Gesundheitsmanagement: Übungen machen den Meister

Wenn der 50. Geburtstag naht, sind viele ­Mitarbeiter körperlich ausgelaugt. Doch was tun, wenn es zu wenig junge Fachkräfte gibt? Wie Sie die Arbeitsplätze gesundheitsgerecht gestalten.

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    © Rudolf Wichert
    Gesundheit als Erfolgsfaktor: Nur wer körperlich fit ist, kann im Alltag sein Leistungspotenzial vollständig abrufen.
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    © Klingler
    „Je älter die Mitarbeiter, desto höher die Fehlzeiten – hier müssen Chefs jetzt ­gegensteuern.“ Frank Klingler, ­Präventionsexperte der IKK-Classic und Fachberater „Betriebliches Gesundheistmanagement.“
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    © Infografik: Peter Diehl
    Gesundheit als Erfolgsfaktor: Nur wer körperlich fit ist, kann im Alltag sein Leistungspotenzial vollständig abrufen.
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    © Chart: handwerk magazin
    Der Rücken ist am häufigsten schuld, wenn Mitarbeiter im Handwerk sich krankmelden.

Übungen machen den Meister

Eigentlich wollten Lutz und Jan Krebbers ihren Mitarbeitern einfach nur „netto etwas Gutes tun“ und haben vor vier Jahren die unterschiedlichen Krankenversicherungsbeiträge geprüft. Bei der Suche nach günstigeren Alternativen entstand im Gespäch mit der IKK Classic die Idee, ein Gesundheitspaket für den auf Sonderkonstruktionen spezialisierten Fenster- und Fassadenhersteller in Kleve zu schnüren.

Basis war eine anonym durchgeführte Befragung der 45 Mitarbeiter, die aufzeigen sollte, wie es um die körperlichen und mentalen Belastungen an den jeweiligen Arbeitsplätzen bestellt ist. Dabei wurden zwei massive Schwachstellen aufgedeckt, die Lutz Krebbers schon ein wenig schockierten: „ Viele Mitarbeiter haben unglaubliche körperliche Probleme, hinzu kommt, dass der überwiegende Teil schon zwischen 40 und 60 Jahre alt ist.“

Demografiefalle schnappt zu

Als den Chefs bewusst wurde, wie tief der Betrieb quasi unbemerkt in die Demografiefalle gerutscht ist, entschlossen sie sich mit Unterstützung der IKK-Experten zur Einführung eines systematischen „Betrieblichen Gesundheitsmanagements“ (BGM). Wesentlicher Bestandteil dabei ist neben regelmäßigem Betriebssport (siehe Foto linke Seite) eine individuelle Analyse der körperlichen und mentalen Belastungen an jedem Arbeitsplatz.

„Der Markt zwingt die Betriebe dazu, sich verstärkt mit einem systematischen Gesundheitsmanagement zu beschäftigten“, bestätigt IKK-Gesundheitsmanagerin Mechthild Janssen, die auch Krebbers betreut. Schließlich hätte das Handwerk in vielen Branchen inzwischen Nachwuchsprobleme, was automatisch dazu führt, dass die Unternehmer verstärkt darauf angewiesen sind, ihre Fachkräfte länger im Betrieb zu halten. Ein Vorhaben, das in vielen Handwerksberufen jedoch nur bedingt möglich ist, wie IKK-Präventionsmanager Frank Klingler bestätigt: „Wenn die Belegschaft älter wird, steigt automatisch der Krankenstand.“

  • Rat:
  • Keinen Mitarbeiter zwingen
    Alle Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements sind freiwillig. Sie können also ­niemanden zum Mitmachen zwingen, wohl aber mit kleinen Belohnungen – wie etwa einem Bonus für unterdurchschnittliche Fehltage pro Jahr – ­motivieren. Nutzen Sie die Ansprache der Experten, um Zweifler zu überzeugen. Je mehr mitmachen, desto stärker wird auch der Druck des Teams.

Jeder Zweite fällt länger aus

Im ersten Halbjahr 2013 hatte jeder IKK-Versicherte laut Fehlzeitenstatistik der IKK-Classic zwar durchschnittlich nur zehn Ausfalltage wegen Krankheit, allerdings lag der Anteil der Langzeiterkrankungen über 42 Tage bei knapp 51 Prozent. In der Praxis heißt das für die Unternehmer: Jeder zweite Krankheitsfall dauert im Durchschnitt länger als sechs Wochen – und belastet damit die Betriebe besonders stark.

Ein Blick auf den von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) jährlich erstellten Bericht zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit verdeutlicht die wirtschaftliche Dimension der Fehlzeiten: So verursachen allein die Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems jährlich Produktionsausfallkosten von 9,1 Milliarden Euro, die Kosten der psychischen Erkrankungen summieren sich bereits auf über fünf Milliarden Euro (mehr zu den Risikofaktoren siehe Infografik oben).

Um diesen gerade für Kleinbetriebe verhängnisvollen Trend zu stoppen, unterstützen viele Krankenkassen die Betriebe gezielt bei der Reduzierung der Gesundheitsbelastungen am Arbeitsplatz. Bei der im Handwerk stark vertretenen IKK-Classic ist das BGM in Kleinbetrieben sogar Präventionsschwerpunkt. „Ziel ist es“, so Gesundheitsmanagerin Janssen, „nachhaltige Lösungen für die jeweiligen Arbeitsplätze zu entwickeln, insofern hat BGM eine andere Qualität als ein Gutschein fürs Fitness-Studio.“

Lutz Krebbers kann dies für seinen Betrieb vollends bestätigen. In Zusammenarbeit mit den IKK-Experten und mit tatkräftiger Unterstützung der Mitarbeiter wurde im seit 100 Jahren bestehenden Fensterbaubetrieb die komplette Produktion umgestaltet. „An jedem Arbeitsplatz wurde geschaut: Wie können wir den Ablauf gestalten, damit er die Mitarbeiter im Alltag weniger belastet“, erklärt der Inhaber die Vorgehensweise. Dabei ging es jedoch keinesfalls nur um große Veränderungen, sondern es waren die vielen kleinen Maßnahmen, die in der Summe eine enorme Entlastung bedeuten. Besonders ausgezahlt hat sich laut Krebbers die Einbeziehung der Mitarbeiter: „Da kamen viele tolle Vorschläge, schließlich weiß jeder an seinem Arbeitsplatz am besten, was zu tun ist, damit das Arbeiten einfacher geht.“

Chef muss Vorbild sein

Ergänzend zur Umgestaltung gibt es heute im Fensterbaubetrieb je Donnerstags um 16 Uhr eine Stunde Betriebssport mit Ausgleichs- und Entspannungsübungen. Die Teilnahme ist freiwillig, allerdings erhält jeder IKK-Versicherte für sein Engagement einen Bonus von 50 Euro, der bei Nicht-Teilnahme verfällt. „Natürlich“, so Krebbers, „motiviert das schon ein wenig, doch inzwischen haben die Mitarbeiter auch viel Spaß dabei – nicht zuletzt weil wir beiden Chefs auch mitmachen.“

Sylvia Bahrke, Demografieberaterin der Handwerkskammer Münster, weiß, wie wichtig so ein Detail ist: „Die Chefs müssen Vorbild sein.“ Im Rahmen des BGM-Projekts „Zukunftsinitiative Handwerk NRW“ haben sich laut Bahrke noch zwei weitere wichtige Erkenntnisse abgezeichnet: Erstens: Die Chefs können fast nie alle Mitarbeiter erreichen. Zweitens: Jüngere Mitarbeiter sind leichter für Gesundheitsthemen zu motivieren als ihre älteren Kollegen.

Tolle Stimmung im Team

Aus diesem Grund vermittelt die Handwerkskammer Koblenz mit ihrem „Zentrum für Ernährung und Gesundheit“ die Grundlagen einer gesunden Lebensführung bereits in der Ausbildung. Für die angehenden Meister gibt es Bewegungsangebote, Kochkurse und Ernährungsberatung, die Auszubildenden werden mit einer „aktiven Mittagspause“ für Gesundheitsfragen sensibilisiert. „Das Angebot wird begeistert angenommen“, freut sich Mareille Wilbert, Leiterin des Gesundheitszentrums. Um die Beliebtheit der Kurse weiter zu steigern, ist bereits ein Bonussystem nach dem Vorbild der Krankenkassen in Planung.

Lutz Krebbers freut sich zwar auch über die Unterstützung durch die Krankenkasse und seinen Arbeitgeberbonus, doch inzwischen ist das BGM für ihn eine wichtige Investition in die Zukunft des Betriebs: „Was die Kasse nicht zahlt“, so der 49-Jährige, „das zahlen wir“. Besonders beeindruckt hat ihn der Stimmungswandel im Team: „Das Klima ist persönlicher geworden, selbst die ewigen Zweifler in der Belegschaft sind gut drauf.“

Präventionsberater Frank Klingler kennt das Phänomen bestens: „Beim BGM geht es nicht nur um Bücken, Heben und Tragen, sondern um die gesamte Betriebskultur.“ Das klingt auf den ersten Blick etwas hochtrabend, doch Lutz Krebbers weiß jetzt, was Klingler meint: Wenn die Mitarbeiter nach dem Betriebssport mit einem Lächeln nach Hause gehen.