. Die Unternehmensidentität in Design, Kommunikation und Verhalten prägen und (vor-) leben.

7. Die geplanten Ziele permanent überwachen und gegebenenfalls Kurskorrekturen einleiten.

Wirtschaflticher Druck

Nicht immer kommt die Einsicht, etwas verändern zu müssen, aus freien Stücken. Silvia Altenbach-Bülles wurde fast dazu gezwungen und zwar durch die wirtschaftliche Situation ihres Unternehmens. „Wir krebsten so vor uns hin“, gibt die Chefin der Gebrüder Altenbach GmbH in Mannheim freimütig zu.

Selbstkritisch sagt sie, dass „der Fisch immer vom Kopf her stinkt“. Zwischen 1983 und 2002, so lange war sie schon in leitender Position im Unternehmen, hatte sie es nicht geschafft, ihrer Mannschaft ihre Ziele zu vermitteln und ihnen zu sagen, was das Unternehmen am Markt darstellen sollte. Warum es so lange gut gegangen war? Das Sanitär-Heizungs-Klima-Unternehmen Gebrüder Altenbach GmbH war in der Region bekannt und hatte viele Wartungsverträge. Doch daraus auch neue Aufträge zu generieren, geschah eher zufällig, gibt die gelernte Maschinenbauingenieurin unumwunden zu. Und den Anforderungen, die die Kunden an den Betrieb stellten, wurde das Unternehmen eher zufällig gerecht. „Es gab Zeiten, da türmten sich auf dem Schreibtisch verschiedene Zettel. Wer oft genug anrief, wurde schließlich auch von uns bedient.“ Und so hatte sich das Unternehmen ein nicht gerade vorteilhaftes Image erarbeitet.

Was Chefs tun müssen

Hauptschwierigkeit, so Altenbach-Bülles, sei die Tatsache gewesen, dass sie selbst in diese Strukturen hineingewachsen war. Sie dachte, dass die Chefin alles machen müsse – von der Lohnbuchhaltung über die Finanzbuchhaltung bis hin zu Rechnungen schreiben.

Dass sie das gar nicht brauchte, zeigte Altenbach-Bülles die Uptodate-Offensive von Rolf Steffen (www.uptodate-offensive.de). Dabei handelt es sich um ein Qualifizierungsprogramm für Erfolg im Handwerk. Unternehmerinnen und Unternehmer können sich für eine Dauer von insgesamt 24 Monaten in verschiedenen Disziplinen schulen lassen. Die Mitarbeiter werden ebenfalls eingebunden. „Als kreativer und emotionaler Mensch setze ich heute meine Fähigkeiten dort ein, wo sie gebraucht werden, nämlich in der Akquise von Aufträgen und im Marktaufbau für unsere Komplettbäder“, sagt sie. Für Buchhaltung und Abrechnung habe sie jetzt jemanden auf Stundenbasis beschäftigt.

Von Last zu Lust

Was sich seitdem geändert hat? „Die Mitarbeiter sehen ihre Arbeit heute nicht mehr nur als Job, sondern sie identifizieren sich mit dem Unternehmen“, sagt Altenbach-Bülles stolz. So kommen schon mal am Wochenende Mitarbeiter vorbei, um zum Beispiel ihr Auto aufzuräumen. Die Frühbesprechung habe sich zum Ritual entwickelt, und die Kunden stehen nun tatsächlich im Mittelpunkt. Der Weg dorthin war jedoch nicht einfach. So habe es anfangs großen Widerstand gegen die tägliche Frühbesprechung zwischen 7.00 und 7.30 Uhr gegeben. „Hauptkritikpunkt war, dass die halbe Stunde nicht bezahlt wird“, sagt die 48-Jährige. Ebenfalls viel Durchhaltevermögen wurde ihr bei der Einführung abrechenbarer Arbeitsnachweise abverlangt. Denn auch die Entzifferung kryptischer Stundenzettel sieht die Unternehmerin nicht als ihre Hauptaufgabe an. Folglich wurden die Mitarbeiter geschult, einheitliche, lesbare und abrechenbare Arbeitsnachweise zu erstellen.

Die größte Motivation für die Unternehmerin bedeutet es, ihr Team hinter sich zu haben. „Dazu gehört für mich auch, dass alle Bescheid wissen, wie es um Aufträge, Umsatz, Kosten und Erfolgszahlen steht.“ Klar, dass die neun Mitarbeiter diesbezüglich zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Dennoch legt die Unternehmerin großen Wert darauf, dass sie alle einmal im Monat auf den aktuellen Stand bringt, was die Unternehmenssituation angeht.

Ob sie heute weniger arbeitet? Da muss sie lachen. „Nein“, sagt sie bestimmt, „aber die Art meiner Arbeit hat sich komplett verändert. Und die Zahlen drücken die stetige Verbesserung der Unternehmenssituation auch aus.“
Einzig die Planung ihrer Freizeit und der Erholungsphasen hält die Unternehmerin immer noch für stark verbesserungsfähig.

„Ich will mir noch ein festes Ritual schaffen, um Freizeit und Erholung denselben Stellenwert zu geben, wie es das Unternehmen hat.“ Die Unternehmerin weiß dabei genau, dass sie schon viel erreicht hat, aber dass dieser Prozess wahrscheinlich auch nie aufhört.
gudrun.bergdolt@handwerk-magazin.de