Insolvenzanfechtung: Großzügigkeit wird bestraft

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Insolvenzrecht

Wenn Handwerker klammen Geschäftspartnern den kleinen Finger reichen und ihnen einen Zahlungsaufschub gewähren, nimmt der Insolvenzverwalter später nicht selten die ganze Hand.

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    Vertragspartner von Pleitiers sollten sich von deren Insolvenzverwaltern nicht ins finanzielle Aus manövrieren lassen.
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    „Oft erteilt der Handwerker dem Insolvenzverwalter ­Auskünfte, die er gar nicht geben müsste.“ Justus Schneidewind, ­Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter.

Anständig verhielt sich der Warenlieferant, als er seinem Geschäftskunden bei der Begleichung fälliger Rechnungen mit Ratenzahlungsvereinbarungen entgegenkam. Anderthalb Jahre später geriet der Kunde dennoch in die Insolvenz. Diese Pleite wurde für den Lieferanten zum Verhängnis: Er blieb als Gläubiger nicht nur auf den Schulden sitzen, sondern musste sieben Jahre später 112 000 Euro nebst Zinsen – die erhaltenen Raten – an den Insolvenzverwalter zurückbezahlen. Das entschied der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 6. Dezember 2012 (IX ZR 3/12), das seither für große Verunsicherung sorgt.

Möglich macht das die sogenannte Vorsatzanfechtung, die Paragraf 133 der Insolvenzordnung (InsO) regelt. Danach können Rechtsgeschäfte vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die andere Insolvenzgläubiger vorsätzlich benachteiligen, rückgängig gemacht werden – und das in einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren. Allerdings muss der Zahlungsempfänger diesen Vorsatz gekannt haben.

Vorsatzanfechtung droht schnell

„Die Rechtsprechung hat eine Reihe von Indizien entwickelt, bei deren Vorliegen eine Vorsatzanfechtung droht“, sagt Rechtsanwalt Stephan Balthasar von der Kanzlei Linklaters. „Dazu zählen nicht nur die übliche und in vielen Fällen absolut interessengerechte Ratenzahlungsvereinbarung, sondern auch Szenarien, auf die der Gläubiger kaum Einfluss hat. Die Vorsatzanfechtung droht auch, wenn der Kunde laufend verspätet zahlt, Zahlungsziele nicht mehr einhält oder mit Zahlungen dauerhaft in Rückstand gerät.“ Auch aus Vorkasseverlangen würden Insolvenzverwalter gelegentlich die angebliche Kenntnis des Gläubigers von den Zahlungsproblemen des Schuldners ableiten. „Inzwischen werden auch Anfechtungsklagen mit der Begründung erhoben, die schlechte Lage des Schuldners sei aus der Presse bekannt gewesen“, warnt Balthasar.

Diese Praxis löste einen Sturm der Entrüstung aus. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beklagen in einem gemeinsamen Papier den „ausufernden Anwendungsbereich der Vorsatzanfechtung“. Da kleine und mittelständische Unternehmen über einen Zeitraum von zehn Jahren nicht sicher seien, ob erhaltene Zahlungen tatsächlich bestandskräftig sind, könnten unerwartete Forderungen sogar deren Existenz bedrohen.

Ratenzahlungen branchentypisch

Ratenzahlungsvereinbarungen gehören aber in vielen Branchen zum Tagesgeschäft, vor allem wenn sie zur Abfederung saisonaler und marktbedingter Besonderheiten dienen. Bau und Handwerk sind oft witterungsabhängig, sodass es zu Verzögerungen und somit zu veränderten Zahlungszielen kommt. Die Annahme, dass dadurch andere Gläubiger benachteiligt würden, sei realitätsfern, kritisiert der ZDH.

Besonders problematisch sei es, dass einige Insolvenzverwalter es mit der Vorsatzanfechtung oft einfach einmal „probieren“, beobachtet Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter Justus Schneidewind, der für acht Branchenverbände das Positionspapier „Notwendige gesetzgeberische Korrekturen im Recht der Insolvenzanfechtung“ verfasst hat. „Da der Streitwert in der Regel hoch ist und die Landgerichte sich mit der Materie oft nicht genügend auskennen, verlockt diese Verwalter offenbar die Aussicht, Anfechtungsgegner wie Handwerker, Händler und Lieferanten würden sich schon zu einem Vergleich bereit finden“, sagt Schneidewind.

Gesetzgeber gefordert

Die fehlende Expertise ist der springende Punkt. „Kommt es zum Prozess, wird der Beklagte in der Regel nicht gut verteidigt“, weiß Schneidewind. Es sei nämlich der Insolvenzverwalter, der die Darlegungs- und Beweislast hat. „In diese Rolle muss er auch gezwungen werden.“ Und manchmal mache der Gläubiger sogar in seiner Forderungsanmeldung genau die Angaben, die der Verwalter für seine Anfechtungsklage braucht, mahnt Schneidewind.

Der Koalitionsvertrag verspricht Abhilfe. Die Vorsatzanfechtung soll „auf den Prüfstand“ gestellt werden. Das Bundesjustizministerium arbeitet derzeit an einer gesetzlichen Regelung, die so aussehen könnte: Die Frist wird von zehn auf fünf Jahre verkürzt, das Bargeschäft von der Vorsatzanfechtung ausgeklammert, Ratenzahlungsvereinbarungen werden abgesichert und die lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit kann nicht als Indiz für die Gläubigerbenachteiligung herangezogen werden.