Flüchtlingsfirma: Die Möbelbauer von Lampedusa

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Mit Designermöbeln die Welt verbessern: Im Berliner Projekt Cucula bekommen fünf afrikanische Flüchtlinge als Möbelbauer eine Chance. Auf eine Aufenthaltsgenehmigung und eine bessere Zukunft.

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    Mut zum Handeln: In Berlin-Kreuzberg arbeitet Designer Sebastian Däschle zusammen mit Flüchtlingen.
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    Farbige Planken aus Flüchtlingsbooten.
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    Saidou Moussa bei der Arbeit in der Cucula-Werkstatt.
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    Ein „Sedia Uno“ – gebaut nach einfachen Anleitungen des italienischen Designers Enzo Mari.
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    Moussa Usuman bringt sein Potenzial ein.
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    Aufriss für das nächste Möbelstück.
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    Designerin Corinna Sy erhält viele Anrufe von Organisationen und Handwerksbetrieben, die ähnliche Projekte realisieren wollen.
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    Über 300 Möbelstücke, wie diese „Botschafter-Stühle“, wurden bereits per Crowdfunding (vor-)bestellt.
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    Nichts ist in Stein gemeißelt. Cucula kann flexibel reagie- ren, sinnvolle Ideen mit aufnehmen, Unnützes verwerfen.
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    Ein selbst gebauter Enzo-Mari-Tisch als Treffpunkt. Hier lernen, essen und erzählen die Flüchtlinge.

Mit dem riesigen Erfolg ihres Crowdfundings hätte das engagierte Cucula-Team zu Beginn selbst nicht gerechnet. 150 000 Euro hatten sich die Berliner als sportliches Fundingziel gesetzt und konnten den Betrag letztendlich durch eine zusätzliche Privatspende sogar noch übertreffen. Der Grund? Es geht hier nicht um das x-te Start-up, das mit Designermöbeln sein Geld verdienen möchte. Es geht um viel mehr. Unzufrieden mit der Asylpolitik, packt das Modellprojekt Cucula mit kraftvollen Händen das heiße Thema Flüchtlinge an. Kritisch und kreativ möchte der Verein dafür sorgen, dass sich auch diese Menschen selbst eine Zukunft aufbauen können – und dafür ein Unternehmen von und für Flüchtlinge gründen.

Den Stein dafür brachte im Winter 2013 Barbara Meyer, Geschäftsführerin des Kulturhauses Schlesische27, ins Rollen. Sie bot fünf westafrikanischen Flüchtlingen ein Kälteobdach in den Räumen des Kulturhauses an. Aus ihren Heimatländern Mali und Niger waren sie vor Krieg und Hunger nach Libyen und später auf einer lebensgefährlichen Bootsfahrt nach Lampedusa, Italien, geflohen. Doch auch hier: Perspektivlosigkeit. Die Reise ging weiter, bis sie schließlich in Berlin in einem Camp auf dem Oranienplatz landeten.

Die erste Firma für Flüchtlinge

Einer von ihnen: Maiga Chamseddine aus Mali. Auf seiner Flucht über das Mittelmeer hat er viele Menschen sterben sehen. Wie die vier anderen würde er einfach gern ein normales Leben beginnen, sich selbst versorgen, seine Talente einbringen. Aber nach deutschem Recht ist ihm Arbeiten verboten. „Wir sind hierher gekommen, wir dürfen nicht bleiben, nicht arbeiten – das verstehe ich nicht“, macht er seinem Ärger Luft.

Im Kulturhaus trifft er auf Mitstreiter, die sein Unverständnis teilen. Der Produktdesigner und Architekt Sebastian Däschle bietet den Flüchtlingen einen Workshop an, in dem sie nach einem Buch des italienischen Designers Enzo Mari mit relativ einfachen Mitteln Möbeln bauen können.

Doch was sollen Flüchtlinge, die jederzeit von der Abschiebung bedroht sind, mit Möbeln? Sebastian Däschle, Barbara Meyer, Jessy Medernach und Corinna Sy entwickeln eine Idee: das Geschäftsmodell von Cucula, einer „Refugees Company for Crafts and Design“ mit Flüchtlingen als Mitarbeitern.

Kein leichtes Unterfangen bei der rechtlichen Lage. Fakten schaffen, heißt darum der erste Schritt. Ein Kernteam aus Designern und Pädagogen kümmert sich um den Aufbau einer Werkstatt, einer Webseite, um Spendenaktionen, das Crowdfunding, die Weiterentwicklung der Gesamtidee. Aus den Flüchtlingen werden derweil Craft & Design Trainees, die bei Cucula hospitieren. So bleibt vor den Behörden alles korrekt.

Für Trainee Malik Agachi beginnt der Montag seitdem pünktlich um 8.30 Uhr. Bis Mittwoch baut er vormittags unter der Anleitung von Sebastian Däschle oder ehrenamtlichen Tischlern die Enzo-Mari-Möbel. Manchmal ist der 22-Jährige, dem auch sechs Jahre Flucht das spitzbübische Lächeln nicht nehmen konnten, gar nicht von der Arbeit wegzukriegen. Mit Hingabe schleift er per Hand die Rückenlehne eines Kinderstuhls, setzt gekonnt die Kreissäge ein, um das Kiefernholz zu zerschneiden, nagelt mit festem Schlag die Einzelteile zu einem stimmigen Endprodukt zusammen. Es war Maliks Idee, für die Möbel auch „Lampedusa-Holz“ zu nehmen. Enzo Mari persönlich erteilte die Erlaubnis dafür, seine Entwürfe zu nutzen, nachzubauen und weiterzuentwickeln. Seitdem ist der Weg für schlichte Möbel mit farbigen Planken von Flüchtlingsschiffen frei.

Experimentelle Keimzelle

Nachmittags ist von Montag bis Mittwoch sowie den ganzen Donnerstag „Schule“ angesagt. Deutschkurse, Vorbereitung auf einen Hauptschulabschluss, Alltagshilfen und Rechtsberatung. Der Freitag ist frei für Kreativ-Workshops. Obwohl sich Malik im Anschluss an Cucula eine Kfz-Lehre vorstellen könnte, sind Autoreparaturen für ihn noch in weiter Ferne. Ein aktueller Kreativ-Workshop bringt wieder ein Schiff mit sich: ein großes Holzschiff, das die Männer im Auftrag der Berliner Philharmonie als Bühnenbild zu Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ bauen, in dem es vor allem um Wanderschaft, Abschied und Trauer geht. Maliks Kollege Maiga ist sogar Teil der künstlerischen Darbietung, er wird ein Lied über Cucula singen. Die Musik, die erfolgreiche Arbeit mit dem Holz, die Cucula-Familie, all das gibt Malik, Ali, Moussa und Saidou die Kraft, das Erfahrene zu verarbeiten und weiterzumachen.

Vor wenigen Tagen hieß es aber erst mal, alles zusammenzupacken, um die schönsten der bereits produzierten Stühle, Tische, Kinderbänke, Regale und Betten Ende Januar in Köln auf der Einrichtungsmesse IMM vorzustellen. Keine große Sache für das Team. Es stellte letztes Jahr bereits auf der Möbelmesse in Mailand und der Dutch Design Week in Eindhoven aus.

„Wir sind eine experimentelle Keimzelle“, beschreibt die Designerin Corinna Sy den Status quo des Modellprojekts. Alles ist nach wie vor im Prozess. Darf sich entwickeln, Vorbild sein, Diskussionen anregen. Immerhin, durch die vielen Spenden und das erfolgreiche Crowdfunding ist nun ohne Zweifel klar, dass Cucula den fünf Flüchtlingen ein einjähriges Ausbildungsstipendium finanzieren kann. Eine Art Berufsvorausbildung, in der die jungen Männer finanziell abgesichert sind, während sie lernen und sich auf den Arbeitsmarkt vorbereiten. Die besten Voraussetzungen, um von der Ausländerbehörde endlich eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für sie zu bekommen. Die Anträge dafür werden gerade geschrieben.

Kurzporträt   Cucula: Verein, Werkstatt, Schulungsprogramm und (noch) virtuelle Firma. Ziel: Möbel verkaufen, dadurch jährlich fünf Flüchtlingen ein Ausbildungsstipendium finanzieren. „Cucula“ stammt aus der afrikanischen Hausa-Sprache und bedeutet „etwas verbinden“. cucula.org